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Full text of "Ev.-Luth. Dogmatik. 4. Mittel zur Aneignung des Heils und Vollendung des Heils"

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Ev^Luth. Dogmatik 


Dr\ theoL Adolf floenecke, 

weil. Direktor und Professor am Seminar der Allg. Ev.-Luth. Synode 
von Wisconsin, Minnesota, Michigan u. a. St. 
zu Wainvatosa, Wis. 


Band IV 

Die eigentliche Dogmatik 

i Mittel zur Aneignung des Heils und 
Vollendung des Heilst 


Zum Druck bearbeitet von seinen Söhnen 

Walter und Otto Hö necke. 

CONCORDIA THEOLOGICAL SEMJ/MRf 

LIBR^ry 

&RWGFIELD, JLUNQß 

1909 

Northwestern Publishing House, 
Milwaukee, Wis. 

2 ? 3 s 



Ausführliche Inhaltsangabe des IV. Bandes 


Seite 

II. Lehrstück. — Die Mittel zur Aneignung des Heils. 1 

I. Lehrpunkt. — Vom Worte Gottes 1 — 42 

§ 61. — Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 1 — 25 


I. Das Wesen des göttlichen Wortes (S. 1). — 

II, Die Kraft des göttlichen Wortes (S. 3). — 

III. Die Kraft, eine moralisch wirkende (S. 9). 

— IV. Die Kraft, eine übernatürliche, die Kraft 
Gottes selbst (S. 12). — V. Das Verhältnis der 
Kraft Gottes zum Wort: Der Heilige Geist die 
erste Ursache, das Wort aber Werkzeug (S. 14). 

— VI. Das Wirken des Heiligen Geist durch das 
Wort ein beständiger Einfluß auf das Wort (S. 
21 ). 

62. — Vom Unterschied des Gesetzes und 


Evangeliums 26 — 42 

I. Was ist Gesetz (S. 26)? — II. Was ist Evan- 
gelium (S. 34)? — III. YVorin beide sich unter- 
scheiden (S. 38). 

II. Lehrpunkt. — Von den Sakramenten 42 — 146 

§ 63. — Von den Sakramenten im allgem 42 — 74 


I. Das Wort „Sakrament” (S. 42). — II. Es 
gibt nur zwei Sakramente (S. .45). - — III. Kenn- 
zeichen eines Sakraments (S. 48). — IV. Materie 
des Sakraments (S. 49). — V. Wesen des Sakra- 
ments (S. 5.2). — - VI. Zweck des Sakraments (S. 

53). — VII. Kraft des Sakraments (S. 54). — 

VIII. Brauch des Sakraments (S. 60). — IX. Ver- 
walter desselben (S. 64). — X. Notwendigkeit des- 
selben (S. 66). — XI. Alt- und neutestamentliche 
Sakramente (S. 69). 

§ 64. — Die Taufe 74 — 99 

I. Das YY'ort „taufen” (S. 75). — II. Bestand- 
teile derselben (S. 76), — III. Ihr Wesen (S. 79). 

— IV. Ihr Zweck (S. 85). — V. Ihre Notwendig- 
keit (S. 92). 

§ 65. — Das Heilige Abendmahl 99 — 146 

I. Der Name „Abendmahl” (S. 99). — II. Die 
Einsetzungsworte (S. 100). — III. Materie des- 


III. 


Seite 

selben (S. 115). — IV. Das Essen des Leibes und 
das Trinken des Blutes des Herrn (S. 121). — 

V. Das Wesen desselben (S. 126). — VI. Seine 
Verwaltung (S. 135). — VII. Dessen Zweck (S. 

136). 

III. Lehrstück. — Die Lehre von der Kirche 146 — 224 

I. Lehrpunkt. — Die Kirche im allgemeinen 146 — 169 

§ 66. — Die Kirche im eigentlichen und uneigent- 
lichen Sinne ; 146 — 169 

I. Die Kirche im eigentlichen Sinne (S. 146)T — 

II. Diese nur eine (S. 152). — III. Diese eine die 
heilige (S. 153). — IV. Diese auch die allgemeine 
(S. 153). — V. Sie ist unfehlbar (S. 155). — VI. 

Die Kirche im uneigentlichen Sinne (S. 159). — 

VII. Die Kennzeichen der unsichtbaren Kirche 
(S. 162). — VIII. Der mögliche Fall der sicht- 
baren Kirche (S. 167). — IX. Repräsentation der 
sichtbaren Kirche (S. 168). 

II. Lehrpunkt. — Der dreif. Unterschied der Glieder 


der Kirche 170—224 

§ 67. — Dieser Unterschied im allgemeinen 170 — 175 

§ 68. — Das Lehramt 175 — 205 


I. Dasselbe göttlicher Einsetzung (S. 175). — 

II. Nur durch ordentlichen Beruf erlangt (S. 179). 

— III. Ordination nur Bestätigung des Berufes 
(S. 189). — IV. Gewalt und Recht des Predigt- 
amtes (S. 196). — V. Alle Prediger wesentlich 
an Rechten und Würden gleich (S. 200). 

§ 69. — Die Obrigkeit 205 — 215 

I. Sie ist das von Gott eingesetzte weltliche 
Amt (S. 206). — II. Das Gebiet ihrer Taetigkeit 
(S. 208). — III. Quelle ihrer Ordnungen (S. 210). 

— IV. Ihre Gewalt (S. 212). — V. Ihr Zweck 


(S. 214). 

§ 70. — Der Hausstand 215— 21S 

§ 71. — Der Widerchrist 219 — 224 

% 

Von den letzten Dingen 225 — 252 

§ 72. — Vom Zustand nach dem Tode 225 — 239 



IV. 

§ 73. — Von der Auferstehung 

I. Worin dieselbe besteht (S. 239). — II. Die 
Antithese zur Schriftlehre von der Auferstehung 
(S. 245). 

§ 74. — Das Jüngste Gericht 

L Dieses das allgemeine Endgericht (S. 252). 
— II. Der Richter ist Christus (S. 257). — III. 
Die zu richtenden Personen (S. 263), — IV. Die 
Norm, nach welcher gerichtet wird (S. 271). — 
V. Die Zeit des Gerichts (S. 277), — VI. Das 
Resultat desselben (S. 290). — VII. Dessen Zweck 
(S, 292). 

§ 75. — Von der ewigen Verdammnis 

I. Was die Schrift darunter versteht (S. 294). 
— II. Eine ewig dauernde (S. 303). — III. Der 
Aufenthalt der Verdammten ist die Hölle (S. 311). 

§ 76. — Vom ewigen Leben 

I. W ' versteht die Schrift darunter (S. 316)? 
— II. .tithese zur Schriftlehre vom ewigen 
Leben (S. 336). — III. Der Aufenthalt der 
Seligen ist der Himmel (S. 344). 


Seite 

239—252 


252—294 


294—316 


316 — 350 


II. Lehrstück. 

Die Mittel zur Aneignung des Heils. 

(De mediis salutis.) 


I. Lehrpunkt. 

Vom Worte Gottes. 

(De vcrbo divino.) 


§ 61 . 

Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 

(De efficientia verbi divini.) 

LEHRSATZ I. 

Gottes Wort nach seinem Wesen betrachtet sin' 3 ;$kht die Laute, 
Töne , Buchstaben , Silben , Wvrter und Sävze, sondern die 
in die Worte gefasste göttliche Wahrheit . 

Anmerkung: — Viele unserer Dogmatiker, so z. B. Quen- 
s t e d t , behandeln die Wirksamkeit des Wortes Gottes schon 
bei der Lehre von der Heil. Schrift in den Prolegomena. Aber 
dort kommt die Schrift in Betracht als Erkenntnisquelle 
( fundamentum organicuni, norma causativa ) und Richtmaß 
der Lehre ( norma normativa) , hier aber als Mittel des 
Geistes zu unserer Bekehrung und Selig- 
m a c h u n g. Wir haben daher jetzt seine Wirksamkeit zu unter- 
suchen. Wir tun es im allgemeinen hier im gegenwärtigen 
Paragraphen, im besonderen im Paragraphen über den 
Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium, denn mit diesem 
Unterschiede fällt die besondere Wirksamkeit des Wortes zu- 
sammen. 

Unser erster Lehrsatz handelt vom Wesen (forma)* der 
Heil. Schrift, oder des Wortes Gottes. Nicht die*Silben, Laute 
und Wörter sind das Wesen. Wären sie das Wesen, so würde; 

i.) die Schrift sich selbst widersprechen, da ja nach der 
Schrift selbst Worte, Silben und Buchstaben können ver- 


i § 61. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 

n i c h t e t werden (Jer. 36, 27), und wiederum nach der Schrift 
Gottes Wort ewig sein soll (r. Pet. 1, 23 — 25 u a. St). 

2. ) Wenn die Laute, Töne und Wörter nicht nur materia, 
sondern forma des göttlichen Wortes "wären, so würde keine 
Übersetzung des Alten und Neuen Testaments, weil sie 
nicht die ursprünglichen W r orte enthält, Gottes Wort sein. 

3. ) Es hätten auch in diesem Falle die Apostel nicht das 
Evangelium aller Kreatur predigen können, da Christus es ihnen 
nur in einer Sprache gepredigt hat. 

Quenstedt:. 1 Snniitur S . Scripturae nomen vel for- 
maliter , pro sensu divino vocibus et scriptione denotato, vel 
qua verbum divinum est ( quo sensu Scriptiirac assignatur acterni- 
tas, Es. 40, 8 ; r. Petr, f, 23. 23), vel m at erialit er , pro ipsis 
vocibus , Utens et characteribus, sive pro ipsa scriptione, h. c. qua 
litcris est consignatum. Nota VI} I : Formale Scriptiirac est sen- 
sus divinus reve latus, materiale , literae , voccs, scriptio. — Thes. 
V : Forma Scriptiirac alia interna est , alia externa. Forma in- 
terna , scu quae dat esse Scripturae, ut seil, sit Dei verbum, h. e. 
earn constituit et a quavis alia scriptura distinguit , est sensus 
S criptu rac OeoirvevaTos, qm in g euere es t concep tus divini int ei- 
le ctus de mysteriis divinis, et salnte nostra ab aeterno formatus, 
et in tempore revelatus , atque scriptione nobis communicatus, 
sive ipsa Otoirvtvxria Le. divina inspiratio, 2, Tim. 3, 16, utpote 
qua verbum divimim constituitur et ab human 0 distinguitur. 
Forma e xt e r n a Scripturae est character sermonis, sive Stylus 
et idioma . Et quidem in V. Tcstamento idionta linguae ebraeae, 
et ex parte chaldaeae , in Novo linguae graecac. Diese Unter- 
scheidung von forma interna und externa widerspricht nicht dem 
Satz, daß die Silben und Wörter, also auch die hebräischen und 
griechischen, überhaupt nicht das Wesen, sondern nur Materie 
des Wortes Gottes seien. Denn durch das über die forma ex- 
terna Gesagte werden eben nicht die hebräischen und griechischen 
Wörter, sondern das hebräische und griechische Sprach- 
idiom, worin doch einmal Gott das Geheimnis der Gottselig- 
keit, oder das Evangelium, durch Inspiration offenbart hat, für 
die forma externa erklärt (hierin liegt nicht eine Ablehnung der 


1 Thcol. did . pol,, pars f, cap. IV, scct. /, thes. I , nota VII , p. 54. 


i 



§ 6l. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 3 

mspiratio verbalis). Unsere Dogmatiker wollten durch die Auf- 
stellung der obigen forma externa die ganz nötige Erklärung 
geben, daß das hebräische und griechische Sprachidiom nicht in 
demselben zufälligen Verhältnis zu dem wahren Wesen des 
Worts, nämlich dem inspirierten göttlichen Sinn, stehe, wie 
irgendein Sprachidiom einer Übersetzung zu demselben Wesen 
steht, sondern eben vermöge der Inspiration in einem gegenüber 
allen andern Sprachen einzigartigen, mit dem Wesen so eng 
verknüpften Verhältnis, dass man es als zum Wesen gehörend und 
sehr wohl als forma externa bezeichnen könne. Auch kann wohl, 
da die Schrift doch Wort, und des Wortes Wesen doch sein Sinn 
ist, der äußere, grammatische Verstand der Schrift ( sensus 
grammaticus et externus) als das äußerliche Wesen ( forma ex- 
terna) der Schrift und des Wortes Gottes bezeichnet werden. 
Aber sofern die Schrift nicht überhaupt schlechtweg Wort, 
sondern Go 1 1 e s Wort ist, so ist das eigentliche Wesen ( forma 
interna ) der Schrift nicht der grammatische, auch jedem Un- 
wiedergeborenen erreichbare Sinn, sondern der innerliche, geist- 
liche Sinn (sensus divinus et internus ), der nur dem Wiederge- 
borenen durch den Heil. Geist gegeben wird. 

Alles hier über das materiale und formale der Heil. Schrift 
als des Wortes Gottes Gelehrte würde man völlig falsch und im 
Gegensatz gegen die Schrift selbst verstehn, wenn man, wie alle 
Schwarmgeister tun, in Ansehung der W irkung des Wortes 
Gottes das materiale und formale voneinander trennen 
wollte. Hierüber wird sofort der nächste Lehrsatz zu handeln 
haben. 

LEHRSATZ II. 

Das ganze Wort Gottes hat Kraft , und zwar sowohl ausser dem 

Gebrauch wie im Gebrauch selbst. 

Anmerkung: — Man pflegt die Kraft ( vis, potentia , 
cfficacia) des Wortes Gottes zu unterscheiden als vis repraesenta- 
tiva , cxcitativa und collativa oder exhibitiva . Die erste ist die 
Kraft, von den göttlichen Dingen eine deutliche Vorstellung zu 
geben, gleichsam die lehrende Kraft ; die Yweite ist die 
Kraft, nicht nur von Reue und Glauben eine Vorstellung zu 
geben, sondern dieselben wirklich hervorzubringen, zu 



4 $ 61. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 

wirken ; die dritte ist die Kraft, die realen Gnaden Gottes 
auszuteilen. 

Gegenwärtig ist namentlich von der vis excitativa, effectiva 
die Rede, und zwar mehr im allgemeinen, daß wirklich die 
Schrift eine vis effectiva hat, eine Wirkung aus- 
zuüben, und zwar immer. Von der vis collativa wird nament- 
lich in § 62 beim Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium 
gehandelt werden. 

Unser Lehrsatz hat klaren fieweis in der Schrift selbst, 
welche sowohl dem ganzen Wort Gottes (Heb. 4, 12), als 
auch den einzelnen Teilen, dem Gesetz (5. Mose 
33, 2 ; 2. Kor. 3, 6 ; Rom. 7, 10 ; 4, 14. 15) wie dem E vangeli- 
u ni (Rom. 1, 16; 1. Kor. I, 18; Joh. 6, 63. 68) Kraft und Wirk- 
samkeit zuschreibt. 

Nach den Aussagen der Schrift ist weder das Gesetz, noch 
das Evangelium ein toter Buchstabe, welchem erst von 
anderswoher etwa durch Hinzutreten des Geistes oder durch die 
Prediger eine gewisse Wirkung gegeben würde. Vielmehr haben 
beide in sich selbst Kraft, im Geist und Willen des Menschen 
bestimmte Wirkungen hervorzubringen. Quenstedt: 1 
Quando verbo Dei , sen S. Scrip turne vim et efficaciam divinam 
effectus spirituales producendi tribuimus, non de evangelio tan - 
tum, sed et de lege id inteile c tum volumus . — Gerhard 2 : 
Distinctae quaestioncs sunt de efficacia verbi divini in gencre , 

et de efficacia evangelii in specie Quamvis enim lex non 

sit medium atque organum Mud, per quod Deus vult accendere 
ßdem in Christum , tarnen et ipsa non est littera mortua , sed 
occidens , ut loquitur apostolus 2. Cor . 3, 6 , iram operans , Rom . 
4, 15, sieque in suo gencre non minus efficax quam evangelium. 

Da Gottes Wort, sowohl Gesetz wie auch Evangelium, i n 
sich selbst Kraft hat, so kann seine Wirkungskraft nicht 
erst vom Gebrauch abhängig gemacht werden. Das 
Wort hat auch außer dem Gebrauch ( extra usiim) Kraft. 
'Beweis : 

1.) Joh. 6, 63: ,,Die Worte, die ich rede, die sind Geist 


1 Theol did . pol, pars f, cap. IV, sect . II, qu. XVI , ecthes observ 
II, p. 1/0. 

2 Loci, tom . XIII , loc. XXIV, cap . VI, sect. I , § CCLIII, 10, p. 74 . 


§ 6i. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 


5 


und sind Leben.” Die Beweiskraft liegt in der Verbindung mit 
dem Vorhergehenden : „Der Geist ist cs, der da lebendig macht/’ 
Meine Worte sind Geist; also sind meine Worte Leben, d. h. 
Leben, dadurch Sünder können lebendig werden. Sie haben 
solche Kraft, wie sie der Geist hat. Was aber, wie es nun hier 
mit dem Wort ist, seiner Natur nach solche Kraft hat, hat 
sie auch außerhalb des Brauchs. 

2.) Jak. i, 21 : „Nehmet das Wort an mit Sanftmut, das in 
euch gepflanzet ist, welches kann eure Seelen selig machen.” 
Nach diesem Spruch ist durch die Predigt das Wort in sie 
gepflanzt als ein Wort, welches Svvafjus hat, selig zu machen, 
eine Kraft, die es nicht erst durch das Einpflanzen empfing; 
schon vor dem Einpflanzen ( ante usum) war es ein Aoyos Sv- 
vdfjuv 05 nicht erst durch das Einpflanzen, Hineinpredigen in 
die Seelen. Und die Ermahnung, dies kräftige Wort aufzu- 
nehmen, zeigt ja, daß es vor dem Aufnehmen kräftig war und 
ohne dasselbe auch kräftig bleibt. Ganz so Luther 3 : „Und 
als denn ist abermal hier die Kraft und das Wort nicht zu 
scheiden, sondern das Wort und die Kraft ist ein Ding, nicht 
anders, denn so viel gesagt: Als ein tätiges oder kräftiges Wort, 
daß die Kraft sei das Wesen und die Natur des Worts, das in 
allen Dingen wirket.” — An anderen Stellen: 4 „Das Wort 
Gottes,- daran er (der Gläubige) hanget, ist allmächtig und 
Gottes Kraft (Rom. I, 16), das lasset, ihn nicht fallen noch 

sinken Das Wort ist eine göttliche und ewige Kraft 

Darum ist es wohl eine göttliche Kraft, ja Gott ist es selber 

Wiewohl das Wort gering ist und nichts scheinet, weil 

es aus dem Munde geht, so ist doch ei|ie so überschwengliche 
Kraft darinnen, daß es die, so daran hangen, Kinder Gottes 
macht Joh. i, 12.” Im letzteren Zitat stellt Luther gleich die 
Kraft an sich und extra usum und die Wirkung- bei 
rechtem Brauch nebeneinander. Unsere Dogmatiker bezeichnen 
diesen Unterschied der efficacia des Worts als efficacia actu 
primo und actu sccundo; das erstere ist die einwohnende Kraft, 


3 Kirdienpostille, Predigt am Christtage, Leipz. Ausg., B. XIII, S. 136. 

4 Antwort auf Heinrich VIII. von England Buch, Leipz. Ausg., B. 
XVIII, S. 208, und Auslegung der 1. Epist. Petri (1523) zu Kap. 1, 25, 
Leipz. Ausg. B. XI,- S. 499. 


C 


CONCORDU THEOIQGICM. SEMINAR! LIBRARY 

SPRINGFIELD, ILLINOIS. 



6 § 6i. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 

das letztere die Wirkung, effectus, beim rechten Brauch. So 
die Wittenberger Theologen in ihren Thesen gegen 
Rath mann 5 : ,,Wir machen nicht unbillig einen Unterschied 
zwischen der Kraft oder actum primum, und zwischen der gött- 
lichen Wirkung oder actum sec und um des äußerlich gelesenen 
und gepredigten Wortes. Per se und an sich selbst ist es allezeit 
eine Kraft, oder hat an sich eine Kraft, alle und jede Zuhörer 
zu bewegen.” So Tarnovius : 6 Dei verbum vim illumi- 
nandi, convcrtendi et sanctificandi a c t u p r i m o semper a 
Deo inditum habet, quia est minist erium Spiritus (2. Cor. 3, 8 ) 
et potentia Dei ad salutc m omni crcdenti (Rom. 1, 16) et ante 
et extra usum, quamvis non ante et extra usum a c t u sec u n d 0 
convertat et repugnantes illuminct. Es wirkt überhaupt extra 
usum legitimum nicht. Es hat alle Kraft extra usum, aber es 
ist von Gott überhaupt so verordnet, daß es seine Kraft nur usu 
legitimo, durch Predigen und Lesen, durch Hören und darauf 
Achten zur Wirkung ( effectus ) kommen lassen soll. Und also 
folgt daraus, daß es Kraft hat an sich, doch nicht, daß cs auch 
außer dem legitimen Brauch dennoch Wirkung hervorbrächte. Ja, 
dies letztere folgt auch trotz seiner innewohnenden Kraft nicht 
jedesmal und immer bei legitimem Brauch. Wir verstehen 
ja unter Kraft nicht das tatsächliche Wirken, sondern die immer 
vorhandene Mächtigkeit, die Wirkung hervorzubringen. Das 
Wort wirkt nicht physisch ; das Wort wirkt vor allen Dingen 
nicht irresistibiliter . Quenstedt : 7 Habet verbum Dei, ex 
ipsius Dei ordinationc et voluntate, etiani ante et extra usum 
legitimum, intrinsccam, divinam et suff identem, indifferent cmquc 
ad omnes hotnincs vim et efficaciam ad spirituales et divinos 
effectus, cum gratiosos et salvificos, ut regenerationis, conver - 
sionis, iliuminationis, salvationis, tum punitorios , ut concussionis, 
mortißcationis, damnationis imme diäte, vere ac proprie produ- 
cendos. Quenstedt weist darauf hin, daß doch nicht gesagt 

Thes. XIV ; cf. Quen ., I. c., distinct. VIII, p. 17 1. 

6 De libero arbitrio, thes. XLIII; cf. Quen., I. c. — Tarnovius. ein 
vorzüglicher Dogmatiker, war Prof, zu Rostock; er starb 1633* Unter 
seinen Schriften sind zu nennen: De sacrosancto ministerio , de libero 
nrbitrio , und andere Schriften über einzelne Artikel. Wiewohl er pieth 
stisch gerichtet war, steht er doch in bezug auf die Kraft und Wirksamkeit 
des Wortes korrekt. Seine Erklärung ist desto gewichtiger. 

T L. c.. qu. XVI, thesis , p, i 6 y. 



§ 6i. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 7 

werden könne, daß das Wort an sic h Kraft habe, wenn es 
diese Kraft nur bei den Erwählten hätte (kalvinistische Lehre), 
denn dann wäre die Wirkung abhängig von einem bestimmten 
Dekret Gottes. Es könnte auch nicht von einer Kraft des Wortes 
per se geredet werden, wenn es nicht immediate , sondern erst 
vermittelt durch andere göttliche Kraft wirkte; es würde auch 
nicht vere wirken, wenn es die geistlichen Zustände nur be- 
schriebe, aber nicht tatsächlich wirkte, auch nicht proprie, wenn 
es nicht die Bekehrung selbst, sondern nur etwas dazu Vorbe- 
reitendes wirkte. Wir schreiben also dem Wort nicht nur vis 
rep raese ntativa, ob je etwa, signißcativa, sondern effectiva, vera 
und realis zu. 

Antithetiker in bezug auf die Kraft und Wirksamkeit 
des Wortes sind: 

1. ) Schwarmgeister. Schwenckfeld: Das 
lebendigmachende Wort ist nicht das geschriebene, sondern 
Christus selbst — Weigel : Das Schriftwort ist ein toter 
Buchstabe, der nur am Papier und den Ohren hängt. 

2. ) Pietisten. Als Vorläufer gilt Andreas Osi- 
ander, Er sagt 8 : „Das Wort, das man uns prediget und 
Gottes Wort nennet, das ist nur eine auswendige Stimme und 
menschlich Wort, das durchs Menschen Mund ein Anfang, und 
bald in der Luft wieder ein Ende nimmt. Das äußerliche Wort 
ist nicht das inwendige, es zciget’s aber an und macht’s offenbar. 
Rath mann : 9 „Die Axt hauet nicht, wo nicht der Holzhauer 
der Axt erstlich eine Kraft und Nachdruck gibt; die Schrift 
bekehrt nicht, wo nicht der Heil. Geist das Gnadenlicht und 
seine Kraft zur Schrift bringe/' Nach seiner Meinung kommt 
erst durch den legitimen Gebrauch, Predigen und Betrachten, 
die göttliche Kraft zur Schrift, und ist von dieser jeden Augen- 
blick trennbar. „So viel hat die Schrift als Schrift betrachtet 
an sich, daß sie zeuget, lehret, weiset objective, wie in einem 
\ — 

S Bei Quenstedt, i c. anlithes., />. //J. 

ö Erinnerung, S. 13. 44. 49 ; bei Quenstedt, 1. c. — Herrn. Rathniann, 
geb. m8s, t als Pastor zu Danzig 1626. Er wurde wegen seiner Schrift: 
„Jesu Christi, des Königs aller Könige und Herrn aller Herren, Gnaden- 
reich” (162t), in der er behauptete, das Wort habe keine innerliche Kraft 
ohne Hinzukommen des Geistes, von seinem Kollegen Corvinus verketzert. 
Die vom Rat von Danzig von den Universitäten Königsberg, Jena, Wit- 
tenberg erbetenen Gutachten fielen gegen Rathmann aus. 


8 § 6i. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 

wahrhaftigen Zeugnis, Gemälde, Kontrafaktur oder Zeichen, was 
Gottes Wesen, Wille und unser Gebühr sei.” 10 Die Schrift habe 
an sich nur lumcn historicum et instrumentale , das sogenannte 
Schriftlicht, nicht lumcn subjecti oder lumen internum und vis 
illuminandi. Ebenso stand Kaspar Movius, litauischer Prediger, 
ein Parteigenosse Rathmanns. 

3. ) Die Sozinianer, Der Catechismus Racoviensis 
sagt : Das gepredigte Wort trifft nur die Ohren. 

4. ) Die meisten Kalvinisten lehren auch, man 
müsse äußeres und inneres Wort unterscheiden, und das äußere 
Wort sei nur signißcans und bringe keine geistliche Wirkung 
hervor ; die Bekehrung werde nur unmittelbar durch den 
Heil. Geist gewirkt. Zu solcher Lehre drängt sie notwendig ihre 
Lehre von der absoluten Prädestination. Calvin: 11 Notandum 
est , quod externa actione ßgurat et testatur minister , Deum intus 
pcragere, ne ad hominem mortalcm trahatur, quod Deus sibi uni 
vindicat . Öcolampadius 11 * sagt in einer Schrift von 1525 : 
„Die Worte der Schrift haben die Kraft und Macht nicht, beizu- 
bringen, was sie andeuten, es wäre denn, daß wir daraus wollen 
eine magiam machen ; das menschliche Herz hat innerlich die 
Kraft der Worte.” 

Nach allen diesen Erklärungen stellt die Schrift nur dar, 
hat aber an sich keine inwendige Kraft, die dargestellten geist- 
lichen Vorgänge zu wirken, sondern erlangt diese Kraft erst im 
Gebrauch, weil dann der Heil. Geist hinzutritt und diseiben wirkt. 

Die Stützen dieser schwarmgeistigen Ansicht sind : 

1. ) Wenn die Schrift von der Kraft des Wortes rede, so 
verstehe sie darunter das wesentliche Wort, nämlich 
Christum. Dagegen: In Joh. 6, 63 unterscheidet Christus sich 
selbst von seinem Wort und widerlegt damit jene Behauptung. 

2. ) Von den Worten, die Christus selbst rede, gelte wohl, 
daß sie Geist und Leben seien, aber nicht vom Wort, das 
Menschen predigen. Dagegen : Der Herr sagt : „Wer euch 
höret, der höret mich.” 


1° Aus der Vorrede zu Rathmanns Gnadenreich, B. 1, S. 1^ bei 
Quenstedt, 1. c. 

11 Instit., tont . II, Hb, IV, cap. XIV, § 17, p. 361. 

1 1 * Cf. Hülsemann, De auxiliis gratiae, cd . II, p. 174. 


§ 6i. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes 9 

3. ) Hätte das Wort an sich Kraft, so brauchte man ja nur 
einem Menschen das Evangelium Johannis um den Hals zu 
hängen, um ihn selig zu machen. Diesen unsinnigen Einwurf 
bringen Schwenckfeld und auch Rathmann. Das Evangelium Jo- 
hannis, sofern es wesentlich Gottes Wort ist, nämlich die gött- 
liche Wahrheit, kann man niemandem um den Hals hängen ; man 
kann durch dasselbe nur selig machen durch den legitimen 
Brauch, durch das von Gott befohlene Predigen. 

4. ) Die Schrift könne an sich und extra usum nicht Kraft 
haben, denn nach lutherischer Lehre seien Gottes Wort und 
Schriftkodex nicht identisch ; so sei nicht abzusehn, wo außer dem 
Gebrauch eigentlich Gottes Wort mit seiner Kraft sein solle. 
Quenstedt: 12 Quaerit Movius , ubi Verbum Dei sit extra 
usum? Res pondemus ex mente nostratium , 0 ri gi n alit e r 
esse in Deo , ceu conccptum et meutern Dei, repraesenta- 
tiv e in Bibliis seu codicibus sacris, subjective et habi- 
t u alit er in hominum mentibus, oUovon ikS>s seu di s p e n - 
sative in divina ordinatione , destinatione et sanctißcatione. 

5. ) In Röm. 1, 16 liege eine Metonymie vor. Beza: 13 
Locutionem haue apostolicam esse ßguratam et in specic meta- 
lepticam, quia ponatur effectus pro causa instrumentali subser- 
viente; evangelium cst potentia Dei ad salutem , h. c. inquit, instru- 
mentuni, quo efficaciter utitur ad nos servandos Deus. 

LEHRSATZ III. 

Sofern Gottes Wort doch Wort , oder Rede, ist , ist seine Kraft 

eine moralisch wirkende. 

Anmerkung: — Es heißt 2. Pet. 1, 19 vom Wort: „Ihr tut 
wohl, daß ihr darauf achtet/’ Das Wort Gottes richtet sich also 
an den Sinn des Menschen. In 2. Kor. 4, 6 bezeichnet 
Paulus als Aufgabe des Predigtamtes, daß durch dasselbe die Er- 
leuchtung von der Klarheit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi 
entstände. So ist dies also des Wortes Kraft, daß es Erkennt- 
nis gibt. Dasselbe sagen aus Psalm 119, 104. 130; Eph. 3, 
6 — 19. Nach letzterer Stelle besteht die erleuchtende Wirkung 
der Predigt darin, daß sie Erkenntnis gibt. Daher bleibt 


12 L. c., fontes solut. 17 , p. 186. 

Cf. Quenstedt , l. c., 2, p. 181 . 



10 § 6i. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 

Gottes Wort von vornherein ohne alle Frucht, wo es nicht zum 
Verstehen desselben kommt (Matth. 13, 19). Nach Psalm 
119, 32 besteht die zum Lauf im Gehorsam gegen Gottes Gebot 
bewegende Kraft in Tröstung des Gemüts. Endlich nach 
2. Tim. 3, 15 hat Gottes Wort Kraft zu widerlegen und zu 
überzeugen. 

Mit dem allen wird von der We ise des Wirkens der 
Schrift dies gelehrt, daß des Menschen Sinn und Gedanken auf 
die Schrift gerichtet, daß sein Geist mit Erkenntnis der im Wort 
vorgetragenen Wahrheiten erfüllt wird, und auf diesem Wege 
ihm Herz und Gemüt in mancherlei Weise bewegt werden sollen. 
Die Wirkung der Schrift geht also nach Aussage der Schrift 
in einer d e m geistigen Wesen des Menschen an- 
gemessenen Weise vor sich ; sie ist geistig vermittelt. 
Die Kraft des Wortes ist, wie wir es ausdrücken, eine 
psychologische, oder, wie unsere Dogmatiker sagen, 
eine moralisch wirkende. Hülse mann: 1 Verbum Dci 
in prima sua institutionc acceptum virtutem divinam illustrandi 
mente s hominum tenebrosas notitia rerum divinarum, flectendi 
voluntates a malo ad bonum, ab odio ad üduciam erga De um etc. 
ex ercerc, applicatum ad subjectum id orten m per modum causa e 
instrumentalis , non p h y s i c e quid cm per contactum agentis, 
sicut opium , rhabarbarum, venenuni, ignis etc. physice agunt in 
subjeCjto idoneo, sed ni oraliter , illustrando meutern, com- 
movendo vohmtateni, purgando affe eins etc. . Sic enim ro 
moraliter hie accipiendum cst, ut non opponatur hyper - 
physico contactui et motui, sed contradistinguat ur tan tum motui 
et contactui physico ; siehe Haie r, 2 ferner Quenstedt in 
observat. 4,^ wo er erklärt, daß das Wort Gottes nicht nur mo- 
ralische Wirkung hat, also zugibt, daß es allerdings moralisch 
wirke, nur nicht allein so. Auf diese moralische Wirkung weist 
er auch hin in dem Kapitel de justißcatione, thes. XII ; 4 Forma 
justiücationis in genere consistit in cfßcicntia mutationis certae in 
homine peccatore , non quidem physicae, sed moralis . Hülse- 

1 — 

1 Praelect. in Form. Coric., sect. I . pars 2, § 2; cf. Quenstedt, pars. 1 , 
p. 172. 

2 Compendiuni > proleg., cap. II, § XXXIX, nota, p. 83. 

3 Theol. did. pol, pars I, cap. IV, sect. II, qu. XVI, ecthes., p. 170. 

4 L , c., pars III, cap. VIII, sect. /. p. 5 '9. 


§ 6 i. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 


11 


mann weist noch darauf hin, daß die Heil. Schrift, die aller- 
dings etwas ihr Besonderes habe, doch auch hier etwas 
mit jeder Schrift Gemeinsames habe : 5 Commune id habet, 
quod,quemadmodum verbum hominis est character (Ausdruck) 
et Index (Anzeige) animi, quo mediante homines sensa animi sui 
alten signißcant , sive ad petenduni ca, quae volunt, seu ad com- 
municandum ea, quae habent, ita verbum Dei indes est voluntatis 
divinae. quo signißcavit Deus, quid nos credere et facere velit . 

Wir verwerfen auf Grund der Schrift und mit unsern Dog- 
matikern jede Ansicht von der Wirkung der Schrift, oder des 
Wortes Gottes, wonach sie wie ein Zauber mittel, 
wie eine Medizin, magisch oder mechanisch- 
physisch wirkt. Solche Ansichten fanden sich früh in der 
Kirche. Quenstedt z. B. berichtet, daß schon in der ältesten . 
Kirche der Brauch vorhanden war, durch Umhängen von 
Schriftsprüchen oder Teilen der Schrift Krankheiten zu ver- 
treiben usw. Er sagt darüber : 6 Ho quidem dementiac in primi- 
tiv a ccciesia progressac sunt quae dam imperitae ac superstitiosae 
mulieres, et anor poiratav seu magicam quandam vim ipsis 
Scripturae litt er is, syllabis ac vocibus tribuerent , et ad illarum 
vcl pronunciationem, vel ge Station cm, vel suspensionem, vel aliani 
aliquant usurpationem, quosdam httmanis viribus majores effectus 
produci, v . g. morbos, daemones, spectra aliaque mala fugari vel 
depelli posse , existimarent. Ähnlicher Mißbrauch findet sich in 
Menge auch heute. Eine magische Wirkung der Schrift erwar- 
ten auch die vielen heutigen Tages, die der Predigt des Wortes 
im eigentlichen Sinne nur beisitzen, ohne nach Verständnis des 
gepredigten Wortes zu trachten. 

Unsere Dogmatiker geben reichlich Zeugnis, worin sie eine 
magische und physische Wirkung der Schrift verwerfen. Quen- 
:stedt : 7 Non tarnen propterea agit aut operatur ( scriptura 
sacra) <f>van,K w? seit naturaliter, stricte loquendo ( stricte be- 
zieht sich darauf, daß im gewissen Sinne die Dogmatiker von 
teiner physischen oder natürlichen Wirkung der Schrift reden, 
aber darunter die Wirkung verstehn, die der Natur des Wortes 

5 De auxiliis gratiae, disp . III , IV, p. 178. 

ß L. c., pars I cap. IV., sect. II, qu. XVI, ecthes., I, />. 160 . 

7 L. c., ecthes ., 12, p .. 172 . 


12 § 6 1 . Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 

angemessen ist und aus der Natur des Wortes folgt), vel naturali 
et physico modo , per cont actum seil. physicum , sicut venemim 
agit physice. Die Wittenberger 8 Theologen im 
Streite mit Rathmann sagen: „Wir legen keineswegs den Wör- 
tern, Silben und Buchstaben, wie sie auf dem Papier geschrieben, 
eine heimliche, verborgene, natürliche oder magische, oder auch 
übernatürliche Kraft bei (d. i. wir sagen nicht, daß aus den 
Wörtern als solchen die Kraft herausgehe, es geschehe auf 
eine magische oder eine andere Art.)”. — Löscher: 9 Con- 
versionem et reliquos oeconomiae salutaris actus non mechanice, 
scd eo, qui spiritibus conveniat et supra naturam sit, modo üeri, 
diligenter contra N aturalistas (Rationalisten) est defendcndum . 

LEHRSATZ IV. 

Die wahre Kraft , von zvelcher die Wirkungen des göttlichen 
Wortes eigentlich abhängen, ist eine übernatürliche Kraft 
und nichts anders als die Kraft Gottes selbst ; und die an 
dem Sünder zur Seligkeit geschehenden Wirkungen der 
Schrift sind als solche im vollen Sinne des Wortes über- 
natürliche . 

Anmerkung: — Die Schrift wirkt nicht mechanisch, sondern 
moralisch (Lehrsatz III) , aber nicht nur moralisch. 
Die Schrift selbst lehrt vielmehr von ihrer Wirkungsweise, daß: 

1. ) in dem Worte Gottes Gott selbst wirke (Rom. 1, 
16). Ist das Evangelium eine Kraft Gottes, so wirkt Gott selbst 
Es gibt und kann keine von Gott abgelöste und anderswo hinein- 
gebundene göttliche Kraft geben. Gott und seine Kraft sind 
identisch. 

2. ) Die durch das Wort hervorgebrachten Wirkungen: Wie- 
dergeburt, Erleuchtung, Heiligung usw., werden Gott selbst 
und speziell ( per appropriationem) dem Heil. Geist zugeschrieben 


8 Theol. in causa Rathmanni bei Bertling. ..Was die Lnth. Kirche von 
der Kraft der Heil. Schrift lehre und nicht lehre/’ S. 4. 

U Praenotiones ihcologicac Ed. 1708, p. 223, bei Bertling, a. a. O., S. 5. 
— Valentin Ernst Löscher wurde 1673 zu Sondershausen geboren. Bis 
1702 war er Professor zu Wittenberg, dann Superintendent und Kon- 
sistorialrat in Dresden. Er war der bedeutendste Gegner der Pietisten 
und als Gelehrter wie als Christ ausgezeichnet. Seine ITauptschriften sind: 
Timotheus verinus. Historia motuum, Reformationsaktc. Kr war auch 
Herausgeber der „Unschuldigen Nachrichten/’ Er starb am 12. Dez., 1749. 


§ 6i. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes 1 B 

(Joh. i, 13: „Von Gott geboren”; Joh. 3, 5: „Geboren werde 
aus dem Wasser und Geist”; 1. Joh, 5, 4: „Was von Gott ge- 
boren ist” ; vergl. 4, 7; 5, 1; 1. Kor. 12, 3: „Niemand kann 
Jesum einen Herrn heißen, ohne durch den Heil. Geist”; Jak. 1, 
18; „Er hat uns gezeuget nach seinem Willen durch das Wort 
der Wahrheit”; Joh. 3, 6: „Was vom Geist geboren wird”'). 

3. Der Mensch kann von Natur vom Geist Gottes, also von 
geistlichen Dingen und so von der Schrift selbst, nichts verstehn. 

Mit dem allen lehrt die Schrift, daß die Kraft des Wortes 
Gottes nicht nur eine moralisch wirkende ist, wie jede 
menschliche Schrift sie hat, sondern eine übernatürliche. 
Die moralisch wirkende Kraft einer Rede setzt voraus, daß der 
Hörer ihre Gründe und Beweisführungen völlig verstehen, in 
ihrer Beweiskraft erkennen, und so das Vorgetragene sich an- 
eignen und dessen Intentionen nachgeben kann. Trifft diese 
Voraussetzung nicht zu, so kann auch von blosser moralischer 
Wirkung nicht die Rede sein. Sie trifft aber nicht zu bei Gottes 
Wort, denn der Mensch kann aus sich selbst die Schrift nicht 
verstehn. Wirkt' nun die Schrift als Gottes Wort allerdings den- 
noch moralisch, d. h. so, daß der Mensch ihre Argumentationen 
versteht, würdigt, ja selbst mit Geist und Willen ihnen zuneigt 
und sich unterwirft, so geschieht dies nur, weil die Schrift eine 
höhere als nur moralisch wirkende, nämlich eine übernatür- 
liche Kraft hat, die nichts anders ist als die Kraft Gottes selbst. 
Die Wittenberger Theologen sagen hierüber im Streit 
mit Rathmann: 1 „Da denn ferner zu wissen, daß die Kraft nicht 
eben in den Buchstaben oder Wörtern natürlicherweise 
stecke (wie auch etwa ein ander gründlich geschriebenes Buch 
seine Überzeugungskraft (moralische Kraft) in sich selbst hat), 
sondern wir halten dafür, daß solche Kraft sei eine übernatürliche 
und zwar ursprünglich allein des Heil. Geistes Kraft, welcher 
solche dem Worte mitteilet und dasselbe, wenn es gelesen, ge- 
predigt, betrachtet wird, lebendig macht, daß es wird ein Wort 
des Lebens (Joh. 6, 68), ein Wort des Heils (Apg. n, 14), ein 
Geruch des Lebens zum Leben. Hülsemann: 1 * Habet 
(Verbum Dei) peculiarem vim prae verbis hominum pcrsuasoriis. 


1 Vgl. Bertling, Vorstellung, S. 5. 

l* De auxiliis gratiae, disp. III, qu. VI, § 9, p. 255. 


14 § 6i. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 

quod persuadet auditoribus ca, quae scnsui humano non sunt 
analoga , neque intellectui, qui per sensus cognoscit , neque volun- 
tati, quae gratum et ingratuni ex analogia cum sensibus metitur, 
congruentia. Val. Löscher: 2 Quando autem optimi scrip- 
tores actum convcrsionis naturalem esse dicunt , non eo, 
quem rejecinius, sensu loquuntur, ut mechanicum vel alium 
quemvis physicum modum conversioni tribuant, sed contra Pela- 

gianos , pro morali so lum s u as io n e convcr- 

sionetn habentes (die also die bekehrende Kraft der Schrift nur 
in deren deutliche Lehre von der Bekehrung setzen) disputant. 
idque solum indicant, non superesse in corrupto hominc vires f 
quibus suasione morali obsecundare possit 

In Antithese hierzu stehn alle P e 1 a g i a n e r und 
Rationalisten, welchen Namen sie auch führen mögen. Armin- 
ianer, Sozinianer, grobe und feine Synergisten nehmen entweder 
nur oder zum Teil eine nur moralisch wirkende Kraft des 
Wortes an. Die Schrift wirkt überzeugend und bewegend auf 
den Menschen nur durch die Deutlichkeit ihrer Lehre und durch 
die Eindringlichkeit ihrer Beweise. 

In denselben Irrtum fallen auch die, welche zwar die wirk- 
lich bekehrende Kraft der Schrift allein der im Wort wirkenden 
Kraft Gottes selbst zuschreiben, aber zugleich statuieren, daß 
der Mensch an sich nach dem ersten Hören des Worts wenigstens 
Wunsch und Willen haben könne, bekehrt zu werden (Melanch- 
thons facultas se applicandi ad gratiam ), Hier wird wenigstens 
am ersten, aber doch so entscheidenden Anfang, eine nur 
moralische Wirkung der Schrift statuiert. 

LEHRSATZ V. 

Das Verhältnis , in welchem die Kraft Gottes selbst zu dem Worte 
steht, ist dies, dass der Heil Geist die erste Ursache der 
Wirkungen des göttlichen Wortes ist , das Wort aber das 
Werkzeug des Heil Geistes. 

Anmerkung: — Da die Schrift selbst die Erleuchtung, Be- 
kehrung und alle andern Wirkungen der Schrift sowohl Gott 
selbst (Joh. i, 13; 1. Joh. 3, 9; 1. Kor. 6, 11; Rom. 8, 33), 
als auch dem Worte Gottes (1. Pet. 1, 23; 2. Kor, 3, 9; 


2 Pracnotiones thcologicae , f>. 223, vgl. Bertling, a. a. O. 



§ 6i. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. iö 

5, 18) zuschreibt, so läßt sich beides nur in dem Verhältnis fassen, 
daß Wort und Schrift nur die Stelle eines opyavov einnehmen. 
Dies bezeugt die Schrift auch ausdrücklich Jak. 1, 18: „E" 

hat uns gezeuget nach seinem Willen durch das Wort der Wahr- 
heit ,, 

Nun ist die Frage, was für ein Werkzeug die 
Schrift ist, wenn Gott durch dieselbe wirkt. Antwort: 

1.) Die Schrift ist nicht als ein solches Werkzeug anzusehn, 
worin die Gotteskraft gleichsam eingeschlossen ist. Es gibt keine 
göttliche Kraft neben Gott, die abtrennbar wäre von ihm und 
nicht er selbst wäre. So kann weder die Gnade noch Barm- 
herzigkeit Gottes in solcher Art gedacht werden. Die Gnade 
darf nicht als etwas außer Gott Existierendes und der Kirche 
gleichsam als ein Fonds, Gabe und Schatz Übergebenes und in 
Wort und Sakrament Eingeschlossenes gedacht werden. Das 
ist papistische Irrlehre. Sie hängt zusammen mit ihrer Lehre 
vom Opus opera tum und der magischen Wirkung des Wortes und 
zumal des Sakraments. Die der papis tischen Irrlehre entgegen- 
stehende Schriftlehre setzt herrlich Chemnitz 1 auseinander: 
Scd ac curate ct sollte ite cavendum est, quando de sacramentorum 
vir tute et efficacia disputamus, ne ca, quae propria sunt gratiae 
Patris , efficaciae Spiritus, et meriti Filii Del, Deo adi m a m u s 
et ad sacra m e n t a t r a n s f er a m u s , hoc enim esset 

c r i nt e n idololatriae Sicut igitur evangelium esi 

potentia Dei ad salut ein omni credenti , non quod magica (hier 
sieht man recht deutlich, was eigentlich das non magica meint, 
nämlich: Es ist die Gnade nicht eingeschlossen) quaedam vis 
charactcribus , syllabis aut sono verborum inhaereat, scd quia est 
medium, organon seu ins t rum ent um } per quod Spiritus sauet ns 
efficax est p proponens , offerens, exkibens, distribucns et applicans 
meritum Christi et gratiam Dei ad salutem omni credenti, ita 
etiam sacramentis tribuitur virtus seu efficacia, non quod in 
sacramentis extra seu praeter meritum Christi, misericordiam 
Patris et efficaciam Spiritus sancti quaerenda sit gratia ad salu- 
tem Hoc modo manet Deo gloria sua, ut gratia non 

alibi quacratur qua m a p u d De u m P at r e m , pretium 


1 Examen , de sacramentorum efficacia ct usu , p . / Q . 


16 § 6i, Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 

seu causa remissionis p ec catorum et znta aeterna non alibi quae- 
ratur quam in m o r t e et resurrectio n e Christi , 
efficacia regenerationis ad salutem non alibi quaeratur qua m i n 
operationeSpiritussancti. Was hier Chemnitz in bezug 
auf die Sakramente ablehnt, ist auch in bezug auf Schrift und Wort 
Gottes abzulehnen, als waren sie etwas selbständig Wirkendes. 
Wenn die Schrift die Wiedergeburt und anderes wirkt, so ist dies, 
wie Chemnitz sagt, die operatio des Heil. Geistes selbst. Wir 
treten also mit dieser Lehre den Papisten gegenüber, aber auch 
den Sozinianern, Arminianern, Rationalisten, welche ja auch der 
Schrift eine selbständige vom Heil. Geist unabhängige Wirkung 
zuschreiben, aber nicht nach papistischer Weise diese Wirkung 
durch eine von Gott getrennte und in die Gnadenmittel gelegte 
Kraft geschehn lassen, sondern durch eine moralische, in der 
Deutlichkeit der Schrift beruhende Kraft. 

2. Es ist aber die Schrift und Gottes Wort auch nicht ein 
an sich totes W erkzeug ( Schwärmer) des Heil. Geistes, 
so daß die geistlichen Wirkungen nur vom Heil. Geist ausgingen 
ohne Teilnahme der Schrift daran. Die Schrift selbst gibt für 
diese irrige Ansicht nicht dadurch Grund, daß sie das Wort 
vergleicht mit einem Hammer (Jer. 23, 29), Stecken (Psalm 
23, 4), Szepter (Psalm 45, 7), also mit an sich toten Instrumen- 
ten, die von sich selber nicht wirken, sondern erst, wenn sie 
durch eine andere causa agcns bewegt werden. Denn die Ver- 
gleiche mit einem Hammer usw. bezeichnen nicht das W esen 
des Worts, sondern die Tätigkeit seines Wirkens und die 
Gewalt seiner Wirkung. Es wird ja das Wort nicht mit 
einem Hammer schlechthin, sondern mit einem schlagenden 
Hammer, nicht mit einem unbewegt liegenden, sondern mit einen? 
hauenden Schwert verglichen. Diese Gleichnisse stellen also 
das Wort als lebendiges Werkzeug (instrmnentum 
animatum) hin. Lind noch unmittelbarer tun das die Gleich- 
nisse vom Samen (1. Pet. 1, 23), Feuer (Jer. 
23, 29), Leuchte (2. Pet. 1, 19). Gegen diese schwarm- 
geistige Ansicht, die in dem Wort an sich nur ein totes 
Instrument sieht, sprechen auch alle Stellen, welche eine Kraf/ 
des Wortes aussagen (Joh. 6. 63; 1. Pet. 1, 23). Der Begriff 
Instrument hat hier überhaupt nicht im gewöhnlichen Sinne statt, 


§ 6i. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 17 

sondern in einem weiteren, wonach man darunter Dinge versteht, 
die selbst etwas wirken, nur nicht aus ursprünglich selbständiger, 
sondern ursprünglich mit geteilter und untrenn- 
bar verbundener Kraft. In diesem Sinne nennt schon 
die Confessio Augustana u. darnach die Dogmatiker das äußere 
Wort ein Instrument. Quenstedt bemerkt, es sei daher eigent- 
lich angemessener, das Wort nicht als instrumentum , sondern als 
m c d iu m zu bezeichnen. Behm: 2 Dei verbum ratione externae 
praedicationis vel oiKovopias instrumentum esse et dici Posse, 
divinam tarnen potentiam verbo interne communicatam instru- 
mentum appellare nobis hactenus religio fuit Dei namqu - 

potentia , quae de evangelio praedicatur, non est alia ab ipsius 
Dei potentia , sed ipsa Dei potentia. Quis autem hanc Dei po- 
tentiam instrumentum nominaret? Allerdings kann doch nie- 
mand die Schrift ein totes Werkzeug nennen wollen, welches 
dem Wesen nach der göttliche Sinn, die göttliche, wirkungs- 
kräftige Wahrheit ist. Selbst ein rein menschliches, mit mensch- 
lichem Sinn erfülltes Wort, kann nicht eigentlich unter die in- 
strumenta passiva oder inanimata gerechnet werden. Aus dem 
allen folgt die Verwerflichkeit des schwarmgeistigen Grundsatzes, 
daß der Geist wirke ohne die Schrift. Geist nicht ohne 
Schrift, Schrift nicht ohne Geist, das ist ge* 
sunde Lehre? 

3.) Das wahre Verhältnis zwischen Geist und Wort und des 
Wortes zum Geist als des Geistes Mittel, oder Instrument, ist dieses, 
dassGeistundWortunzertrennlichverbunden 
sind und stets in einem unteilbaren Akte Zu- 
sammenwirken. Das folgt aus allen bisher erkannten 
Schriftwahrheiten. Es ist bewiesen, daß die Schrift nicht wirkt 
ohne den Geist, und daß der Geist nicht wirkt ohne die Schrift. 
Die Geisteswirkungen sind stets auch Schriftwirkungen. Geist 
und Schrift sind unabtrennlich verbunden in ihrem Wirken, 
nämlich auf Grund des freien, gnädigen Willens 
Gottes. Dieses lehrt die Schrift 1. Kor. 1, 21: „Gefiel es 
• — . — 1 — 

2 Quenstedt, Tkeol did. pol., pars I, cap. IV, sect. II, qu. XVI, font. 
sol. , 15, p . 185 .... Michael Behm, geb. 1612 zu Königsberg, Professor 
der Theologie zu Königsberg, später Hofprediger bei der verwitweten 
Königin von Schweden. Sein Vater war der berühmte Jurist Johann 
Behm. Er starb 1650. 



18 § 6i. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 

Gott wohl, durch törichte Predigt selig zu machen die, so daran 
glauben.” Dieser Spruch redet nicht historisch, von 
einem gegebenen Falle, sondern von der Ordnung ( ordinatio , 
oUovofxta ), die Gott nach seinem Wohlgefallen gemacht hat 
Gott will nicht anders Glauben geben als durchs Wort, oder: 
Der Geist wirkt nicht anders Glauben als durchs Wort Nun 
folgt hieraus, daß der Geist nicht anders wirkt als durchs 
Wort, aber auch dies, daß, woimmer das Wort gepredigt wird, 
der Geist wirkt. Denn ohne dies könnte man doch eine 
beständige Zusammenwirkung von Geist und 
Wort nicht statuieren. Aber die Schrift lehrt auch dies deut- 
lich Rom. io, 17: „So kommt der Glaube aus der Predigt” 
Auch hier ist nicht ein einzelner Fall, sondern die Ordnung ge- 
meint (vergl, V, 14). Nach vielen andern Stellen aber, z. ß. 
I. Kor. 12, 3, wirkt der Geist den Glauben. Und Jes. 55, 11 
macht Gott eine Parallele zwischen dem Regen und dem Wort. 
Nun macht der Regen immer feucht und an sich immer 
fruchtbar. Soll also nach Gottes Willen das Wort immer 
etwas wirken, oder ist es Gottes Ordnung nach seinem Wohl- 
gefallen, daß sein Wort immer Kraft haben soll, etwas aus- 
zurichten, und ist doch einmal der in den Menschen eigentlich 
als causa efficiens principalis Wirkende der Heil, Geist, so wird 
auch durch Jes. 55, 11 in Verbindung mit Rom. 10, 17 und 1. Kor. 
12, 3 bestätigt, daß Wort und Geist immer verbunden seien, und 
dass immer der Geist wirkt, wo das Wort erschallt. Q u e n - 
s d t : 3 Virtus convertendi Spiritui sancto propria cst et na- 
turalis , eique principalitcr competit, verbo autem ceu medio , suo 
modo , ex divina ordinatione communicatur realiter et insepara - 

biliter Nihilque aliud volunt nonnulli nostrorum theolo- 

gorum , quando pot enttarn illuminandi et convertendi verbo Dei 
dicunt esse essentialem , quam quod ca ipsa sit interna seit in- 
trinseca, perpetua , inseparabilis , necessaria ex ne c es skate divinae 
ordinationis , ad Integrität cm et internam V erbt divini perfectionem 
pertinens, gratiose tarnen , mystice , communicativc et per de - 
pendentiam a divina ordinatione . J o h . Musäus: 4 „Ich habe 
bestätigt, daß nämlich das motivum formale ßdei divinae 

— — - — -i — 

3 L. c font, soluL, VI, p. 184. 

^ Ausführliche Erklärungen, S. 62, vgl. Bertling, Vorstellung, S. 44. 


§ 6i. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 19 

principale, oder die Hauptbewegungsursache sei Gott als die 
prima veritas, die selbständige, unwandelbare Wahrheit, motivum 
instrumentale aber, oder die Mittelsbewegungsursache, sei die 
Heil. Schrift, und Gott wirke den übernatürlichen Beifall, oder 
Glauben, im Herzen des Menschen nicht ohne und außer der 
Schrift, sondern durch dieselbe, und die Schrift wirke denselben 
auch, aber nicht für sich allein, oder ausser und ohne Gott, son- 
dern durch Gottes Kraft, daß beide, Gottes und der Heil. 
Schrift, eine unzertrennbare Wirkung sei.” J o h . Ger- 
hard ; 5 Aliud est distinguere; aliud est separarc ac divellere. 
Scriptura et nos cum ca media salutis externa ab interna Dei 
vir tute et operatione distinguinius, ita ut aliud sit praedicatio et 
auditus verbi, aliud inferior conversio ; in baptismo aliud aquae 
adfusio , aliud interna regenerativ etc. Sed ex illa distinctione 
(nämlich der richtigen Unterscheidung zwischen dem äusseren 
Mittel und dem inneren Wirken Gottes) non est infcrenda ne - 
faria separatio ac divulsio , cum ex ipsa Dei ordinationc media 
salutis externa et interna illa Dei virtus et op erat io sint conjuncta. 
Placuit enim Deo spiritualia et coelestia sua beneücia per media 
externa nobis conferre. Es wäre aber eine gottlose Trennung, 
wenn man sagt, daß die Schrift nur eine moralische Wirkung 
habe und die Wirkung Gottes eine parastatische, akzidentelle, 
abtrennbare «sei und zur Schrift von außen hinzukomme und mit 
ihrer Wirkung auch nicht der Zeit nach Zusammenfalle. Der- 
artige gottlose Lehre wird nicht etwa in unsern Bekennt- 
nisschriften gelehrt, wenn sie bekennen : 6 „Welcher den 

Glauben, wo und wann er will, wirket.” Sie 

bekennen damit nur, daß Gott causa principalis sei, und daß es 
nicht am Wollen und Laufen des Menschen liege, wenn er zum 
Glauben komme. 

Da Geist und Wort beständig Zusammenwirken, so folgt : 
i . ) Daß die Schrift nichts anderes wirkt als 
der Geist. Das bestätigt die Schrift, denn sie kennt nur 
eine Erleuchtung, eine Wiedergeburt, eine Bekehrung. 
Sie schreibt dieselben Wirkungen in ihrer Fülle und wesentlichen 
Vollgestalt sowohl dem Geist wie der Schrift zu. Sie lehrt nicht. 


5 Loci , tom . XIII, loc . XXIV, cap . VI, sect. I, § CCLIII , 8 , p . 74 . 

6 Conf. Aug. f art. V. 



20 


§ 6i. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 


daß Gottes Wert nur etwas anfange und der Geist es vollende, 
oder umgekehrt. Die Wirkungen von Schrift und Geist sind die- , 
selben in ihrem ganzen Verlauf. Die Wittenberger 
Theologen im Streite mit Rathmann sagen in ihrer Zen- 
sur: 6 * „In der Prinzipal frage dieses Orts erkennt die Zensur 
nicht conjunctionem noch unionem duarum actionum, sed uni to- 
tem actionis, nicht zweierlei, sondern einerlei Erleuchtung. Denn 
nicht der Heil. Geist für sich an einem Orte erleuchtet und be- 
kehrt, sondern es ist einerlei Erleuchtung und Bekehrung, welche 
vom Heil. Geist durchs Wort als sein heiliges, bequemes Mittel 
anfähet und ausgeht/' „Es ist keine andere Erleuch- 

tung, Bekehrung und Seligmachung, welche vom Heil. Geist 
herrühret, und eine andere Erleuchtung, Bekehrung und Selig- 
machung, welche von dem Worte herrührt, sondern die Erleuch- 
tung, Bekehrung und Seligmachung des Worts ist die Erleuch- 
tung, Bekehrung und Seligmachung des Heil. Geistes, welche 
der Heil. Geist durchs Wort in den Herzen der Menschen wirkt/' 
2.) Der Geist wirkt nicht vor der Schrift; 
die Schriftnichtv ordern Geist, sondern beider 
Wirken fällt zusammen, sowohl der Aktion als 
dem Effekt nach. Quenstedt : 7 Spiritus sanctus 
quid ent natura prior est divino verbo, sed non natura prius agit. 
Conjuncta non solum sunt , sed etiam conjunctim agunt et operan- 
tur. Est itaque una et indivisa plane n u tn e r o actio , quac 
eff identer est a Spmtu sancto tanquam principali , et ab ipso verbo 
tanquam instrumentali, seu potius media causa . Die Witten- 
berger : 8 „Rathmann will solches nicht gefallen, darum 
schreibet er in der Erneuerung: ,Wer in allem darauf dringen 
will, des Heil. Geistes und der Schrift Wirkung sei numero eine 
actio , eine Wirkung, der muß auch zugeben, daß der Heil. 
Geist und die Schrift eine Essenz und e i n Wesen sind.' Aber 
das heißt übel geschlossen. Es ist zwar des Heil. Geistes und 
der Schrift Wirkung nicht einerlei Wirkung, denn der 
Heil. Geist wirkt als Hauptursache, die Heil. Schrift als Mittel- 
ursache ; aber doch ist’s und bleibt's eine Wirkung, denn der 


6* Vgl. Bertling, a. a. O., S. 288 u. 293. 

7 L. c., font. so lut IV, p. 183. 

8 Bei Bertling, a. a. O., S. 293. 


§ 6i. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 21 

Heil. Geist und die Heil. Schrift wirken conjunctim , tanquam 
causae subordinatae , als Haupt, und Mittelursachen durch gött- 
liche Ordnung vereinigt. Aeque igitur verbo tribuitur illumi- 
natio ac Spiritui Sancto, sed non aequaliter ” 

LEHRSATZ VI. 

Das Wirken des Heil Geistes durch das Wort als sein Mittel 
besteht in einem beständigen Einflüsse auf das Wort zur 
Hervorbringung aller heilsamen Wirkungen , zvelcher Ein- 
fluss auf der nach Gottes Wort ein für allemal geschehenen 
Vereinigung des Geistes mit dem Wort beruht. 

Anmerkung: — Nach Aussage der Schrift selbst wirkt der 
Geist durch die Schrift. Da fragt sich, wie man dies wieder 
im Einklänge mit der Schrift sich vorstellen soll? Diese Vor- 
stellung ist nur dann im Einklang mit der Schrift, wenn sie im 
Einklang mit der christlichen Wahrheit bleibt, daß der Heil. 
Geist princip alit er die Erleuchtung usw. 
wirkt. 

Falsch sind daher folgende Vorstellungen : 
i.) Das Wort interveniere gleichsam aus innewohnender 
Kraft zwischen'dem zu bekehrenden Sünder und dem Heil. Geist 
und schaffe sich selbst Eingang in die Herzen, erleuchte, bekehre, 
bewahre. Wenn man so von des Wortes Wirkung lehrt, dann 
läßt man dem Heil. Geist nichts zu wirken übrig und stößt die 
Schrift um, welche ein wahrhaftes Wirken des Heil. Geistes 
lehrt. Denn Paulus sagt i. Kor. 2, 4, daß seine Predigt geschehen 
sei in Beweisung des Geistes und der Kraft ; und 1. Thes. 2, 
13 ; 1. Kor. 3, 6; 2. Kor. 4, 6 schreiben die geistlichen Wirkungen 
Gott, approximative dem Heil. Geist zu. Unsere Dogmatiker 
bezeugen hier ihre schriftgemäße Lehrstellung durch das bekannte 
dogmatische Axiom, daß die Kraft zur Bekehrung nicht 
eingeschlossen sei in dem Worte, auch nicht, sofern es nach 
seinem Wesen, dem inwendigen Sinn, betrachtet wird. Ger- 
hard: 1 Verbum Dei nequaquam statuimus eo modo esse causam 
instrumentalem conversionis ac salutis, quasi vis aliqua naturalis 
ad hunc effectuni produc endum subjective inhaerens Uli 

1 Loci, tont. XIII, de fine ministerii, loc . XXIV , cap. VI, sect. I, § 
CCLIII , 5, p. 74. 


22 § 6 1. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 

insit, sed quia Deo placuit ad divinum illum effectum conversionis * 
ac salutis hominum verbum extcrnum tanquam causam instru- 
mentaliter agentem ev eher e , nec imme diäte, sed mediate in 
negotio salutis cum hominibus agere. Quidquid igitur verbo ex- 
terno hac in parte tribuitur, illud omne ac tot um a divina ordina- 
tione depcndct. Martin Chemnitz äußert sich in seinem En- 
chiridion 2 hierüber: Extra controversiam verum est , haue vir- 
tutem ct potentiam non inesse syllabis tanquam characteribus. 
Neque hoc volumus, evanidam concionatoris vocem tarn potentem 
esse, ut per se haec efficere possit. Nam corda inflammare et 
convertere, poenitentiam, fidem et novam oboedientiam inchoare 
et efficere solius Dei efficaces operationes sunt , quas sua omni - 
potentia virtute in komme operatur. Et absque illa virtute Spiritus 
scriptura tantum mortua littera est , Sed illani virtutem Spiritus 
Sanctus vult operari non absque medio, sed constituit, ut verbum 
et sacramenta sint ordinaria media , quibus tanquam externis suis 
organis et instrumentis utitur, ut per illa ea , quae dicta sunt, in 
cordibus hominum operetur , augeat et conservet. Chemnitz redet 
hier nicht den Schwarmgeistern das Wort, welche von dem Wort, 
wie wir es haben, sagen, es sei ein toter Buchstabe und 
wirke nichts, wenn nicht der Geist von außen hinzukomme ; 
Chemnitz redet hypothetisch, logisch scheidend, von der 
Beschaffenheit des Worts, wenn nicht, wie es tatsächlich ist, nach 
Gottes Wohlgefallen der Geist unabtrertnlich damit verbunden 
wäre, und sagt mit seinen Worten dasselbe wie Gerhard, daß in 
dem Worte der Heil. Geist selbst wirkt. 

Nun möchte jemand einwenden, daß das Wesen der Schrift 
doch der geoffenbarte Sinn sei, und der müsse doch, weil er der 
Sache nach Gottes Sinn und Rat selbst sei, eine inhärierende, 
selbständige Kraft haben. Und so könnte, scheint es, behauptet 
werden, daß um ihres Wesens willen die Schrift in sich selbst, 
subjective und inhae sive , die Kraft zur Bekehrung enthalte. Auf 
diesen Einwurf wird geantwortet , 3 daß ein Unterschied sei 
zwischen mens apx ^ TV7ro< » tmd mens Iktvitos Der göttliche 
Sinn, welcher als Wesen der Schrift innewohne, sei wohl dem 


2 Enchiridion praecipuorum capitum coelestis doctrinae etc., 1569, vgl. 
Bertling, Vorstellung, S. 320. 

3 Introductio, p. 5Ö9 sq cf. et Baier , proleg cap. II, § 39, k. 


§ 6i. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 23 

Inhalt nach identisch mit dem in Gott selbst wohnenden Sinne, 
aber nicht dem Sein nach. Darum sei also auch auf das Wesen 
des Wortes nicht ein selbständiges Wirken der Schrift 
zu gründen. — Diese Widerlegung ist nicht ganz befriedigend, 
denn einmal nimmt sie Gottes Wort nur als Darstellung (signi- 
ficans) des göttlichen Sinnes, also nicht im vollen Verstand als 
göttlichen Sinn. Sie stützt sich auch nicht auf den rechten 
Punkt, der eben nicht die Unterscheidung von mens dpx* TV7r °s 
und €ktvtto 5 ist, sondern dies, daß Gottes Gedanken, die in 
Wahrheit mit Gott eins sind, eben von ihm nicht zu trennen sind, 
so daß bei aller realen Fassung des Wesens der Schrift doch das- 
selbe nicht als getrennt von Gott, und die Schrift 
gerade darum nicht als selbständig wirkend gedacht wer- 
den kann. Die Schrift wirkt beständig dependenter , in stetem 
Abhängigkeits Verhältnis von der causa principalis , dem Heil. 
Geist. 

Manchmal sagen unsere Dogmatiker wohl, daß dem Worte 
die Bekehrungskraft essentialiter, formaliter , zukomme, also zu 
seinem Wesen gehöre; sie meinen damit aber nicht, daß die 
Bekehrungskraft zum Wort gehöre wie ein Akzidens zu seinem 
Subjekt, sondern sie sagen dies vielmehr nur im Gegensatz 
gegen die Schwärmer, welche die Kraft erst beim Gebrauch von 
außen zum Wort lrinzukommen lassen. Auch wenn unsere Theo- 
logen sagen, daß dem Wort per se Bekehrungskraft zukomme, 
so sagen sie dies nicht im Gegensatz gegen per aliud — denn 
gewiß hat die Schrift ihre Kraft per aliud , nämlich durch den 
Heil. Geist — , sondern sie sagen es im Gegensatz gegen per 
accidens und contin genier, 'weil die Schrift nicht unter Um- 
ständen nur, sondern wegen ihrer Verbindung mit dem 
Heil. Geist immer wirke. 

2 .) Falsch ist es auch, wenn gesagt wird, daß die Schrift 
aus ihrer selbständigen Kraft wirke und ebenso auch der Heil. 
Geist, und daß beide parallel nebeneinander zu gleicher Zeit und 
zu gleichem Zweck zusammenwirkten. Diese Vorstellung ist 
falsch, weil : 

a. ) die Schrift überhaupt nicht selbständig wirkt, wie oben 
eben bewiesen wurde, 

b. ) und weil dann wieder das Grundaxiom der Schrift, daß 



24 § öi. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes. 

der Heil. Geist durch die Schrift und das Wort wirke, nicht 
seine Geltung behält. Denn selbst dann, wenn das parallele 
Wirken des Geistes mit der Schrift ein solches wäre, welches die 
selbständige Wirkung der Schrift zum Zustandekommen der 
Bekehrung etwa vertiefen müite, so wäre es doch eben nicht ein 
Wirken durch die Schrift Und solches lehrt einmal die 
Schrift selbst. 

Wir werden das Verhältnis zwischen Geist und Schrift uns 
am besten so vorstellen, daß der Heil. Geist beständig 
das Wortund die Sch ii ft erfüllt. Denn dann bleibt 
das Wort wirkend als Kraft Gottes nach seinem Wesen, welches 
der göttliche Sinn ist, und wirkt in Wahrheit alle heilsamen Akte 
in dem Menschen; und ebenso bleibt der Heil. Geist wahrhaftig 
wirkend und wirkt durch die Schrift eben jene heilsamen Akte. 
Ähnlich unsere Dogmatiker. Wernsdorf: 4 Instruit nos ergo 
scriptura de essentia et volunate Dei et ad salutem nos instruit. 
Quod ut prae stare possit, singulär i armata est efficacia, quac in 
hominum animis alliciendis, trahendis, flectendis et ad üdem ac 
caritatetn inducendis se exseri. N e c e nim t an t um modo 
in stituimur et e d o c en u r per verbutn, sed et regenera- 
mur } emendamur, mutamur, ita ut non s o l u m m on e n d i 
ac persuaden di , sed rfficiendi et operandi mm habeat , 
idque ob perpetuum S jir it u s S an c ti influxu m , 
quo animatur veluti verbuni et multo efficacissinium redditur. 
Ab hac virtute indita dicitur Spiritus et vita Joh. 6, 63. 68. Vgl. 
Baier: 5 Atque hac ratione dxitur Rom . I, 16 ff. 

Der Einwurf, daß dann ja wieder das Wort an sich als tot 
vorgestellt werde, kann nur dann erhoben werden, wenn man das 
schon oft wiederholte Axiom übersieht, daß wir überhaupt von 
gar keinem andern Wort reden als von demjenigen, welchem 
allzeit der Geist mitgeteilt und gegenwärtig ist. Wie ein 
concursus in physischen Dingen, so ist auch ein beständiges 
Sein des Geistes beim Wort. So wenig das eine uns auffällig 
ist, so wenig das andere. Wir kennen kein Gotteswort ohne be- 
ständige Gegenwart und Beeinflussung durch den Geist; und 

4 Disp. de verbo Dei > § 47> ki Bertling, a. a. O., S. 278. — Gottlieb 
Wernsdorf, Prof, in Wittenberg, fc e b. 1668, t 1729. 

5 Compendium , proleg., cap . If § XXXIX , d f p. 86. 


§ 6i. Die Wirksamkeit des göttlichen Wortes, 25 

darum kennen wir auch kein an sich totes Wort Wernsdorf 
fährt in der oben zitierten Disputation 6 fort : Nec cnim tantum- 
modo ( verbum ) docet monetque , nos oportere illuminari , 
regenerari, converti, justißcari , renovari , cum Deo reduniri etc., 
sed etiam haec omnia, nisi hominum contumacia et rcsistentia 
impediatur , produc it hominemque rege n erat ( /. P et. 

i, 2 3; Jac. i, 18) , illuminat ( Ps . 19, 9) Ejus rei 

causa est , quod Spir. S. eidem continenter adcst , ut B . Hunnius 
loquitur, coexistit adeoque inßnitam suam virtutem et potentiam 
cum eo communicat perpetuoque influxu et armat verbum et 
animat. Andere Theologen haben nicht wie Wernsdorf das Wort 
influxus gebraucht; aber sie drücken diese Lehre vom Verhältnis 
des Geistes zur Schrift und zum Wort durch andere Ausdrücke 
aus, z. B. durch elevare oder evehere. Chemnitz sagt 7 in 
seiner disputatio de gratuita justißcatione hominis peccatoris 
cor am Deo , § XVIII : Verbum , licet effectum per se et vir tute 
propria non attingat, tarnen ultra suam naturalem virtutem ad eum 
produc endum a causa principali e l e v at u r. Gerhard: 8 
placuit , ad divinum illum effectum conversionis ac salutis homi- 
num verbum externum tanquam causam instrumentaliter agentem 
evehere. 

Dieser Einfluß des Geistes auf das Wort beruht auf der 
nach Gottes Wüten einmal und zwar in der inspiratio geschehenen 
Vereinigung, und besteht seit derselben ununterbrochen; also, 
daß seit dem Augenblick, wo es Schrift und Wort gibt, es beides 
nur als solches gibt, auf welches der Heil, Geist seinen 
Einfluß übt. Dass es also verordnet ist, bezeugt 1. Kor. 2, 7 
vergl. mit V. 5. Das Wort Pauli ist in Beweisung des Geistes, 
und dieses infolge der ewigen Verordnung Gottes. In bezug auf 
den ganzen § 6 t siehe E. A . Bertling: Vorstellung. 9 

6 § 54, 55 ; vgl. Bertling, a. a. O., S. 279. 

7 Cf. Baieri campend., I. c., p. 92. 

8 L. c. 

9 „Deutliche und mit den eigenen Worten orthodoxer Theologen aus- 
gefertigte Vorstellung, was die luth. Kirche von der Kraft der Heil. 
Schrift lehre und nicht lehre/’ Danzig 1756. — Ernst A. Bertling, ein tüch- 
tiger orthodox lutherischer Theologe, geb. 1721, f 1769 zu Danzig. Er 
batte einen Aufsehen erregenden mehrjährigen Streit mit Prof. Schubert 
(Universität Helmstädt) über die Kraft des Wortes. 


§ 62 . 

Vom Unterschied des Gesetzes und 
Evangeliums. 

(De lege et evangelio.) 

LEHRSATZ I. 

Alles Wort Gottes , worin Gott den Menschen Gebot oder Verbot 
vorlegt , ist das Gesetz Gottes, welches als Offenbarung der 
ewigen Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes alle Menschen 
zu allen Zeiten zum vollkommensten Gehorsam verpflichtet ; 
und wie es ursprünglich und vor dem Sündenfall den Zweck 
hatte , dem mit Gott vereinten Menschen ein IVeg des Lebens 
zu sein, so hat es nach der im Sündenfall geschehenen Tren- 
nung des Menschen von Gott vornehmlich den Zweck, die 
Sünden aufzudecken und Verdammnis zu predigen. 

Anmerkung: — Das Wort „Gesetz” wird in der Bibel ver- 
schieden gebraucht, und zwar: t' 

a) als Bezeichnung der ganzen Schrift (Ps. i, 2; 

19; 119), 

b) als Bezeichnung des Alten Testaments (Joh. 
15, 25; 1. Kor. 14, 21), 

f) des Pentateuchs (Luk. 24, 44), 

d) des Moralgesetzes (Gal. 3, 10), 

e) des Ritualgesetzes (Heb. 7, 28), 

/) des bürgerlichen Gesetzes (2. Mose 21, 1; 
Joh. 7, 51 ; 19, 7). 

Hier handeln wir ausschließlich vom Moralge- 
setz. Unser Lehrsatz nennt dieses Offenbarung des 
gerechten und heiligen Willens Gottes. Diese Offenbarung ist 
eine zweifache, nämlich einmal die ursprüngliche, 
die bei der Schöpfung geschehen und zwar darin, daß Gott dem 
Menschen das Gesetz ins Herz schrieb. Daß dies geschehen ist, 
liegt von vornherein in der Schöpfung des Menschen nach dem 
Ebenbilde Gottes. Das so geoffenbarte Gesetz ist das natür 
liehe Moral-oder Sittengesetz ( lex moralis con - 
nata, lex naturalis). Dieses natürliche Gesetz ist selbstverständ- 
lich nicht gleichbedeutend mit dem Naturgesetz, welches Gott 


%1 


§ 62. Vom Unterschied des Gesetz, u. Evang. 

in die Natur gelegt hat. Das natürliche Moralgesetz ist dem 
Inhalt nach, d. h. wie es zuerst gegeben, identisch mit dem mo- 
saischen Dekalog. Wie dieser ist es von Gott gegeben (Röm. 

1, 19; 2/15), und zwar per se als Bedingung des Lebens (Röm. 

2, 14 — 16 vergl. mit 1, 18) ; es sollte wie jenes in seiner Befolgung 
Ausdruck der Gemeinschaft mit Gott sein (Röm. 1, 20; Apg. 
17, 27). Quenstedt: 1 Finis legis naturae per se (per acci- 
detts steht es freilich anders) intentus est /. Dei inquisitio . . . 

. . . Act. 17, 27, II. quaesiti et inventi gloriücatio et gratitudo 
debita Rom. 1, 21. 

Da das natürliche Moralgesetz in den Herzen der Menschen 
verdunkelt worden, gefiel es Gott, das im spezielleren Sinne so- 
genannte Moralgesetz (lex moralis specialiter sic dicta) dem na- 
türlichen Gesetz gleichsam hinzuzufügen durch die am Sinai ge- 
schehene positive Gesetzgebung durchs äußere Wort. Es war 
aber dies doch nicht die erste Gesetzesoffenbarung durchs äußere 
Wort und erste Aufstellung einer lex positiva, denn schon dem 
ersten Menschen gab Gott auch durch äußeres Wort ein positiv 
formuliertes Verbot mit angehängter Strafdrohung. Man pflegt 
dieses als lex primitiva zu bezeichnen. Aber trotz der Gleichheit 
in genere versteht man im speziellen, eigentlichen Sinne unter 
dem geoffenbartfn Gesetz (lex moralis revelata) nur den Dekalog. 
Damit wird freilich nicht gemeint, daß es sonst kein offenbartes 
Moralgesetz gebe, denn das natürliche Moralgebot ist ja nach 
der Schrift gewiß ein solches und obendrein in ursprünglicher 
Geburig gleichen Inhalts. Vielmehr wird der Dekalog nur wegen 
der besonderen Weise seiner revelatio die lex moralis revelata 
genannt. 

Was das natürliche Moralgesetz in seiner ursprünglichen 
Gebung war, nämlich gleichen Inhalts mit dem geoffenbarten 
Gesetz, das ist es nicht mehr seit dem Sündenfall. Es ist bei 
allen Sündern nur als nach seinem Inhalt verstümmelt 
vorhanden. 

Indem man von der ursprünglichen Gebung absieht und den 
Stand nach dem Sünden fall in Anschlag bringt, nennt man 
das natürliche Moralgesetz unvollkommen. Ihm gegenüber ist 


1 Theol. did . pol., pars IV, cap. I, sect . J, thes. XIII, p. 3. 


28 § 62. Vom Unterschied des Gesetz, u. Evang. 

das geoffenbarte Gesetz, der Dekalog, vollkommen, ein voll- 
kommener Spiegel der Heiligkeit Gottes. Diese Vollkommen- 
heit des Moralgesetzes lehrt die Schrift Sie legt dem Gesetz 
intensive die Vollkommenheit, nämlich die Richtigkeit, 
bei (Fs. 19, 9) und ebenso extensive, daß es das ganze Gebiet 
der Moral deckt (5. Mose 4, 2; 12, 32). Da nach diesen Stellen 
dem Gesetz nichts hinzugefügt werden darf, so wird es in seiner 
vorliegenden Gestalt für vollkommen erklärt. Quenstedt: 2 
Quaecnnque lex nee additionem nee diminutionem patitnr, lila 
est perfecta (Rom. 7, 12). Die Schrift legt dem Gesetz auch 
formaliter die Vollkommenheit bei, indem sie es geistlich, 

TiK<k f nennt (Rom. 7, 14), also aussagt, daß es in seiner Weise 
ein Abbild Gottes ist, der seinem Wesen nach Geist ist und eine 
dem entsprechende Moral will (Joh. 4, 24). 

Eine solche will das Gesetz schlechtweg bei allen Men- 
schen ; das Gesetz ist universalis und alle Menschen unterschied- 
los verpflichtend. Das lehren Röm. 3, 9 ff.; Gal. 3, 10 durch 
die Aussage, daß das Gesetz alle Menschen straft, denn das 
setzt voraus, daß es alle Menschen verpflichtet. Wo nicht Ver- 
pflichtung ist, da kann nicht Schuld noch Strafe sein. 

Über den Zweck des Gesetzes (Unis legis revelatae) 
äußert sich die Schrift verschiedentlich ; und auf Grund dessen 
unterscheiden wir von vornherein einen doppelten Zweck : 

1.) den ursprünglichen Zweck (Unis primus). Dieser ist 
das Leben. Die ersten Menschen sollten nach 1. Mose 2, 16. 17 
durch die Bewahrung des Gebots in dem ihnen bei der Schöpfung 
geschenkten Leben bleiben. Der Zweck des Gesetzes war also 
bei ihnen das Leben. Und an sich bleibt auch dies der 
Zweck des Gesetzes nach Zeugnis der Stellen 3. Mose 18, 5 ; 
Hes. 20, 11 ; Röm. 7, 10; 10, 5 ; Gal. 3, 12. Es ist auch angesichts 
der Schriftwahrheit, daß Gott den Menschen aus Liebe schuf 
und in derselben Liebe zu dem Zweck, daß der Mensch in dem 
Schöpfer selig sei, nicht anders denkbar, als daß Gott mit seinem 
Gesetz an sich ursprünglich das Leben im Auge hatte. Gott 
kann doch von vornherein mit dem Gesetz nicht des Menschen 
Tod im Auge gehabt haben. 


2 L. c. t thes. XXXV, nota, />. jo. 


§ 62. Vom Unterschied des Gesetz, u. Evang. 29 

2.) Den Unis succedaneus, d. h. den infolge bestimmter 
Umstände stattfindenden. Gott hat von vornherein den Unge- 
horsam mit dem Tode bedroht. Sobald nun der Mensch gefallen 
war, war der erste Zweck auch hinfällig geworden, da der Mensch 
die Bedingung, unter der der erste Zweck allein statthaben 
konnte, nicht mehr erfüllen konnte. Das Gesetz spricht nun zu 
denen, die unter dem Gesetz sind, also zu allen Menschen, zu- 
vörderst zu dem Zweck, daß aller Mund verstopft werde, daß 
sich niemand für gerecht halte, sondern jeder sich für schuldig 
bekenne (Rom. 3, 19. 20 vergl. mit 7, 7). Es überzeugt den 
Menschen, daß er auch unfähig sei, das Gesetz zu erfüllen und 
also das Leben zu erringen (Röm. 8, 3). Ganz richtig erklärt 
Quenstedt die Worte: "Denn das dem Gesetz unmöglich 
war” dahin: Haec ipsa a^xavia sive dSuva pta legi assignata 
non competit ipsi per se et ex natura sua, sed est ei accidentaria , 
nempe ratione carnis nos trete, quae legem Dei, quantumvis in se 

sanetam et bonam , inßrmat, Gal. 3, 21 ; et haec causa 

est , quod legi impossibilitas salvandi assignatur^. Da das Ge- 
setz selbst also wohl den Menschen von seiner Unfähigkeit zur 
Erfüllung des Gesetzes überzeugt, also ihn für tot in Sünden er- 
klärt, und doch auch zugleich nicht geistliches Leben gibt' (Gal. 
3, 21), so ist das Gesetz nichts anders als eine Predigt zur Ver- 
dammnis (2. Kor; 3, 6-9). Indem aber das Gesetz diesen Zweck 
erfüllt, den Menschen von seiner Sünde zu überzeugen und also 
zur Reue zu bringen, so erfüllt es zugleich einen andern Zweck, 
nämlich ein Zuchtmeister zu sein auf Christum (Gal. 3, 24). 
So reden auch unsere Dogmatiker. H o 1 1 a z 4 : Firns legis 
moralis est a) gloria legislatoris, b) vita aeterna sub conditione 
perfcctac obedientiae promissa, c ) Evcnhis accidentalis est mors 
aeterna , Rom. 7, 10. Genauer spricht sich Quenstedt 5 aus : 
Finis legis moralis primus est vita aeterna , quam sub conditione 
promittit , Lcvit. 18 , 3; Ezech. 20, u; Rom . 10. 5; Gal 3 , 12; 
succedaneus est d8vva/Uas nostrae legem inürmantis agnitio, 
Rom . 8, 3 , et ad medicum qiiaerendum compulsio, Gal 3, 24. 

Auf Grund der Schriftstellen, welche die Unmöglichkeit 

^ L. c.j thes. XXXII , nota , 2, p. p. 

4 Examen, pars III, sect. II, cap. I, qu. 25, p. 47 t. 

5 L. c., thes. XXXII, p. 9. 


80 


§ 6 2. Vom Unterschied des Gesetz, ti. Evang. 


vollkommener Gesetzeserfüllung aussagen, wird dem Gesetz eine 
dritte affcctio zugeschrieben, nämlich die impossibilitas iinplc- 
tionis ( \pg. 15, 10; Rom. 8, 3; GaL 3, 21). 

Nicht alle unsere Theologen haben über den Zweck des Ge- 
setzes dieselbe Aufstellung. Heerbrand: 0 Finis legis cst, 
ut errat ura rationalis intlc Dei volunlalcm agnoscat, cum ca con- 
gruat, et juxta haue norm am nun colat et cd ehret . r . Tim. 1, 5. 
Heerbrand bestimmt hier das Gesetz, wie es unter Christen zu 
brauchen ist ; namentlich hat er hier im Auge den usus tertius 
legis (didaciicus) . Den von uns aufgestellten zweiten und drit- 
ten Zweck bringt er unter den cffcctus legis moralis , deren er 
fünf auizahlt. nämlich Erkenntnis Glottes, Erkenntnis der ur- 
sprünglichen Gerechtigkeit, Erkenntnis der Sünde. Suchen des 
Erlösers, Ermahnung über Gericht und ewiges Leben. Fried- 
lich in Medullär thcoL identifiziert den dreifachen, respektive 
vierfachen Brauch des Gesetzes mit dem Zweck des Gesetzes. 
Diese Differenzen sind nicht wesentlich, weil sie die materia 
doctrinac nicht berühren. Wir bleiben bei dem am meisten, schon 
zur Zeit der Konkordien-Forniel, 7 gangbaren Lehrtropus von 
Quenstedt, und unterscheiden von dem finis den usus legis, wie- 
wohl teilweise finis und usus znsaminenfallen. 

Wir unterscheiden mit Quenstedt einen vierfachen 
B rauch des Gesetzes. O u c n s t e d t s : Usus legis moralis 
quadruplc . r cst: politicus. clenchticus. paedagogteus, didaeticus. 
Der usus politicus besteht darin, daß die Unbek ehrten in der Welt 
im Zaum gehalten werden. Das Gesetz ist nach dem Katechis- 
mus ein Riegel ( 1. Tim. 1, 9). Der usus clenchticus besteht 
darin, daß wir durch das Gesetz von unserer Sünde überzeugt 
werden (Rom. 3. 20; 7, 7). Das Gesetz ist Spiegel. Der 
usus paedagogicus besteht darin, daß wir durch das Gesetz uns 
treiben lassen, die Erlösung von der erkannten Schuld zu suchen 
(Gal, 3. 24). Der usus didaeticus besteht darin, daß wir durch 
das Gesetz uns belehren lassen, was gute Werke sind. Das Ge- 
setz ist Regel der Werke und des Lebens (Tit. 2, 8). Die 
drei ersten Bräuche erstrecken sich auch auf Cn bekehrte, der 


<» Comp., de lege, p. 2cS'<S\ 

~ Sol. drei, art. 1 r i f />. 5JQ ff. 
» L. 0 , thes. XXXIU, /». 9. 


§ 62. Vom Unterschied des Gesetz, u. Evang. 


31 


vierte auf Wiedergeborene allein. Die Konkordien-For- 
m e 1° hat nur einen dreifachen Brauch, wie auch viele Dogma- 
tiker : den zweiten und dritten Brauch in der oben nach Quen- 
stedt angegebenen Aufzählung fassen sie zu einem zusammen. 

In A n t i t h e s e stehn Antinomer, an ihrer Spitze 
Job. Agricola. Nach ihrer Lehre ist das Gesetz in der 
christlichen Kirche nicht zu predigen. Das Gesetz, sagen sie, 
sei nicht wert, Gottes Wort zu heißen. Gegen sie ist Art. VI 
unserer Konkordien-Formel, worin vom dritten Brauch des Ge- 
setzes, nämlich als Lehre von den guten Werken, gehandelt ist, 
gerichtet. Ebenso richtet sich gegen sie die beständige These 
unserer Dogmatiker: In ccclcsia non tantum cvangelii sed et 
legis doctrina praedicanda cst , ceu verburn Del, non tantum impiis 
ct infidelibus , sed etiam piis et vere credentibus proponenda. 
H aupt stütze der Antinomer ist i. Tim. 1,9: „Und' weiß 
solches, daß dem Gerechten kein Gesetz gegeben ist”. Unsere 
Konkordien-Formel 10 erklärt dies richtig : „Dann, ob- 
wohl dem Gerechten kein Gesetz gegeben ist, wie der Apostel 
zeuget, sondern den Ungerechten, so ist doch solches nicht also 
bloß zu verstehn, daß die Gerechten ohne Gesetz leben sollen . . . 
Sondern die Meinung Sj:. Pauli ist. daß das Gesetz diejenigen, so 
durch Christum mit Gott versühnet, mit seinem Fluch nicht 
beschweren kann, auch die Wiedergeborenen mit seinem Zwang 
nicht quälen dürfe, weil sie nach dem inwendigen Menschen 
Lust haben an Gottes Gesetz.” Die Predigt des Gesetzes sei 
aber notwendig dem Wiedergeborenen, weil er noch nicht völlig 
neuer Mensch sei, sondern den alten Adam noch an sich trage, 
der im Verstand und allen Kräften des alten Menschen noch 
stecke. Darum sei not, daß das Gesetz ihm immer vorleuchte 11 ). 
Ist nun das Gesetz nach 1. Tim. 1, 9 allerdings nicht ntidc auf- 
gehoben, da ja in der Stelle selbst vom rechten Gebrauch des Ge- 
setzes die Rede ist, so ist es allerdings so weit aufgehoben 
für die Gläubigen, als das Evangelium dasselbe 
a u f h e b t . Das Evangelium aber hebt das Gesetz in zweierlei 
Weise auf für die Gläubigen, nämlich als das verfluchende 


0 L. c. 

Sol deci, art . Ff, 5. />. 640. 

11 Siehe epit., art. VI, p. 5^6; sol. decl., art . VI, 7-9, p. 641. 


32 


§ 6z. Vom Unterschied des Gesetz., u. Evang. 


( ( iah 3, 13) und als das, welches das fromme Loben hervor- 
treiben soll (Matth. 7, 17 ; Job. 15. 5 ; Tit. 3, 8 vergl. mit 
V. 5-7). Denn das Evangelium macht neue Menschen und 
schenkt die (biadenkräfte. worin sie gute Werke tun (Phil. 4, 
13). Auf diese zweierlei Aufhebung des Gesetzes sehn unsere 
Dogmatiker, wenn sie dem Gesetz die affcctio der obrogatio bei- 
legen. 

Wenn wir nun nach der Schrift einerseits die obrogatio legis 
nach Id uch und Zwang lehren, aber doch anderseits gegen alle 
Antinomer die Verbindlichkeit des Gesetzes als moralische Norm 
und Lehre guter Werke (der dritte fl rauch des Gesetzes) auch 
für den Christen festhaltcn, so erhebt sich die spezielle 
Frage, wie sich zu dein letzteren die lutherische Lehre 
vom Sonntag in der Grundstelle, Luthers „Großer Kate- 
chismus/’ 52 verhalte. Die Grundzüge der lutherischen Lehre nach 
jener Bekenntnisstelle sind; Die Feier des siebenten 
Tages geht nur die Juden, nicht uns Christen an. Wir halten 
Feiertag um leiblicher Notdurft und um des gemeinschaftlichen 
Hörens des Wortes willen. Dieses aber ist nicht an einen be- 
stimmten Tag gebunden, denn ein Tag ist nicht besser als der 
andere. Doch nötig ist, einen bestimmten Tag zu wählen, damit 
man gemeinschaftlich Gottes Wort höre. Ist als ein solcher Tag 
von alters her der Sonntag da, so soll cs dabei bleiben. Und 
weil die Feier nur angelegt ist darauf, Gottes Wort zu hören 
und zu lernen, so soll man auch die Feier nicht zu enge spannen, 
daß n o t w c n d i g e Arbeit darum verboten wäre. Mit Aus- 
nahme einiger Lehrer wie Gerhard blieb diese Lehre die herr- 
schende in der lutherischen Kirche. Freilich entschieden und 
rückhaltlos wurde sie auch nicht von allen vorgetragen. Q u e 11 - 
stedt 18 z. B. erklärt, daß immer ein siebenter Tag im Kreise 
der Woche zu feiern sei, wenn schon nicht der siebente Tag von 
der Schöpfung an. Nun ist aber aus der Schrift gewiß, daß 
wir im Neuen Testament nicht an den Sabbat als siebenten Tag 
gebunden sind. Nach Jer, 31, 31 ist im Neuen Testament der 
alte Bund aufgehoben, damit aber gewiß auch das Bundes- 
Zeichen., der Sabbat (2. Mose 31, 13; 20, <S ff.). Ja, in 

Dritte Gebot. S. 400. 

13 L. c„ sect. II, qu. IV, thes., p. 35. 


§ 62 . Vom Unterschied des Ocsetz. u. Evang. 33 

Matth. 12, 4-8 wird der Sabbat mit mosaischen Zeremonien wie 
Schauhrote usw. in eine Linie gestellt. Sind letztere aufgehoben, 
so auch der erstere. Mark. 2, 28 sagt der Herr ganz bestimmt 
aus, daß durch ihn das Sabbatgebot aufgehoben sei ; und nicht 
minder bestimmt sagt dasselbe Gott durch Paulum Kol. 2, 16. 
17. Nach diesen Schriftstellen ist die Aufhebung des dritten 
Gebots, sofern es den jüdischen Sabbat betrifft, gewiß. Ja, Kol. 
2, 16. 17 zeigt, daß die von Quenstedt noch statuierte Verpflich- 
tung zur Feier eines Tages aus sieben für uns Christen gar nicht 
existiert. Es bleibt somit als das Verpflichtende im dritten Gebot 
nur das stehen, daß wir Christen Predigt und gemeinsamen 
Gottesdienst haben sollen. 

Nun erhebt sich freilich die Frage: Kommt nicht hierdurch 
eine Ungleichheit in die Betrachtung des Dekaloges, in- 
dem alle andern Gebote so, wie sie lauten, Kraft und Geltung 
haben sollen, und nur das dritte Gebot eine Änderung erleiden 
soll? Antwort: Wir haben, was auch schon die alten Dog- 
matiker hervorheben, an dem Dekalog die ewig bleibende Sub- 
stanz und die da und dort in seiner Form hervortretende his- 
torische Beziehung auf die Führung und auf die Institutionen 
der Juden, worin der D^kalog als den Juden zuerst gegeben 
erscheint, zu unterscheiden. So erinnert Gott im ersten Gebot 
daran, daß er der Gott sei, der sie aus Ägypten geführt; im vier- 
ten Gebot wird den Kindern langes Leben im gelobten Lande 
verheißen; und als Feiertag wird ein bestimmter Tag im Zusam- 
menhänge mit dem ganzen Zeremonialgesetz der Juden fest- 
gestellt. So hat das dritte Gebot eine zeitlich zere- 
m o n i a 1 e Seite, welche der Veränderung unterliegt, 
nämlich der bestimmte Tag; und es hat eine ewig 
bleibende moralische Seite, nämlich nach reiner 
Schriftlehre die Predigt des göttlichen Wortes und ge- 
meinsamer Gottesdienst. Auch in der rechten Lehre vom 
Wesen des göttlichen Wortes hat die echte, lutherische Lehre vom 
Sonntag ihren festen Grund. Da doch Gottes Wort ewig bleibt, 
und so das Gesetz, so können bestimmte Tage, die doch der 
Zeitlichkeit und Vergänglichkeit eigen sind, nicht zu dem wesent- 
lichen, moralischen Inhalt des dritten Gebots gehören. Und weil 
es eben klar ist, daß die lutherische Sonntagslehre gerade das 


34 § 62. Vom Unterschied des Gesetz, u. Evang. 

Wesentliche und ewig bleibende Moralische des dritten Gebots 
im Auge hat, bringt sie keine Ungleichheit in die Betrachtung 
des dritten Gebots den andern Geboten gegenüber. 

In Antithese gegen die schriftgemäße Sonntagslehre 
stehn : 

1. ) diejenigen, welche die Verbindlichkeit des dritten Gebots 
ganz aufheben, die Sozinianer und älteren Anabaptisten. Die 
Sozinianer halten das dritte Gebot nicht für ein moralisches und 
für alle Zeit verbindliches, sondern nur für ein Zeremonialgebot. 
Cat . Racov . : 14 Quid vero* de hoc praeccpto cmsesf Esse 
sublatum sub novo foedere, qucmadmodum alias cercmonias, ut 
vocantur , censeo. 

2. ) In Antithese stehn auch diejenigen, welche dem dritten 
Gebot eine jüdisch-gesetzliche Verpflichtung geben. Diese 
Stellung ist eine doppelte; 

a) Einige beziehen die Verpflichtung auf den Tag selbst, 
wie die Sabbatarier oder Seventh Day’s Baptists u. and. 

b.) Andere beziehen die gesetzliche Ansicht nur auf die 
Feier. Den jüdischen Sabbattag lassen sie fallen, fordern aber 
streng eine gesetzlich-äußerliche Feier des Sonntags in voll- 
ständiger Ruhe, Beschäftigungslosigkeit, Enthaltung von jeglichen 
Vergnügungen, — die sogenannte puritanische Sonntagslehre. 
Diese Lehre ist eine Halbheit. Ist die jüdische Feier 
noch verbindlich, dann auch der jüdische Sabbattag. 

3. ) Auch die Römischen stehn in Antithese, da sie erklären, 
daß die Aufhebung des Sabbats und die Einsetzung des Sonn- 
tags auf päpstlicher Autorität und nicht auf göttlicher, in der 
Schrift gegebener Autorität beruhe. 

Beide unter Punkt 1 und 2 angegebenen judaisierenden Irr- 
tümer sind verworfen durch Kol. 2, 16. 17, wonach wir vom 
Sabbat selbst entbunden sind, und darum auch von der den Juden 
für den Sabbat gebotenen äußerlichen Feier. 

LEHRSATZ II. 

Alles Wort Gottes, welches den Übertretern des Gesetzes Huld 
und Gnade Gottes anbietet und von Christo, seinem Werk 
und Wohltaten redet, ist das Evangelium, welches den 


14 Qu, 267 , p . 462. 


§ 62. Vom Unterschied des Gesetz, u. Evang. „ 35 

Ziveck hat , in dem Sünder den Glauben zu wirken und ihn 
also der Vergebung der Sünden und des emgen Lebens 
teilhaftig zu machen. 

Anmerkung: — Nach Luk. 2, 10: EvayycXi^o^ai vfilv 
Xapav ne yaXyv ist im engsten Sinne Evangelium die Bot- 
schaft, daß wir in Christo, dem Mensch gewordenen Gottessohn, 
den Erlöser von der Sünde haben, oder mit andern Worten : die 
Predigt von der Vergebung der Sünden in dem erschienenen 
Erlöser. So lehrt auch Paulus (Rom. 1, 1. 2), der ausdrücklich 
das Evangelium als die seligmachende Predigt von dem ins 
Fleisch gekommenen Gottessohn bezeichnet. Im weiteren 
Sinne ist Evangelium die Predigt von der freien Vergebung, 
ohne ausdrückliche Beziehung auf den ins Fleisch schon ge- 
kommenen Erlöser. Daher findet sich der Begriff auch im Alten 
Testament (Jes. 40, 9; 4 r, 27; vergl. Röm. 10, 15). Als in 
noch weitere r m Fassung gebraucht sieht man das Wort 
Mark. 1, 14 und 16, 15 an, nämlich als die Predigt des Gesetzes 
und des Evangeliums im engeren Sinne zusammenfassend, weil 
in Mark, i, 15 als die Summe des zu predigenden Evangeliums 
angegeben wird : „Tut Buße, und glaubet an das Evangelium !” 

In allen bisherigen Fassungen haben wir das Wort Evange- 
lium eigentlich, proprie, gebraucht. Es ist improprie ge- 
braucht, wenn es die historischen Schriften der Evangelisten be- 
zeichnet. 

Das Wesen des Evangeliums ist, daß es freie Ver- 
heißung und Zusage der Gnade ist (Röm. 3, 24; 4, 13. 14; Gal. 
3, 18), mittelst welcher Gott auch das Organ zur Aufnahme der 
Gnade, nämlich den Glauben (Joh. 3, 16; Mark. 16, 16; Joh. 
20, 31 ; Apg. 10, 43; Röm. 10, 9. 10) wirkt (Röm. 10, 14-17). 

Au» letzterer Stelle wie aus Joh. 20, 31 geht hervor, daß 
der Z w e c k des Evangeliums ist, Glauben zu wirken. Doch 
ist Glaube und alles in und mit dem Glauben an dem Sünder 
Gewirkte nicht ein letzter, selbständiger Zweck, sondern ein auf 
ein weiteres Ziel gehender Mittelzweck ( ünis intermedius) . Der 
letzte Zweck in bezug auf den Menschen ( ratione hominis) 
ist das ewige Leben (Joh. 20, 31 ; Tit. 2, 11), in bezug auf Gott 
( ratione Dei ) dessen ewige Ehre (2. Kor. 4, 4. 5 ; Eph. 1, 9-1 1, 


*d6 § 62. Vom Unterschied des Gesetz, u. Evang. 

vergl. mit V. 12). Quenstedt: 1 Finis evangelii est vel 
ultimus vel intermedius. Ultimus est vel absolute vel secundum 
quid talis . Absolute seu simpliciter ultimus est Dei gloria (2. Cor. 
4, 4 . 5). Secundum quid ultimus est salus anhnarum humanarum 
(7. Pet . 1, p). Intermedius est tum regeneratio (1. Pet . /, 23), 
tarn justiticatio (Luc. 1 , 77; /?om. 3, pi; < 5 , 75) cww con- 
ne;n.y ( reconciliatio , Eph. 6 , 75; 2. Cor. 5, 7p — Spiritus sancti 
donatio). 

In dem eben über das Wesen und den Zweck des Evan- 
geliums Gesagten ist zugleich dessen vis excitativa, daß es den 
Menschen nicht nur über den Glauben und dessen Eigenschaften 
belehrt, sondern auch denselben entzündet, und ebenso dessen 
vis collativa , dativa, daß es von der Gnade nicht nur Botschaft 
bringt, sondern dieselbe wirklich austeilt ( offert ) und zuteilt 
( communicat ), vorgelegt. Genaueres darüber wird noch Lehr- 
satz III zu bringen haben. 

Oben ist schon angedeutet, daß die Kirche des alten Te- 
staments dasselbe Evangelium hatte wie die Kirche des 
neuen Testaments, nur mit dem ebenfalls berührten Unterschiede, 
daß es dort Verheißung war, hier aber Erfüllung ist. Eine feier- 
liche Bestätigung der Identität des alt- und neutestamentlichen 
Evangeliums nach Inhalt, Wesen und Wirkung geben Röm. 4, 
1-25; Gal. 3, 6-14. Abraham könnte nicht Vater der Gläubigen 
genannt (Röm. 4, 11) und als tägliches Beispiel den Christen 
vorgestellt werden, wenn er einen ganz andern Glauben gehabt 
hätte als wir. Daher ist einmütige Lehre unserer Dogmatiker: 
Unum est et idem evangelium omnibus temporibus inde a mundi 
exordio, sicut unica quoque remissionem peccatorum, justitiam, 
et vitam aeternam consequendi ratio, quae est per fidem in 
Christum Jesum, Gen. 75, 6 ; Rom. 4, 3; Act. 10 , 43 ^Heer- 
br and). 2 Allerdings ist ein gewisser Unterschied zwischen 
dem Evangelium im Alten und Neuen Testament, aber nicht in 
bezug auf Wesen und Wirkung, sondern nur in bezug auf den 
Grad der Klarheit. Heerbrand: 3 Quod ad sub- 
stantiam et eff ec tum attinet , nihil admodum int er est, sed quod 


1 Theol. did. pol., pars IV, sect. I, thes. IX, p . 60. 

2 Compend., p . 3/6. 

3 L. c. s p. 318 


§ 62. Vom Unterschied des Gesetz, u. Evang. 


. 37 


ad rnoduMj nonnihil est discriminis. Semper enim magis magis- 
que doctrina evangelii de venturo Messia est illustrata et planius 
proposita, additis quibusdam circumstantiis, quibus explicaretur 
amplius . Quenstedt: 4 Concedimus , esse differentiam int er 
gradus et modum patefactionis. Promissiones enim evangelicae 
in Vetere Testamento subinde (nach und nach) clarius fuerunt 
propositae et illustratae, donec tandem plena lux in Novo Testa- 
mento oriretur. 

Gegen die schriftgemäße Lehre von dem nur grad wei- 
sen Unterschied des alt- und neutestamentlichen Evangeliums 
wird eingewendet. 

1. ) Joh. i. 1 7, wonach im Alten Testament Gesetz, das 
Evangelium erst durch Christum wurde. Dagegen: Hier ist 
nicht gesagt, daß im Alten Testament kein Evangelium war, 
überhaupt nicht die Frage über alt- und neutestamentliches 
Evangelium berührt, sondern es wird eine Aussage gemacht 
über die Mittler des Gesetzes und Evangeliums, daß Moses 
Mittler des Gesetzes und Christus Mittler des Evangeliums ist. 
Das heißt nicht, daß Christus allein, Moses aber gar kein 
Evangelium gelehrt hat, sondern daß es kein Evangelium geben 
würde (iytvcro Joh. i, 17) ohne die Mittlerschaft Christi. Das 
Gesetz konnte Moses vermitteln, als sündiger zwar, aber von 
Gott als Werkzeug gebrauchter inspirierter Mensch ; die Gnade 
aber konnte uns kein Mensch vermitteln, sondern nur der Mensch 
gewordene, eingeborene Gottessohn (Joh. 1, 14). Wenn man 
Moses nicht in seiner höchsten Würde, nämlich als Mittler des 
Gesetzes und damit der alttes tarnen tlichen Ökonomie, ansieht, 
sondern in seiner allgemeinen Würde als Prophet, so ist er auch 
Lehrer des Evangeliums (Luk. 24, 27), aber dessen Mittler ist 
er in keiner Weise. 

2. ) Gal. 3, 23: „Ehe denn aber der Glaube kam, wurden 
wir unter dem Gesetz verwahret und verschlossen auf den 
Glauben, der da sollte geoffenbaret werden.” Hier bezeichnet 
Glaube nicht die Predigt vom Glauben, sondern das Ob- 
jekt des Glaubens, d. h. Christum selbst. Die Predigt von 
Christo ( ßdes , quae creditur) und die Wirkung dieser Predigt 


4 L. c., sect. II, qu. I , obj . dial VII, p. 63. 



88 § 62. Vom Unterschied des Gesetz, u. Evang. 

{lides, qua creditur) war im alten Testament, aber noch nicht 
er selbst Auch weist dieser Spruch auf die besondere Stellung 
des Gesetzes im Alten Testament hin. Seit dem Urevangelium 
gab es im alten Bunde als einzigen Weg des Heils das 
Evangelium, und das durch Moses verkündete Gesetz hob diesen 
einzigen Weg nicht auf (Gal. 3, 17), Aber es hat Gott gefallen, 
seinen Bund mit Israel unter Verkündigung des Gesetzes und 
feierlicher Verpflichtung darauf zu machen und so dem Bunde 
mit Israel ein gesetzliches Aussehen (Gal. 4, 1-3) zu geben; und 
so hat er Israel unter dem Gesetz verwahrt, bis der Glaube kam, 
d. h. der im Alten Testament verheißene und geglaubte Erlöser 
geboren ward (Gal. 3, 23). 

Es ist somit die Lehre der Pelagianer, Sozinianer, Armini- 
aner, Anabaptisten, daß im Alten Testament nicht dasselbe 
Evangelium und derselbe Heilsweg sei wie im Neuen Testament, 
keine in der Schrift gegründete, sondern eine von der Schrift 
verdammte Irrlehre. Die Pelagianer behaupteten, daß vor Moses 
die Menschen durch di t lex naturaUs, nach Moses durch die lex 
revelata, seit Christo erst durch das Evangelium gerechtfertigt 
worden wären. Diese Ketzerei hatten auch Scholastiker, ferner 
Zwingli ; auch neuere Theologen haben sie vorgetragen, z. B. 
T h o I u c k , welcher zu Röm. 2, 6 behauptet, daß Gott das 
Streben der Heiden, welche Gottes Herrlichkeit und Ehre suchten, 
wenigstens insofern würdige, als er ihnen im Jenseits noch den 
Glauben möglich mache. Ähnliche verkehrte Ansichten gründen 
neuere Theologen auch auf Joh. 3, 21. Daß im Alten Testament 
die Rechtfertigung auch durch den Glauben geschehen sei, 
leugnen Sozinianer, Arminianer, Ariabaptisten ganz ausdrücklich. 

LEHRSATZ III. 

Gesetz und Evangelium unterscheiden sich in bezug auf die 
Weise ihrer Offenbarung, ferner in bezug auf die beider- 
seitigen Mittler, und ebensowohl nach Inhalt , Wesen und 
Wirkung, wie auch in bezug auf die Personen, für welche 
das eine und das andere gegeben ist. 

Anmerkung: — Der Unterschied zwischen Gesetz und 
Evangelium ist nicht identisch mit dem Unterschied von Altem- 
und Neuem Testament, als wäre in erster em nur Gesetz, in letz- 


§ 62. Vom Unterschied deä' Gesetz, u. Evang. * 39 

terem nur Evangelium. Das Gegenteil ist bezüglich des Evan- 
geliums in Lehrsatz II gezeigt worden. Daß im Neuen Testa- 
ment die Predigt des Gesetzes den Gläubigen verordnet ist, sagt 
Matth. 5, 18. 

Der Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium betrifft: 

a) die \ / e i s e der Offenbarung. Sie sind unter- 
schieden ratione modi patefactionis, Während das Gesetz in ge- 
wissem Grade von der Schöpfung her auch als innata dem natür- 
lichen Menschen bekannt ist (Röm. 2, 14. 15), so ist das Evan- 
gelium nur bekannt durch übernatürliche Offenbarung (1. Kor. 
2, 6-9, welche Stelle, nämlich V. 9 besonders, nicht auf die Ewig- 
keit zu beziehn ist). 

b) Gesetz und Evangelium sind unterschieden ratione causae 
mediatricis . Der Mittler des einen ist Moses, des andern Christus 
(Joh. 1, 17), wobei man im Auge behalten muß, daß die Mittler- 
schaft Christi unendlich erhaben ist über die Mosis, daß letzterer 
wirklich nur Offenbarungsorgan, Christus dagegen zugleich die 
Ursache ist, daß es überhaupt ein Evangelium geben kann. 

c) Dem Inhalt nach ( ratione materiae) ist der Unterschied 
der, daß das Gesetz die Lehre von den zu tuenden guten und 
zu lassenden bösen Werken ist, das Evangelium hingegen die 
Lehre von der Gnade und vom Glauben, wobei aber die göttliche 
Gleichheit und Würde beider (Röm. 7, 12-14) festzuhalten ist. 
Ein Greuel ist der Irrtum der Antinomer, welche das Gesetz als 
ungöttlich verwerfen. 

d ) Dem Wesen nach (ratione formae ) unterscheiden sie sich 
so, daß das Gesetz das ewige Leben unter Bedingung vollkomme- 
nen Gehorsams als Verdienst zuspricht (3. Mose 18, 5), während 
das Evangelium das ewige Leben den Gläubigen als freies Ge- 
schenk zusagt (Röm. 3, 24. 25 und viele andere Stellen). Einen 
falschen Unterschied setzen hier Scholastiker, Papisten, Sozinianer 
und Arminianer durch die Lehre, daß im Alten Testamente lediglich 
promissiones temporales oder promissiones bonorum temporalium 
seien. Dagegen : Der Herr Christus verweist den Pharisäer, 
der nach dem ewigen Leben fragt, auf die alttestamentlichen 
Stellen 3. Mose 19, 18 ; 18, 5 ; und damit bestätigt der Herr, 
daß das Alte Testament ebenso ewige Güter verheißt, wie es 
ewige Strafen androht; vergl. Heb. 11, 8-10; Apg. 10, 42. 43; 


40 ‘ § 62. Vom Unterschied des Gesetz, u. Evang. 

Jes. 66, 24. Eine falsche Lehre von dem Unterschiede ratione 
formae ist es auch, wenn man die neutestamentlichen Verfas- 
sungen für geradeso bedingte erklärt wie die des Gesetzes. Diese 
falsche Lehre findet sich bei den Papisten. Conc. Trid. i 1 Si 
quis hominem justiücatum et quantumlibet perfectum dixerit , 
non teneri ad observantiam mandatorum Dei et ecclesiae, sed 
tantum ad credendum, quasi vero evangelium sit nuda et ab- 
soluta promissio vitae aeternae sine conditione observationis 
mandatorum , anathema sit Das Tridentinum redet hier freilich 
so, als lehrte die lutherische Kirche eine völlige Entbindung der 
im Glauben Gerechtfertigten von allem Gehorsam nach dem 
Gesetz; aber, wie aus dem Schluß des obigen Zitats zu sehn 
ist, verdammt es die Lehre, daß das Evangelium eine geschenkte, 
durch keine eigene Gerechtigkeit bedingte Seligkeit durch den 
Glauben allein lehre. Wie die Papisten, so machen auch Sozini- 
aner, Arminianer die Rechtschaffenheit im Leben, ferner die 
Pietisten, Methodisten, Baptisten die Heiligung, resp. die voll- 
kommene Heiligung, zur Bedingung der Seligkeit. Alle diese 
Irrlehre wird verworfen durch Stellen wie Röm. ri,. 6; 4, 16 
und viele andere Stellen. Auch der Glaube ist nicht als Be- 
dingung zu fassen. He erb ran d: 2 Fides non est conditio , 
neque ut conditio requiritur, proprie loquendo. Quia non propter 
ejus dignitatem vel meritum aut quatenus est opus , promittitur, x| 

aut offertur justißcatio. Est enim fides quoque imperfecta , sed est \ 

modus quidam, oblatum beneficium et donatum per et propter J 

Christum accipiens. Näheres über diesen Punkt ist zu finden i 

im Paragraphen über die guten Werke, resp. in der Widerlegung I 

der Irrlehre von der Verdienstlichkeit der guten Werke. | 

e) Der Unterschied ratione effectus ist der, daß das Gesetz 1 

verdammt (Röm. 4, 15; 2. Kor. 3, 9), das Evangelium selig j 

macht (Röm. 1, 16; Luk. 4, 18). D&fi das Evangelium ein I 

Geruch des Todes zum Tode ist (2. Kor. 2, 14-16), ist eine per \ 

accidens eintretende, nicht eine a priori von Gott beabsichtigte | 

Wirkung. — Falsche Lehre führen in bezug auf diesen Punkt 1 

Papisten, Antinomer, Phillippisten, welche alle das Evangelium ] 

_ im engsten Sinne auch als Bußpredig t ansehn. Die Philip- | 

1 Sess. VI, canon XX, p. 4 5. | 

2 Compendium, loc . de evangelio, p. 16 5. : 


4. 


§ 62. Vom Unterschied des Gesetz, u. Evang. 


• 41 


pisten folgen hier Melanchthon, der in der letzten Aus- 
gabe seiner Loci hierüber irrige Erklärungen macht, die freilich 
von seinen Nachtretern : Paul Krell, Kaspar Kruziger bei weitem 
übertrieben wurden. Rechtgläubiges Axiom ist: Evangelium 
stricte acceptum non est concio poenitentiae , sed remissionis 
peccatorum gratuitae. Was Sünden straft und Buße predigt, 
ist nicht Evangelium, sondern Gesetz, sagt richtig und bündig 
unsere Konkordien-Formel. 

f ) Ein weiterer Unterschied, ratione objecti, ist der, daß 
das Gesetz für die Sicheren und Unbußfertigen ist, sie zu zer- 
schlagen; das Evangelium ist für die Zerschlagenen, sie zu 
trösten. 

Eine in der neuesten Zeit hervorgetretene falsche Auffassung 
vom Verhältnis des Gesetzes zum Evangelium ist die, daß das 
Evangelium eine Modifikation des Gesetzes sein soll. 
Dafür hat Th. Harnack in seinem Werk : „Luthers Theo- 
logie” 3 den -Grund gelegt. Er streitet anscheinend gegen die, 
welche von Luther sagen, daß derselbe das Gesetz verworfen 
habe, oder nicht in seiner Bedeutung erkannt habe. Aber, sagt 
er S. 486, Luther habe weder eins, noch das andere getan, sondern 
er habe die Bedeutung des Gesetzes nur anders begründet haben 
wollen. Nur wenn man Luther oberflächlich betrachte, könne 
man ihm Antinomismus zudiktieren. Schließlich kommt aber 
Harnack darauf hinaus, daß nach Luther der Gehorsam gegen 
das Gesetz und die Liebe zur Gerechtigkeit eben das Wesen 
des Christentums sei. Harnack selbst und seine ganze Richtung 
gründen ihre neumodische Lutherlehre, wonach das Wesen des 
Christentums Moral ist, auf Luthers Auslassungen aus der 
frühsten Zeit, von 1517-1519. So sagt. Hermann, 4 
daß-der Glaube der Reue vorausgehe und eigentlich die Liebe 
zur Gerechtigkeit und neuem, bessern Leben sei, und daß diese 
Liebe entstehe aus dem Eindruck der sittlichen Kraft einer Per- 
sönlichkeit, nämlich Christi. Somit ist Christus nur Vorbild und 
Glaube ist sittliches Leben ; mithin ist Christentum wesentlich 
Moral. Hermann' meint, Luther habe 1519 so gestanden, nur 
habe er diesen richtigen Ansatz nicht weiter fortgebildet, und 

3 1, S. 475-499- 

4 Franks kircht. Zeitschrift, 2. Jahrg., Heft 7. 


42 § 63 . Von den Sakramenten im allgemeinen. 

die Kirche auch nicht. Diese habe dafür die landläufige, der 
Schrift widersprechende Lehre von Buße als Reue und Glaube 
hingestellt. Erst eben Hermann und vor ihm natürlich Ritschl 
und Hamack haben den richtigen Ansatz weiter ausgebildet. In 
diesen Tagen hat D. Karl Stange (Königsberg) einen 
Vortrag über „die Heilsbedeutung des Gesetzes” erscheinen 
lassen. Er führt darin aus, daß das Evangelium eine Modifi- 
kation des Gesetzes sei, Gesetz und Evangelium . bezeichnten 
nicht eine Verschiedenheit des Willens Gottes, sondern in beiden 
komme der eine Wille Gottes zum Ausdruck. Die Verschieden- 
heit von Gesetz und Evangelium beruht nur in unserer Auffas- 
sung. Das Gesetz ist der Wille Gottes, wie der natürliche 
Mensch ihn versteht ; das Evangelium ist der richtig verstandene 
Wille. Auch Stange beruft sich auf Luthers Aussagen vom 
Jahre 1519. Daß diese ganze Ansicht grundfalsch ist, bedarf 
kaum der Darlegung. 

~ " m 

Lehrpnnkt II. 

Von den Sakramenten. 

{De sacramentis.) 


§ 63 . 

Von den Sakramenten im allgemeinen. 

(De sacramentis in genere.) 

LEHRSATZ. 

Die Sakramente sind von Gott eingesetzte Handlungen, welche 
unter äusserlichen Zeichen himmlische Güter mitteilen, so- 
wohl zur Darreichung, als auch zur Besiegelung der Gnade . 

PUNKT I. 

Das Wort „ Sakrament ” ist kein Schriftwort, wenigstens nicht 
im Sinne, wie hier gebraucht , sondern ein Kirchenwort . 

Anmerkung: — Die Schrift spricht weder im allgemeinen 
von Sakramenten unter dieser Benennung, noch bezeichnet sie 


§ 63 . Von den Sakramenten im allgemeinen. - •* 43 

Taufe und Abendmahl als Sakramente. Die Kirche hat viel- 
mehr das Wort frei gewählt. Es steht also nicht so, daß 
die Benennung „Sakrament” eine in der Schrift zu findende ist 
und in der Schrift der Kirche angezeigt würde, welche heiligen 
Handlungen sie als Sakramente zu betrachten habe, sondern die 
Kirche hat gewisse heilige Handlungen in der Schrift als in 
gleicher Weise und durch gleiche Eigenschaften und Zwecke 
ausgezeichnet und als sonderlich dargestellt gefunden, und hat 
diesen den gemeinschaftlichen Namen „Sakrament” gegeben. 
Und tatsächlich eignen den beiden heiligen Handlungen, welche 
die rechtgläubige Kirche allein als Sakramente stricte bezeichnet, 
dieselben Eigenschaften und Bestimmungen ; und schon dadurch 
ist die protestantische Kirche *in großem Vorteil gegenüber der 
Papstkirche, deren andere fünf Sakramente sehr verschie- 
denartige, ja widersprechende Eigenheiten an sich 
haben. So haben Ehe und Buße kein eigentlich äußerliches 
Zeichen ; und anderseits stehen Ehe und Priesterweihe in offen- 
barem, einander ausschließendem Gegensatz. 

In die Kirchensprache, zunächst natürlich der abendlän- 
dischen Kirche, ist das Wort aus der Vulgata gekommen, die das 
griechische Wort fj.vo’TypLov, womit die griechischen Väter in 
alter Zeit schon Taufe und Abendmahl bezeichnen, wie die 
abendländischen Kirchenväter mit der Übersetzung sacramentum 
das gleiche tun, durch sacramentum übersetzt. In der Schrift hat 
das Wort /mvo-Tijpiov weder auf Taufe, noch auf Abendmahl 
Bezug, auch nicht auf die Ehe, wie die Römischen immer gerne 
darstellen. Abgeleitet wird das Wort sacramentum von sacrare 
( Varro , de lingua latina , lib . IV; V e ge-tius , de re mili- 
tari, lib . 5). Es bedeutet also eigentlich eine geweihte, ge- 
heiligte Sache. So wird sacramentum das Geld genannt, welches 
in Rom die Parteien im Rechtstreit beim pontifex maximus nie- 
derlegten, und zwar unter der Bedingung, daß der gewinnende 
Teil sein Geld zurückerhielt, der verlierende aber es der Staatskasse 
zu überlassen hatte. Auch der Soldateneid heißt sacramentum . 
In diesem Sinne, als Soldatenschwur, juramentum , wendet zuerst 
Tertullian das Wort sacramentum auf die Taufe an, aber die 
spätere Bedeutung liegt ihm ferne. 

Die alten griechischen Väter brauchen pvvTnpiov von allen 


44 I 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. 

geheimnisvollen Dingen des Kultus und der’ Religion, von 
Sachen, die überhaupt ohne Offenbarung nicht erkennbar, dann 
namentlich von den heiligen Sachen und Handlungen, an denen 
nur Christen teilnehmen durften. Dieses sieht man mit gutem 
Recht als Nachwirkung des Mysterienwesens des klassischen Alter- 
tums an, denn Justin deutet z. B. eine solche Vergleichung wirk- 
lich an. Es ist begreiflich, daß man gerade auf Taufe und 
Abendmahl, welches letztere ja Christus mit seinen Jüngern 
allein hielt, eben von dem letzteren aus das Wort pvar^p 10 v 
in der alten griechischen Kifche anwendete. 

Gerhard sagt, das Wort sacramentum werde, wiewohl 
es in der lateinischen Bibelübersetzung vorkommt, von den Sa- 
kramenten nicht gebraucht. Ausführlicheres über den kirchlichen 
Gebrauch des Wortes gibt Quenstedt: 1 Accipitur vox 
sacramenti 1. general issime pro quavis re aKaTaXyimp 

seu arcana et secreta 1. Tim. 3, 16; Eph. 5, 32; Col. 

1, 26; Eph . 3, 3. Sic quoque patres quodlibet mysteriutn et 
quamlibet doctrinam sacram et non obviam sacramentum appel- 
laverunt , ut sacramentum trinitatis , incarnationis et ßdei; 2 . 
specialius pro signo externo rei sacrae et coelestis, sic semen, 
granum , margarita etc . sunt sacramenta seu signa regni coelorum , 
Matth . 13, 23. 31. 46 (Augustin nennt in dieser Weise das signum 
crucis ein Sakrament) ; 3 . specialissi m e pro re sacra, 
arcana, symbolica, non signißcante tantum, sed et conferente 
simul rem , quam signißcat , in qua per externum et visibilc signum 
bona invisibilia gratiose offeruntur , conferuntur et obsignantur ; 
vergl. Augustana. 2 Diese Darstellung von Quenstedt ist, 
wie wir schon gesehn, ganz zutreffend. 

Übrigens zeigen Auslassungen der Väter, daß auch in je- 
nem speziellsten Sinn sowohl fivtrrvjpiov wie sacramentum dop- 
pelseitige Begriffe sind. Es können darunter verstanden werden 
das gafize Sakrament, also irdische und himmlische Sache, Zei- 
chen und Bezeichnetes, signum und signatum zugleich und 
zusammengenommen, oder es kann darunter nur ein 
Teil verstanden werden. Auch der Ausdruck res sacramenti 
wird verschieden gebraucht, da er bald die himmlische, unsicht- 


1 Theol. did. pol , pars IV, cap. III, sect. I, thes. III, p. 73. 

2 Art XIII, S. 202. 


_ § 63 . Von den Sakramenten im allgemeinen. . 45 

bare Sache ( res coelestis mvisibilis , z. B, Leib, Blut) allein, bald 
zusammengefaßt mit dem äußeren Element, oder signum , die 
heilsame Frucht des Sakraments bezeichnet So sagen etliche 
Kirchenväter: Heuchler und Unwürdige empfangen im Sakra- 
ment des Abendmahls die Sache, oder Substanz des ganzen Sa- 
kraments ( integri sacramenti), d. h. nicht nur die nuda signa , 
sondern auch die signata res , Leib und Blut. Andere sagen: 
Die Unwürdigen empfangen die res sacramenti nicht. Sie ver- 
stehn dann darunter die Gnade, also die Frucht und Wirkung 
des ^Sakraments. Augustin unterscheidet res sacramenti und 
virtus sacramenti, nämlich die gratia . Er stellt sie in dieses 
Verhältnis: Aliud videtur (das signum), aliud intelligitur (das 
ist mit Leib und Blut die gratia); quod videtur, speciem habet 
corporalem, quod intelligitur, fructum habet spiritualem. Er 
will die Katechumenen unterrichtet haben: Sacramenta signacula 
quidem rerum divinarum esse visibilia, sed res ipsas invisibiles 
in Ulis honorari. Übrigens findet man wohl auch bei ein und 
demselben alten Lehrer einen verschiedenen Lehrtropus, 
Augustin ähnlich, nämlich mit res sacramenti namentlich die 
Frucht bezeichnend, steht Petrus Lombardus. Gre- 
gorius Magnus unterscheidet genau zwischen Wesen des 
Sakraments ( essentia sacramenti) und Wirkung des Sakraments 
( efficientia sacramenti), und erklärt, daß die erstere allen zu- 
teil wird (also auch Leib und Blut), aber letztere nur den 
Gläubigen. 

PUNKT II. 

Nach der Schrift gibt es nur zwei Sakramente . 

Anmerkung : — Die älteste Kirche bezeichnet am allgemein- 
sten und bestimmtesten nur Taufe und Abendmahl 
als Sakramente. Aber es fehlt im großen und ganzen, unter den 
gleichzeitigen Theologen, wie im einzelnen bei ein und demselben 
Theologen, nicht an Schwankungen. Augustin 
bezeichnet z. B. auch Ehe und Ordination als. Sakramente, letz- 
tere, weil sie das Recht gebe, die Taufe zu vollziehn. 

Den Anstoß zur Vervielfältigung gab die griechische 
Kirche. Pseudo-Dionysius (6. Jahrh.) zählte sechs : 
Taufe, Abendmahl, Konfirmation, Priesterweihe, Mönchsweihe, 


46 § 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. 

letzte Ölung. Der Mönch Hiob zählt sieben, nämlich Mönchs- 
weihe als siebentes, dagegen Buße und letzte Ölung als eins. 
In der abendländischen Kirche haben Ratherius von Ve- 
rona (gest. 974), Fulbert von Chartres (gest. 1028), 
RupertvonDeutz (gest. 1 135) nur Taufe und Abendmahl ; 
dagegen nennen Agobard von Lyon (gest. 840) , L a n - 
frank von Canterbury (gest. 1089) Taufe und Abend- 
mahl nur die hauptsächlichsten Sakramente, kennen , also noch 
mehr. Die Synode von Arras (1025) kennt vier Sa- 
kramente ; Taufe, Abendmahl, Ölung, Priestersalbung. Peter 
Damiani (gest 1072) hat zwölf, Hildebert von 
Tours (gest. 1133) hat neun, Hugo von St. Viktor 
(gest. 1141) hat gar dreißig Sakramente. Nach Ausbildung der 
Scholastik durch Hugo von St. Viktor, Robert Pulleyn 
(gest. 1153) und namentlich Petrus Lombardus (gest. 
1164) und nach Ausbildung des Sakramentbegriffs setzt sich die 
Siebenzahl und die Aufzählung des Lombarden fest. Hugo 
von St. Viktor unterscheidet drei Klassen von Sakramenten : 

1. zum Heil notwendige: Taufe, Abendmahl, Konfirmation, 

2. sacramenta praeparationis, die nützlich, aber nicht not- 
wendig Sind: Besprengung mit Weihwasser, Anblasen beim 
Exorzismus, 

3. sacramenta administrationis, welche eingesetzt sind, die 
andern möglich zu machen, z. B. Ordination. Robert Pulleyn 
zählt Taufe, Konfirmation, Abendmahl, Beichte, Ordination als 
Sakramente auf. Petrus Lombardus stellte die Aufzählungen 
anderer Lehrer zusammen und stellte so zuerst die Siebenzahl auf : 
Taufe, Konfirmation, Abendmahl, Buße, Ölung, Priesterweihe, 
Ehe, wie sie noch heute in der römischen Kirche gültig ist. Oft 
wird Otto von Bamberg als derjenige genannt; der 
zuerst die Siebenzahl der Sakramente auf stellte, aber ohne sichern 
Beweis. Aber auch nach Petrus Lombardus bis auf Tho- 
mas von Aquino (gest. 1274) und Bonaventura 
(gest. 1274) blieb ein Schwanken über die Zahl der Sakramente. 
So spricht Alanus ab insulis ( magister universalis genannt, 
gest. 1203) von einer Mehrzahl von Sakramenten, aber nicht 
von sieben, und zählt unter die Sakramente auch die Einwei- 
hung von Kirchen. Thomas von Aquino und Bonaventura zäh- 


§ 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. 


.47 


len schon die tieferen Gründe für die Notwendigkeit der Sieben- 
zahl auf. Thomas von Aquino : Durch die Taufe werden wir 
wiedergeboren, durch die Konfirmation im Glauben befestigt, 
durch das Abendmahl geistlich genährt, durch die Buße geheilt, 
aber geistlich, geistlich und leiblich zugleich durch die letzte 
Ölung; durch die Ordination wird die Kirche geistlich, durch 
die Ehe leiblich genährt. Bonaventura: Die Taufe ist gegen 
die Erbsünde, die Buße gegen die Todsünde, die Ölung gegen 
erläßliche Sünden, die Weihe gegen Unwissenheit, das Abend- 
mahl gegen Bosheit, die Firmelung gegen Schwachheit, die Ehe 
gegen die böse Lust (bekannt ist hierüber ein Witz von Schlei- 
ermacher: Die armen Laien haben kein Sakrament gegen die 
Unwissenheit und die armen Priester keines gegen die Begierde.). 

Die erste definitive und offizielle Festsetzung der Siebenzahl 
der Sakramente haben wir in dem Glaubensbekenntnis, welches 
Clemens IV. im Jahre 1267 dem Kaiser Michael Paläologus vor- 
legte. Eine noch viel entscheidendere und volle* definitive Fest- 
setzung der sieben aufgezählten Sakramente geschah durch das 
Konzil zu Florenz im Jahre 1439 under dem Papste 
Eugen IV, Dieser Papst gibt den Armeniern sub brevi com - 
pendio orthodoxae ßdei veritatem quam Romana proßtetur eccle- 
sia , sacro approbante Florentino Concilio, und zählt hierbei sieben 
Sakramente nach Ordnung des Lombarden auf, mit den von Tho- 
mas Aquino über ihr Wesen gemachten Bestimmungen. 

Die Kirche der Reformation hat wie die alte 
Kirche und die frühste Kirche des Mittelalters nur zwei Sa- 
kramente: Taufe und Abendmahl. Zwar wird zugegeben, daß 
manche andere heilige Sache aequivoce könne Sakrament genannt 
werden, aber nicht in dem Sinne, wie es Taufe und Abendmahl 
sind. So äußert sich namentlich C h e m n i t z in bezug auf die 
Ordination, welche Melanchthon geneigt war, Sakrament 
zu nennen, wie er ja auch in der Apologia 1 die Absolution das 
Sakrament der Buße nennt. Besonders stark ist die 
Stelle art . XIII, 4 , p. 202 : Vere igitur sunt sacramenta baptismus , 
coena Domini, absolutio , quae cst sacranuentum poenitmtiae, 
Chemnitz 2 will mit Recht die Ordination nicht Sakrament ge- 

1 Art. XII, de poenitentia, 4t , p . 173. 

2 Examen , pars II, de sacrar, :c;:torum nutnero , p. 8. 


48 § 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. 

nannt wissen, weil ein äußerliches, von Gott gegebenes Zeichen 
fehK 

PUNKT III . 

Nur das kann ein Sakrament heissen , was die in der Schrift der 

Taufe und dem Abendmahl gegebenen besonderen , gemein- 
samen Kennzeichen hat . 

Anmerkung: — Darin ist unsere Kirche stets einig gewesen, 
daß nur das ein Sakrament im eigentlichen Sinne sei, welches alle 
besondern Kennzeichen habe, die der Taufe und dem Abendmahl 
gemeinsam sind. Chemnitz : 1 Ut igitur aliquid sit vere et 
proprie sacramentum novi Tesfamenti , sicut est baptismus et 
eucharistia, requiritur: I. ut habeat externum aliquod materiale 
seu corporate et visibile elementum seu signum , quod certo ex - 
terno ritu tractetur, exhibcatur ct usurpetur. II. Ut elementum 
seu signum illud et certus ejus ritus habeat expressum manda- 
tum divinum , seu institutionem divinam. III. Ut institutum et 
mandatum sit in novo Testamento. IV. Ut non ad tempus in- 
stitutum sit * sed usque ad consummationem saeculi, sicut de bap- 
tismo scriptum est, ct donec ßlius Del redeat ad judicium, sicut 
de eucharistia Paulus inquit . Et haec requiruntur ad elementum 
seu signum sacramenti in novo Testamento. V. Requi- 
ritur ad sacramentum promissio divina de gratia , effectu 
seu fructu sacramenti. VI. Illam promissionem oportet non sim- 
pliciter, nude et per se tantum habere testimonium in verbo Dei, 
scd oportet eam divina ordinatione, annexam esse signo sacramenti 
et eo quasi vestitam esse. VII. Promissionem illam oportet esse 
non de quibusvis donis Dei, sive corporalibus sive spirit uaUbus, 
sed promissionem gratiae seu justißcationis, hoc est, gratuitae 
reconciliationis , remissionis pec catorum et in summa de toto bene- 
ßcio redemptionis. VIII. Et illa promissio in sacramentis non 
in g euere tantum vel signißcatur, vel annunciatur, sed vir tute 
Dei offertur , exhibetur, applicatur et ob Signatur etiam singulis, 
qui ßde sacramentis utuntur. Und Chemnitz setzt hinzu: Haec 
vera, manifesta et certa sunt. Mit Recht! Alle diese Re- 
quisiten sind alleine aufgestellt aus genauer Betrachtung dessen, 
was die Schrift über Taufe und Abendmahl sagt. Es zeigt die 


1 Examen, pars II, de sacr . nnmero , p. S. 



§ 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. % 49 

Aufstellung von Chemnitz auch genügend die d o p p e 1 1 e Art, 
in welcher das Wort Gottes im Sakrament auftritt, und worüber 
Gerhard sich so äußert : 2 Dicimus igitur, ad sacramenta pro - 
prie sic dicta duo potissimum requiri, videlicet verbum et eie - 
mentum, juxta vulgatum Mud Augustini: Accedit verbum ad 

elementum et üt sacramentum * Per verbum intelligitur 

p r im 0 m an d at um atque institutio divina, per quam elemen- 
tum, quia percepit vocationem Dei, ut loquitur Irenaeus, lib . IV, 
cap. 34, separatur ab usu communi et destinatur usui sacramen - 
tali ; d e in d e promissio atque ea quidem evangelio pro - 
pria, per sacramentum applicanda et obsignanda. 

PUNKT IV. 

Als Materie des Sakraments haben ivir bei allgemeiner Betrach- 
tung das äussere Element samt der mit demselben gesche- 
henden äusserlichen Handlung zu bezeichnen. 

Anmerkung: — Die Antwort auf die Frage, was Ma t e r i e 
des Sakraments sei, ist in der Schrift nicht förmlich, aber 
wohl sachlich definiert, so daß wir unter den unterschied- 
lichen ‘Typen der lutherischen Darstellung dieses Stücks der 
Lehre sehr wohl die eine als schrift gemäßer vor anderen bezeich- 
nen können. Darum, daß abweichende Lehrtypen in diesem 
Stück wirklich bei unsem Dogmatikern sich finden, werden wir 
noch nicht das Urteil als berechtigt ansehen, welches einer der 
Mitarbeiter am „Theologischen Handwörterbuch’' von Zeller, 
nämlich Diakon Th. Hermann (Göppingen), fällt : 1 
„Diese Distinktionen (nämlich von sacramentum und res sacra - 
menti, zwischen forma und materia) haben zwar noch in der 
protestantischen Sakramentslehre nachgewirkt, aber nicht zu 
ihrem Nutzen ; sie behandeln die sakramentlichen Wirkungen 
ganz in Analogie mit einer Naturkausalität.” Es scheint, daß er 
eben auch der protestantischen Sakramentslehre den Vorwurf 
machen will, den er der scholastischen macht, nämlich : „Die 
Verwandtschaft der Sakramente mit dem Worte tritt (bei den 
Scholastikern) ganz zurück; auch sofern das Wort im Sakrament 
eine Rolle spielt, wirkt es mehr wie eine magische Formel als 

* ’N 

2 Loci tom. VIII, loc. XIX , cap . II, § XI, p. 207. 

1 B. 2, S. 604. 


60 § 63- Von den Sakramenten im allgemeinen. 

wie ein für den Glauben berechnetes Gnadenwort.” In diesem Ur- 
teil gibt sich kund : 

I. das Mißbehagen der neueren, vermittelnden und 
alles ungewiß und unbestimmt machenden Theologie an der 
exakten, in alle Spezialitäten eingehenden lutherischen Theologie, 
welche überall fest nach der Schrift umgrenzt 
und aller Vermittlung, wie iu der Sakramentslehre zwischen 
Luther und Calvin, widerstrebt. 

2. Sodann zeigt sich darin auch die Unbilligkeit, 
welche den Gewinn ganz übersieht, welchen allerdings die 
Verhandlungen z. B. über die materia sacramenti für die ganze 
Sakramentslehre gebracht, namentlich für die Grundan- 
sicht, daß die materia der Stoff der Sakramente, actione s, 
Handlungen, und nicht nur r«, Sachen, sind, und damit für die 
Polemik gegen römische Lehre, 

3. Es liegt auch darin eine zur Verleumdung füh- 
rende Unwissenheit. Es ist grundfalsch, daß die luth- 
erischen Dogmatiker die Sakraments Wirkungen ganz in einer . 
Analogie mit einer Naturkausalität wirken ließen, wobei der 
Glaube nämlich, der sich auf den alles wirkenden Heil. Geist 
und überhaupt die Trinität richtet, außer Betracht komme. Der 
Beurteiler bei Zeller hat jedenfalls die Darstellung von Chemnitz 
in seinem Examen nicht gekannt. Es ist ferner grundfalsch, daß 
die lutherische Dogmatik das Wort beim Sakrament irgendwie 
als Zauberformel faßte. Näheres darüber bei der Lehre vom 
Abendmahl. Es ist endlich grundfalsch, daß die lutherische Kirche 
die Analogie zwischen Sakrament und Wort vergäße; im Gegen- 
teil lehrt sie so geflissentlich, daß das Wort geradeso die Wieder- 
geburt wirke wie die Taufe, so daß z. B. viele neuere Theologen 
ihre Lehre verwerfen, weil sie die Wiedergeburt nur der Taufe 
zuschreiben. 

Die angedeutete Verschiedenheit im Lehr- 
typus über die Materie des Sakraments, welche die Glau- 
bensmaterie aber gar nicht berührt, ist folgende: Quen- 
s t e d t und andere Dogmatiker unterscheiden bei der Behand- 
lung der Sakramente auch im allgemeinen (in genere) eine 
doppelte Materie, nämlich eine terrestris, eine sinnlich- 
körperliche Sache, und eine dadurch vermittelte materia coelestis. 


§ 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. * öl 

eine himmlische, unsichtbare, innerliche Sache. B a i e r* dagegen 
versteht unter materia die äußerlich sinnliche Sache, das sicht- 
bare Element und die an demselben sich vollziehende Handlung. 
Von einer Bestimmung einer materia coelestis für die Sakra- 
mente insgemein nimmt er Abstand mit der Erklärung, daß sich 
eine solche nicht definieren lasse. Es könne wohl für jedes Sa- 
krament gesondert eine materia coelestis aufgestellt werden 
aus den betreffenden Einsetzungsworten, aber nicht, 
wenn man von den Sakramenten im allgemeinen handle, eine ge- 
meinsame, die dieselben charakteristischen, auf beide passenden 
Eigentümlichkeiten habe. Er beruft sich auf frühere Lehrer. 
Ganz seine Stellung haben auch Gerhard, Mentzer, 
Chemnitz, Heerbrand, Hafenref fer, Grauer. 
Es sind dies sämtlich frühere Dogmatiker bis vor Mitte 
des siebzehnten Jahrhunderts. Die späteren Dogmatiker : Ca- 
l°v, Quenstedt, Hollaz haben den oben angegebenen 
Lehrtypus, auch bei der Behandlung der Sakramente im allge- 
meinen die doppelte Materie aufzustellen. 

Der Ausdruck materia coelestis wurde zuerst von den Kal- 
vinisten auf dem Mömpelgarter Kolloquium (Jak. Andreä, 
Luk. Osiander, Beza; 21. — 26. März, 1586) gebraucht. Die 
älteren Lehrer bezeichneten als die materiellen Stücke des Sakra- 
ments das äußere Element (Wasser, Brot und Wein) und das 
Wort. Allerdings ist ihnen nach der Konsekration das Element 
nicht mehr bloßes natürliches Element, sondern es ist nun 
auch ein höheres, himmlisches damit verbunden. Aber sie nennen 
dieses höhere nicht materia coelestis. Die späteren Theologen, 
wie sie im Abendmahl den Leib und das Blut Christi als materia 
coelestis aufstellen, so lehren sie auch bei Behandlung der Sakra- 
mente im allgemeinen eine materia coelestis neben der terrestris . 
Unter dieser materia coelestis wollen sie dann aber, eben wegen 
der Analogie des Abendmahls, nicht das Wort verstehen, welches 
ja in Verbindung mit dem äußerlichen Element erst das himm- 
lische hervorbringe ; daher sie auch den alten Ausdruck, 
daß die materia sacramenti bestehe aus elementum exiernum und 
verbum Dei s nicht anerkennen. Auch die evangelische Gnade 
wollen sie nicht unter der materia coelestis verstehen, weil doch 
dieselbe im Abendmahl erst durch die himmlische Materie des 



52 § 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. 

Leibes und Blutes vermittelt werde und weil analog auch in den 
andern Sakramenten (es wird nämlich immer zugleich Bezug 
genommen auf die alttestamentlichen Sakramente) die Gnade als 
in ähnlicher Weise an eine himmlische Materie gebunden anzu- 
sehn sei. Was nun in den andern Sakramenten als solche himm- 
lische Materie anzusehn sei, das, gibt Quenstedt gleich zu, müsse 
freilich für jedes einzelne Sakrament besonders aufgestellt wer- 
den . 2 Darin liegt aber sofort das Zugeständnis, daß die Lehrart, 
welche bei der Behandlung der Sakramente im allgemeinen eine 
materia terrestris und coelestis unterscheidet, sich nicht halten 
läßt, weil keine, allen Sakramenten gemeinsame oder auch nur 
gleichartige materia coelestis sich nachweisen oder auch nur in 
ihrer nötigen allgemeinen Beschaffenheit charakterisieren läßt. 
Man kann wohl sagen, es sei in jedem Sakrament eine himmlische 
Materie, aber man kann keine allgemeine Definition derselben 
geben. Und dies letztere würde doch dadurch notwendig, daß 
man in der allgemeinen Betrachtung eine irdische und eine himm- 
lische Materie aufstellt. Eine solche Lehraufstellung verlangt 
doch auch Kennzeichnung, Definition beider Materien. Mit gutem 
Recht sagt Baier, es werde durch jene Lehrart 'der Klarheit und 
Festigkeit der Lehre ( perspicuitati et soliditati doctrinae ) nicht g 
eben gedient. Dazu kommt, daß die späteren Lehrer unterein- 
ander, wie freilich auch frühere, > ganz uneinig darin sind, was 
in der Taufe als materia coelestis anzusehn sei, andernteils auch 
keine sichere allgemeine Bestimmung für alle Sakramente 
geben können über die unio zwischen dem äußerlichen und himm- 
lischen Element. Wir bleiben daher am besten bei dem Lehr- 
tropus der älteren Dogmatiker und nehmen als die materia sacra- 
menti das irdische Element und die an demselben geschehende 
Handlung an sich an. 

2 Theol. did. pol , pars IV, cap. III , sect. I, thes. VIII, nota I, p. 75. 

PUNKT V. 

Das Wesen {forma) des Sakraments sind die in Gottes Wort 

verfassten sakramentalen Handlungen. 

Anmerkung: — Das äußere Element und die Handlungen 
daran sind das Materielle, woraus das Sakrament sich eben zum 


§ 63 . Von den Sakramenten im allgemeinen. ‘ 53 

Sakrament gestaltet, formiert, nämlich unter Hinzu- 
kommen des Wortes. Das also, was die Materie des Sakra- 
ments zum Sakrament gestaltet, ihm das Wesen als Sakrament 
gibt, ist das Wort. Luther : „Denn ohne Gottes Wort 
ist das Wasser schlecht Wasser und keine Taufe, aber m i t dem 
Worte Gottes ist es eine Taufe.” Aber trotzdem ist es wieder 
verfehlt, wenn Baier selbst wieder das Wort als das Wesen des 
Sakraments hinstellt Quenstedt sieht als Wesen des Sakra- 
ments die Handlungen an, und nennt als die drei wesentlichen 
Handlungen (actiones formales) die Konsekration, die Austeilung 
und das Empfangen ( consecratio , datio , acceptio). Es wird aber 
offenbar des Wesen des Sakraments richtiger bestimmt, wenn 
man Baier und Quenstedt vereinigt zu dieser Definition : Das 
Wesen des Sakraments sind die in Gottes Wort 
gefaßten Handlungen. Die Handlungen an sich selbst 
bilden die Materie, aber die Handlungen als in Gottes Wort ge- 
faßt, in und durch Gottes Wort geschehend, sind das dem Sakra- 
ment Wesentliche und sein Wesen Ausmachende. Würden die 
vorgeschriebenen Handlungen nicht in und mit dem Sakraments- 
wort geschehn, so wäre das Sakrament auch seinem Wesen nach 
nicht da. Übrigens ist das Wort, in das eigentlich die wesentlichen 
Handlungen gefaßt sind, das Wort der Verheißung, wenigstens 
dies im engsten Sinn, nur im weitern Sinne das Wort des Gebots. 
So ist in der Taufe bei der wirklich sich vollziehenden Taufe doch 
das Wort, was mit und bei dem Wasser ist, nicht das Gebot, 
sondern das Verheißungswort: Ich taufe dich im Namen des 
Vaters und des Sohnes und des Heil. Geistes. 

PUNKT VI. 

Der Hauptzweck des Sakraments ist in Ansehung des Menschen 
Zueignung und Versiegelung der göttlichen Gnade und da- 
mit Seligmachung des Menschen; in Ansehung Gottes ist 
der Zweck seine ewige Ehre . 

Anmerkung: — Wir unterscheiden nach dqr Schrift einen 
Hauptzweck {Unis primarius) und einen Nebenzweck 
(Unis secundarius ) des Sakraments. Der letztere ist : 

1.) Unterscheidung der wahren Kirche von Sekten und 
Heiden (1. Mose 17, 11 ; 2. Mose 12, 44; Apg. 7, 8), 


54 § 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. 

2. ) Erhaltung des Gedächtnisses der göttlichen Wohltaten 
(2. Mose 12, 14; Luk. 22, 19; r. Kor. xi, 24. 25), 

3. ) Anreizung zur Liebe gegen Gott und den Nächsten (1. 
Kor. 10, 17). 

Der Hauptzweck aber besteht in Anbietung, Verleihung 
und Versiegelung der göttlichen Gnade ( Joh. 3, 5 ; Eph. 5, 26 ; Tit. 
3, 5; Röm. 4, 11). Dieselbe Gnade, welche durchs Wort ange- 
boten, zugeteilt, im Glauben versiegelt und erhalten .wird, soll 
durchs Sakrament angeboten, zugeteilt und befestigt werden. 
Wort und Sakrament haben denselben Zweck. Daher sagt 
Quenstedt gleich zu Anfang der Lehre von den Sakramenten: 
Dem Wort des Evangeliums hat Gott als zweites verleihendes 
Heilsmittel die Sakramente hinzugefügt, als das sichtbare 
Wort, wie schon Augustin die Sakramente genannt hat. Es ist 
nur die Art und Weise verschieden, in welcher Wort und Sakra- 
ment dieselbe Gnade mitteilen. So auch -die Apologia : l „Denn 
das Wort und äußerliche Zeichen wirken einerlei im Herzen, wie 
Augustinus ein fein Wort geredet hat. Das Sakrament, sagt er, 
ist ein sichtlich Wort. Denn das äußerliche Zeichen ist ein Ge- 
mälde, dadurch dasselbige bedeutet wird, das durchs Wort ge- 
predigt wird; darum richtet beides einerlei aus.” Der Haupt- 
zweck in Ansehung Gottes ist seine Ehre, wie dies der letzte 
Hauptzweck Gottes bei all seinen Werken und Tun ist. 

PUNKT VII. 

Die Wirkungskraft ( efficacia ) ist dieselbe im allgemeinen wie 
die des Wortes; und wie das Wort in sich selbst kräftig ist ; 
so auch die Sakramente ; so dass sie in bezug auf ihre Wirk- 
samkeit weder von dem , der sie austeilt ; noch von dem , der 
sie empfängt , abhängig sind . 

Anmerkung: — Daß die Wirkungskraft der Sakramente 
dieselbe ist wie die des Wortes, ist schon in Punkt VI berührt 
worden. Doch muß wohl ein verschiedener Modus der Wir- 
kung des Sakraments und des Wortes sein ; jedoch unterlassen es 
unsere Dogmatiker, nähere Bestimmungen darüber zu machen, 
und das mit Recht, weil die Schrift darüber schweigt. 


l Art XIII , 5, p. 20J. 


§ 63 . Von den Sakramenten im allgemeinen. . 66 

Es liegt aber die Frage nahe, warum wohl Gott zwei ver- 
schiedene Gnadenmittel, welche doch wesentlich die gleiche 
Wirksamkeit haben, gegeben habe. Wir antworten mit Chem- 
nitz, daß der Grund die Barmherzigkeit Gottes sei, welche 
nicht durchs bloße Wort wollte die Gnade austeilen, sondern der 
Schwachheit zu Hilfe kommen durch die Sakramente, welche 
das Wort gleichsam sichtbar machen. 

Daß die Sakramente wirklich Gnade austeilende Mittel sind, 
hängt weder vom Verwalter, noch vom Empfänger 
des Sakramentes ab. Weder die Würdigkeit des einen, 
noch des andern macht das Sakrament wirksam. Mit dem ersten 
schriftgemäßen Grundsatz, daß die Person des Verwalters weder 
durch bestimmten Habitus (Ordination), noch bestimmte 
Gesinnung ( intentio ) die Wirksamkeit des Sakraments be- 
dinge, tritt die lutherische Kirche der römischen Kirche wie den 
Sekten gegenüber. Häufig sind die Auslassungen der Sekten 
hierüber unklar ; doch lassen sie erkennen, daß wie beim Wort, 
so beim Sakrament die Wirksamkeit von der Würdigkeit, d. h. 
Gläubigkeit, des Verwalters abhänge. Ganz klar macht die ka- 
tholische Kirche die Wirksamkeit der Sakramente von der Person 
des Verwalters abhängig, denn : 

1. hat nur vermöge seiner Weihe der Priester die vis ef- 
ficiendi sacramenti, d. h. die Kraft, durch die Konsekration wirk- 
lich die Sakramente darzustellen ; 

2. ist zur Darstellung der Sakramente nötig, dass der Priester 
die Absicht ( intentio ) haben muß, die Sakramente so darzustellen, 
wie Christus will. 

Diese papistische und alle ihr ähnliche Lehre wird ver- 
urteilt : 

I. durch I. Kor. 4, 1 ; 3, 5. 7. Die Diener des Worts sind nur 
Haushalter über Gottes Geheimnisse ; sie verwalten wohl 
die Sakramente nach Christi Vorschrift, aber sie machen sie nicht 
wirksam. 

2. Phil. 1, 16-18. Nach dieser Stelle hängt die Wirksam- 
keit des hörbaren Wortes nicht ab von der intentio des Pre- 
digers, sondern das Wort wirkt ohne die intentio; so hängt auch 
die Wirksamkeit des sichtbaren Wortes, des Sakraments, 
nicht ab von der intentio , und die Konsekration ist wirksam zur 


66 § 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. 

Hervorbringung des Sakraments auch ohne die intentio des Pre- 
digers. A p o lo g i a: 1 „Und die Sakramente sind darum nicht 
ohne Kraft oder Wirkung, daß sie durch Gottlose gereicht wer- 
den.” Quenstedt : 2 Ministri dignitas vel indignitas nihil 
addit vel detrahit sacramentis, nec ejus intentio ad sacramcnlo- 
rutn integritatem requiritur, aut ad efficaciam eorum quiequam 
facit . 

Die Wirksamkeit des Sakraments hängt auch nicht ab von 
der Würdigkeit des Empfängers, d. h. es steht 
nicht also/ daß darum und dann eine Wirksamkeit und 
Wirkungskraft in den Sakramenten sei, weil und wenn sie im 
Glauben empfangen werden. Unsere Kirche lehrt: Der Glaube 
wird nicht erfordert zur Substanz und Wirksamkeit des Sakra- 
ments. 

Die Gegenlehre führt die reformierte Kirche ; siehe 
Heppe . 3 „Die Wirksamkeit des Sakramentes beruht nicht 
auf der Kraft der Zeichen (denen keine eigentümliche Gnaden- 
kraft einwohnt), sondern allein auf der Wirksamkeit des Heil. 
Geistes, welcher in der äußeren Sakraments handlung so 
tätig ist, daß zwischen dieser und der unsichtbaren 
Handlung des Heil. Geistes wohl unterschieden werden muß. 
Das Auge des Glaubens hat sich darum nicht an die äußere Seite 
des Sakraments zu heften ; vielmehr will das Sakrament, welches 
als Zeichen und Zeugnis nicht von sich selbst, sondern von dem 
gekreuzigten und auf erstandenen Christus zeugt, den Glauben 
auf Christi Tod und Verdienst und auf die vom Heil. Geist ver- 
mittelten Gnadengüter hinlenken. Auch will das Sakrament 
nicht Ursache der Rechtfertigung, sondern ein unterpfändliches 
Zeichen der Gerechtigkeit, die dem Glauben geschenkt ist, sein. 
Darum sind die Sakramente auch nur für den Gläubigen, der 
an dem Gnadenbunde wirklich Teil hat, bestimmt. Für den 
Ungläubigen sind sie völlig bedeutungslos, weil der Un- 
gläubige zum Gnadenbunde gar keine Beziehung hat. Aller- 
dings bietet Gott auch den Ungläubigen die im Sakrament ver- 
heißene Gnade an, aber diese verschließen sich gegen dieselbe und 


1 Art VII, 3 , P • l 5 2 

2 Theol. did. pol., pars IV, sect. II, qu. . I, thesis , p . 78. 

3 Dogmatik der evang.-ref, Kirche, S. 428 f. - 


c § 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. - 67 

i- 

ä-. 

f . weisen sie zurück. Denn das Wesen des Sakraments ist vom 

p Glauben des Empfängers unabhängig, weil nicht der Glaube, 

I sondern die göttliche Einsetzung das Sakrament macht, und weil 

nicht der Glaube, sondern die unio sacramentalis die forma sacra- 
•i menti ist. Aber wennschon daher die Sakramente an und für sich 

immer eine reale, objektive Darbietung der Gnade sind, so sind 
sie doch in effectu nur für den Gläubigen wahre Siegel des 
Gnadenbundes/’ So weit Heppe, der hier nicht eine eigene Dog- 
matik gibt, sondern die alten reformierten Dogmatiker wieder- 
gibt, etwa wie Hase im Hutterus redivivus die lutherische 
Dogmatik, und zwar richtig und viel objektiver, als es von Hase 
gesagt werden kann. Von vornherein konnte man nach diesen 
Erklärungen der reformierten Dogmatiker sagen, daß die gött- 
liche Verordnung der Sakramente recht unverständlich sei. Denn 
wenn nicht im Verhältnis zum Wort das Sakrament gerade durch 
sein äußerliches Zeichen etwas vor dem Worte dem Glauben zu 
Hilfe Kommendes haben, und wenn nicht also der Christ gerade 
aus dem äußeren Zeichen auch Stütze und Förderung seines 
Glaubens nehmen soll, wenn vielmehr der Glaube sich ja nicht 
an das Zeichen heften soll, sondern nur an den durch das Wort 
vorgehaltenen Christus, so sieht man nicht ein, wozu diese 
i äußeren Zeichen, die gar noch des Glaubens Augen gerade 

auf sich ziehn und damit von Christo abziehn können, nötig sind, 
f ■: Bei solcher Betrachtung wären die Sakramente anstatt Gnaden- 

I mittel besser Gnadenhindemisse zu nennen. Es ist aber eben 

| einmal die Art der reformierten Dogmatik, daß sie durch ihre 

Bestimmungen sich immer selbst auflöst Davon abgesehen ist 
folgendes zu der von Heppe gegebenen richtigen Darlegung der 
orthodox reformierten Dogmatik zu sagen : 

1. Daß die Wirksamkeit der Sakramente auf der Kraft des 
Zeichens, oder irdischen Elements, beruht, lehrt die lutherische 
Kirche nicht; sie hält z. B. nicht das Wasser für an sich gnaden- 
kräftig, sondern allein durch Geist und Wort. 

2. Die reformierte Unterscheidung zwischen der äußeren 
Sakramentshandlung und der unsichtbaren Handlung des Heil. 
Geistes ist die alte Trennung von Geist und Gnadenmitteh 

3. Daß die Sakramente nicht nur allein für die Gläubigen 
bestimmt seien, sondern auch für diese allein bedeutungsvoll und 


58 


§ 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. 


inhaltsvoll seien, daß Gott den Nichtprädestinierten überhaupt 
im Sakrament nichts anbietet und nichts anbieten will, ist die 
wahre Meinung der reformierten Kirche ; und es steht in völligem 
Widerspruch mit derselben und ist eine völlig leere Rede, wenn 
doch gesagt wird, daß Gott auch den Ungläubigen im Sakrament 
etwas anbiete, und daß das Sakrament an sich ein von dem 
Empfänger unabhängiges Wesen habe. 

Aber man könnte vielleicht die reformierte Lehre so ver- 
stehn: Bei den Gläubigen teilt Gott durchs Sakrament wirklich 
Gnade mit, dem Ungläubigen gegenüber läßt er sein Sakrament 
gleichsam leer sein ; wo er mit einem Gläubigen zu tun hat, füllt 
er das Sakrament und läßt es Träger der Gnade sein, und so habe 
es denn, obgleich nur Gläubige eine Wirkung des Sakraments 
empfangen, doch sein Recht zu sagen, daß der Glaube das Wesen 
des Sakraments nicht ausmache. Aber dann steht die Sache so, 
daß die Wirksamkeit des Sakraments darin besteht, daß bei den 
Gläubigen g 1 e i ch z e i t i g mit den äußeren Zeichen der 
Heil. Geist eine Wirkung ausübt, auf welche die äußeren 
Zeichen nur symbolisch hindeuten. Die Gleichzeitigkeit 
der mit den äußeren Zeichen nicht organisch verbundenen, son- 
dern nur um des Glaubens willen geschehenden Wirkungen macht 
aber sofort auch diese Wirkungen zu etwas dem Sakrament 
Akzidentellen. Diese Wirkungen gehören nun nicht als 
wesentliche zum Sakrament; ja, das Sakrament hat nun an sich 
eigentlich gar kein Wesen, Inhalt und Wirkungskraft. Es ist 
nur ein Zeichen, welches symbolisch hindeutet auf eine 
Gnaden Wirkung, die unter günstigen Umständen, d. h. bei vor- 
handenem Glauben des Empfängers, der Heil. Geist gleichzeitig 
mit dem äußeren Zeichen in diesem Empfänger wirkt. Das er- 
klären auch die reformierten Dogmatiker ganz deutlich. Es ge- 
nügt das Zeugnis von Bucanus: 4 Esse (d. h. essentia ) sacra- 
menti nihil aliud est quam ad signatum et sacramentum seu rem 
signißcatam referri. Dasselbe drückt P o 1 a n u s so aus : 5 Das 
Wesen des Sakraments sei die similitudo signi et signati. Es 


4 Instit. theol , XLVI. 

5 Syntagma theol Christ, t Vf, 51; vgl. Heppe, a. a. O, S. 434. 
Amandus Polanus war ursprünglich Lutheraner, dem der Philippismus die 
Brücke zum Kalvinismus wurde. Er war seit 1596 Prof in Basel. 


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h 

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k. 


§ 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. . 59 

bleibt also trotz gegenteiliger Versicherung dabei, daß nach re- 
formierter Lehre der Glaube das Sakrament macht Denn wenn 
das Sakrament wirklich einen Inhalt haben sollte, so ist der- 
selbe nur durch den Glauben da. Denn : 

1. da nur, wo Glaube ist, gibt Gott etwas im Sakrament; 

2. was gegeben wird, das wird durch die vom äußeren 
Zeichen wohl zu unterscheidende Wirkung des Heil. Geistes ge- 
geben. 

Dazu aber ist ja zu beachten, daß der Inhalt des Sakraments 
nach reformierter Lehre nichts Objektives an sich, son- 
dern eine Relation ist, womit ja nicht Objektives gesetzt 
wird. Und da das, was im Sakrament gegeben wird, gar nicht 
an das Zeichen gebunden ist, so ist es nichts anders als die ge- 
wöhnliche Gnadenanbietung durchs Wort, d. h. wie sie durch 
dasselbe auch sonst ohne Zeichen geschieht und durch den 
Glauben empfangen wird. Somit ist es in Wirklichkeit durch 
den Glauben bedingt, ob im Sakrament etwas von Gnade em- 
pfangen wird, oder mit andern Worten: Der Glaube macht die 
Wirksamkeit des Sakraments. 

Neben diesen beiden vornehmsten Antithesen gegen die 
Wirksamkeit der Sakramente, der papistischen und kalvinistischen, 
haben wir noch eine innerhalb der lutherischen 
Kirche aufgetretene. Es ist gelehrt worden, daß die Sakra- 
mente im Grunde anders wirken als das Wort, ja daß die 
Sakramente selbst nicht in derselben Art wirken. So 
ist gelehrt worden, daß die Taufe das neue Leben pflanzt, 
das Wort es nährt, das Sakrament des Altars es vollendet, 
sofern es durch den Leib und das Blut Christi die verklärte himm- 
lische Leiblichkeit des einst ewig Seligen begründe. Es haben 
sich dahin romanisierende Lutheraner Deutschlands verirrt, wie 
hierzulande romanisierende Lutheraner (Buffaloer) die Wirk- 
samkeit des Sakraments fast in papistischer Weise von der Or- 
dination abhängig gemacht haben, welche sie ihrerseits wieder 
gut papistisch als wirksam darum erklärten, weil die das Amt 
innehabenden Prediger das Amt durch die Ordination übertrügen, 
womit sowohl von der Ordination wie von der Berufung zum 
Predigtamt und dem Kommen des Amtes an einen Amtsträger, 
oder Pastor, falsch gelehrt wird. 


60 § 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. 

PUNKT VIII. 

Der legitime und gesegnete Brauch des Sakraments erfordert den 

Glauben im engsten Sinne . 

Anmerkung : — So entschieden unsere lutherische Kirche der 
Schrift gemäß festhält, daß kraft göttlicher Einsetzung die Sakra- 
mente eine innewohnende Wirksamkeit, oder Kraft, haben, und 
daß der Glaube nicht die Wirkung und die Substanz des Sakra- 
ments mache, so entschieden hält sie fest, daß der rechte, ge- 
segnete Brauch des Sakraments den Glauben fordere und 
zwar den Glauben im engsten Sinne, d. h. an Christum als Ver- 
söhner. Gerhard: 1 Interim tarnen addimus ex parte nostra 
ad salutarem sacramentorum usum requiri f id em seu cor 
üdele , quod est opyavov avriKTfirriKov^ quo gratia in sacramentis 
oblata apprehendenda est et acceptanda, unde ortum est axioma: 
Sacramenta sine ßde non prosunt utentibus . Dieser Glaube ist 
der im engsten Sinne die Versöhnung sich aneignende, nicht im 
allgemeinen der Glaube an Gott, oder etwa der Glaube an die 
Realität der Sakramente, z. B. an die reale Gegenwart des Leibes 
und Blutes Jesu Christi im Abendmahl. Auch dies lehrt unsere 
lutherische Kirche auf Grund der Schrift: 

1. Gottes Wort fordert zum heilsamen Brauch des Sakra- 
ments den Glauben (Mark. 16, 16; Apg. 2, 38; 8, 3 7). 

2. Die Schrift bindet die Rechtfertigung, die ja auch durch 
das Sakrament gegeben wird, an den Glauben (Röm. 1, 17; 4, 
3; 10, 10). 

3. überall sind Verheißung und Glaube Dinge, die sich ge- 
genseitig fordern, also auch im Sakrament. 

Der legitime Gebrauch des Sakraments ist also nicht schon 
der, nur das Sakrament in wesentlich äußerer korrekter Form 
(also in reiner Gestalt) und auch in äußerlich korrektem Ver- 
halten (rite) zu gebrauchen (vergl. 1. Kor. 10, 1-4), und ebenso- 
wenig ist dies der gesegnete Gebrauch (vergl. 1. Kor. 10, 5; 11, 
29) ; vielmehr ist der usus sacramenti legitimus et salutaris nur 
der im Glauben an den Versöhner geschehende^ . Kor. ri, 26-29). 

Demgemäß verwirft die lutherische Kirche den pa- 
pistischen Satz : Sacramenta ex opere operato gratiam conferunt . 


1 Loci , toi: 1. VI II, loc . XIX , § LXXVIII, 287. 





§ 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. v 61 

Dieser wird im Conc. Trid , 2 proklamiert: Si quis dixerit, sacra- 
menta novae legis non continere gratiam, quam signiücant, 
aut gratiam ipsam , non ponentibus obicem, non conferre, anoh 
thema sit. — Canon VIII: Si quis dixerit , per ipsa novae 
legis sacramenta ex opere operato non conferri gratiam , 
sed solam ßdem divinae promissionis ad gratiam consequendam 
sufficere, anathema sit. Hierzu sagt Chemnitz in ausge- 
zeichneter Weise: 3 Haec tandem est illa Helena, cujus intro- 
ducendae, omandae et stabiliendae gratia praecedentes canones 
omnes constituti sunt. Gegen diese papistische Lehre von der 
Wirkung der Sakramente des Neuen Testaments ex opere operato 
(im Gegensatz gegen die Wirkung der alttestamentlichen Sakra- 
mente ex opere operante, worauf das ipsa in canon VIII hindeutet) 
führt Gerhard die klassische Erklärung von Chemnitz an : 4 , 
Et sacramenta certe non sunt exaequanda cum ipso Spiritu sancto, 
ut pari et e adern plane ratione credantur conferre gratiam , sicut 
ipse Spiritus sanctus . Num vero propterea nihil tribuendum est 
sacramentisf Certe quid scripturae sententiae sacramentis tribu- 
ant, paulo ante ipsis scripturae verbis commemoratum est. Sed 
accurate et solicite cavendum est , quando de sacramentorum vir - 
tute et efßcacia disputamus, ne ea, quae propria sunt gratiae Patris, 
efficaciae Spiritus et meriti Filii Dei , Deo adimamus, et ad sacra- 
menta transferamus ; hoc enim esset crimen idololatriac 

Ita etiam sacramentis tribuitur virtus seu efficacia , non quod in 
sacramentis extra seu praeter meritum Christi , misericordiam 
Patris et cfficaciam Spiritus sancti quaerenda sit gratia ad salu - 
tem , sed sacramenta sunt causa e instrumentales, ita quod per illa 
media seu organa Pater vult gratiam suam exhibere, donare, 
applicare, Filius meritum suum communicare credentibus, Spiri- 
tus sanctus efficaciam suam ex er c er e ad salut em omni credenti 

Et in usu sacramentorum ßdes non quaerit aut respicit 

essentialem aliquam vir tut em seu efficaciam inhaer entern ipsis - 
externis sacramentorum clementis, sed in p r o mi s s i o n e , 
quae annexa est sacramento , quaerit, apprehendit, et accipit gra- 
tiam Patris, meritum Filii et efficaciam Spiritus. Dies ist eine 

2 Sessio VII, canon VI, VIII, p. 54. 

S Examen, P. II, de opere operato , p. 22. 

4 Chemnitz, l. c., p. 19. 


62 § 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. 

Erklärung, daß alle grobsinnlichen Ansichten über die 
Wirkung der Sakramente und darauf gebauter, den Glauben nicht 
primo loco fordernder Brauch falsch sind. 

Aber weder Chemnitz, noch vor ihm Luther, erklären 
die Sakramente für nuda signa , dessen sie verleumderisch B el- 
larmin anklagt; auch haben sie nicht, wie ebenfalls Bellarmin 
sie anklagt, sich der Verleumdung der römischen Kirche durch 
gehässige falsche Darstellung der katholischen Lehre über das 
ex opere operato schuldig gemacht. Beide hätten, so klagt sie 
Bellarmin an, die katholische Lehre von der Wirkung ex opere 
operato so dargestellt, als statuiere dieselbe ein verdienstliches 
Werk oder Verdienstlichkeit des Werkes sowohl von seiten des 
Verwaltenden als des Empfangenden; uifd das sei falsche Dar- 
stellung. Aber sie ist ganz richtig. Gerhard weist 
dieses wieder aus Chemnitz nach. Die Scholastiker unterscheiden 
zwischen den Sakramenten des Alten Testaments und denen des 
Neuen Testaments. Die ersteren verleihen Gnade ex opere 
operante, d. h. weil sie jemand tut. Die neutestament- 
lichen Sakramente verleihen Gnade ex opere operato , allein 
schon dadurch, daß sie geschehen. Nun sagt der 
letzte große Scholastiker, Gabriel Biel 5 m Sententiae , lib. 
IV, qu . III , dist . I: Ex opere operante verö sacramenta 
dicuntur conferre gratiam per modum meriti, quod scüicet sacrar 
mentum foris exhibitum , non sufficit ad gratiae collationem , sed 
ultra hoc requiritur bonus motus seit devotio interior in suscipi- 
ente, secundum cujus intentionem confertur gratia tanquam meriti 
condigni vel congrui praecise et non major propter exhibitionem 
sacramenti, Sacramentum dicitur conferre gratiam ex opere 
operato , ita quod ex eo ipso , quod opus illud, puta sacra- 
mentum, exhibetur , nisi impediat obex peccati mortalis, gratia 
confertur utentibus. Sic quod praeter exhibitionem signi , foris 
exhibiti non requvritur bonus motus in suscipiente. So auch A 1 - 
bertus Magnus 5 6 zu Joh. VI : Opus operans est opus eli- 
citum a vir tute; opus operatum est perfectio externi operis sine 
motu interno . Mensinge rus: Quid sancti in vetere testa- 
mcnto üde accipiebant gratiam in usu sacramentorum, oportet 


5 Examen , 1 . c p. 22. 

6 L. c.. p. 23. 


§ 63 . Von den Sakramenten im allgemeinen. 03 

ergo novi testamenti sacramenta m a j oris esse effica - 
c iae , ut conferant gratiam ex 0 p e r e operato, etiamsi 
non a c c e d at opus o per ans suscipientis, hoc est ßdes seu 
devotio inferior. So ist also Chemnitz ganz gerechtfertigt mit 
seiner Behauptung, daß die römische Kirche die Kraft des Sakra- 
ments, in das opus op erat um, in das bloße Werk in der Weise 
setzt, daß die Sakramente als Gnade verleihend angesehn werden 
aus Würdigkeit und Verdienst des Werkes an sich, welches eben- 
sowohl der tut, der das Sakrament verwaltet, als auch der, 
welcher es empfängt. Biel sagt dies ganz ausdrücklich noch 
von der Messe, dieselbe habe in einer Weise Kraft ex opere 
operante , nämlich ex merito personali personae ministrantis, denn 
um dieser Würdigkeit willen verleihe Gott das vom Priester Er- 
betene denen, welchen der Priester das Gebet und Meßopfer zu- 
eignet ; in anderer Weise habe aber die Messe Kraft eie opere 
operato, d. h. .gerade um der Konsekration, Darbietung und des 
Empfangens willen, . 

Weiter weist auch Gerhard nach, daß Bellarmin ver- 
geblich die Lutheraner der Verleumdung anklage wegen der Be- 
hauptung, daß die römische Kirche mit der Wirkung der Sakra- 
mente ex opere operato den Glauben und gute Herzensbewegung 
des Empfängers ausschließe. Denn genau das sagen ja obige 
Zitate ausdrücklich. Aber die Römischen haben immer versucht, 
uns glauben zu machen, daß sie mit dem ex opere operato nur die 
Wirksamkeit der Sakramente an sich im Gegensatz gegen die 
Lehre, die sie eben uns andichten möchten, behaupten wollten, daß 
der Glaube das Sakrament mache. So behauptet Bellarmin, daß 
der Glaube von den Römischen gar nicht ausgeschlossen werde, 
und am wenigsten durch das Conc . Trid., denn Wille, Glaube, 
Buße würden in dem erwachsenen Empfänger des Sakraments 
erfordert als dispositio ex parte subjecti , nur nicht als tätige Ur- 
sache (non ut causa activa ). Denn Glaube und Buße bewirkten 
nicht die Sakramentsgnade, noch machten sie die Wirksamkeit 
des Sakraments aus (was ja auch kein Lutheraner behauptet), 
sondern sie höben nur die Hindernisse auf, welche verhindern 
könnten, daß die Sakramente ihre Wirkung ausübten. Mit Recht 
sagt Gerhard: Das sei gerade der entscheidende Punkt der 
ganzen Frage. Die Lutheraner fassen schriftgemäß den Glauben 


64 § 63 . Von den Sakramenten im allgemeinen. 

als Zuversicht, als etwas positiv Tätiges, als die Hand, welche 
die Saicramentsgnade ergreift und sich aneignet. Die Papisten 
fassen den Glauben nur als allgemeinen Beifall zur Lehre, als ein 
. passives Verhalten, als ein bloßes Nicht widerstreben 
( obicem non ponere), so daß er seinem Wesen nach wirklich keine 
innere Herzensbewegung ist. Und so ist trotz des scheinbar 
richtigen Wortlauts der Erklärungen Bellarmins doch mit den- 
selben nur wieder die scholastische Irrlehre ausgesprochen, daß 
die Sakramente wirken ex opere operato , i. e. sine motu interno 
bono et sine devotione cor dis. Wer nur nach papistischer Lehre 
dem Sakrament nicht damit ein Hindernis setzt, daß er die Kir- 
chenlehre verwirft, oder daß er sich vornimmt, eine Todsünde zu 
tun, dem bringt das Sakrament Nutzen ganz allein darum, weil 
die Handlung desselben vor sich geht, mag der Mensch auch im- 
merhin „ohne wahre Zuversicht, also ein geistlich toter Mensch 
sein. Nach lutherischer, schriftgemäßer Lehre hängt wohl das 
Wesen des Sakraments nicht ab vom Glauben, sondern allein von 
dem den Ei nsetzungs worten gemäßen Geschehen, den actus 
formales , nämlich consecratio, datio y sumptio; und ebenso steht 
es mit der Wirksamkeit und der realen Darbietung der Gnade 
im Sakrament, aber der Segen für den Empfänger hängt 
gänzlich vom wahren Glauben ab. 

PUNKT IX. 

Verwalter des Sakraments sollen der Ordnung nach nur legitim 

berufene und recht lehrende Prediger sein . 

Anmerkung: — Nach i. Kor. 4, 1 vergl. mit 3, 9 sind die 
Diener Christi und der Kirche die Verwalter ( causa mini - 
sterialis ) des Sakraments. Das ist also die von Gott gesetzte Ord- 
nung. Dieselbe ist nicht dahin zu verstehn, daß auf der Legi- 
timität des Berufs die Wirksamkeit des Sakraments beruhe 
(Punkt VIII), auch nicht dahin, daß sie absolut unverbrüch- 
lich wäre und daß es wichtiger wäre, daß sie unter allen Um- 
ständen bewahrt bleibt, als daß unter Umständen eine Person der 
Gnade und des Trostes beraubt wird. Aber wie : 

1. vom Sabbat gilt, daß dieser um des Menschen wil- 
len da ist, nicht der Mensch um des Sabbats willen, so daß das 
Sabbatsgebot der Not des Menschen zu weichen hat (Mark. 2, 


§ 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. 


65 


27; Joh. 7, 23), so gilt dasselbe für die Verwaltung des Sakra- 
ments unter denselben Umständen. 

2. Nicht die Ordnung der Verwaltung des Sakra- 
ments, der media salutis überhaupt, ist die Hauptsache, sondern 
deren Zweck (Joh. 20, 31 ; 1. Joh. 5, 13 ; 2. Kor. 4, 6). 

3. Nicht die Pastoren durch ihren Beruf, sondern die Kir- 
che kraft ihres Priestertums im Glauben hat 
ursprünglich alle Gnaden Christi im Besitz und kann n i e m ad s 
schlechtweg das Recht darüber verlieren (1. Pet. 2, 9). 

Es ist demnach ein richtiger Grundsatz, daß in einem wirk- 
lichen Notfälle, wenn nämlich ohne Gefährdung 
des Heils das Sakrament nicht unterlassen werden könnte, 
dasselbe durch irgendwelche Laien, Mann oder Weib, kann ver- 
waltet werden. 

Schon hier kann dies als in bezug auf die Taufe allgemein 
geltend hingestellt werden. Ob in bezug auf das Abendmahl ein 
Notfall je angenommen werden könne, ist im Paragraphen vom 
Abendmahl zu behandeln. 

Ganz, wie ausgeführt, ist die Stellung unserer Kirche in 
diesem Lehrpunkt. H o 1 1 a z i 1 Jus dispensandi sacramenta 
Deus concredidit ecclesiae, a) quae executionem aut exercitium 
hu jus juris, observandi ordinis et tvvxyjpovvvys causa , com - 
mendavit ministris Verbi divini vocatis et ordinatis . b) In casu 
autem extremo necessitatis, ubi sacramentum est necessarium, nec 
nisi periculo salutis omitti polest , quilibet homo christianus sacra- 
mentum initiationis valide celebrare potest (/. Pet. 2 , 9; Apocal. 
/, 5). Hollaz, der zwar, wie oben bemerkt, das Predigtamt zu 
sehr als Sache nur der guten Ordnung hinstellt (so auch 
K ö s 1 1 i n , Höfling als vermeintlich echte Lehre Luthers) 
und also zu schwach begründet, gründet doch ganz richtig die 
Berechtigung der Laientaufe auf das allgemeine Priestertum 
aller Gläubigen. So vor ihm Luther selbst, der da auf Grund 
dieses allgemeinen Priestertums des Christen sagt, daß jeder Ge- 
taufte die Macht und das Recht habe, das Sakrament zu verwalten. 
Doch will hiermit Luther keineswegs jedem Christen 
neben den berufenen Dienern die Verwaltung des Sakraments 


1 Examen , pars III , sect. II, cap. III , qu. 6, p . 522. 


66 


§ 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. 


zugestehn. Gut sagt Gerhard , 2 daß Luther hier nicht von 
einer unbeschränkten Macht vollkom m e n h e i t 
aller Christen rede, sondern von einer allgemeinen Be- 
schaffenheit derselben, daß sie nämlich als durch die Taufe 
in den Bund Gottes aufgenommen, zu diesem Amt passend 
seien und nur noch des besonderen Berufs dazu bedürften. 
Diese allgemein passende Beschaffenheit (aptitudo) setzt Luther 
entgegen dem priesterlichen Charakter, der nach papistischer 
Lehre durch die Ordination dem Priester eigen ist und ihn allein 
fähig machen soll ad efficiendum sacramentum. Daß Luther nicht 
schlechtweg den Christen überhaupt Sakramentsverwaltung zu- 
gesieht, geht hervor aus seinem ablehnenden Bescheid auf die 
Anfrage eines Pastors, ob in entlegenen Gegenden ein Haus- 
vater seinem Weibe nicht das heil. Abendmahl reichen könne. 

Die reformierte Kirche äußert sich über die Ver- 
waltung der Sakramente bezüglich der Person so : Zur Spendung 
der Sakramente sind nur die kirchlich berufenen Prediger des 
Evangeliums, nicht aber Laien oder Frauen berechtigt. Diesen 
kommt die Verwaltung des Sakraments ordnungsmäßig zu, und 
es kann im Reich Gottes keinen sogenannten Notfall 
geben, der den Christen zur Verletzung dieser Ordnung er- 
mächtige. Calvin : 3 Est enim pars ecclesiastici ministerii, tarn 
hu jus ( baptismi) quam coenae dispensatio. Neque enim aut 
mulicribus aut hominibns quibuslibet mandavit Christus, ut bap- 
tisarent, sed quos apostolos constituerat, iis mandatuni hoc dedit. 
Das Hauptinteresse der Kalvinisten ist natürlich dies, daß nicht 
den Gnadenmitteln ihre schriftgemäße Wichtigkeit beigelegt 
werde. 

PUNKT X. 

Die Notwendigkeit der Sakramente ist keine absolute , sondern 
eine relative . 

Anmerkung: — Gott hat die Predigt des Worts und die Ver- 
waltung der Sakramente befohlen ; aber wie es von der Predigt 
des Worts heißt: „Gefiel es Gott wohl, durch törichte Predigt 
selig zu machen die, so daran glauben” (T. Kor. 1, 21), und hier- 

2 Loci, tont. VI ft , loc. XIX cap. IV, § XXIX, p. 219. 

» Institjib. IV, cap . XV, § XX, tont . II, />. 377 . 


§ 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. 67 

nach das Wohlgefallen seines Willens, nicht eine Nötigung aus 
Verlegenheit etwa eines zu Gebote stehenden andern Mittels, der 
Grund gerade der Verordnung des Wortes als organischen Mit- 
tels zur Seligmachung war, so gilt dies selbstverständlich vom 
Sakrament als dem sichtbaren Wort und wesentlich dem Worte 
gleichen Gnadenmittel. Also eine absolute, d. h. meta- 
physische Notwendigkeit, kommt dem Wort nicht zu, 
also ebenso nicht den Sakramenten, ja diesen noch weniger, weil 
ja durchs Wort allein schon Gott den Glauben geben kann, wo 
das Sakrament nicht verachtet wird. So ist die Taufe wohl 
nötig als von Gott befohlen und zur Erlangung der Wieder- 
geburt als Mittet verordnet, aber nicht absolut nötig, sofern 
die Wiedergeburt auch durchs Wort geschenkt wird. Die Not- 
wendigkeit der Sakramente ist also eine relative, hypo- 
thetische, nämlich necessitas praecepti und necessitas medii. 
Quenstedt : 1 Adjuncta sacramentorum sunt 1. necessitas 
praecepti non tan tum, sed et medii externi , non tarnen absoluta , 
sed hypothetica; 2 . circumstantiae , quae pro diversitate sacra- 
mentorum variant . Ebenso Gerhard ; 2 Negamus enim, bap- 
tisnmm simpliciter et absolute necessarium esse, ad salutem . in 
casu scilicet necessitatis , in quo usum sacramenti non contemptus 
religionis, sed articulus necessitatis excludit, ut loquitur Augu- 
stinus lib . IV, contra Don., cap.- 22, neque enim defectus, sed 
contemptus sacramentorum damnat, docente Bernhardo epist. 
LXXVII. Distinguimus igitur inter ea , quae absolute et sim- 
pliciter ad justiücationem et salutem necessaria sunt , qualia esse 
dicimus gratiam Dei , meritum Christi et Adern, sine quibus in 
statu naturae corruptae neminem unquam justiücari aut salvari 
dicimus: et inter ea, quae ordmate et conditionaliter ad justiüca- 
ticmem et salutem necessaria sunt , qualia esse dicimus verbum et 
sacramenta. Hier polemisiert Gerhard gegen die papistische Irr- 
lehre, die ausgesprochen ist im Conc. Trid., sess . VII, canon 
IV Si quis dix er it, sacramenta novae legis non esse ad salutem 
necessaria, sed superflua, et sine eis aut eorum voto per solam 
Adern homines a Deo gratiam justiücationis adipisci, licet omni:! 


1 Theol. did. pol, pars IV, cap. II, sect. I, thcs. XVII, p. 77. 

2 Loci , tom. VIII, loc . XIX, cap. VI, § LI II, p. 242 . 

8 Loci, l. c. 


68 5 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. 

singulis necessaria non sint, anathema sit. Das Conc. Trid . er- 
klärt sich selbst über diesen canon dahin : 4 Concilium 

vult ad id (nämlich ad justiiicationem) necessario requiri sacra- 
menta, ut , st ßdes in aliquo existat, quamvis maxirna, non tarnen 
justißcet, nisi ad sit etiam sacramentum in re, vel in voto , 
immo ma gis requiritur sacramentum , quam ßdes. 

Die Ansicht der reformierten Kirche stellt He p p e 5 
so dar: Eine absolute Notwendigkeit der Sakramente kann . . . 
. . . nicht behauptet werden. Denn der Glaube kann den Gnaden- 
bund auch im Worte vollkommen gewinnen. Wer daher im 
Glauben so stark ist, daß er sich auch ohne Gebrauch der 
Sakramente seines Gnadenstandes getrosten kann, der kann des 
Sakramentes entbehren. Eine relative Notwendigkeit der 
Sakramente ergibt sich in subjektiver Hinsicht aus der Verzagt- 
heit und Kleingläubigkeit des menschlichen Herzens und 

in objektiver Hinsicht, insofern der Gebrauch des 'Sakraments 
von Gott geboten, also Pflicht ist ( necessitas praecepti ). Von einer 
necessitas me d i i schweigen die Kalvinisten selbstverständlich. 
Leonhard Rüssen : 6 Sacramenta necessaria sunt non 
necessitate niedii; licet eftim sint media ad salut em a Deo instituta, 
non ideo hat ent necessitatem medii, sine quo salus non possit 
obtineri Der reformierte Dogmatiker mengt die Begriffe unter- 
einander. Behauptete man eine solche necessitas medii, sine quo 
salus non possit obtineri, so setzte man eine necessitas absoluta . 
Diese verwerfen wir, aber wir verwerfen nicht schlechtweg die 
necessitas medii , wie die Kalvinisten tun, denen bei ihrer schwarm- 
geisterischen Richtung die Behauptung der Wichtigkeit der 
Gnadenmittel eben ein für allemal unbequem ist. Während wir 
eine absolute Notwendigkeit der Sakramente ablehnen so, 
daß ohne dieselben schlechtweg kein Mensch kann selig werden, 
erklären die Reformierten, wie oben gezeigt, die Sakramente für 
überflüssig. 


4 Loci , l . c., § LIV, p . 247. 

5 A. a. O., S. 430. 

6 Turretini compend . theol auctum, XVII, 10, bei Heppe, a. a. O., 
S. 442. 


§ 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. 


69 



PUNKT XI. 

Die Sakramente des Alten Testaments sind denen des Neuen 

T estaments wesentlich gleich. 

Anmerkung : — Unsere Dogmatiker behandeln reichlich die 
Frage, ob die Sakramente des Alten Testaments (Beschneidung 
und Osterlamm) denen des Neuen Testaments wesentlich gleich 
sind, d. h. wirksame Gnadenmittel und gewisse Gnadensiegel. 
Wir geben in Kürze die gründliche Ausführung darüber von 
Gerhard 1 wieder. Die Be sehn ei düng ist sowohl 
Bund wie Bundeszeichen (1. Mose 1 7, 4; Apg. 7, 8; 
Röm. 4, 11). Sie hat geistliche Wirkung, vermittelt Gnade. Da- 
gegen spricht nicht (Röm. 2, 28; Eph. 2, 11) die Unterschei- 
dung der Beschneidung des Fleisches und des Herzens, denn diese 
Unterscheidung stellt nicht die im Glauben empfangene Beschnei- 
dung als wirkungslos hin, sondern straft das fleischliche 
Israel, welches ohne Glauben nur um des äußeren Zeichens 
willen sich Gottes rühmte. Dias sakra mentliche Wort, 
welches die Beschneidung zum Sakrament macht, ist 1. Mose 17, 
7-1 1. Zweck und Wirkung des Sakraments ist : 

x. Mittel der Gnade zur Aufnahme in den 
Bund und Empfang der Gerechtigkeit Gottes ; 

2. Siegel der empfangenen Gerechtigkeit des Glaubens. 

Die Beschneidung ist T y p u s der Taufe, wie das Passah- 
lamm Typus des Abendmahls ist, wobei im Auge zu behalten ist, 
daß das Lamm, sofern es geschlachtet und mit seinem Blut die 
Türpfosten und oberste Schwelle bestrichen werden, Typus 
Christi als des wahren Passahlammes ist ; dagegen ist das Lamm, 
sofern es genossen wird, das alttestamentliche Sakrament und 
Typus des Abendmahls. 

„Passah” ist abzuleiten von H D S übergehen, vorbei- 

- T 

gehen, verschonen. Die ungläubige, neuere Kritik hat es ganz 
anders als die Schrift abzuleiten versucht, nämlich vom -Durch- 
gang durchs Rote Meer, von Durchgang der Sonne durch das 
Sternbild des Widders, vom Übergang des Winters in den Som- 
mer usw. ; die neuere gläubige Kritik versteht es wie die alten 
Dogmatiker nach 2. Mose 12, 13. 23. 27 als abgeleitet von fl D Bi 

1 Loci, tom. VIII , loc. XIX, cap. VII, § LXIII ff., p. 260 . 


70 § Ö3- Von den Sakramenten im allgemeinen. 

übergehen im Sinne von verschonen ; vergl. W. H. Green, 2 
Prof, in Princeton, N. J. 

Das äußere Element ist das geschlachtete Lamm ; der 
Zweck ist, Sakrament zu sein zur Erinnerung des Vergangenen, 
aber auch zur Vorbedeutung des' Zukünftigen, des neutestament- 
lichen Passahlammes (Joh. 19, 36; 1. Kor. 5, 7 ; 1. Pet. 1, 19). 
Obschon das Passah auf Christum hindeutet, war es doch selbst 
als- sakramentliches Mahl kein Opfer (sacrißcium) im strikten 
Sinne. Scheinbar sagt das Gegenteil der Name „Opfer” 2. 
Mose 12, 27 und die Benennung Christi als des geopferten Passah- 
lammes (1. Kor. 5, 7). Aber das Passah wird nur Opfer genannt 
wegen der Beziehung auf Christum. Es fehlen dem Passah alle 
Requisiten eines wirklichen Opfers. Opfer werden nur darge- 
bracht durch die Priester, nicht durch die Hausväter (2. Mose 
12, 3). Die Opfer geschehen am Altar, aber das Passahlamm 
wird im Haus geschlachtet. Zudem gab es neben dem Passah- 
lamm auch wirkliche Passahopfer, die am Altar geschahen, aber 
mit dem Passahlamm gar nichts zu tun hatten. Endlich gehört 
zum Opfer, daß es ganz oder wenigstens teilweise Gott darge- 
bracht wird ; aber das Passahlamm wird nach ausdrücklich stren- 
gem Gebot Gottes von der Familie verzehrt (2. Mose 12, 10; 4. 
Mose 9, 12. 13) und nichts davon wird Gott dargebracht. 

Es ist verständlich, warum unsere Dogmatiker so eifrig die 
Ansicht vom Passah, als sei es ein Opfer im strikten Sinne, aus 
der Schrift widerlegen, nämlich, weil die Papisten auf das Passah 
als Opfer besonders das Meßopfer gründen. 

Die lutherische Schriftlehre von dem Verhältnis zwischen den 
alt- und neutestamentlichen Sakramenten ist im Lehrpunkt ge- 
geben. Sie behauptet die wesentliche Gleichheit beider. Gott 
hat, so führt Chemnitz aus, seinen Willen und das Geheimnis der 
Erlösung zu aller Zeit offenbart und von Anbeginn sein Wort auch 
durch äußere Zeichen besiegelt, und so auch im Alten Testament 
schon Sakramente als zueignende und besiegelnde Mittel der 
Gnade gegeben (Rom. 4, 11). Es ist im Alten wie im Neuen 
Testament derselbe Gott, derselbe Mittler, dieselbe Gnade, die- 
selbe Gerechtigkeit, dieselbe Erlösung. Dies gilt auch in bezug 


2 Die Feste der Hebräer, S. 177. 178. 


71 


§ 63. Von. den Sakramenten im allgemeinen. 

auf das Wesen der Sakramente im Alten und Neuen Testament. 
Die äußeren Zeichen aber blieben beim Sakrament nicht dieselben. 
Gott hat nach seinem Willen, angemessen der immer helleren 
Offenbarung der Gnade, die Zeichen der alttestamentlichen Sakra- 
mente bei den neutestamentlichen durch andere ersetzt. Ähnlich 
lehrt über Gleichheit und Ungleichheit der alt- und 
neutestamentlichen Sakramente auch Gerhard: 

x. Die lutherische Kirche erkennt einen äußerlichen Unter- 
schied der alt- und neutestamentlichen Sakramente an. 

2. Sie statuiert aber denselben prinzipiellen Zweck, 
Übermittlung der Gnade, obschon mit Chemnitz im Modus der 
Übermittlung der Gnade 'der Unterschied anzuerkennen ist, daß 
nach Maßgabe der helleren Offenbarung im Neuen Testament 
auch in den neutestamentlichen Sakramenten die Mitteilung der 
Gnade reichlicher, voller und klarer ist. 

3. Neben den wahren Zeichen bei den alttestamentlichen 
Sakramenten gebe es im Alten Testament allgemeine heilige 
Zeichen und Akte, aber diese seien von den ersteren prinzipiell 
unterschieden. 

Ähnlich stellt auch Gerhard die Begründung für die Gna- 
denwirksamkeit der alttestamentlichen Sakramente auf: 

1. Für das Alte Testament die göttlichen, evangelischen 
Gnadenverheißungen, wie durch 1. Mose 3, 15 ; Apg. 15, 11 ; Rom. 
3, 30 bewiesen ist. Hier gelte der alte Spruch : Christus profnit, 
antequam fuit . Die alttestamentlichen Väter glaubten an die 
Ankunft und die Leiden Christi als zukünftig (Luk. 10, 23. 
24), aber Gnade und Wohltat aus dem Kommen und Leiden 
Christi genossen sie als gegenwärtig. Aus der gleichen 
Geltung der evangelischen Gnaden Verheißungen für das 
Alte Testament folge die gleiche Wirkung der im Alten Testa- 
ment zum Wort gegebenen sakramentlichen Zeichen. 

2. Die Beschneidung habe eine ihr besonders verbundene 
Gnadenverheißung 1. Mose 17, 7: „Daß ich dein Gott sei.” Das 
sei ohne Zweifel Verheißung, wodurch Gott die Aufnahme in 
seinen Gnadenbund bekräftigt und versiegelt, denn durch Ver- 
gleich mit Jerem. 31, 33*. 34 ergebe sich, daß die Zusage: „Daß 
ich dein Gott sei” so viel heiße als : Ich will die Sünden vergeben 
und zu Kindern annehmen. 


72 § 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. 

3. Das Passahlamm sei Vorbild auf Christum als das Oster- 
lamm gewesen (Joh. I, 29). Wie nun im Abendmahl, welches 
an Stelle des Passahlammes getreten sei, der Glaube derer, die 
es gläubig genießen, gestärkt wird, so sei auch das Passah zur 
Stärkung der Gläubigen, nämlich an den kommenden Messias. 
Unterschied und Gleichheit faßt Gerhard so zusammen : 3 
Esse aliquant sacramentorum utriusque testamenti convementiam , 
nemo facile negaverit, cum non solum conveniant 1. appellatione , 
sed etiam 2 , genere proximo ; 3. causa efficiente principali , 4. 
causa ßnali generica (oblatio, applicatio, obsignatio gratiae ), 5. 
materia et forma generica > hoc est, quatenus omne sacramentum 
proprie sic dictum est actio sacra et solemnis divinitus Institut a, 
quae versatur circa ccrtum ob j ec tum peculiari verbo institutionis 
et promis sionis determinatum . 6 . Usu , utrobique enim üdes 
requiritur , ut sint salutaria. 

Der Unterschied ist dieser : 

1. Die alttes tarnen tlichen Sakramente sind weissagend, die 
neutestamentlichen Erfüllung; jene sind Schatten, diese die 
Sache selbst. 

2. Die Substanz der alttestamentlichen Sakramente ist eine 
andere als die der neutestamentlichen; z. B. im Passah ist die 
wirkliche Substanz nicht Leib und Blut Christi, sondern dessen 
Figur und Schatten. Die himmlische Materie, nämlich der gott- 
menschliche Christus, fehlt im alttestamentlichen Sakrament. 

In Antithese zur schriftgemäßen, lutherischen Lehre 
stehn alle andern Kirchen, aber in unterschiedlicher Art. Die 
Papisten anerkennen die alttestamentlichen Sakramente, 
aber sie leugnen deren objektive Wirksamkeit und lassen sie nur 
als Typen der neutestamentlichen Sakramente gelten ; Concilium 
Tridentinum ; 4 Bellarmin 5 . Bei den Scholastikern finden 
sich drei Ansichten : 

1. Nach Hugo von St. Cher (de sancto Caro, ge st. 
1263) teilen die alttestamentlichen Sakramente Gnade mit, aber 
nicht so reichlich und direkt wie die des Neuen Testaments. 

2. Nach Petrus Lombardus teilen die alttestament- 


3 L. c tont . IX, loc. XX, cap. /, § I, p. r' 

4 Sess. VII , can. II, p . 5 3 . 

5. Disp., tom. III, lib. II, cap. XIV, 10, p. 86; cap. XVII, 8, p. 92, 



§ 63. Von den Sakramenten im allgemeinen. „ 73 

liehen Sakramente weder ex opere operante, noch ex opere operato 
wirklich Gnade mit. Gott habe sie eigentlich nur als onus et 
servitut em im Alten Testament verordnet. 

3. Nach Thomas Aquino und Alexander von 
Haies teilen die alttestamentlichen Sakramente nur ex opere 
operante Gnade mit. 

So steht B e 1 1 a r m i n . Die alttestamentlichen Sakramente 
sind Handlungen gesetzlichen Gehorsams, und in Anbetracht 
dessen als einer Tugend, bewiesen eben durch den Brauch 
(ex opere operante ), werde dem Empfänger Gnade zuteil. Er 
sagt in bezug auf die Definition Augustins vom Sakrament, daß 
dasselbe signum rei sacrae sei, dies : 6 Notandum est autem, tribus 
modis posse exponi deßnitionem illant. Primo, ut per signum 
intelligatur signum practicum; per rem sacram gratia justißcans. 
Et hoc modo non convenit deßnitio proprie, nisi sacramentis 
novae legis , veteribus autem solum secundum quid et analogice , 
quin videlicet illa erant signa practica munditiae legalis, quae non 
est gratia justißcans, nisi typice, ut imago hominis dicitur homo . 
— ' 7 Una igitur quaestio est de sacramentis veteribus, circum- 
cisione excepta, an saltem justißcarent ex opere operantis. Duae 
sunt autem opiniones. Prima Magistri in 4, dist . I, qui id 
negat ; ait enim sacramenta illa non justißcasse, etiamsi in ßde et 
charitate susciperentur , quia data erant, ut essent onera, non ut 
justißcarent. S e c un d a est communis theologorum, justißcasse 
omnia illa sacramenta ex opere operantis, id est, ex ßde et devo- 
tione suscipientis ; et haec sententia est verissima. Nam est 
generaliter vera sententia apostoli Rom. 2 , 13: Factor es legis 
justiß cabuntur. Quamquam ista justißcatio non est pro- 
prie sacra mentalis, sed est communis omnibus 
b onis 0 p e r i b us , quae in charitate ßunt , nec est justißcatio 
prima. sed secunda. Es ist in letzterem Zitat angedeutet, daß 
über die Beschneidung die Scholastiker sich besonders geäußert 
haben. Bellarmin sagt von der Beschnei düng selbst, daß circum- 
cisio non est proprie sacramenfum mosaicum sed legis naturae 
nach Joh. 7, 22, und referiert dann, daß nach Alexander von 
Haies, Bonaventura, Scotus und Gabriel die Beschneidung Gnade 


6 L. c. y lib. I , cap. XII, 14, p. 17. 

7 L . c., lib . II, cap. XIII , 14, p. 83. 


74 


§ 64. Das Sakrament der Taute. 


ex opere operato verlieh, aber nach Thomas und den Thomisten 
habe die Beschnei düng nicht an sich gerechtfertigt, sondern 
quatenus ßdei protestatio erat et ßdem applicabat. Im Neuen 
Testament werde das Verdienst Christi durch das Sakrament 
appliziert, im Alten Testament nur durch den Glauben, aber 
unter Bedingung der Beschneidung ( quae tarnen ßdem requirebat 
ut conditionem , sine qua non operabatur (nichts wirkte) sacra- 
mentum circumcisionis) . Von der ersteren Ansicht sagt Bellarmin, 
sie habe viel gegen sich, die letztere sei sine dubio probabilior. 
Aber er wolle nicht entscheiden, denn seine Sache sei nur, ßdem 
adversus hacreticos propugnare. Das ist echt römisch ; die Wahr- 
heit steht ihm selbst nicht fest, aber gegen die Lutheraner will 
er streiten unter dem Vorgeben, sie verwürfen die Wahrheit. 

Was die anderen Kirchen anlangt, so stehen sie ent- 
weder gegenüber der Frage bezüglich der alttestamentlichen 
Sakramente ganz indifferent (Sozinianer, Arminianer, Ana- 
baptisten), oder wenn sie irgendwie die sakramentliche Würde 
der Beschneidung und des Passahlammes anerkennen, so redu- 
ziert sich diese Anerkennung doch wieder auf Null wegen ihrer 
falschen Grundansicht von der Wirksamkeit der Sakramente über- 
haupt. So die Kalvinisten. Calvin sagt : 8 In eundem , 
in quem nostra nunc intendunt , scopum et vetera illa spectarunt , 

nefnpe ut ad Christum dirigerent, aut ipsum potius ceu 

hnagines repraesentarent , womit schon die Entleerung des Sakra- 
ments überhaupt angezeigt ist; und es will also nicht viel sagen, 
wenn er die Scholastiker verwirft, als die mit ihrer Lehre, daß die 
alttestamentlichen Sakramente nur gratiam adumbrarent, die neu- 
testamentlichen aber gratiam praesentem conferant, sich der Gott- 
losigkeit schuldig machen. 

8 Jnstit, Ub . IV, cap . XIV , 20-23, tom . II, p, 362 sq. 


§ 64 - 

Das Sakrament der Taufe. 

(De baptismo.) 

LEHRSATZ: 

Die Taufe ist die von Gott eingesetzte Handlung , in ivelcher ein 
Sünder im Namen des Vaters , des Sohnes und des Heil 


§ 64. Das Sakrament der Tarife 


‘75 


Geistes ins Wasser getaucht oder mit Wasser besprengt wird , 
damit er also zvieder geboren und der Vergebung der Sünden 
und des ewigen Lebens teilhaftig werde. 

PUN KT I. 

Das Wort „taufen” ist vom Sakrament im eigentlichen und zu- 
gleich ganz besonderen Sinne gebraucht. 

Anmerkung : Das Wort taufen kommt von „teufen, tief 
machen, tauchen.” Die Ableitung, die Gerhard 1 vorschlägt, 
nämlich von y 3 £p, welches durch Umsetzung der Buchstaben 

bad (Bad) ergebe, hat so wenig Wert wie die von Phavorinus, 
welcher ßairrto fia von irlwrci ro irraia pa f es fällt die Schuld, 
ableitet. Beides ist Wortspielerei. 

Name und Begriff Taufe kommt in der Schrift und 
Kirchensprache in mannigfachen Beziehungen vor. Wir können 
eigentliche und uneigentliche Fassungen un- 
terscheiden. Die uneigentlichen sind teils metaphorische 
(bildliche), z. B. für Kreuz und Martyrium, (Matth. 20, 22; 
Mark. 10, 38; Luk. 12, 50), oder für den Durchgang Israels 
durchs Rote Meer (1. Kor. 10, 2), oder für die Ausgießung des 
Heil. Geistes (Matth. 3, 11 ; Mark. 1, 8; Apg. 1, 5; 11, 16; Luk. 
3, 16) ; teils synekdochische, als wenn z. B. von der 
Taufe Johannis geredet und doch dabei an seine Lehre gedacht, 
und unter Taufe also sein ganzes Amt verstanden ist (Matth. 21, 
25; Mark. 11, 30), womit der öfter gebrauchte Ausdruck baptis- 
mus doctrinae sive luminis analog ist. Mit letzterem ist nicht Heb. 
6, 2 zu konfundieren, wo die doppelte Auffassung gangbar ist, daß 
entweder gemeint ist die Lehre von den verschiedenen Taufen 
(Waschungen), oder die Taufe, bei welcher ein Bekenntnis der 
Lehre erfordert wird.' 

Im eigentlichen Verstände (propria acceptione) wird 
das Wort von wirklicher Waschung, oder Wassertauchung, ge- 
braucht, und zwar im allgemeinen für die mancherlei gangbaren 
Waschungen (Heb. 9, 10; Mark. 7, 4. 8; Luk. 11, 38), im be- 
sondern für das Sakrament der Taufe. 

Die angeführten Unterschiede faßt der bekannte Aphorismus 

I Loci, tont . IX. loc. XXI, cap . /, 5 2, p. 6g. 


76 


§ 64. Das Sakrament der Taufe. 


so zusammen: Baptismus sanguinis (Martyrium), baptismus 
flaminis (Ausgießung des Heil. Geistes), baptismus luminis (Un- 
terweisung), baptismus f luminis (Wassertaufe). 

Typische Benennungen ( appellationes typicae) sind in" 
der Schrift für die Taufe: 

1. Die nicht mit Händen gemachte Beschneidung (Kol. 2, 

“)f 

2. Sintflut (Ps. 29, 10; 1. Pet. 3, 20). 

Wichtiger, weil Quelle für die Lehre, sind die eigent- 
lichen Benennungen der Taufe ( appellationes propriae), näm- 
lich : 

1. solche, die von einzelnen Teilen des ganzen Sakraments 
hergenommen sind, so heißt die Taufe „Wasser” (Joh. 3, 5; 
Heb. 10, 22) ; 

2. solche, welche von den beiden wesentlichen Faktoren der 
Taufe, Wasser und Wort, hergenommen sind : Bad des Worts, 
Wasserbad im Wort (Eph. 5, 26) ; 

3. solche, die vom äußeren Faktor und der Wirkung her- 
genommen sind: Bad der Wiedergeburt, Bad der Erneurung 

(Tit.3,5). 

PUNKT II. 

Die Bestandteile des Tauf Sakraments sind das Wasser und die 
damit geschehenden Handlungen an sich. 

Anmerkung: Die Art des Wassers ist gleichgültig. Nur 
erfordert die Würde des Sakraments die Reinheit des Wassers, 
**sonst aber neben seiner natürlichen Beschaffenheit keine weitere. 
Es ist römisches Fiindlein, daß das Wasser zuvor geweiht werden 
müsse. Indifferent ist es auch, ob die Taufe vollzogen wird durch 
Unte/tauchen oder Besprengen, und ob dies einmal oder dreimal 
geschieht Die Notwendigkeit des Untertauchens ist ein Fündlein 
der Baptisten. 

Eine materia coelestis stellen die älteren Dogmatiker auch bei 
der Taufe nicht auf. Sie lehren zwei Hauptbestandteile der 
Taufe, nämlich Wasser und Wort, sowohl das Wort der Einset- * 
zung, als auch der Verheißung. In bezug auf diese Lehrweise ist 
schon zuvor gesagt, daß mit Hutter und B a i e r vorzuziehn 
ist, das Wort nicht als Bestandteil der Taufe zu bezeichnen. Das 



§ 64. Das Sakrament der Taufe. . 7 ? 

Wort ist ja der Faktor, der das Wasser zum Sakrament macht. 
Baier nimmt von der Aufstellung einer materia coelestis darum 
Abstand, weil die Meinungen der Dogmatiker davon so verschie- 
den wären. Geredet hat man von einer materia coelestis seit 
dem Mömpelgarter Kolloquium. Beza brachte die Sache auf, 
und wollte das Blut Christi als wesentlichen Teil der Taufe be- 
trachtet haben. A n d r e ä widersprach und wollte allenfalls 
(si ita loqui licet) den Heil. Geist oder die ganze Trinität als 
Bestandteil der Taufe annehmen. Aeg. Hunnius bezeichnet 
den Heil. Geist als Bestandteil, doch sieht er ihn immerhin nicht 
in demselben Sinne als Materie an wie das Wasser. Hafen- 
r e f f e r nennt als substantielle Teile der Taufe Wasser und 
Wort, letzteres sogar, was inkorrekt ist, als das Wesen, weil es 
das Wasser zur Taufe mache. Von einer himmlischen Materie 
im eigentlichen Sinne schweigt er. L e o n h . Hutter tritt 
zuerst entschieden für das Blut Christi als Bestandteil der Taufe 
ein. Er führt vier verschiedene Meinungen über die himmlische 
Materie an. Etliche verständen darunter das Wort, was falsch 
sei, denn das Wort sei nicht Bestandteil der Taufe, sondern 
schaffendes Prinzip. Andere verständen darunter den Heil. 
Geist, wieder andere das Blut Christi, noch andere letztere beide 
zusammen. Das Richtige sei, das Blut Christi für die materia 
coelestis zu erklären. Förster verwirft die Bezeichnung des 
Blutes Christi als materia coelestis . Die Schrift nenne Wasser und 
Wort als Bestandteile, aber vom Blut Christi sage sie nichts, auch 
Luther nicht. Und wo die Schrift nichts setze dürfen wir nichts 
setzen. Was den Heil. Geist anlange, so gehöre er zum Bestände 
des Sakraments der Taufe, sofern sie ohne ihn nicht sei, aber Be- 
standteil in materieller Weise wie das Wasser sei er nicht. Dafür 
sei schon Beweis genug, daß Heuchler doch den Heil. Geist als 
Pfand der Kindschaft in der Taufe nicht empfingen, während 
sie im Abendmahl die materia coelestis , nämlich Leib und Blut, 
gewiß empfangen. Folglich könne in der Taufe der Heil. Geist 
nicht analog dem Leib und Blut Christi im Abendmahl als eine 
materia coelestis gesetzt werden. So hätten auch die Leipziger 
Professoren gelehrt. Joh. Gerhard lehre wohl in den Aphoris- 
men über die Taufe, daß nach den Einsetzungsworten die Trinität 
in der Taufe gegenwärtig sei und daß auch der Gottmensch nebst 


r 


78 ’§ 64. Das Sakrament der Taufe. 

seinem Blut nicht von der Taufe ausgeschlossen sei, doch den 
Ausdruck materia coelestis wende er nicht an, auch nicht in de 
baptismo in seinen Loci Hier spreche er von der Materie der 
Taufe, gebrauche aber, wie die Randglosse: Materia , sive ex- 
ternum elementuni zeigt, das Wort „äußeres Element” als gleich- 
bedeutend mit Materie, zeige also, daß er von einer materia 
coelestis im strengen Sinne nicht reden wolle, wie er denn auch 
eine doppelte Materie gar nicht unterscheide. Er spreche freilich 
Ende § 82 von einer res coelestis der Taufe, aber diese bezeichne 
er nie als materia coelestis. Von der Dreieinigkeit sage Gerhard, 
daß sie in der Taufe mit ihrer Gnade gegenwärtig sei, und vom 
Heil. Geist, daß er in und durch das Wasser wirksam handle, ja 
er sage sogar, es sei nicht verwehrt, die heil. Trinität den zweiten 
wesentlichen Bestandteil der Taufe zu nennen, aber nirgends 
sage Gerhard aus, daß etwa die Trinität oder der Heil. Geist 
eine solche besondere Verbindung mit dem Wasser eingehe, daß 
man sagen könne: Der, welcher getauft wird, wird nicht nur 
mit dem Wasser, sondern im eigentlichen Sinne mit dem Heil. 
Geist übergossen. Quenstedt sage : Materia, ex qua constat 
hoc sacramentum, est res terrena et coelestis , Res coelestis est 
totQ, sancta trinitas , Matth . 28, 19. B a i e r entscheide sich da- 
hin, man schweige am besten von einer materia coelestis in der 
Taufe, da eine solche doch einmal aus der Schrift nicht zu er- 
weisen sei. Auch Schertzer sage ganz recht, der Begriff 
materia coelestis sei hier nicht in philosophischer Schärfe zu 
nehmen, sondern in weiterem Sinne, gleich res coelestis , denn 
streng genommen könne weder Geist, noch Trinität, noch Wort 
als Materie bezeichnet werden* Das Interesse vieler unserer Dog- 
matiker bei dem Eifer für eine materia coelestis in der Taufe ist 
jedenfalls dies, daß nicht im Abendmahl die materia coelestis , Leib 
und Blut Christi, geleugnet werde unter dem Prätext, daß Leib 
und Blut Christi unwesentlich sei und nicht wesentlich zum 
Abendmahl gehöre, denn sonst würde Gott auch in der Taufe eine 
materia coelestis gesetzt haben. 

Es ist richtig, daß Wort, Geist lind Trinität sofern zum Be- 
stände der Taufe gehören, als sie sonst nicht wäre, aber als Ma- 
terie im wahren Sinne kann keins der drei bezeichnet werden. Es 
ist richtig, daß die Schrift nirgends klar das Blut Christi als ma- 


§ 64. Das Sakrament der Taufe. 79 

teria coelcstis der Taufe bezeichnet. Es ist auch nicht zu er- 
warten, weil ja sonst in beiden neutestamentlichen Sakramenten 
dieselbe materia coelcstis wäre. Daß die Schrift nicht klar die 
materia coelestis bezeichnet, fühlen unsere Dogmatiker, die eine 
solche annehmen, wohl. Man merkt es Q u e n s t e d t 1 ab. In 
der Anmerkung zu seiner These sagt er: Die irdische Sache, 
oder Materie, ist das Wasser; dann aber: Die himmlische, un- 
sichtbare Sache ist die Trinität. Man merkt ihm ab, wie er 
sich bewußt ist, daß von einer materia coelestis nicht mit vollem 
Recht geredet werden und am wenigsten die Trinität so bezeich- 
net werden kann. Eine gute Relation über die ganze Lehrfrage 
gibt übrigens Quenstedt, und einen Versuch, die mancherlei An- 
sichten zu harmonisieren, Gerhard . 2 Er schließt aber doch 
diesen Versuch mit der Bemerkung ab, daß die bedeutendsten 
Theologen mit vollem Recht sagten, daß man im wahren Sinne 
des Worts das Blut Christi nicht einen materiellen Bestandteil der 
Taufe nennen, also nicht analog der Waschung mit Wasser eine 
Waschung mit Blut setzen dürfe, denn dazu würden die Einset- 
zungsworte kein Recht geben. 

Aus den verschiedenen Meinungen über eine materia coelestis 
in der Taufe setzte sich schließlich ziemlich allgemein der Lehr- 
typus fest, daß als solche die Trinität und per appropriationem 
der Heil. Geist zu verstehn sei, womit aber sofort die Erklärung 
verbunden wurde, daß das Wort materia aber nicht im strengen 
Sinne des Worts, sondern nur analogice gebraucht sei. 

Wir lassen aber unserseits mit Baier den Begriff der materia 
coelestis bei der Taufe ganz fallen und beschränken uns 
darauf das Wasser und die damit geschehenden Handlungen an 
sich als Materie der Taufe zu setzen. 

PUNKT III. 

Das Wesen (forma) der Taufe besteht darin , dass ein Mensch 
unter Rezitation der E inse tzu ngsworte oder Taufformel ins 
Wasser getaucht , resp . mit Wasser besprengt ztnrd, und diese 
Eintauchung oder Besprcngung auch annimmt 
Ayxmerkung: Das Wort kommt zum Element, zur Materie; 
und es wird Sakrament. Das Wort is hier das Einsetzungswort, 

1 TheoL did. pol , pars IV, cap. V, sect. 1 , thes. VI, p. 109. 

2 Loci, tont . IX, loc. XXI, cap . V, § 79-86 f p. 131 tf. 


80 


§ 64. Das Sakrament der Taufe. 


genauer die Taufformel. Sie kommt zur Materie, d. h. dem Wasser 
und den damit geschehenden Handlungen an sich, und formiert 
(format) damit die Materie und bewirkt das Sakrament Wo also 
eins, das Element oder die Handlungen an sich, die Besprengung 
sowohl als verrichtete wie empfangene, und der Vollzug der 
Handlungen unter Rezitation des sakramentlichen Wortes fehlt, 
da ist das Wesen der Taufe nicht und ist auch keine Taufe voll- 
zogen. Gerhar d:V Forma baptismi in actione consistit, vide- 
licet in mcrsione hominis baptizandi in aquam , sive, quod perinde 
est , in affusione aquae, ac deinde in recitationc verborum insti - 
tutionis: Ego te baptizo in nomine Patris, Filii et Spiritus sancti, 
ut in Universum tres I substantiales baptismi partes sint statuendae , 
quae non possunt divelli aut mutari , scilicet aqua , verbum ct actio, 
quae complectitur mersionem hominis in aquam , vel aquae ad- 
spersionem , et recitationcm verborum: Ego te baptizo in nomine 
Patris , Filii et Spiritus sancti. Quod baptismi forma consistit in 
actione, patet ex generali illo theorematc superius comprobato, 

sacramentorum formam in actione consistere Non sufficit, 

invocari nomen Patris, Filii et Spiritus sancti super aquam bap- 
tismi, sed requiritur etiarn, ut homo in aquam mergatur , sive aqua 
perfundatur ; vicissim non sufficit, hominem in aquam mergere, 
vel aqua perfundere, sed requiritur, ut hoc hat in nomine Patris, 
Filii et Spiritus sancti. Fast wörtlich Quenstedt : 1 2 Forma 
baptismi consistit tum in hominis baptizandi in aquam immer sione, 
sive, quod perinde est, in aquae affusione, cum repetitione ver- 
borum institutionis conjuncta, tum in sive receptione aquae 

affusac seit aspcrsac. 

Aus den gegebenen Bestimmungen über das Wesen der Taufe 
folgt nicht, daß verschiedene Handlungen, die im 
Laufe der Zeit mit der Taufe verbunden waren, nicht auch 
heute damit verbunden werden könnten. Nur gilt dies, daß sie 
nicht dürfen wider die Schrift sein und daß ihnen nicht Not- 
wendigkeit beigelegt wird. Unter den mit der Taufe verbundenen 
Zeremonien hat sich namentlich der Exorzismus erhalten. 
Die Papisten geben ihn für eine apostolisch eingesetzte und tat- 
sächlich wirksame Zeremonie aus; unsere Kirche hat ihn je nur 

1 Loci tom. IX, loc . XXI, cap . VI, § LXXXVIII, p. 137 . 

2 Thcol. did. poi, pars IV, cap. V, sect. I, thes. VII, p. in. 


§ 64. Das Sakrament der Taufe. 


* Bl 


für eine menschlich eingesetzte Zeremonie mit symbolischer Be- 
deutung erklärt Gerhard ermahnt, den Exorzismus nicht zu 
einem wesentlichen Teil der Taufe zu machen und nicht als seine 
Voraussetzung eine körperliche Besessenheit des Kindes durch 
den Argen zu setzen, denn er solle doch eben nur symbolisch die 
geistliche Gefangenschaft des Kindes im Reiche des Argen 
ausdrücken. Gerhard ist überhaupt mit Recht dem Exorzismus 
sehr abgeneigt. 

Im Anschluß an die Erklärungen über das Wesen der Taufe 
behandeln unsere Dogmatiker die vielbesprochene Frage, ob die 
Taufe Johannis wesentlich von der durch unsern Herrn 
Christum eingesetzten Taufe verschieden sei. Gerhard 
und andere stellen die Frage so: 

1. Ob der Art nach ( specie ) beide Taufen ein und dieselbe 
waren, 

2. ob sie dieselbe Wirkung haben, 

3. ob ein mit der Taufe Johannis Getaufter die Taufe Christi 
habe entbehren können. 

Die Fragen werden bejahend beantwortet. Das ist der 
Schrift gemäß, denn : 

1. beide Taufen haben dieselbe causa efficiens, nämlich Gott. 
Nicht aus eigner Gewalt und eignem Rat, sondern aus gött- 
lichem Aufträge taufte Johannes (Matth. 21, 25; Luk. 20, 4; 
besonders Luk. 3, 2. 3). Der Ursprung beider Taufen ist also 
gleich. 

2. Beide Taufen enthalten dieselbe Materie. 

3. Beide Taufen haben dieselbe geistliche Wirkungskraft, 
efficacia spiritualis (Mark. 1, 4; Luk. 3, 3). Die Taufe Johannis 
war zur Vergebung der Sünden. Sie war Bußtaufe, aber in dem 
Sinne von Buße, der den Glauben an den Erlöser mit begreift 
(Matth. 3, 7; Luk. 3, 7; vergl. Apg. 19, 4). In den genannten 
Stellen wird die Taufe Johannis ja hingestellt als Mittel, dem 
zukünftigen Zorn zu entgehn, wird also als Gnadenmittel bezeich- 
net. Als solches sanktioniert sie auch der Herr Joh. 3, 5. Als 
der Herr die Worte sprach: „Es sei denn, daß jemand geboren 
werde aus dem Wasser und Geist, ?o k?nn er nicht in das Reich 
Gottes kommen,” war ohne Zweifel die heutige Form der Taufe 
noch nicht vorhanden; vergl. Matth, 28, 19. Die Taufe Johannis 


82 


§ 64. Das Sakrament der Taufe. 


zur Buße auf Christum entspricht der Zeit bis zur Himmelfahrt 
In dieser Zeit ist er der erst nachher ist es der Geist. 

Daher ist erst nachher die volle Trinität in der Taufformel. 
Es ließe sich so vielleicht auch klar machen, warum nach 
Christi Auffahrt das Taufen auf seinen Namen allein be- 
anstandet wurde, weil es nämlich der nun geltenden und göttlich 
gesetzten Form nicht entsprach. Freilich, wenn eine Person 
genannt ist, so sind alle drei genannt; aber wenn bei der Taufe 
nur eine Person genannt würde, so würde das doch der von Gott 
selbst gesetzten Form nicht entsprechen. Aus den eben aus- 
geführten drei Punkten ist klar, daß an der Identität der Taufe 
Johannis mit der Taufe Christi kein Zweifel sein kann, wenn wir 
auch die von Johannes gebrauchte Taufformel nicht nachweisen 
können. Bellarmin behauptet, Johannes habe überhaupt keine 
Taufformel gehabt. Das ist absurd. Die Taufe Johannis kann 
doch nicht eine stumme Zeremonie gewesen sein. 

Unsere Dogmatiker bestreiten übrigens nicht, daß manche 
Personen nach empfangener Johannistaufe auch noch die von 
Christo eingesetzte empfangen haben. Sie bestreiten aber mit 
Recht, daß nach Empfang der ersten doch noch die zweite not- 
wendig gewesen wäre. Eine Stelle der Schrift, die oft ange- 
führt wird als Beweis dafür, daß solche, die bereits die Johannis- 
taufe empfangen hatten, nochmals selbst von den Aposteln ge- 
tauft wurden und also damit die Apostel die Taufe Johannis nicht 
für v o 1 1 s t an dig genügend hielten, ist Apg. 19, 1-5. Es 
handelt sich besonders um die Worte V. 5 : ,,Da sie das hörten, 
ließen sie sich taufen auf den Namen des Herrn Jesu/' Es wer- 
den diese Worte von manchen aufgefaßt als Worte Pauli, von 
andern, und zwar von denen, die obige Meinung vertreten, als 
Worte Lucä. Gegen letztere Fassung, daß dies Worte Lucä sind 
und damit berichtet wird, daß Paulus nochmals solche getauft, 
die schon die Johannistaufe empfangen hatten, spricht folgendes : 

1. Hat Paulus wirklich diese zwölf Jünger zu Ephesus auf 
den Namen Christi getauft, so erklärt er damit, daß sie in der 
Johannistaufe nicht auf den Namen Jesu getauft worden waren. 
Damit aber würde sich Paulus in Widerspruch setzen mit dem, 
was die Evangelisten über die Johannistaufe berichten und was 
vor allen Christus selbst von derselben bezeugt, da er sie das 



§ 64. Das Sakrament der Taufe. 


83 


Bad der Wiedergeburt (Joh. 3, 5, welche Worte sich doch auf 
die damals vorhandene Taufe Johannis beziehen) nennt 

2. Dann würde sich Paulus auch in Widerspruch mit sich 
selbst setzen, da er doch selbst von Johannes bezeugt, daß seine 
Taufe die Taufe zur Buße war, die nicht etwa nur zur Buße ver- 
pflichtete, wie etliche meinen, sondern Buße wirkte und zwar in 
dem Sinne, daß sie den Glauben an Christum einschließt. 

3. Und welch ein Unsinn ergäbe sich bei dieser Fassung! 
Paulus bezeugt; Ihr seid Jünger, ihr seid gläubig worden, ihr 
habt die Taufe Johannis zur Buße empfangen, die auch den 
Glauben wirkt an Jesum Christum, wie der Herr selbst sie als 
Bad der Wiedergeburt bezeichnet ; ihr seid auf Christum getauft. 
Und das alles bewirkt, daß sie sich nun auf den Namen Christi 
taufen lassen. Das reimt sich nicht. 

Es ist somit verwehrt, diese Worte in V. 5 als einen Bericht 
Lucä zu fassen; und damit fällt hin, was auf diese Worte gebaut 
wird. Die Worte V. 5 sind Worte Pauli. Der Sinn ist : Johan- 
nes taufte zur Buße. Die zu ihm kamen und sich von ihm wollten 
taufen lassen, denen predigte er zuerst Jesum Christum. Und die 
es hörten, ließen sich auf Christum taufen. Es sind diese Worte 
ein Zeugnis für die Taufe Johannis als eine rechte, genügende 
und wirksame Taufe. 

Unsere Dogmatiker behaupten nicht, daß ihre Lehre von 
der Taufe Johannis ein notwendiger Glaubensartikel 
( simplex articulus ßdei) sei, dessen Bestreitung die Seligkeit ge- 
fährde. Hierzu muß aber doch gesagt werden, daß die Gestalt 
der Lehre über die Johannistaufe gewiß nicht für eine Sache der 
Indifferenz gelten kann. Ist von der Johannistaufe die göttliche 
Einsetzung, die göttliche Ordnung ihrer Gestalt, die göttliche 
Wirkungskraft aus der Heil. Schrift so klar, wie es in der Tat 
der Fall ist, so ist es doch sehr bedenklich, die Lehre von dieser 
Taufe für indifferent zu halten, oder sie von der Taufe Christi 
wesentlich unterscheiden zu wollen. 

Da die Taufformel das Wesen der Taufe macht, so ist selbst- 
verständlich die Frage nach ihrem Sinn wichtig. Nach Ger- 
hard besagt die Taufformel : 

1. daß die Taufe von Gott sei, und daß der Pastor nicht aus 
eigner Gewalt, sondern im Auftrag und an Stelle Gottes handle; 



84 


§ 64. Das Sakrament der Taufe. 


2. daß der dreieinige Gott selbst durch seinen Namen mit 
seiner Gnade gegenwärtig sei, so daß die Formel : Ich taufe dich 
im Namen des Vaters, Sohnes und des Heil. Geistes besagt: Ich 
bezeuge, daß du durch dieses Gnadensakrament aufgenommen bist 
in den Bund Gottes, daß Gott dich von deinen Sünden wäscht, 
dich zu seinem Kind und Erben macht; 

3. daß der Täufling durch die Taufe verpflichtet sei, den 
dreieinigen Gott nach seinem Wort zu verehren und unter Christi 
Fahne gegen Teufel, Sünde und Fleisch zu kämpfen. 

Ein wenig zu äußerlich bleibt diese Erklärung in Punkt 2; 
und Punkt 3 gehört, soweit es das Sakrament betrifft, überhaupt 
nicht hierher, sondern die Worte besagen da nur, daß die Taufe 
Gnadenmittel zur Vergebung der Sünden sei. Sofern die Taufe 
Gnadensakrament ist, und das ist sie in erster Linie und vornehm- 
lich, muß die aus derselben folgende Verpflichtung von derselben 
und so von der Taufformel fern gehalten werden, um nicht den 
Trost der Taufe zu gefährden. Empfängt man die Taufe ebenso 
wesentlich als Verpflichtung wie als Gnade, so nimmt man den 
vollen Trost durch Vermischung von Gesetz und Evangelium fort. 
Luther verfährt auch nicht nach der Aufstellung von Gerhard im 
Kleinen Katechismus. 

Es knüpft sich an die Taufformel die Frage, ob durch Ver- 
änderung derselben die Gültigkeit der Taufe auf höre oder 
nicht. Papst Nikolaus I. (858 — 867) hielt in seinem Antwort- 
schreiben an den Fürsten Boris von Bulgarien, der Anschluß an 
Rom gesucht hatte, es nicht für eine falsche Taufe, wenn man auf 
die Trinität ohne Nennung der Namen getauft würde. Nun geben 
auch lutherische Theologen (Balduin u. and.) zu, daß bei so 
veränderter Taufformel dem Wesen der Taufe nichts abge- 
hen würde, aber mit Recht erklären sie es auch für sträfliche 
Verwegenheit, von der vom Herrn gegebenen Taufformel irgend- 
wie abzuweichen. Freilich haben wir in der Schrift selbst Matth. 
28, 19: Bi? ro ovofia rov -trarpos Kal roi) viov Kat rov aytov 
•irvtvp.0. ros, also eigentlich nicht im Namen, sondern in den 
Namen. Sonst findet sich, wenigstens von der Taufe auf Chri- 
stum, die Form: ’E*-! tw 6 vopjart Ttjo-ov Xpurrov (Apg. 2, 38), 
aber auch wieder Apg. 8, 16: Et? to ovopua. rov tcvptov *1 yvov. 
Wir sehn daraus, daß die Form „im Namen ,, gerechtfertigt ist, 


§ 64. Das Sakrament der Taufe. 


86 


denn das cts Matth. 28, 19 schließt sowohl das „auf Geheiß” wie 
auch das „zur Einleibung in ihn” ein, sagt beides, daß Gott selbst 
eigentlich der Taufende ist und daß er in der Taufe in seine Ge- 
meinschaft versetzt. Der Zusatz „Gottes” zu den Namen der drei 
Personen, einmal oder dreimal, ist ungehörig. Wir sind nicht 
berufen, Gottes Wort zu vervollständigen oder zu verbessern. 

Im Anschluß an das Wesen der Taufe ist auch die Frage 
zu beantworten, ob Ketzertaufen anzuerkennen sind oder 
nicht. Die Antwort lautet: 

1. Die Taufen derjenigen Sekten sind anzuerkennen, welche 
das Wesen der Taufe haben, also das Wasser, die Handlung da- 
mit, und das Wort, in welches die Handlung gefaßt ist, und zwar 
dieses Wort seinem Wesen nach, das ist die göttliche Wahrheit 
vom dreieinigen Gott enthaltend. Papisten, Kalvinisten haben 
trotz schwerer Irrtümer sonst doch dies Wesen der Taufe; und 
ihre Taufe ist also anzuerkennen. 

2. Die Taufen derjenigen Sekten sind nicht gültig, welche 
das Wesentliche der Taufe nicht haben, also entweder nicht das 
äußere Element (z. B. die Manichäer tauften nicht mit Wasser, 
das sie für ein Erzeugnis Satans hielten), oder nicht die richtige 
Taufformel (die Arianer hatten die Formel: Ich taufe dich im 
Namen des Vaters, des wahren Gottes, des Sohnes, des Erlösers, 
und des Geistes, des Dieners beider), oder nicht den trinitarischen 
Glauben haben (Antitrinitarier, Unitarier, Universalisten, Swe- 
denborgianer, freie und sogenannte protestantische Gemeinden). 

PUNKT IV. 

Der Zweck der Taufe ist Zueignung und Besiegelung der selig- 

machenden Gnade. 

Anmerkung: — Der formale, adäquate Zweck (Unis formalis 
et adaequatus) der Taufe kann kein anderer sein als der des 
Wortes, nämlich selig zu machen durch die Gnade, sowohl schon 
hier in der Zeit, wie auch ewig. Dies sagen deutlich aus die 
Stellen: Joh. 3, 5 ff. ; Tit. 3, 5; Mark. 16, 16; 1. Pet. 3, 21. So 
Luther 1 : „Darum fasse es aufs allereinfältigste also, daß dies 
der Taufe Kraft, Nutz, Frucht und Ende sei, daß sie selig mache.” 
Kleiner Katechismus: „Sie wirkt Vergebung der Sün- 


1 Großer Katechismus, IV, 24, S. 488. 


86 


§ 64. Das Sakrament der Taufe. 


den, erlöset vom Tod und Teufel und gibt die ewige Seligkeit.” 
Nun nennt ja aber Tit. 3, 5 die Taufe „Bad der Wiedergeburt und 
Erneuerung im Heil. Geist,” also die Wiedergeburt als Zweck, 
womit Joh. 3, 5 und I. Kor. 12, 13 Übereinkommen ; und wieder- 
um Apg. 2, 38 ; 22, 16 zeigen die Vergebung der Sünden, mithin 
die Rechtfertigung als Zweck, womit wieder Gal. 3, 27 ; Eph. 5, 
26; Tit 3, 7; 1. Pet. 3, 21 übereinstimmen. Damit nennt die 
Schrift einen zweifachen mittleren Zweck, der nur zur Er- 
reichung des ersteren, der Seligkeit und des Eintretens in das 
Reich der Gnade, oder in den Stand der Kindschaft, dient ; denn 
nicht, daß wir neue Kreaturen sind, sondern daß wir selig sind, 
ist der letzte Zweck Gottes mit der ganzen Erlösung. Und um 
selig zu sein, muß man Vergebung der Sünden, die Rechtferti- 
gung, haben; um dieser teilhaftig zu werden, muß man wieder- 
geboren sein, d. h. mit Glauben begabt sein. Die Entzündung des 
Glaubens aber ist formaliter die Wiedergeburt. Somit ist der 
Lehrsatz ganz schriftgemäß, daß der formale Zweck der Taufe, 
dem noch weitere Zwecke dienen, z. B. Wiedergeburt und Recht- 
fertigung, sei, die Gnade und damit die Seligkeit zuzueignen. 

Ebenso schriftgemäß ist es, daß der Zweck der Taufe die 
Besiegelung der zugeeigneten Gnade und Seligkeit in der 
Gnade sei. Dies sagen durch Analogie Röm. 4, n und 1. Pet. 
3, 21. Denn daß die Taufe der Bund eines guten Gewissens mit 
Gott sei, sagt, daß sie in einen Bund stellt, wo ein gut Gewissen, 
d. h. das gewisse Bewußtsein von der Versöhnung und Frieden 
mit Gott ist. 

Die Darstellung unserer Dogmatiker ist dem eben Gesagten 
analog, doch nur, wenn man sozusagen die Darstellungen einer 
Anzahl von ihnen zusammenfaßt. Sie stellen z. B. den Zweck 
unvollkommen dar, oder werfen von vornherein Zweck, Wirk- 
samkeit, Wirkung und Frucht zusammen. Hafenreffe r 2 
antwortet auf die Frage: Qui sunt baptismi fructus et etfectusf 
so: Regeneratio et remissio peccatorum , Joh. 3, 5; Tit. 3, 5; 
Marc . r, 4; Luc. 3, 3; Act. 2, 38; 22 } 16; Eph . 5, 26; salus et 
omniuni beneßciorum Christi , cui per baptismum inserimur, par- 
ticipatio, Tit . 3, 5; 1. Pet. 3, 21; Rom. 6 , 3; Gal. 3, 27 ; /. Cor . 


2 Loci, 600 sq. 


§ 64. Das Sakrament der Taufe. 


87 


12, 13, bona conscientia erga Deum seu certitudo Adei de remis - 
sione peccatorum, 1. Pet . 3, 21; 2, Cor . 1, 21, -et vitae novitas, 
Rom. 6, 3; Col. 2, 11. Gerhard sagt 3 : Baptismus est divinum et 
salutare medium atque organum, per quod fota sacrosancta Trini- 
tas efficaciter ad salut em hominis operatur . Quamvis autem varii 
ac multiplices sint baptismi eifectus, eos tarnen omnes secuti apo- 
stolum Tit. 3, 5 ad haec duo capita revocabimus, quod baptismus 
sit lavacrum regenerationis et renovationis. Unter letzterem ver- 
steht er die Heiligung. Es kann nicht ratsam erscheinen, diesen 
Lehrtropus sich anzueignen, denn: 

1. wenn Tit. 3, 5 Gott uns nicht um der Werke willen, son- 
dern nach seiner Gnade durch das Bad der Wiedergeburt und 
Erneuerung selig macht, so kann die ava#caivw<ris nicht die 
renovatio im Sinne von Heiligung sein. 

2. Wenn V. 7 die Gerechtigkeit und Rechtfertigung und 
das Erben der Seligkeit mit V. 5 durch Vermittlung von V. 6 in 
engsten Zusammenhang gebracht werden, so kann abermals die 
avaKatvüxrts nicht die renovatio im Sinne von Heiligung sein. 

Luther versteht auch, wie der Kleine Katechismus zeigt, 
Tit. 3, 5 nicht wie Gerhard. Selbstverständlich folgen wir ganz 
Luther darin, daß die Taufe für uns die tägliche Heiligung be- 
deutet und dieselbe zur Frucht hat (Rom. 6, 3 ff) . 

Ziemlich nahe berührt sich die obige Darstellung vom Zweck 
der Taufe mit der Darstellung Quenstedts, welcher wie 
gewöhnlich einen Unis summus (nämlich absolute Gottes Ehre, 
secundum quid die Seligkeit) und Anis intermedius hat. Dieser 
soll aber sonderbarerweise als primarius die Verleihung des Heils 
an die Kinder sein, und als secundarius der Unterschied der 
Christen von andern Menschen. So bringt Quenstedt die Wie- 
dergeburt und Rechtfertigung, welche doch reichlich in der 
Schrift als Zweck der Taufe bezeichnet werden, nicht unter. 
Diese als Anis intermedius zu bezeichnen, ist korrekt. 

Wenn die Taufe soll ihrem höchsten Zweck nach selig ma- 
chen, und behufs dieses Zweckes auch die Wiedergeburt und 
Rechtfertigung schenken, so muß sie dazu auch die Kraft 
( efficacia ) haben. So steht mit dem Zweck in engster Verbin- 


8 Loci , tont. IX t loc. XXI , cap. VII, § CI, p. 148. 


88 


§ 64. Das Sakrament der Taufe. 


düng die Kraft der Taufe. Wir handeln demgemäß im folgenden, 
indem wir dem Zweck und die Wirksamkeit zusammenfassen. 
Da ist der Hauptzweck dieser, daß die Taufe ein wirksames 
Mittel der Wiedergeburt ( medium regenerationis) sei. 
Dies lehren unmittelbar Joh. 3, 5 ; Tit. 3, 5. Daß erstere 
Stelle von der Taufe rede, geben auch durchgängig die neueren 
Exegeten zu. Eine gute Bestätigung gibt auch die Leugnung 
Calvins mit seiner ihm allein zu Gebote stehenden lächerlichen 
Begründung, Wasser sei hier symbolischer Ausdruck für Geist, 
und durch Wasser und Geist heiße: Durchs Wasser, nämlich 
durch den Geist. Mittelbar erklären die Taufe als Mittel 
der Wiedergeburt: 

1. Gal. 3, 25 — 27. Da wir durch die Taufe Christum anzie- 
hen, so wird in der Taufe der Glaube geschenkt, dessen Schen- 
kung ja die Wiedergeburt ist. 

2. Apg. 2, 38; 22, 16; Eph. 5, 26. Die Taufe gibt Verge- 
bung; aber von der Sünde erlöst sein heißt in ein neues Leben 
wiedergeboren sein. 

3. 1. Pet. 3, 21; Gal. 3, 26. 27; Mark. 16, 16; Tit. 3, 5. 
Nach diesen Stellen versetzt die Taufe in den Gnadenbund, in 
die Kindschaft Gottes, in die Anwartschaft des ewigen Lebens, 
wie sie aus dem Reiche Satans herausreißt. Damit aber erklären 
diese Stellen die Taufe als wirksames Mittel der Wieder- 
geburt. 

In Antithese zu der schriftgemäßen Lehre der lutheri- 
schen Kirche von der Taufe als wirksamem Mittel der Wieder- 
geburt stehen alle andern Kirchen, die römische Kirche teil- 
weise. Sie lassen durch die Taufe aufgehoben sein die Erb- 
sünde als wirkende Kraft ( secundum materiam) und zwar 
g a n z, so daß in dem Getauften die Erbsünde, die concupiscentia , 
nicht mehr wahrhaft Sünde ; ferner die Schuld der Erbsünde, also 
die Erbsünde secundum reatum , aber nicht die Schuld der aktuel- 
len Sünde. 

Die Kalvinisten stehen in ganzer Antithese. Die 
Taufe ist ihnen nur Symbol der Wiedergeburt. Heppe 4 : „Die 
Gnadengüter werden durch die Taufe demjenigen, welchem die- 


4 Dogmatik der evang.-ref. Kirche, S. 444 f. 


§ 64. Das Sakrament der Taufe. * fc9 

selbe ordnungsmäßig gespendet wird, nicht bloß sinnbild- 
lich, sondern auch unterpfändlich dargestellt und ver- 
siegelt .... Die Taufe ist nicht ein Mittel und Quell des Heils, 
sondern nur eine Besiegelung desselben.” So Joh. H e i d e g- 
ger 5 : Haec beneßcia evangelii praest antissima baptismus non 
nude repraesentat , sed in legitimo usu iis, qui baptizantur, ceu ad 
eos ex tenore promissionum foederis gratiae pertinentia obsignat 
et exhibet; at non ut causa inhaerente vel assistente efficiens, sed 
ut sigillum , arrhabo atque pignus certissimunt de iis acceptis vel 
accipiendis ßdem faciens (dann müßte Gott nur die Taufe der 
Erwählten zulassen, denn allein diese empfangen wirklich 
Gnade) . ... Qui error (nämlich der vom opus operatum , wel- 
chen er den Lutherischen andichtet) elementa mundi et creaturas 
gratiae causas faciens ( dieses entweder schrecklicher Mißverstand 
aus Unwissenheit, oder schmähliche Verleumdung wider besseres 
Wissen) sacramenta in idola et magica quaedam carmina com- 
mutat . Cui utinam Augustani (d. h. die Lutheraner) nuncium 
in solidum remitier ent, sacramenta gratiae o-^/xaTa 9 vehicula et 
velut manurn quandam, qua Deus gratiam suam donet , statuentes. 
Es ist wichtig und lehrreich, die Grundsätze anzusehn, aus denen 
die Kalvinisten leugnen, daß die Taufe das medium re generationis 
sei. Calvin 6 : Unde sequitur non ideo baptizari üdelium paren- 
tum liberos , ut filii Dei tum primum fiant , qui antea alieni fuerint 
ab ecclesia, sed sollenni potius signo ideo recipi in ecclesiam , quia 
promissionis beneficio jam antea ad Christi corpus pertinebant. 
Weil also schon durch die Verheißung ohne jegliches zueignendes 
Mittel die Kinder bereits zum Leibe Christi gehören (vgl. Joh. 
3, 6), darum kann die Taufe eben nicht mehr die Bedeutung 
eines Mittels der Wiedergeburt haben. Wie doch immer die Kal- 
vinisten sich selbst widerlegen und ihre Lehrsätze sich gegen- 
seitig aufheben machen müssen. Während sie uns Lutheranern 
andichten, daß wir die Taufe zu einem opus operatum machen, 
machen sie nun i n d e r T a t die Verheißung zu einem ex opere 
operato wirkenden Zaubermittel, denn sie macht ohne Aneig- 
nung seitens der Kinder (denn daß die Kinder glauben, leugnen 
die Kalvinisten ja ausdrücklich) schon als nur gegebene die- 

5 Corp. theol. christ., XXV, 42, bei Heppe, a. a. O., S. 449. 

6 Institutiones Üb. IV, cap. XV, 8 22, tom. II, p. 378. 



90 


§ 64. Das Sakrament der Taufe. 


selben zu Gliedern der Kirche. Den wichtigsten Grundsatz aber 
spricht namentlich derselbe Heidegger an der eben zitierten Stelle 
aus: Apostolus (Rom. 8, 29. ja) causas salutis edisserens , nec 
‘baptismi nec illius sacramenti alterius meminit. Nam electos 
glorißcari asserit. Atqui constat , plures baptizatos nec electos 
esse nec glorißcari, nt plures non baptizatos tum electos esse tum 
certo glorißcari Altiores longe salutis causae et media , quam 
res terrestres et elementa sunt aeterna praecognitio , praedesti - 
natio etc. Da freilich kann ja die Taufe nur leeres Zeichen für 
das sein, was die Erwählten ganz ohne dieselbe haben. An 
den Getauften, aber nicht Erwählten, kann ja Gott nicht ernstlich 
und tatsächlich etwas zum Heil gewirkt haben. Taufe, über- 
haupt jedes Sakrament, muß ein leeres Zeichen sein. Der Satz, 
daß alles an der partikularen Prädestination zum Leben oder zum 
Tode hängt, macht es unmöglich, die Taufe und irgendein Sakra- 
ment als eine kräftige und inhaltsvolle Anbietung und Zueignung 
der gratia universalis zu erklären. Calvins Argumente gegen 
unsere Lehre sind : 

1. Die lutherische Lehre könne nicht anders als ins Was- 
ser eine geistliche Kraft legen, und also das römische opus Opera - 
tum setzen. Dagegen : Wir erklären die Sakramente als wir- 
kungskräftig zum Heil, setzen aber als Bedingung tatsächlicher 
Zueignung und Aneignung den Glauben. Wir anerkennen die 
objektive Kraft des Sakraments, aber auch die subjektive Be- 
dingung des Glaubens, und verwerfen somit das opus operatum 
entschieden. 

2. Die Schrift erzähle von solchen (Apg. 8, 38; 10, 47), 
welche erst wiedergeboren und dann getauft wurden. Also war 
für sie die Taufe nicht Mittel der Wiedergeburt, und ist es also 
auch bei andern nicht. Dagegen: Es ist ein logischer Fehler, 
vom einzelnen aufs Allgemeine zu schließen. Daraus, daß das 
Wort, welches doch wiedergebärende Kraft hat (1. Pet. 1, 23; 
Jak. 1, 18), in dem Falle, daß es dem schon Wieder geborenen 
gepredigt wird, diesem nicht erst die Wiedergeburt zu geben hat, 
wird doch niemand nun schließen (es ist auch ein logischer Feh- 
ler, von intermittierendem effectus auf nicht vorhandene efficacia 
zu schließen), es habe gar nicht die wiedergebärende Kraft (die 
Kalvinisten machen ja tatsächlich auch beim Wort diesen 


91 


§ 64. Das Sakrament der Taufe. 

Schluß). So zwingt auch der gebrachte Schluß durchaus nicht 
zur Leugnung der wiedergebärenden Kraft der Taufe. 

3. Die Schrift erkläre nicht nur, daß die Taufe als Mittel 
zur Wiedergeburt nicht nötig sei, sondern daß sie die Wieder- 
geburt tatsächlich auch nicht wirke. Nicht alle Getauften werden 
wirklich wiedergeboren; folglich hat die Taufe nicht die Kraft 
(Apg. 8, 22 — die Annahme ist, daß Simon getauft war). Der 
Vordersatz ist korrekt, der Nachsatz falsch, ebenso falsch wie 
der, daß das Wort nicht Glauben wirken könne, da nicht alle, die 
es hören, glauben. Gott selbst aber sagt doch : „So kommt der 
Glaube aus der Predigt” (Rom. io, 17). 

4. Das schändliche Leben vieler Getauften ist ein Zeugnis 
gegen die Lehre, daß die Taufe die Wiedergeburt gebe.. Dann 
müßte man auch schließen, daß ein Mann, der erst glaubt, und 
als Gläubiger offenbar ward, nachher aber abfällt und als Gott- 
loser offenbar wird, nie geglaubt haben kann. Man würde mit 
demselben Recht aus dem verderbten Zustand Adams nach dem 
Fall schließen können, daß er niemals könne rein und heilig ge- 
schaffen gewesen sein. Nach streng kalvinistischer Lehre sind die 
von ihnen gemachten Schlüsse darum nicht so insipid, wie sie aus- 
sehen, weil ja die Nichterwählten niemals bekehrt und wahrhaft 
Gläubige sind, wie umgekehrt die Erwählten niemals abfallen 
(daher ihre Not mit Heb. 6, 4, die ausdrücklich sagt, daß ein Gläu- 
biger abfallen und ein Abgefallener wirklich einmal kann geglaubt 
haben). 

Da die wiedergebärende Kraft der Taufe gewiß,, aber doch 
nicht ausschließlich, sondern auch dem Evangelium eignet, so 
fragt sich, wie Wort und Taufe sich zueinander ver- 
halten. Diese Frage beantwortet ganz schriftgemäß Hafen- 
reffer 7 : Tu dicis: Per baptismum nos regenerari, at Petrus id 
verbo tribuit (1. Pet . 1, 23) .... Utrumque verum est. Nam 
et verbo et baptismo regeneramur. Sed baptismus est simul re - 
generationis in oculos incurrens obsignatio . Sed quid? Si quis 
verbo sit regeneratus, anne baptismo quoque opus habet? Ac 
dicine Uli potest baptismus lavacrum re generationis? Utrumque . 
Nam et credentes baptizari debent, nisi necessitatis casu ex du da- 


7 Loci , lib. 111, stat. 111, loc. VI, p. 613 . 



§ 64- Das Sakrament der Taufe. 


tur. Et cum baptizantur , baptismus Ulis vere est lavacrum re- 
generationis, tum quod regenerationem ex verbo mirifico augmen - 
to cumulat, tum quod sacramentalis actio ßdei regenerationem ad 
certitudinem obsignat. Auch beim Wort ist ja die Wirkung, die 
es beständig an den schon Wiedergeborenen wirkt, im Grunde die- 
selbe, die es in der Wiedergeburt übt, nämlich immer Glauben 
im Menschen schaffend. 

Es kann nun von seiten der Gegner leicht mit der Notwen- 
digkeit operiert und etwa gesagt werden, daß der Umstand, daß 
jemand durchs Wort könne wiedergeboren werden und daß also 
für ihn die Taufe als Mittel zur Wiedergeburt überflüssig werde, 
überhaupt zeige, daß die Taufe nicht Mittel der Wiedergeburt 
sei, und daß gar zuletzt, wenn man immer wegen der Wirkung 
der Wiedergeburt die Taufe für so notwendig erkläre, dies dahin 
ausschlagen könne, daß die Notwendigkeit der Taufe ganz hin- 
falle. Hierauf ist zu antworten, daß wir nach Gottes Wort der 
Taufe doch nicht nur die hochwichtige necessitas medii, sondern 
die ebenso hochwichtige necessitas praecepti geben. Wäre ein 
Mensch durchs Wort schon wiedergeboren, wäre ihm also die 
Taufe necessitate medii nicht mehr nötig, so doch necessitate 
praecepti. In bezug auf die Wiedergeburt ist sie dennoch nicht 
wirkungslos, wie schon angedeutet. Gerade wie wir die Erhal- 
tung mit gutem Recht eine fortgesetzte Schöpfung nennen, so die 
Erhaltung eines Wiedergeborenen eine fortgesetzte Wiederge- 
burt; und da verhält sich denn zu einem schon wiedergeborenen 
Menschen die Taufe so wirkend, wie das Wort sich wirkend zu 
einem solchen verhält. 

PUNKT V. 

Die Taufe ist notwendig , weil sie von Gott befohlen und als Mit- 
tel zur Wiedergeburt verordnet ist . 

Anmerkung : — Dieser Lehrsatz statuiert keine absolute, son- 
dern relative Notwendigkeit, und zwar die doppelte, die auf dem 
Befehl Gottes ( necessitas praecepti) und die auf der Bedeutung 
der Taufe als Mittel zur Wiedergeburt ( necessitas medii) ruhende. 
Gott hat uns an die Taufe gebunden, so daß wir sie nicht 
beiseite setzen und gering achten dürfen, aber nicht sich, so 
daß er nicht ohne Taufe selig machen könnte. Dies gilt nament- 


§ 64. Das Sakrament der Taufe. . 93 

lieh in bezug auf die ungetauft sterbenden Kinder. Näheres über 
letzteren Punkt gehört in die Kasuistik. 

Gemäß der doppelten necessitas halten wir die Taufe der 
Kinder für notwendig, und haben darin alle Kirchen mit Aus- 
nahme der römischen im Gegensatz gegen uns, also Refor- 
mierte, Baptisten, Methodisten, Sozinianer, Arminianer usw. ; die 
Kalvinisten wenigstens insofern, als sie zwar nicht den Brauch 
der Kindertaufe verwerfen, denn Calvin selbst verteidigt sie mit 
reichlichen Gründen, wohl aber die Wirksamkeit derselben. 

Alle Gründe, die gegen die Kindertaufe, so- 
wohl was den Brauch, als die Wirkung und Nutzen anlangt, 
vorgebracht werden, lassen sich auf zwei zurückführen, 
nämlich daß die Taufe der Kinder nicht in der Schrift befoh- 
len sei, und daß die Kinder nicht fähig seien, die Gnade anzuneh- 
men, wenn solche in der Taufe dargereicht werde. 

In bezug darauf, daß die Schrift nichts von der Kindertaufe 
sage, haben wir folgendes beizubringen. Zeugnisse für die 
Kindertaufe finden sich im frühsten Altertum. Justin spricht 
von dem fjt,a$r}rev€crßai ix vaiB(av , was angesichts von Matth. 
28, 19 ein viel stärkeres Zeugnis für die Kindertaufe ist, als ge- 
wöhnlich angenommen wird; vergl. Zellers Lexikon über Taufe. 
Irenaus 1 II, 22: Omnes venit ( Christus ) per semet ipsum 
salvare; omnes, inquam, qui per eum renascuntur in Deum, in- 
fantes et parvulos et pueros et juvenes et seniores. Ideo per 
omnem venit aetatem , et infantibus infans f actus, sanctißcans in - 
fantes. Denkt man an das renasci (Joh. 3, 5) und daran, daß 
Jesus als infans kam und das alttestamentliche, der Taufe analoge 
Sakrament der Beschneidung empfing, so ist kaum zu bezweifeln, 
daß das sanctißcans die Taufe mit einschließt; so auch 
T h i e r s c h 2 , Höfling 3 , G i e s e 1 e r 4 , der zu der Stelle bei 
Irenaus sagt: „Denn renasci kann hier nur von der Taufe ver- 
standen werden,” und N e a n d e r, wiewohl weniger entschieden, 
in seiner Dogmengeschichte. Sehr entschieden gibt für den be- 
reits ganz eingebürgerten Brauch der Kindertaufe Zeugnis 


1 Bei Münscher, Dogmengeschichte, B. I, S. 470. 

2 Guericke, Zeitschrift 1841. 

3 Sakrament der Taufe, B. I, S. 112. 

4 Dogmengeschichte, S. 214. 



94 


§ 64- Das Sakrament der Taufe. 


T e r t u 1 1 i a n 5 mit seinem Widerspruch dagegen, und zwar mit 
der Art seines Widerspruchs, denn : 

1. Er verwirft die Kindertaufe nicht auf Grund eines 
Schriftverbots, oder weil es kein alter Kirchenbrauch, sondern 
etwa eine Neuerung wäre, denn einer seiner Gegengründe ist die 
zu große Verantwortlichkeit der Taufpaten. Quid enim necesse 
est, sponsores etiam periculo ingerif 

2. Er verwirft sie aus ganz schriftwidrigen Gründen: 
Quid festinat inno eens aetas ad remissionem peccatorum? 

3. Er verwirft die Kindertaufe, weil er den Aufschub der 
Taufe auch unverheirateten Erwachsenen anrät. 

Auch Cyprian redet von der Kindertaufe als von einer 
althergebrachten Ordnung. Er sagt 6 : Dieses war im Konzil (er 
redet von einem mit 66 Bischöfen im Jahre 256 gehaltenen 
Konzil, in deren Namen er auch den Brief schreibt) unsere Mei- 
nung, daß von der Taufe und der Gnade Gottes, der gegen alle 
barmherzig und gnädig ist, niemand dürfe zurückgehalten wer- 
den; und wenn dies gegen alle festzuhalten sei, so gegen die 
recens natos. Man begrüße doch die Neugeborenen mit dem 
'Friedenskuß, so solle man sie auch taufen. Origenes 7 nennt 
die Kindertaufe einen von den Aposteln herrührenden Brauch. 
Als solcher galt sie schon vom dritten Jahrhundert an überhaupt 
in der nordafrikanischen, alexandrinischen, syrischen und persi- 
schen Kirche. Mani berief sich bei den Persern auf die Aposto- 
lizität der Kindertaufe (August, contra Julian., III, 187). Daß 
‘der kritisch sehr scharfe Origenes die Kindertaufe eine apostoli- 
sche Überlieferung nennt, wiegt schwer. Man bedenke auch, 
daß der letzte Apostel, Johannes, bis ins Jahr 101 oder 120 lebte, 
daß Polykärp (gest 155) Johannis Schüler vom Jahre 90 bis 100 
war, wie Polykarps Schüler, Irenäus, erzählt, daß also ein unun- 
terbrochener Zusammenhang von Johannes bis Irenäus vorhan- 
den ist. Hiernach ist es völlig unberechtigt, die Bezeichnung der 
Kindertaufe als apostolischen Brauch durch die Kirchenväter 
wie Origenes unbegründet zu nennen. Ja, es wäre ganz unver- 
ständlich, wie die Kirchenväter der Kindertaufe das Wort hätten 


5 De baptismo, 18; bei Münscher, a. a. O. 

6 Epistola LIX ad Fidum; bei Münscher, a. a. O., S. 471. 

7 Epist. ad Rom. L. V; bei Münscher, a. a. O., S. 470. 


§ 64. Das Sakrament der Taufe. 


96 


reden können, wenn es festgestanden hätte, daß von den Apo- 
steln oder deren Gehilfen (1. Kor. 1, 14 — 17) nur Erwachsene 
getauft wurden. 

Jedoch fragt man mit Recht nach dem Schriftbeweis, daß 
die Kindertaufe von den Aposteln geübt wurde. Meist wird da- 
für angeführt die Tatsache, daß die Apostel öfter ganze Familien 
getauft hätten (1. Kor. 1, 16; Apg. 16, 33, alle die Seinen; 
Apg. 16, 15, Lydia und ihr Haus), und daß doch wohl in den 
betreffenden Häusern werden Kinder gewesen sein. Daß es nicht 
so war, kann sicher nicht bewiesen werden ; und somit wird der 
eben vorgelegte Beweis, wenn an sich nicht entscheidend, doch 
das Gewicht anderer Beweise verstärken. Von Wichtigkeit ist 
dabei auch, daß da, wo von der Taufe eines ganzen Hauses die 
Rede ist, nicht etwas Derartiges gesagt wird wie: So viele nun 
ihre Sünden bekannten, wurden getauft. Weiter ist es von der 
allerhöchsten Wichtigkeit, daß, wenn auch ein ausdrücklicher, 
speziell auf die Kindertaufe lautender Befehl nicht in der Schrift 
steht, doch auch das Gegenteil, ein ausdrückliches Verbot, nicht 
in der Schrift vorhanden ist. Dies dürfte aber nicht fehlen, wenn 
die Kindertaufe etwas Gott Mißfälliges, ja nach baptisti- 
scher Meinung ein Greuel vor Gott wäre. Sollte es in jedem 
Falle auf ein ausdrücklich wörtliches Gebot ankommen, so könnte 
man es auch leicht zweifelhaft machen, ob die Frauen zu taufen 
sind. Haben wir in der Schrift kein ausdrückliches Verbot der 
Kindertaufe, so könnte für dieselbe nur der allgemeine Tauf- 
befehl zugleich das spezielle Taufverbot sein, wenn derselbe so 
qualifiziert wäre, daß die Kinder als ausgeschlossen gelten müßten 
und weil sie nun Gott selbst ausschlösse. Die Baptisten behaup- 
ten, dies Verbot enthalte auch der Taufbefehl in bezug auf die 
Kinder, weil er den Glauben fordere. Hierüber wird nachher wei- 
ter gehandelt werden. Einstweilen ist nur zu sagen, daß so der 
Herr sie nicht ausschliesst, weil er den Kindern den Glauben 
zuschreibt. 

Daß aber Gott in den allgemeinen Taufbefehl die Kinder ein- 
schliesst, nicht aber ausschliesst, ist weiter aus folgendem gewiß. 
Christus selbst erklärt ja Matth. 18, 14, daß es nicht der Wille 
Gottes sei, daß eins von diesen Kleinen verloren werde. Nehmen 
wir dazu die Analogie der Beschneidung, des alttestamentlichen 


96 


§ 64. Das Sakrament der Taufe. 


Bundessakraments, hinzu, so wird noch viel weniger gesagt wer- 
den können, die Schrift verwehre die Kindertaufe. Vielmehr, 
wenn im Alten Testament durch die Beschneidung die Aufnahme 
der Kinder in Gottes Gnadenbund geschah, wieviel mehr sollte 
nicht im Neuen Testament den Kindern durch die Taufe der Ein- 
gang in den Gnadenbund geöffnet sein? 

Endlich aber, wenn die Schrift ganz allgemein sagt: Wer 
nicht wiedergeboren wird aus dem Wasser und Geist, wenn sie 
also, ohne Altersunterschied zu machen, allgemein als notwen- 
dige Heilsordnung für den Eingang ins Reich Gottes die Taufe 
hinstellt, sollen wir aus solcher Schriftaussage schließen, die Kin- 
dertaufe sei wider die Bibel, und nicht vielmehr: Die Schrift 
fordert die Kindertaufe, weil sie allen den Eingang ins 
Reich Gottes und auch die Mittel zum Eingang zugesteht ? 

So werden wir also auf den ersten Ein wand, daß die Schrift 
nichts von der Kindertaufe sage, dies antworten: 

1. Historische Fakta, welche die Kindertaufe unzweifelhaft 
gewiß machen, werden in der Schrift nicht berichtet, wohl aber 
solche, die dieselbe viel wahrscheinlicher machen als das Gegenteil, 
zumal angesichts der Beschneidung. 

2. Ein ausdrückliches, spezielles Gebot für die Kinder- 
taufe ist ebenfalls in der Schrift nicht gegeben, aber dessen bedarf 
es auch nicht, da das allgemeine Tauf gebot, welches auch durch 
kein spezielles Verbot für die Kinder aufgehoben ist, eben für 
dieselben gilt und nach göttlicher Absicht gelten soll, wie die 
ganze Art, wie die Schrift vom Reich Gottes, vom Eingang in das- 
selbe und vom Anteil der Kinder an demselben redet, deutlich 
genug zeigt. 

Da der Heiland Joh. 3, 5 die Taufe als Eingang ins Reich 
Gottes, d. i. zu ihm selber, bezeichnet, da er ferner Mark. 10, 14 
ausdrücklich verbietet, den Kindern den Zugang zu ihm zu weh- 
ren, so setzt der Herr damit ausdrücklich genug die Taufe auch 
für die Kinder. Es kann endlich daraus, daß die Schrift nicht 
ausdrücklich ipsissimis verbis sagt : Auch die Kinder sollen ge- 
tauft werden, die Unrechtmäßigkeit der Kindertaufe von vorn- 
herein nach logischen Grundsätzen nicht geschlossen werden, 
denn : A silentio non vcUet conclusio , d. h. das Schweigen macht 
keinen Gegenbeweis. 


§ Ö4- Das Sakrament der Taufe. 


97 


Der andere Haupteinwand gegen die Kindertaufe ist, daß die 
Kinder die in der Taufe dargereichte Gnade nicht annehmen, 
d. h* nicht glauben können. Hier muß man vor allen Dingen 
Sorge tragen, daß man den eigentlichen Streitpunkt nicht mit an- 
dern Dingen vermischen lasse. Die Gegner formulieren nämlich 
gern den Einwand gleich so : Die Kinder können nicht glauben ; 
also ist die Kindertaufe nichts. Soll dies heißen, daß also die 
Kinder nicht getauft werden dürfen, so sind die Gegner hier mit 
ihrem Ein wand von vornherein abgewiesen. Denn die Berechti- 
gung der Kindertaufe ist nicht daraus abzuleiten, ob die Kinder 
glauben können oder nicht, sondern daraus, ob sie Gott gebietet 
oder nicht, verbietet oder nicht. Wir haben aber gesehen, daß 
sie Gott nicht verbietet. Der Taufbefehl sagt ganz allgemein: 
Taufet alle Völker. Soll aber der Einwand heißen : Die Kinder- 
taufe hilft nichts, und die Kinder haben von ihrer Taufe keinen 
Segen, so wäre von den Gegnern nachzuweisen, ob da, wo bei 
heranwachsenden Kindern keine Frucht der Taufe bemerkbar ist, 
dies nicht im Mangel der geistlichen Pflege der Eltern seinen 
Grund habe. Gut sagt Gerhard: Ein guter Baum ist mitten 
im Winter nicht der Eigenschaft, gute Frucht zu bringen, be- 
raubt, obschon außen zur Zeit nichts sichtbar ist. Sollen wir den 
Kindern den Glauben absprechen, weil wir außen noch nichts 
von den Früchten sehen? Die Gegner müßten ferner auch den 
Beweis bringen, daß alle Gläubigen, welche beständigen Trost 
aus der von ihnen als Kinder empfangenen Taufe gezogen ha- 
ben, in einer groben Selbsttäuschung und in schwerem Irrtum 
befangen waren. Solange man diesen Beweis der lutherischen 
Kirche schuldig bleibt, ist die Verwerfung der Kindertaufe völlig 
unberechtigt. 

Die Frage nun, ob die unmündigen Kinder die Gnade 
annehmen, also glauben können oder nicht, haben wir 
nicht nach den Gesetzen der Psychologie, sondern nach der 
Schrift zu entscheiden. Die Entscheidung wird im allgemeinen 
selbst abhängen davon, ob besondere Fakta, welche die Heil. 
Schrift berichtet, ob namentlich das Verhältnis, in welches nach 
Aussage der Schrift der Herr sich zu den Kindern setzt, zu der 
Annahme nötigen, daß kleine Kinder die Tauf gnade empfangen 
können. Von entscheidender Bedeutung ist hier Matth. 18, i — 6. 


98 


§ 64. Das Sakrament -der T aufe. 


Daß die Geringstem, von denen V. 6 redet, die Kinder seien, kann 
•nur böser Wille leugnen ; und -ebenso dies, daß V. 3 den Schluß 
notwendig macht, daß solche Kinder im Reich Gottes sind, und 
zwar nach V. 6, weil sie glauben. Mark. 10, 15 aber heißt es: 
„Wer das Reich Gottes nicht empfähet als ein Kindlein, der wird 
nicht hinein kommen.” Dies kann nicht heißen : Wer es dicht 
im Kindesalter empfängt, denn dagegen spricht der Grundtext 
und auch die ganze Heil. Schrift überhaupt, sondern es kann nur 
vergleichsweise gemeint sein, also : In der Art wie die Kinder. 
Welches ist diese Art? Matth. 18, 6 in Verbindung mit V. 3 
sagt es uns: Es ist der Glaube. Es kann ja nach der Schrift 
überhaupt auch nicht anders sein. ' Denn irgendeine sonst schöne 
und noch so liebliche Kindeseigenschaft mag Lob verdienen, aber 
ins Himmelreich bringt sie nicht hinein. Das tut nur der Glaube. 
Wie kann nun der Glaube der Kinder in Zweifel gezogen werden, 
da derselbe sogar zum Vorbild gestellt wird. Endlich wer- 
den alle Zweifel beseitigt durch die Relation der in Mark. 10, 15 
berichteten Geschichte, wie sie Luk. 18, 15 ff. vorliegt. Hier 
werden die zu Christo gebrachten Kinder ßpe<f>y genannt, also 
Säuglinge, vergl. Luk. 2, 12. 16. Das Wort steht sogar für das 
noch ungeborene Kind (Luk. 1, 41). Aus dieser Schlußkette: 
Matth. 18, 6; Mark. 10, 15; Luk. 18. 15 haben wir die Gewißheit, 
daß der Heiland selbst von den kleinen Kindern den Glauben 
aussagt. 

Zu der Frage, wie nun ihr Glaube beschaffen sein mag, 
stehen wir wie Gerhard. Wir machen uns keine Gedanken noch 
Sorgen um die Art und Weise des Glaubens der Kinder, sondern 
beruhigen uns einfach dabei, daß die Kinder wirklich glauben. 

Schließlich ist nicht zu vergessen, daß so ganz allgemein 
gestellt der sonst richtige Grundsatz, daß die Sakramente nur 
wirksam sind und nützen, wo Glaube vorhanden ist, nicht richtig 
ist. Auch das Wort nützt nur, wo es geglaubt wird; aber das 
Wort ist es auch doch wieder, welches den Glauben wirkt. 'So 
schafft auch die Taufe erst den Glauben, nur nicht modo irrest - 
stibili, und ist darum das Mittel zur Wiedergeburt oder geistli- 
chen Lebendigmachung da, wo durchs Wort mit einem Menschen 
nicht gehandelt werden kann. Trefflich sagt Chemnitz 8 : 

8 Loci, pars HI, de bapttstno , />. 160. 


§ 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 99 

Nequaquam concedendutn est, infantes, qui baptizantur, vel sine 
ßde esse , vel in aliena ßde baptizari. Altena quidem, vel paren - 
tum vel off erentium ßdes, parvulos ad Christum m baptismo ad - 
ducit, Marc . io , 13, et orat, ut propria ßde donentur. Sed per 
lavacrum aquae in verbo, Christum Spiritu suo in infantibus , qui 
baptizantur, operari et efficacem esse, ut regnum Dei accipiant, 
non est dubium ; licet quomodo Mud Hat, non intelligamus . Est 
enim baptismus lavacrum regenerationis et renovationis Spiritus 
sancti, qui in baptizatos effunditur, ut justißcati haeredes sint 
vitae aeternae, Tit. 3, 5; Marc. 10, 15. Et haec vocatur ßdes 
infantium . 


§ 65 . 

Das Sakrament des heiligen 
Abendmahls. 

(De sacra coena sive de coena Domini .) 
LEHRSATZ. 

Das heilige Abendmahl ist das zweite Sakrament des Neuen 
Testaments; in demselben teilt Jesus unter dem Brot und 
Wein seinen wahren Leib und sein wahres Blut allen Genies- 
senden mit, und schenkt damit zugleich denen, die es gläubig 
gemessen, die Vergebung aller Sünden zum Preis seiner 
Gnade und zur Seligkeit der würdigen Empfänger. 

PUNKT I. 

Der bei uns gebräuchliche Name „Abendmahl” ist zwar nicht in 
der alten Kirche, auch nicht in der Schrift gebräuchlich, hat 
aber doch in der Schrift genügenden Grund. 

Anmerkung: — - Wir haben ja neben dem gebräuchlichsten 
Namen „Abendmah 1 ”, der ja seinen Grund in Matth. 26, 20 ; 
Mark. 14, 17. 18; Luk. 22, 14 (vergl. 2. Mose 12 , 6 — 8) hat, die 
Namen Kommunion, Tisch des Herrn, Sakra- 
ment des Altars, auch einfach Sakrament, welche sich, 
wie wir sehen werden, teils an die Schrift, teils an den Kirchen- 
brauch anlehnen. Der solenne Name in der Schrift ist Kvpia * 
kov Set irvov (1. Kor. ii, 20) ; daneben heißt es „Tisch des 
Herrn” (1. Kor. 10, 21), Gemeinschaft des Leibes und Blutes 



100 


§ 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 


Christi, daher communio (i. Kor. io, 16), neuer Bund (Luk. 
22, 20 ; i. Kor. ii, 25). 

Bei den griechischen Vätern heißt es : 

a. um der feierlichen Danksagung willen; 

b. ovvaim, weil es in öffentlicher Gemeinde gefeiert wird; 

c. d y d v 17, weil alles, was von den dargebrachten Elemen- 
ten übrigblieb, zu einem gemeinschaftlichen Liebesmahl ver- 
wandt wurde ; 

d. Xttrovpyla, Verwaltung, entweder weil das Volk Brot 
und Wein darbrachte, oder weil das Abendmahl für den höchsten 
Akt priesterlicher Amtsverwaltung galt ; 

e. 0 v<ria, irpo<r<j>opd f entweder hindeutend auf das Opfer 
Christi am Kreuz, oder wegen der dargebrachten Dankopfer; 

f. fJLvtrrTjptov, bald allein (entsprechend unserm deutschen 
Ausdruck ,,zum Sakrament gehen”), bald mit Zusätzen wie „an- 
betungswürdiges, heiliges, göttliches.” 

Bei den Lateinern findet man in früheren Zeiten den 
Namen sacramentum altaris . Der Name entstand seit der Zeit 
(sechstes Jahrhundert), wo an Stelle der Abendmahlstische die 
steinernen Altäre (von alta ara , erhöhte Opferstätte) aufkamen, 
ja im Abendlande für notwendig erklärt wurden (der Orient be- 
hielt die Tische bei). Später war der verbreitetste Name missa, 
dessen Ableitung bekannt genug ist. 

PUNKT II. 

Die Einsetzungsworte sind eigentlich , wie sie lauten , zu 

verstehen. 

Anmerkung: — Man unterscheidet das Einsetzungswort im 
weitern Sinne, das ist der Befehl: Solches tut, und das im 
e n g e r n Sinne, welches eigentlich zum Element kommt und 
es zum Sakrament macht, nämlich: Das ist mein Leib, das ist 
mein Blut. Auf diesen Worten, wie sie lauten, beruht die Gegen- 
wart vom Leib und Blut des Herrn im Abendmahl und unser 
Glaube an diese Gegenwart. 

Daß diese Worte nicht uneigentlich, tropisch, sondern 
eigentlich, in ihrer ursprünglichen Bedeutung zu verstehen 
sind, ist aus folgenden Gründen gewiß : 

1. Nach der allgemeinen, auf den natürlichen Denkge- 


101 


§ 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 

setzen ruhenden Regel, ist der nächste und eigentliche 
Sinn eines Wortes festzuhalten, wenn nicht eine entscheidende 
'Notwendigkeit zwingt, zum uneigentlichen, tropischen Sinn Zu- 
flucht zu nehmen, oder wenn nicht das tropische Verständnis aus- 
drücklich geboten wird. 

2. Obschon die drei Evangelisten und Paulus zu verschie- 
denen Zeiten und an verschiedenen Orten die Einsetzung des 
heil. Abendmahls erwähnen, so sagt doch keiner von ihnen auch 
nur mit einem Worte, es sei hier ein figürlicher Sinn des Wortes 
anzunehmen, so daß man glauben müsse, nicht der Leib, sondern 
nur ein Zeichen des Leibes werde gegessen, nicht das Blut, son- 
dern nur ein Zeichen des Blutes werde getrunken. 

3. Beweis ist auch die Übereinstimmung von 1. Kor. 11, 27. 
28 mit Kap. 10, 16. Dort wird nämlich ein unwürdiger Gast 
schuldig genannt des Leibes und Blutes Christi, als der beides 
unwürdig empfange, weil Brot und Wein Gemeinschaft des 
Leibes und Blutes Christi sind, wie in I. Kor. 10, 16 gelehrt wird. 
Diese Gemeinschaft ist aber nicht eine leere Beziehung, sondern 
eine reale Verbindung. 

4. Beweis ist ferner die Eigentümlichkeit der Testamente. 
In Testamenten wird die eigentliche Bedeutung und Klarheit der 
Worte erfordert ; daher ist es ganz und gar nicht glaubhaft, daß 
Christus in seinem Testamente durch die uneigentliche Bedeutung 
seiner Worte den Anlaß zu endlosen Streitigkeiten absichtlich oder 
unbedachterweise gegeben habe. Wie darf man nun wagen, die 
figürliche Bedeutung der Worte so entschieden für notwendig zu 
erklären ! 

In Antithese stehen die Reformierten und alle ihnen 
verwandten Schwarmgeister mit der Behauptung, daß die Abend- 
mahlsworte figürlich zu nehmen seien und daß das ,,i s t” so 
viel sei wie „bedeute t.” D a g e g e n : 

1. Selbst wenn es gleichnisartige Redeweisen in der Schrift 
gäbe, wo wirklich „ist” den Sinn von „bedeutet” hätte, so würde 
dies noch kein Beweis dafür sein, daß es berechtigt sei, es in den 
Abendmatys Worten so zu fassen. Zunächst ist aber gewiß, daß 
es gleichnisartige Reden in der Schrift gibt, wo es geradezu ver- 
boten ist, das „ist” gleich „bedeutet” zu fassen. Nehmen wir 
Stellen wie Matth. 5, 13.14: „Ihr seid das Salz der Erde .... 


102 § 65 . Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 

Ihr seid das Licht der Welt”; Joh. 15, 5: „Ich bin der Wein- 
stock, ihr seid die Reben.” Es ist unsinni g, daß die Jünger 
ein Salz, Christus einen Weinstock bedeuten soll. Das, was eine 
andere Sache bedeuten, sinnbildlich anzeigen soll, kann doch nicht 
selbst Eigentliches sein. Man kann sagen : Der Ring be- 
deutet die Ewigkeit, aber nicht : Die Ewigkeit bedeutet den Ring. 
Resultat: Wenn in einem Gleichnissatze das Bildliche im Prä- 
dikat liegt, dann kann das „ist” nicht gleich „bedeutet” sein. 
Hier suchten die Reformierten, welche in Zwinglischen Bahnen 
noch liefen, sich durch den Kunstgriff der Umstellung zu helfen. 
So sollte : „Ich bin der Weinstock” eine Umstellung sein gleich : 
Ich habe im Weinstock mein Bild, oder : Der Weinstock bin ich, 
der Weinstock bedeutet mich. Solche Kunstgriffe richten sich 
selbst. Es hilft auch nicht, um dies, daß das „ist” in gleichnis- 
artigen Reden gleich „bedeutet” sei und so in den Abendmahls- 
worten, zu beweisen, auf gleichnisartige Stellen hinzuweisen, wo 
das Bildliche im Prädikat liege, und man allerdings ohne Umstel- 
lung und ohne in Unsinn zu geraten, das „ist” gleich „bedeutet” 
nehmen könne. Angenommen, daß sich in der Schrift wirklich 
solche Stellen fänden, so ist damit für die tropische Fassung der 
Abendmahlsworte nichts gewonnen, solange nicht widerlegt wäre, 
daß überall die eigentliche Fassung irgendwelcher Worte das 
erste Recht hat und nicht die Notwendigkeit der tropischen Fas- 
sung bewiesen wäre, und auch nicht widerlegt wäre, daß es gleich- 
nisartige Reden gibt, in denen „ist” ein für allemal nicht gleich 
„bedeutet” genommen werden kann noch darf, wie z. B. in Matth. 
5, 13. 14; Joh. 15, 5. 

Nun finden sich aber gleichnisartige Reden, wo das Bildliche 
im Subjekt liegt, z. B. Luk. 8, 11: „Der Same ist das Wort 
Gottes.” Allein auch an dieser Stelle wenigstens ist das „ist” 
keineswegs gleich „bedeutet.” Der Satz: Der Same ist das 
Wort Gottes” kann nicht aufgelöst werden in: Der Same be- 
deutet das Wort. Von vornherein redet der Herr gar nicht vom 
physischen Samen, sondern vom geistlichen Samen, vom Wort. 
Was der Sämann ausstreut, ist gar kein physischer Same, der 
etwas bedeutet, sondern sein Wort. Der Same bedeutet nicht das 
Wort, sondern ist das Wort. Würde man nun auch abermals 
gleichnisartige Stellen bringen, in welchen das Gleichnisartige 


§ 65 - Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 


103 


im Subjekt liegt und nicht zugleich die Dinge liegen wie in Luk. 
8, ii, etwa i. Mose 41, 26: „Die sieben schönen Kühe sind sieben 
Jahre/' so ist darauf zu entgegnen: 

a. Es ist ja noch nicht bezüglich 1. Mose 41, 26 und ähn- 
lichen Stellen ausgemacht, ob es nicht mit denselben steht wie mit 
Luk. 8, 1 1 ; 

b. Und wenn es wirklich so wäre, so bewiese es höchstens 
nur die Möglichkeit, in den Abendmahlsworten das „ist" 
gleich „bedeutet" zu nehmen, aber nicht die Notwendig- 
keit, daß es so genommen werden muß, noch die Richtig- 
keit, wenn man es so nimmt. Also von vornherein beweisen die 
gleichnisartigen Stellen der Schrift gar nichts für die tropische 
Auslegung der Einsetzungsworte. Ob sie eigentlich oder un- 
eigentlich auszulegen sind, ist aus den Worten selbst zu ent- 
scheiden. 

2, Das Bildliche müßte im Subjekt selbst liegen, 
also in dem rovro wenn das „ist” ohne weiteres gleich „bedeu- 
tet'* sein soll. Dies ergibt sich aus den vorangegangenen Aus- 
führungen. Mit dem rovro meint der Herr jedenfalls das Brot, 
das er reicht; also rovro vollständig gleich: Dieses Brot. In 
diesem Subjekt müßte das Bildliche liegen. „Dies Brot” sollte 
also ein Symbol des Leibes sein, und eben darum soll man sagen 
können : Dies Brot ist, d. h. bedeutet meinen Leib. Dagegen ist 
einzuwenden : 

a. Jeder weiß, daß ein Symbol eine sinnliche Sache 
ist, welche eine Idee, einen Gedanken, ein Verhältnis darstellt; 
z. B. der Ring bedeutet Endlosigkeit, Ewigkeit, ein Schmetterling 
über der Larve schwebend bedeutet das Bleiben im Wechsel, Un- 
sterblichkeit Welches ist nun der Gedanke, die Idee, welche in 
dem Wort „Brot” liegt? Was wird hier als Gedanke, Idee, durch 
„ist” mit rovro verbunden? Da fühlen die Gegner sich ge- 
schlagen. Denn die Worte lauten nicht: Dies (Brot) ist mein 
Leben, wobei von einem Deuten und Bedeuten noch die Rede sein 
könnte, sondern: Dies ist mein Leib. Und Leib ist ein ganz 
sinnlicher Gegenstand. So sind Subjekt (Brot) wie Prädi- 
kat (Leib), sinnliche Dinge. Da kann von „bedeutet” nicht mehr 
, , die Rede sein. Da suchen die Reformierten mancherlei Aushilfe, 
so diese, daß sie für den Leib die durch den Leib gestiftete Erlö- 



104 § 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 

sung setzen. Aber das heißt eben den Text fahren lassen. Eine 
andere Aushilfe ist die, daß als eine den Einsetzungsworten ähn- 
liche Redensart, wo nämlich das Prädikat auch ein sinnlicher Ge- 
genstand ist, die gebracht wird, nach welcher von einem Standbild 
Pauli ganz nach gewöhnlicher Redeweise gesagt wird: Dies 
Standbild ist Paulus. Aber obschon nun da im Prädikat auch ein 
sinnlicher Gegenstand sei, so könne man doch mit gutem Recht 
auch sagen: Dieses Standbild bedeutet Paulum. Somit sei die 
Berechtigung, das „ist” in den Abendmahlsworten gleich „bedeu- 
tet” zu nehmen, völlig erwiesen. Köstlich schlagend erwidert 
schon Luther 1 : „Darum kann Ökolampad mit seinem Tropo 
nicht bestehen, daß er diese zwo Reden gleichviel will gelten 
lassen: „Dies ist mein Leib,” und: Dies ist meines Leibes 
Gleichnis (d. h. dies bedeutet meinen Leib). Denn das leidet 
keine Zunge noch Sprache. Gleich als nicht gleichviel kann gel- 
ten, wenn ich sage vom Bilde St. Pauli : Dies ist St. Paulus und : 
Dieses bedeutet St. Paulus. Denn die erste Rede will sagen, was 
das Bild sei, daß es sei St. Paulus, nämlich ein hölzerner St. 
Paulus, ein güldener St. Paulus.” 

b. Diejenigen Tropen, wo das Tropische im Subjekt liegt, 
müssen vorbereitet sein, so daß die Bedeutung wirklich 
jedem Verständigen kann offenbar sein. Dies müßte also hier der 
Fall sein, wenn Christus wollte, daß sein Wort tropisch verstan- 
den werde und dieses auch erwartet, daß man es gar nicht anders 
verstehen könne. Ist es nicht vorbereitet durch allgemeine 
Sprachart und Sprachweise, so kann Christus nicht erwarten, daß 
man es tropisch versteht; und, da er selbst nun nicht die tropi- 
sche Fassung ausdrücklich als die gewollte angibt, so will er 
eben die tropische nicht, und ist klar, daß er die nun einzig übrig- 
bleibende, die eigentliche Fassung, will. In welcher Sprache 
aber ist nun ein Stück Brot ein gangbares, bekanntes 
Bild des Leibes überhaupt, zumal eines in den Tod gegebenen 
Leibes? Keine Sprache enthält ein derartiges Bild. Somit war 
eine tropische Fassung dieser Worte nicht vorbereitet ; und da, 
wie gesagt, Christus eine tropische Fassung seiner Worte nir- 


1 Bekenntnis vom Abendmahl Christi, Anno 1528: Leipz. Ausg., B. 
XIX, S. 478. 


§ 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 


105 


gends andeutet, so bleibt eben die eigentliche Fassung als die 
einzig richtige stehen. Spricht man nun: Nun, so macht Chri- 
stus im Augenblick der Einsetzung das Brot zum Symbol, das 
seinen Leib bedeuten soll, so muß man entgegnen: Wie sollten 
denn die Jünger wissen, daß der Herr dies tut? Ein gangbarer 
Sprachgebrauch leitet sie ja dazu nicht an. So mußte es doch 
der Herr selbst ausdrücklich sagen. Aber eben das tut er nicht. 
Somit bleibt nach allgemeinem Sprachgebrauch doch nur für die 
Jünger das übrig, die Worte zu nehmen, wie sie lauten; und da 
der Herr durch nichts eine andere Fassung ihnen vorzeichnet, ist 
klar, daß er eben selbst keine andere will. Der Herr redet also 
nicht symbolisch, sondern er offenbart und lehrt in seinem Worte, 
was das sei, das er der? Jüngern gebe. Als Symbol wäre die Rede 
ohne Sinn. 

Übrigens ist es nichts Willkürliches und Selbsterwähltes, daß 
Christus gerade das Brot nimmt. Das ist ihm vorgezeichnet 
durch die Passahordnung. Daß aber das Brot im Passahmahl sei- 
nen oder irgend jemandes Leib bedeute, ist nirgends vor 
i h m durch ein Wort angezeigt, aber, wie vor Augen ist, auch 
nicht von ihm selbst. Wenn also Christus von dem Brot 
sagt: „Das ist mein Leib,” so kann der Sinn nur sein: Dieses 
Brot ist vermöge meines Wortes, mit dem ich es euch gebe, in 
wunderbarer Weise auch mein Leib. 

c. Der Herr Christus sagt: „Nehmet, esset; das (Brot) ist 
mein Leib.” Das Essen ist also wesentlich. Das Essen 
ist aber etwas Reales, Leibliches, nicht etwas Geistiges. Darum 
fordert dies Essen auch, daß mit dem „ist” etwas Reales, 
nicht aber etwas Symbolisch-geistiges gesetzt ist. Die Worte 
können nur heißen: Nehmet, esset; das, was ihr esset, ist mein 
Leib. Was sollte denn das Essen, wenn es sich um Symbolisches 
handelte, um eine bloße Bedeutung des Brots ? Die Bedeu- 
tung des Brots wird gewiß doch durch das Essen mit dem 
Munde dtm Verständnis des Herzens nicht klarer. Eine Be- 
deutung, also etwas Geistiges, kann doch überhaupt durch Essen, 
einen physisch-leiblichen Akt, nicht angeeignet werden. 

Nun suchen die Gegner ihre Sache zu retten mit der Behaup- 
tung, daß das Brot und der Wein den Jüngern als Symbol offen- 
bar hätte sein müssen, weil sich das Abendmahl an die Feier 


GMC9BDI*. THEDCTXSl uSUKMtt USRMH 

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106 § 65 . Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 

des Passah anschloß ; und wie dieses symbolisch gewesen, so sei 
es nun das Abendmahl. Es soll an den Tod Christi erinnern. Al- 
lein, das Passahmahl war auch kein symbolisches Mahl, sondern 
eine Wiederholung des ersten Passah und mit diesem identisch. 
Sollte nun das Abendmahl eine symbolische Handlung sein, so 
stände ja das Neue Testament unter dem Alten. Gut sagt Hol- 
1 a z : Hätte der Herr nur Symbole und Zeichen einsetzen wollen, 
so hätte er besser das Passah beibehalten, welches ja viel deut- 
licher Tod und Verheißung Christi darstellt. So ist es also un- 
richtig, daß Brot und Wein den Jüngern a priori als Symbol hät- 
ten bekannt sein können und müssen. 

Jetzt ist nun um so sonderbarer die Aufgabe, die nach refor- 
mierter Lehre das Brot als Symbol hat. Den Reformierten ist ja 
doch das ganze Abendmahl nichts weiter als ein selbsttäti- 
ges Sichversenken der Seele in die Gnaden Christi, und diese 
Versenkung nun soll ihre starke Stütze finden in einem Stückchen 
Brot, welches doch nach reformierter Lehre nichts als Brot 
ist. Wäre es so, daß das Brot keine andere Bedeutung haben 
soll, als die Kommunikanten an den Tod Christi zu erinnern, so 
wäre doch wahrlich die Verlesung der letzten köstlichen Reden 
Christi viel wirksamer als das Stückchen Brot. Ja, anstatt daß 
dieses Stückchen Brot das andächtige Gedenken sollte stärken, 
müßte vielmehr erst das andächtige Gedenken anderweitig ge- 
stärkt sein, damit auch dies Stück Brot ein lebendiger Faktor in 
dem Gedächtnis Christi und in der Verkündigung seines Todes 
werde. 

3. In der Erkenntnis, daß die Auslegung Zwinglis, 
wonach ohne weiteres das „ist” gleich „bedeutet” sein soll, un- 
haltbar sei, versuchten ökolampad und C a 1 v i n, die sym- 
bolische Auslegung zu retten durch die Behauptimg, daß in den 
Abendmahlsworten die Redefigur der Metonymie vorliege 
und zwar der des signatum pro signo . „Das ist mein Leib” soll 
heißen: Dies ist Zeichen meines Leibes. Hier soll also das 
Resultat Zwinglis auf anderem Wege gewonnen werden, aber 
die beigebrachten Schriftbeweise geben für eine solche Metony- 
mie keinen Beweis. So : 

a. nicht die Stelle, welche Zwingli im Traum als rettender 
Beweis eingefallen war, nämlich 2. Mose 12, 1 1: „Denn es ist 


§ 65 . Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 107 

des Herrn Passah,” Dies soll heißen: Denn es (das Lamm) ist 
des Herrn Passah, d. h. Zeichen der Verschonung. Das ist 
Willkür. Das Lamm ist nach der Schrift entweder die B e d i n- 
g u n g der Verschonung, oder, da es gegessen wird, die A n- 
e i g n u n g der zugesagten Verschonung. Zeichen der Verscho- 
nung ist es nicht. „Denn es ist des Herrn Passah,” diese Worte 
können nach den übrigen klaren Worten nur so ausgelegt werden : 
Esset ; im Genüsse dieses Lammes h a b t ihr die Verschonung des 
Herrn. Ein Zeichen der Verschonung war da, aber dies war das 
Blut nach der ausdrücklichen Aussage V. 13 : „Und das Blut 
soll euer Zeichen sein.” 

b. Auch 1. Mose 17, 10 beweist die Metonymie nicht. Die 
Worte : „Das ist mein Bund” sagen nicht : Das ist Zeichen mei- 
nes Bundes. Die Handlung des Beschnittenwerdens, oder das 
Geschehen der Beschnei düng, ist ja der Bund selbst; die 
Beschneidung ist nicht Zeichen, welches den Bund bedeutet, son- 
dern Abzeichen, welches sagt, bezeugt und dokumentiert, daß 
man im Bunde sich befinde. Das „ist” setzt also hier nicht ein 
metonymisches Zeichen, sondern volle Realität, und Bund ist nicht 
gleich Zeichen des Bundes, vergl. Rom. 4, n. 

c. Auch 1. Kor. ir, 10 ist kein Beweis für eine Metonymie 
in den Abendmahlsworten. Die Stelle sagt: „Darum soll das 
Weib eine Macht auf dem Haupt haben.” Da soll wieder Macht 
gleich Zeichen der Macht sein. Dagegen : Der Apostel fordert, 
daß der Weiber Haupt bedeckt sei. Vom Schleier ist die Rede; 
und der ist doch nicht Zeichen der Bedeckung, sondern nach 
orientalischer Art eine ganz wirkliche und handgreifliche Be- 
deckung. 

Da einzelne Stellen für die Metonymie nichts verfangen, so 
haben die Reformierten sich auf die verschiedenen Relatio- 
nen der Abendmahlsworte geworfen. Bei Paulus und Lukas 
heiße es : „Dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut.” 
Nun sagen sie so : Der alte Bund geschah durch Opfer, so auch 
der neue Bund. Blut steht also bei Paulus und Lukas für Opfer- 
tod ; folglich steht das Parallele „Leib” auch für Opfertod. Die 
Worte wollen sagen, d. h. die Reformierten lassen sie sagen: Wer 
diesen Wein trinkt, hat Gemeinschaft an dem Opfertode, d. h. an 
der Frucht des Opfertodes oder eigentlich an der auf der Süh- 


108 § 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 

nung beruhenden Vergebung. Also gibt es hier gleich eine ganze 
Kette von Metonymien, nämlich: Dieser Kelch, d. h. der im 
Kelch enthaltene Wein ist Zeichen des Blutes, d. h. Zeichen des 
Todes Christi, d. h. Zeichen der durch den Tod Christi geschehe- 
nen Sühne, d. h. der durch die Sühne geschaffenen Vergebung, 
d. h. des auf der Vergebung und Rechtfertigung ruhenden Frie- 
dens mit Gott und somit also Bund für alle, die ihn gläubig trin- 
ken. Aber es ist ganz falsch, daß bei Lukas und Paulus Blut 
gleich Tod wäre, womit sofort die lutherische Abendmahlslehre 
widerlegt wäre, denn : 

a. Soll Blut gleich Tod sein, so muß ja gerade nach refor- 
mierter Grundansicht auch Leib gleich Tod sein. Aber in keiner 
Sprache ist Leib ein gangbarer Ausdruck für Tod. Das hiermit 
in den Weg fallende Hindernis muß wieder die Metonymie beseiti- 
gen. Dieses Brot, das gebrochen wird, ist Zeichen, daß der Leib 
gebrochen werden soll, und somit Zeichen meines Todes. Hier- 
gegen braucht es keiner Worte. Das Brechen wird nirgends in 
den Abendmahlsworten in dieser Weise hervorgehoben. Und ein 
Brechen des Leibes Christi geschah weder im Tode noch nachher. 
Sollte das Brechen des Brotes auf den Tod deuten, so müßte doch 
Brechen irgendwie Aufhebung der Substanz des Brotes sein, was 
nicht der Fall ist ; und den Leib brechen müßte gangbare Bezeich- 
nung des Sterbens sein, was wohl niemand wird nachweisen kön- 
nen. 

b. Wo im Neuen Testament das Blut Christi als sühnend 
genannt wird, da ist Blut nicht gleich Tod, sondern das in den 
Tod gegebene Leben (Blut als Sitz des Lebens), d. h. so viel wie 
sühnendes Opfer. Aber daraus folgt noch nicht, daß es dasselbe 
auch in den Abendmahls Worten sei. Es ist darum noch nicht 
hier in den Abendmahls worten gleich Opfer, weil wir eben doch 
neben dem Satz : „Das ist mein Blut” den andern haben : „Das 
ist mein Leib.” Leib ist aber nimmer gleich Tod. Leib kann 
hier nicht gleich Opfer sein, weil er nirgends gleich Opfer ist. 
Das Opfer ist das H i n g e b e n des Leibes in den Tod, aber nicht 
der Leib selbst. Da nun dem : „Das ist mein Leib” parallel 
steht : „Das ist mein Blut, für euch vergossen,” so steht es doch 
eben, wie nachgewiesen ist, nicht in diesem Sinn, wiewohl sonst 
oft Blut gleich Opfertod sein kann. 


§ 65 . Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 109 

Sollte Blut gleich Opfertod sein, so müßte es nicht heißen: 
„Dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut/' sondern: 
Durch mein Blut, durch meinen Opfertod. Denn so ist der 
Opfertod Christi nicht das beständig Gegenwärtige, daß das 
Werkzeugliche desselben durch iv ausgedrückt werden könnte. 
Stellen wie Eph. 2. 13 verhalten sich anders, weil die geschehene 
Aneignung vorausgesetzt ist 

Wenn im Abendmahl Blut gleich Sühnopfer wäre, so wäre 
das Abendmahl selbst Genuß eines Sühnopfers. Das ist aber 
gegen die alttestamentliche Vorschrift vom Sühnopfer (3. Mose 
6, 23), bei welchem kein Genuß des Opferfleisches stattfand. 

Aber in welchem Sinne soll nun wirklich das Blut im Abend- 
mahl das Blut des Neuen Testaments sein? Das lehrt am besten 
der eben durch die Worte: „Das Neue Testament in meinem 
Blut” nahegelegte Vergleich der Einsetzung des Gesetzesbundes 
mit der des Abendmahls, wie unsere Dogmatiker : Chemnitz 
(Fundamenta sanae doctrinae ), Gerhard, Hollaz u, and. 
ihn anstellen. Beim Gesetzesbund haben wir ein Opfer, aber, und 
das ist ein entscheidender Unterschied, ein Friedensopfer, 
nicht ein Sühnopfer (2. Mose 24, 8). Dort beim Gesetzesbund 
heißt das Blut des Opfers auch das Blut des Bundes (2. Mose 
24, 8). Aber nicht wurde durch das Blut der Bund ver- 
mittelt; das geschah durch das Gesetz, an welches Gott die den 
Bund begründende Forderung und Verheißung knüpfte. In dem 
Blute ward die Bundesgemeinschaft zwischen Gott und dem Volk 
wirklich vollzogen. Darum sagt Moses : „Das ist das Blut 
des Bundes,” gleich : Das ist der Bund im Blute. So ist eine 
entscheidende Ähnlichkeit zwischen Abendmahl und Gesetzes- 
bund. Dort geschieht die Bundesgemeinschaft durch Bespren- 
gung, worauf noch überdies zur Vervollständigung der Ähnlich- 
keit das Genießen folgt (2. Mose 24, 11) ; hier ist im Abendmahl 
die Darreichung des Bluts zum Genießen. Dort sind die Worte : 
„Das ist das Blut des Bundes/' hier die Worte: Das ist mein 
Blut, das Blut des neuen Bundes. 

Als Schluß ziehen wir aus dem bisherigen dies: „Das ist 
mein Blut” kann nicht heißen : Dieses bedeutet, mein Blut, 
auch nicht : Dieses ist Zeichen meines Bluts, Symbol meines 
Bluts, weil es solche Metonymien in der Schrift nicht gibt. Es 


110 


§ 65 * Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 


kann auch nicht heißen : Dieses stellt meinen Opfertod dar, 
so daß das Abendmahl nur Aneignung des Opfers, oder Sühne 
todes Christi wäre. Denn Blut ist so wenig wie Leib und eben um 
der Parallele mit Leib willen gleichbedeutend mit Tod. Auch 
ist Blut nicht gleich Sühnopfer im Abendmahl, wenn es auch 
sonst Sühnopfer bedeuten kann. Denn einmal ist Blut so wenig 
gleich Tod wie Leib; und zum andern darf ein Sühnopfer nicht 
genossen werden. Somit können die Abendmahlsworte weder als 
Tropus gefaßt werden, so daß mit Zwingli das „ist” gleich „be- 
deutet” wäre, noch können sie als Metonymie gefaßt werden, so 
daß mit Calvin und ökolampad die Worte: „Das ist mein Leib; 
das ist mein Blut” so viel heißen : Das ist Zeichen meines Leibes 
und Blutes. 

Wenn endlich die Reformierten ihre symbolische Auffassung 
retten wollen durch die Behauptung, daß der Herr ja selbst durch 
die Worte : „Das tut zu meinem Gedächtnis” das Abendmahl zu 
einer Gedächtnisfeier mache, so antworten wir zunächst, daß 
darum noch keineswegs das Abendmahl ausschließlich 
für eine Gedächtnisfeier erklärt, und noch weniger den Abend- 
mahlsworten eine symbolische Bedeutung gegeben wird. Wenn 
ein Wohltäter zu seinem Gedächtnis ein Legat aussetzt, woraus 
alljährlich eine Anzahl Arme gespeist werden sollen, so geschieht 
das Mahl wohl zu seinem Gedächtnis, aber es hat doch wahrhaftig 
nicht symbolische Bedeutung. 

Wir untersuchen sodann aber näher, was z. B. nach Luk. 22, 
19 die Jünger zum Gedächtnis Christi tun sollen. Nach Meinung 
der Reformierten dies: Sie sollen in dem Brote, welches den ge- 
brochenen Leib Christi darstelle, sich den Opfertod Christi an- 
eignen. Mit dieser Erklärung erhalten wir, genau genommen, 
dies: Esset dies Brot und eignet euch dabei meinen Opfertod 
an (das geschieht doch selbstverständlich gerade nach reformier- 
ter Stellung nur durch den Glauben) ; tut dies, damit ihr euch 
meiner erinnert. Die Worte würden also in der Tat nichts 
anders sagen als : Laßt euch durch das Brot als durch ein Zeichen 
meines Opfertodes an meinen Opfertod erinnern und eignet euch 
im Glauben auch diesen meinen Opfertod an; und solches tut, 
damit ihr euch meiner erinnert. Kurz gesagt: Die feierlichen 
Testamentsworte wären nach reformierter Auslegung eine groß- 


§ 65. Das Sakrament .des heiligen Abendmahls. 


111 


artige Tautologie. Selbst der Rationalist Wegschei- 
der hat dieses erkannt und macht gegenüber der Behauptung 
Zwinglis, daß es sich im Abendmahl nur um ein Gedächtnismahl 
handle, die treffende Bemerkung: Es sei denn gar nicht einzu- 
sehen, wozu der Genuß des Brots und Weins dienen und was der- 
selbe eigentlich bedeuten solle. Für die Jünger konnte, die bloße 
Gedächtnisfeier vorausgesetzt, das Essen und Trinken noch einen 
Sinn haben. Sie hatten wirklich mit dem Herrn gegessen und 
getrunken ; und für sie konnte so das Essen und Trinken an das 
letzte Mahl erinnern. Aber solche Bedeutung hat doch 
Brot und Wein nicht für die Christen unserer Tage. So zwingt 
die Schrift abermals zur eigentlichen Fassung der Abendmahls- 
worte. 

4. Wir haben nun festzustellen, was mit dem rovr o, dies, ei- 
gentlich gemeint sei. Nach den Sozinianern ist damit das Bre- 
chen und Genießen gemeint. Cat . Racoviensis 2 : Ea ratione , 
quod in his verbis: hoc est corpus meutn, particula hoc ad univer- 
sam frangendi et sumendi panis et fundendi vinx actionem referri 
potest Nach dem Reformierten Lasko ist unter dem „dies” 
die ganze Abendmahlshandlung gemeint. Nach Carl- 
stad t ist der Leib gemeint, denn Christus habe beim Wort rovro 
auf seinen Leib hingewiesen. Schwenkfeld dachte den gan- 
zen Satz um und machte das „dies” zum Prädikat. 

Gewiß ist, daß unter dem „dies” Brot und Wein gemeint 
sind, denn der Herr sagt ja: „Nehmet, esset, das ist mein Leib.” 
Das „dies” ist also das, was sie nehmen und essen sollen, also 
das Brot. Aber es ist nicht bloß Brot und Wein mit dem 
..dies” gemeint. Wir sehen das aus den Worten Pauli 1. Kor. 
10, 16. Er setzt zwar hier als Subjekt nicht ein rovro, sondern er 
setzt Brot und Wein als Subjekte; aber er sagt nun auch nicht: 
Das Brot ist der Leib, sondern: „Das Brot, das wir brechen, 
ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?” Wir sehen 
hieraus, daß es einen großen Unterschied macht, ob es lautet: 
Dies ist usw., oder: Dies Brot ist usw. Im ersteren Falle 
lautet es weiter: Mein Leib, im letzteren: Die Gemeinschaft 
meines Leibes. Paulus lehrt uns also, daß das Brot nicht der 


2 Qu. 34 *, P ■ 507 . 


112 § 65. Das Sakrament des. heiligen Abendmahls. 

Leib i s t, sondern den Leib trägt und mit sich verbun- 
den hat, und zwar so, daß, wer das Brot genießt, auch den Leib 
genießt, oder genießende Gemeinschaft mit dem Leibe hat. Wenn 
also der Herr sagt : „Das ist mein Leib,” so ist das „dies” Brot 
und Leib zusammen in sakramentlicher Vereinigung. 
Warum aber sagt denn der Herr nicht selbst: Dies Brot? 
Antwort: Daß es Brot ist, sehen die Jünger. Daß der Herr es 
ihnen reichte, war Passahordnung. Das Neue von Christo ge- 
stiftete ist, daß er zugleich auf geheimnisvolle Weise seinen Leib 
mitteilt. Diese Mitteilung des Leibes ist aber auch das, worauf 
es dem Herrn eigentlich ankommt, das hohe und hochwichtige in 
der ganzen Handlung; und darum sagt der Herr nicht vollstän- 
dig, unter Bezeichnung des minder Wichtigen und des im höch- 
sten Sinne Wichtigen, aus, was das „dies” ist, sagt also nicht: 
Dies ist Brot und mein Leib, sondern bestimmt seine Aussage 
eben nach dem Höheren, das er gibt ( denominat a superiori) und 
sagt: „Dies (was ich euch gebe) ist mein Leib.” Geradeso auch 
erklärt sich Luther: „Solche Weise zu reden von unterschied- 
lichen Wesen als von einerlei nennen die Grammatiker Synek- 
doche und ist fast allgemein, nicht allein in der Schrift, sondern 
in allen Sprachen. Als wenn ich einen Sack oder Beutel dar- 
reiche oder zeige, spreche ich : Das sind hundert Gulden. Da 
geht das Zeichen, oder das Wörtlein „das”, auf den Beutel ; aber 
weil der Beutel und die Gulden etlichermaßen ein Wesen sind, 
so trifft’s zugleich auch die Gulden.” So auch Hollaz : 3 In 
priori propositione ( hoc est corpus meum) pronomen demonsira - 
tivum , hoc , denotat totum complexum sacramcntale constans pane 
et corpore Christi ; in posteriori propositione ( hoc est sanguis 
meus) itidem notat totum complexum (den ganzen zusammenge- 
faßten Sakramentsgegenstand) constans zino et sanguine Christi 
mystice unitis . Er führt dann weiter aus, es sei das allgemeine 
Art hinweisender Sätze, daß, wenn man verschiedene, aber unter 
sich geeinte Dinge zeigt, im Subjekt der ganze geeinte Ge- 
genstand bezeichnet werde, im Prädikat aber werde das ausge- 
drückt, was wertvoller ist und den Sinnen nicht so auffallend. 
Er führt dann das Gleichnis von der Perle im Kästchen an, wovon 


8 Examen , pars II I, sect. II, cap. V, qu. 6. p. 385. 


§ 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 


113 


man sage : Dies ist eine köstliche Perle. Selbstverständlich kann 
man nicht sagen : Dies Kästchen ist eine Perle, sondern nur : 
Dies Kästchen enthält eine Perle. So heißt es auch; „Das ist 
mein Leib,” und : Das Brot ist die Gemeinschaft des Leibes. 
Will man nun nicht sagen : Gemeinschaft des Leibes, so muß ich 
dem Brot solche bestimmenden Zusätze geben, durch welche 
ausgedrückt bleibt, daß das Brot selbst nicht der Leib sei, son- 
dern eben nur Gemeinschaft des Leibes. Solche Zusätze 
werden gegeben durch die Präpositionen in, mit und unter 
(in, cum, sub ). So sagen denn unsere Dogmatiker mit unserm 
Bekenntnis 4 : Sub pane, cum pane, in pane adesse et ex~ 
hiberi corpus Christi . Oder es wird auch die Phrase gebraucht: 
Hoc, quod mediante pane exhibetur, est corpus Christi . Von die- 
ser Redeweise in, sub, cum sagen unser Bekenntnis und unsere 
Dogmatiker ganz mit Recht, sie sei identisch mit Pauli Wort: 
Dies Brot ist die Gemeinschaft des Leibes Christi. Ein ent- 
sprechendes Gleichnis wäre ein Glas Medizin. Ich sage: Dies 
ist Belladonna, obschon es nur einige Tropfen Belladonna mit 
Wasser verdünnt sind. Ich müßte eigentlich sagen; Dies ist 
Wasser und Belladonna. Jedenfalls darf man nicht sagen: Die- 
ses Wasser ist Belladonna, wohl aber : I n und unter dem 
Wasser ist Belladonna, oder: Dieses Wasser enthält Bella- 
donna. Also ist die Redeweise Christi eine ganz gebräuchliche. 

Auf die Anklage der Reformierten, daß wir ja selbst eine 
Redefigur, nämlich Synekdoche, gebrauchen, antworten wir mit 
der ganz richtigen Erklärung, daß wir dennoch keine tropische, 
uneigentliche Redefigur brauchen, welche die Realität von Leib 
und Brot aufhebt. Synekdoche ist Redefigur, aber nicht figür- 
liche Rede. Gerhard 0 sagt, es sei ein Unterschied zu machen 
zwischen einer grammatischen und rhetorischen 
Synekdoche und daß erstere zwei Substanzen in eins zusam- 
menfaßt. Die rhetorische Synekdoche verhält sich anders. Eine 
rhetorische Synekdoche faßt z. B. Ursache und Wirkung, die zur 
Zeit nicht realiter verbunden sind, in ihrer Aussage zusammen, 
z. B. von einem Glas Gift: Dies ist Tod. Nur uneigentlich sind 


4 Form . Conc sot. deci, VII, 35, p . 655. 

« Loci , tom. X , loc. XXH, cop. X, I XCIll, p . T33. 


114 § 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 

Gift und Tod vereint, weil eben Tod nicht eine mit der Substanz 
des Giftes zusammengefaßte andere Substanz, sondern die Wir- 
kung ist, die tatsächlich im Augenblick der Aussage mit dem Gift 
nicht vereint ist. Durch eine rhetorische Synekdoche dürfte man 
freilich also nicht begründen wollen, daß unter dem Brot der 
Leib sei. Aber von einer rhetorischen Synekdoche kann in den 
Abendmahlsworten gar nicht die Rede sein, denn der Leib Christi 
kann doch in keiner Weise die Wirkung oder die Eigenschaft, 
noch sonst etwas von dem Brote sein. 

Durch diese Auslegung nach der Auslegungsrichtschnur 
Pauli sind wir sofort auch von der Grundverkehrtheit der 
katholischen Lehre überzeugt. Dies, was Christus gibt, 
kann nicht durch Verwandlung der Leib sein, so daß nun 
Brot seiner Substanz nach nicht mehr vorhanden wäre, sondern 
nur scheinbar (der Akzidenz nach). Paulus sagt: Das Brot, 
welches wir brechen, ist die Gemeinschaft des Leibes Christi. 
Er sagt ausdrücklich : Das Brot ist nicht der Leib, sondern die 
Gemeinschaft des Leibes. Daß das Brot uns den Leib ver- 
mittelt, hat nur dann einen Sinn, wenn beides, Brot und Leib, 
vorhanden bleibt. Es kann von Gemeinschaft nicht die Rede 
sein, wo nur e i n Ding ist. 

Da die Worte „Leib und Blut” zu nehmen sind, wie sie lau- 
ten, so hat man kein Recht, für eins der beiden etwas anderes 
zu substituieren. Das ist geschehen, indem man Leib als iden- 
tisch mit Fleisch genommen hat. Man fand dies wohlbegründet, 
weil Fleisch und Blut bekannte Ausdrücke für die ganze Leiblich- 
keit seien, und weil dagegen dem Ausdruck „Leib und Blut” kein 
rechtes Verständnis abgewonnen werden könnte, wenn Leib der 
ganze Leib und daher, da Blut ein Teil von ihm, somit in den 
Abendmahlsworten das Ganze und dann noch ein Teil gesetzt sei. 
Doch sagt Paulus i. Kor. io, 17 gerade in bezug auf das Essen 
von einem Brote : „So sind wir viele ein Leib.” Er macht offen- 
bar eine Anspielung auf die Gemeine der Gläubigen als den Leib 
Christi. Man hat daher kein Recht, hier im Abendmahl das Wort 
„Leib” gleich „Fleisch” zu nehmen. Wir können freilich nicht 
erklären, warum Christus erst das Ganze, den Leib, und dann 
noch einen Teil desselben, das Blut, gibt. Allein, dies entscheidet 
nicht für die Lehre selbst. Auch um der Polemik willen gegen 


§ 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 


116 


die Papisten ist es nicht richtig, unter Leib Fleisch zu verstehen, 
weil man durch Festhalten des Ausdrucks Leib nur ihrer falschen 
Lehre vom Abendmahl unter einer Gestalt und von der Konko- 
mitanz Vorschub leiste. Denn durch die Annahme eines Begriffs, 
der nicht wörtlich da steht, ist nichts gewonnen, wohl aber durch 
Berufung auf den Wortlaut, wonach stehen bleibt, daß Christus 
sagt: Mein Leib, aber auch stehen bleibt, daß Christus das 
Abendmahl unter beider Gestalt verordnet hat und daß die 
Papisten da vom Wortlaut abgehen. 

PUNKT III. 

Die Materie im Abendmahl ist nach der Schrift eine doppelte , 
nämlich die irdische, Brot und Wein ( materia terre - 
stris) und die himmlische, Leib und Blut ( materia 
c 0 eie stis). 

Anmerkung: — Wie Brot und Wein, sosind Leib 
und Blut gegenwärtig. Das ist der erste lutherische 
Hauptsatz vom Abendmahl. 

Was die materia terrestris betrifft, so ist gleichgültig, von 
welchem Getreide das Brot ist. Die scholastische Behauptung, 
daß kein Abendmahl sei ohne Brot aus Weizen, ist ohne allen 
Grund. Lutherischer Grundsatz ist: Qualität (gesäuert, unge- 
säuert), Quantität, Gestalt sind Adiaphora. In bezug auf 
gesäuert oder ungesäuert war bekanntlich im Altertum ein erbit- 
terter Streit. Doch sagt Quenstedt immerhin 1 : Eligitur 
tarnen panis azymus, seu infcrmentatus ob sinceritatem, exempli 
Christi auctoritatem, et primitivae ecclesiae praxin et consuetu- 
dinem. Das Passahbrot war unzweifelhaft ungesäuert. Ob 
Quenstedts Annahme von der ältesten Kirche richtig sei, ist zwei- 
felhaft. Sirmond 2 hat das Gegenteil fast gewiß gemacht. 
Berechtigt sind die aus der römischen Kirche überkommenen Ob- 
laten ; sie sind kein Scheinbrot (Kalvinisten), sondern wirkliches 
Brot. 

Was den Wein betrifft, so ist nach der Sitte in Israel sehr 
wahrscheinlich, daß der Herr gemischten Wein brauchte. Aber 

1 Theol. did. pol., pars IV, cap. VI, sect . I, thes. VII, nota T t p iföC 

2 Jesuit, einer der bedeutendsten kathol. Theol. Frankreichs. War ein 
Freund von Bellarmin und starb in Paris 1651. 


116 § 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 

gewiß bleibt, daß auch dies, ob reiner oder mit Wasser vermisch- 
ter Wein gebraucht wird, adiaphoristisch ist. Daß in der lutheri- 
schen Kirche dennoch der Gebrauch reinen Weins Sitte ward, 
dazu wirkte sehr mit die papistische Kontroverse, daß gemischter 
Wein notwendig sei. B e 1 1 a r m i n 3 : Aqua vinum misceri in 
calice ita necessarium est, ut non possit sine gravi peccato omitti . 
Luther erklärte, daß der reine Wein am besten das reine Blut 
Christi repräsentiere. 

In Ansehung der materia coelestis ist erstlich eine Erklärung 
über die Gegenwart und sodann über die Art derselben 
nötig. 

A. Die Gegenwart der materia coelestis und die Gewißheit 
dieser Gegenwart beruht, wie schon erklärt, auf den eigentlich 
genommenen Einsctzungsworten. Wir bezeichnen die Art der 
Gegenwart, die in , sub und cum materia terrestri statthat, als 
praesentia sacramentalis. Wir können sie nicht näher beschrei- 
ben, sondern unterscheiden sie damit nur in ihrer Art von jeder 
anderen Gegenwart der menschlichen Natur Christi in der Welt. 
Aber diese Gegenwart ist eine tatsächliche, reale, wahr- 
haftige ( praesentia realis et vera) ; die Vorstellung einer nur 
bildlichen, dargestellten Gegenwart ( praesentia ßgurativa et re - 
praesentativa) ist ausgeschlossen. Auch ist diese Gegenwart eine 
wesentliche ( praesentia substantialis) , also das Gegenteil 
von der kalvinistischen, nur virtualen Gegenwart ( praesentia vir - 
tualis), sofern nach Calvin nur die Kraft des Leibes und Blutes 
Christi im Abendmahl gegenwärtig ist, die Substanzen aber im 
Himmel sind ; vergl. Epitome 4 . Sie ist ferner mystisch, 
übernatürlich, unbegreiflich ( praesentia mystica , 
supernatur alis, incomprehensibilis) , d. h. nicht auf eine irdische, 
erklärliche, natürliche Weise sind Leib und Blut da. Aber trotz 
aller dieser Bestimmungen, durch welche nun jeder falsche Ver- 
stand abgewehrt wird, können wir, wie schon bemerkt, positiv die 
eigentliche Beschaffenheit der Gegenwart nicht beschreiben. Die 
vielen Verdächtigungen der lutherischen Lehre haben freilich im- 
mer genauere Ausführungen der obigen abwehrenden Bestim- 


8 Disp.j tom. III, de sacr. eucharist lib. IV, cap. X, /, p. 364. 
4 Pars I, cap. VII 31, p. 542. 


§ 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 


117 


mungen nötig gemacht. C a I o v 5 gibt sie so : Corpus et san- 
guinem Christi in coena adesse non quidem per ptrovo-iav vel 
transsubstantiationem substantialem, ut Pontiücii volunt, nec per 
<rwov<r(av vel consubstantiationem, quam nobis calutnniose Cal- 
viniani affingunt, nec per inclusionem localem , puta impanatio - 
ncm, uti caro est in artocreate, et invinationem, ut criminari con- 
sueverunt; nec per modum descensus e coelts et de dextra Dei, 
quem sequitur deinde iterum in coelum et ad dextram Patris ascen- 
sus, statuimus. Wenn die lutherische Kirche so entschieden diese 
irrigen Weisen der Gegenwart, nämlich consubstantidtio und im- 
panatio von sich weist ; vergl. unsere Bekenntnisschrif- 
t e n 6 , so sollte es nachgerade von seiten der Kalvinisten als un- 
gebührlich erscheinen, dennoch zu behaupten, daß die Lutheraner 
jene irrigen Weisen der Gegenwart lehrten. 

Den Haupteinwurf gegen die reale Gegenwart von Leib und 
Blut Christi im Abendmahl, daß nämlich die Einsetzungsworte 
eine solche nicht begründeten, haben wir schon widerlegt. Wei- 
tere Einwürfe sind : 

a. Die Lutheraner bauten ihre Lehre von der Gegenwart 
des Leibes und Blutes Christi im Abendmahl nur auf ihre Lehre 
von der Person Christi. Antwort: Wenn wir das täten, wäre 
es dem Inhalt nach nichts Falsches, da die lutherische Lehre von 
der Person Christi fest in der Schrift begründet ist. Doch hat ja 
die lutherische Kirche, der Schrift gehorsam, die alle Lehre auf 
Aussage der Schrift gründen heißt, auch keineswegs die Gewiß- 
heit der Gegenwart vom Leib und Blut Christi im Abendmahl auf 
Schlußfolgerungen aus der Lehre von der Person Christi gegrün- 
det. Treffend sagt Hutter 7 : Man müsse in der Frage über 
die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im Abendmahl 
zweierlei Frage unterscheiden, nämlich I, ob Christus nach Leib 
und Blut gegenwärtig sein wolle. Dies sei gewiß aus den 
Einsetzungsworten Christi. Darum hätten sich auch Luther und 
seine Nachfolger für die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi 
immer vor allen Dingen auf diese Worte berufen. II. Ob Chri- 


5 Systeme, tom. IX, p. 307. 

0 Epitome, pars I, cap . VII, 14, 15, p. 540; cap. VIII , 17, P- 547 ! sol 
decl, cap. VII, 64, p. 661; 105, p. 670. 

7 Loci, p . 716. 


118 § 6s. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 

stus nach Leib und Blut gegenwärtig sein könne. Und darüber 
urteile man doch gewiß mit Recht aus der schriftgemäßen Lehre 
von der Person Christi. Wir setzen hinzu : Auch das letztere 
ist nicht nötig, auch nicht einmal wohlgetan. Denn wenn der 
Herr, der getreue Zeuge sagt: „Das ist mein Leib,” so ist uns 
diese Zusage nicht nur Garantie für sein Wollen, sondern auch 
für sein Können. Tatsächlich haben auch unsere Theologen 
keineswegs die Abendmahlslehre auf die Christologie gegründet 
oder aus derselben entwickelt, sondern in den christologischen 
Streitigkeiten haben sie vielmehr die Gegenwart Christi im 
Abendmahl als Zeugnis für die Schriftmäßigkeit ihrer Chri- 
stologie gebracht. 

b. Es sei ganz undenkbar, daß Christus seinen Leib, der 
doch beim ersten Abendmahl sichtbar vor den Jüngern war, den 
Jüngern im Brote als gegenwärtig gebe. Quenstedt 8 : Ob - 
jicitur: Praesentia corporis Christi repugnat circumstantiis primae 
coettae, quia in prima coena corpus Christi non latuit in, sub et 
cum pane invisibiliter absconditum, sed visibiliter mensae assedit, 
ita Polanus , Keckermannus , Ursinus; et sanguis extra vasa sua 
nondum erat effusus, ita Zwinglius, Beza . Antwort : Wir haben 
nicht einen doppelten Körper Christi, sondern eine zweifache 
Art der Daseinsweise, oder Gegenwart, des Körpers Christi 
anzunehmen. Wir haben im Abendmahl nicht den natürlichen, 
irdischen Leib Christi, wie er auf Erden wandelte, sondern den 
verklärten, himmlischen Leib, wie allgemeine lutherische 
Lehre ist. Quenstedt 0 ; Visibilis, naturalis et localis Christi 
corporis ad mensam accubitus praesentiam ejus invisibilem, my- 
sticam et sacramentalem non tollit. Es kann weder daran gezwei- 
felt werden, daß Christus seinen verklärten Leib mitteilen konnte, 
noch kann es für etwas Ungeistliches gehalten werden, daß er ihn 
wirklich mitteilte (Joh. 3, 13). Man wirft aber ein, daß da- 
steht : „Das ist mein Leib, der für euch gegeben w i r d.” Wir 
antworten : V o r, i n und nach der Kreuzigung, nach der Auf- 
erstehung und Verklärung ist und bleibt doch immer ein und der- 
selbe Leib. Und weil Christus überhaupt seinen Leib nur hat, 
um ihn in den Tod zu geben, so ist es ein Erlösungsleib auch 

8 Theol. did. pol., pars. IV, cap . VI, sect. II, qu . II, obj. dial. X, p. 201. 

8 L. c. 


§ 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 


119 


vor dem Tode schon ; und ehe die Opferung wirklich geschehen, 
kann Christus mit seinem verklärten Leibe alles geben, was er am 
Kreuze erwerben sollte; vergl. Joh. 13, 31. Recht sagt Quen- 
s t e d t 10 : Neque diversitas circumstantiae temporis , futuri seil 
et praeteriti in aifiartKxvtrl^ rem et substantiam ipsam immutat . 

c. Der Leib könne nicht im Himmel und auf Erden zu- 
gleich sein. Hauptargument der Reformierten ist der aus der 
Vernunft entnommene Satz: Ein natürlicher Körper kann nicht 
an mehreren Orten zugleich sein. Antwort : Die Philosophie hat 
keine Entscheidung über Glaubenslehren. Wir lassen jenen 
Grundsatz selbstverständlich auf bloß physischem Gebiet gelten, 
aber Christi Körper ist nicht im gewöhnlichen Sinn ein natür- 
licher. Quenstedt 11 : Et accurate loquendo, non locatio , sed 
locabilitas, nec esse in loco , sed esse posse in loco corporis physici 
affectio est , Multiplicatio praesentiae termini non est multiplicatio 
praesentis subjectu Varietas modi non est multiplicatio rei. 
Idem Christus praesens est in eucharistia sine multiplicatione suij 
sicut idem Deus in omnibus üdelibus praesens est sine multipliccb 
tione % Axioma philosophicum: Corpus naturale non potest simul 
et semel esse in pluribus locisj de corpore mere humano, non de 
corpore X oyy unito verum est. 

d. Christus ist gen Himmel gefahren, hat also die Erde ver- 
lassen. Antwort : Der Himmel ist, genau genommen, kein Ort ; 
und die Himmelfahrt ist nicht kraß als Ortsveränderung zu den- 
ken, sondern als Veränderung des Status, sofern der Herr aus dem 
Status exinanitionis in den Status exaltationis, d. h. in den vollen 
Brauch der majestas divina eintritt (siehe Lehrstück von der Er- 
höhung) . 

e. Da nach lutherischer Lehre Christus bereits mit seiner 
Menschheit allenthalben gegenwärtig sei, so sei für eine beson- 
dere Gegenwart im Abendmahl kein Raum mehr. Antwort : Die 
sakramentale Gegenwart ist nicht dieselbe wie die allgemeine Ge- 
genwart Christi. Der Heil. Geist ist überall gegenwärtig, und 
stieg doch bei der Taufe in der Gestalt einer Taube auf Christum 
herab (Matth. 3, 16). Oder war der Heil. Geist nicht zuvor in 


10 L. c. 

11 L. c. y obf. dial. VI, p. 200. 


120 § 65 . Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 

Christo? Gott ist doch allen Dingen intime und substantialiter 
gegenwärtig, und will doch erst in den Gläubigen Wohnung 
machen (Joh. 14, 23). Der gegenwärtige Leib Christi ist der- 
selbe im Abendmahl wie in der allgemeinen Gegenwart, aber 
der Modus ist verschieden. 

f. Ist wirklich der Leib Christi gegenwärtig, so müßten so 
viele Leiber wie Hostien sein. Einwürfe der Art sind schon roher 
Spott. Man kann aber nach dem Muster dieses Einwurfs sagen ; 
Es muß so viele Heil. Geister geben wie Gläubige, denn in jedem 
wohnt der Heil. Geist. 

g. Jede Materie wird durch den Gebrauch erschöpft; so 
müßte Christi Leib längst aufgezehrt sein. Auch von diesem Ar- 
gument muß man sagen, daß es roh ist. Es handelt sich ja im 
Abendmahl um einen verklärten Leib. Köstlich spricht solcher 
Rohheit gegenüber das gläubige Altertum ; A sumente non con- 
cisus , non confractuSj non divisus, integer accipitur. Sumit unus , 
sumunt mitte , quantum unus , tantum Ule , nec sumptus absumitur. 

h. Es ist nicht abzusehen, welcher Nutzen aus dem Genuß 
des Leibes kommen sollte. Dieser Einwurf ist die platteste Geist- 
losigkeit. In diesem Sinne erklärte der vulgäre Rationalismus, 
daß der Glaube an die Dreieinigkeit nichts Nutzbares habe; folg- 
lich sei er aufzugeben. Und aus Eifer für die Nutzbarkeit warf 
er schließlich alle Glaubenslehren aus der Kirche, namentlich die 
von der Erlösung, welche als die nutzloseste erschien, weil sie 
dem Tugendeifer am schädlichsten war. Übrigens werden wir 
den Nutzen vom Genuß des Abendmahls noch bei der Lehre vom 
Zweck des Abendmahls kennen lernen. 

B. Über die Natur des im Abendmahl gegenwärtigen Leibes 
und Blutes Jesu Christi sagt unsere Kirche, daß es der verklärte 
Leib und das verklärte Blut sei. Chemnitz sagt 12 : Christus 
igitur in coena corpus suum et sanguinem suum , quae extra omnes 
miserias in gloria patris exaltata sunt, ita nobis praebet, ut Ulis se 
conjungat cum nostra miseria hac natura, Quenstedt sagt in 
der Polemik gegen den reformierten Satz, daß ein wahrer Kör- 
per, also auch der Christi, im Abendmahl müßte gesehen und be- 
tastet werden können 18 : Distinguendum int er visionem et con- 

12 Fundamenta, p. 73. 

18 L, c.j obj. dial. XII, p. 201. 


§ 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 121 

trectationem potentialem et actualem; haec requirit, ut inter ab - 
jectum et subjectum sensile et sensorium sit proportio, quae cum 
inter corpus nostrum adhuc animale et corpus Christi spirituale et 
glorificatum non sit, mirum quoque non est, visui atque tactui no - 
stro corpus Christi expositum haud esse. Gemeint ist, daß unser 
noch irdischer Körper mit seinen Organen noch nicht geschaffen 
ist dazu, einen verklärten Körper wahrzunehmen, sei es 
sehend oder fühlend. 

Gegen den schon erwähnten Einwurf, daß der Herr nicht 
vom verklärten Leib und Blut spreche, sondern von dem Leibe, 
der gebrochen wird, und von dem Blute, das vergossen wird, sagt 
Luther in seiner derben Weise: „Also möchte einer auch 
solche Geisterei treiben und sagen : Christus zur Rechten Gottes 
ist der Sohn, der von Maria geboren ; aber er ist von Maria sterb- 
lich geboren, so muß er sterblich zur Rechten Gottes sitzen. 
Rahel hat keinen Schleier auf, also ist Rahel kein Weib. Das 
wäre ja die neue logische Regel: „Die Akzidenz ist die Substanz 
und<iarf nicht fehlen am Subjekt.” Luther meint mit den letzte- 
ren Worten dies : Der Leib Christi ist die Substanz, das Wesen ; 
dieser Leib kann in einem natürlichen, sinnlichen, oder in einem 
übernatürlichen, verklärten Zustand sein. Aber sinnlich, natür- 
lich oder übernatürlich, verklärt sein sind Akzidenzien (zufällige 
Bestimmtheiten) des Wesens, d. i. des Leibes. Nun kann man 
doch nicht das Zufällige zum Wesen machen und sagen: Weil 
der Leib Christi im Abendmahl der verklärte Leib Christi ist, 
so ist er überhaupt nicht mehr der wahre Leib Christi. 

PUNKT IV. 

Das Essen des Leibes und das Trinken des Blutes im Abendmahl 
unter dem Brot und Wein ist ebenso ein eigentliches , wahr- 
haftes, mündliches Gemessen zvie das des Brotes und des 
Weines. 

Anmerkung: — Dieses ist ein anderer Hauptsatz der lutheri- 
schen Abendmahlslehre. Er beruht auf der realen Gegen- 
wart des Leibes und Blutes Jesu Christi unter dem Brot und 
Wein und auf dem Gebot: „Nehmet, esset; das ist mein 
Leib. Trinket alle daraus; das ist mein Blut des neuen Testa- 
ments.” Das Genießen der himmlischen Materie ist also kein 


122 § 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 

uneigentliches, metaphorisches, sondern ein eigentliches, 
wahrhaftes, mündliches. Chemnitz 1 : Quod si 
verba illa coenae de pane et potu ita interpretanda et intelligenda 
sunt , sicut accipiuntur Joh. 6 (wo von der spiritualis manducatio 
Christi , d. h. durch den Glauben die Rede ist), non opus erit ex - 
ternis seu materialibus elementis panis et vini in celebratione 
coenae dominicae. Sequitur etiam, Christum in prima coena non 
materialem panem , nec vinum physicum sumpsisse. Illa enim 
vocabula Joh. 6 extra controversiam accipiuntur ßgurate: verba 
enim manducare et bibere loh. 6 simpliciter sunt metaphorica. 
Capernaitae enim quaerebant manducationem externam; Christus 
vero manducationem simpliciter interpretatur pro ßde . Inde vero 
omnino falso , quis colligeret , coenam dominicam celebrari posse 
sine externis elementis panis et vini , atque ita, ui os corporis in 
coena illa nihil prorsus accipiat. Haec circa controversiam falsa 
sunt. Atque inde manifestissime constat , propter verba Joh. 6 
non esse dimovenda verba institutionis a propria et nativa signi- 
ßcatione , ut ea, quae nativa sententia institutionis praescribit et 
praecipit , vel tollenda vel mutanda sint propterea , quia Joh. 6 illa 

vel non traduntur, vel non ita sicut in Institution e traduntur 

Nec verum est, Christum in institutione coenae tantum de man- 
ducando suo corpore et bibendo suo sanguine indefinite (d. h. so, 
daß der Sinn erst aus Joh. 6 zu nehmen wäre) locutum . Quando 
enim inquit: Accipite, manducate, bibite, vult et praecipit , ut ore 

id, quod praebetur ’ 3 accipiamus Christus vero de eo, quod 

ita ore accipitur } pronunciat : Hoc est corpus meum; hic est san - 
guis meus. Hinc esse propriam et nativam sententiam verborum, 
certum est. Denn das ist ja unmöglich, daß dasselbe Wort (esset 
— trinket) in ein und demselben Satz einmal die eigentliche und 
dann wieder die uneigentliche Bedeutung habe. Sehr gut sagt 
H o 1 1 a z vom Unterschiede zwischen der manducatio spiritualis , 
welche in Joh. 6 allein, im Abendmahl zwar auch, aber nicht 
allein vorliegt, und der manducatio oralis , welche dem Abend- 
mahl ausschließlich eigen ist 2 : Illa spiritualis est omnium 
temporum , haec est Novi Testamenti propria. Illa etiam extra 


1 Fundament a, cap. XII, IV , p. 93. 

2 Examen, pars III , sect . II, cap . V , qu. 16, obs . III, p, 6 II. 


§ 65 . Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 123 

coenam , haec tantum in ipsa coena locum habet lila etiam ßeri 
polest absque symbolis , haec duntaxat mediantibus symbolis ex - 
ternis peragitur . lila prodest setnper ad salutem, haec interdum 
ßt etiam ad judicium . lila apprehendit totum Christum cum 
omnibus ipsius beneßciis, haec tantum corpus Christi in et sub 
pane. lila est metaphorica, haec propria proprietate grammatica , 
licet non proprietate physica . Ganz ähnlich spricht sich Chem- 
nitz aus in der schon angeführten Stelle 8 : Nam manducatio 
loh. 6 semper et ab omnibus ßt ad salutem , in coena vero multi 
manducant sibi judicium , et manducando rei ßunt corporis 
Christi. Item manducatio Joh. 6 est et esse debet omnium lo - 
corum et temporum ( cf . v. 50-56 ) , de manducatione vero in coena 
dominica scriptum est: Quotiescunque etc. item: C onvenientibus 
vobis. Ad manducationem etiam Joh. 6 non opus est adhibere 
elementa panis et vini (aber im Abendmahl: „Solches tut,” das 
gilt auch in bezug auf Brot und Wein), nec opus est Ulis vcrbis: 
Panis est corpus meum; vinum est sanguis meus. lila vero neces- 
sario requiruntur ad coenam dominicam. Chemnitz schließt da- 
her: Christus igitur novam et peculiarem manducationem cor- 
poris sui in coena instituit; siehe Sol. Deel., VII, 61 ff., S. 660. 

Nun sagen die Kalvinisten zwar, daß sie auch ein münd- 
liches Genießen im Abendmahl anerkennen, aber sie beziehen 
es nur auf das Brot und den Wein, nicht auf den Leib und das 
Blut Jesu Christi. Sagt doch Beza: Diese Lehre, daß Christi 
Leib und Blut im Abendmahl genossen werden, sei tale ßgmen- 
tum et commentum , cujus vel ipsum Satanam pudeat. Mit sol- 
chen Worten verdammt Beza, ganz abgesehen von der lutheri- 
schen Kirche, die ganze alte Kirche als eine Rotte, die an Scham- 
losigkeit den Satan überbietet, so Irenaus, Tertullian, Cyprian, 
Gregor von Nyssa, Cyrill von Jerusalem, Chrysostomus, Leo den 
Großen, Gregor den Großen. 

Den schlagendsten Beweis für den mündli- 
chen Genuß des Leibes und Blutes Jesu Christi gibt 1. Kor. 
11, 27. 29. 30. Hier wird ausgesagt, daß das, woran die Ver- 
sündigung im Abendmahl geschehe, also der Gegenstand 
der Versündigung, sei der Leib Christi. Der Grund der Ver- 


» L. c. 


124 § 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 

sündigung ist die unwürdige Gesinnung ; die sündliche Hand- 
lung ist der Genuß. Ferner wird ausgesagt, daß der Grund 
der Strafe das Nichtunterscheiden des Leibes Christi sei. Nun 
decken sich aber stets der Grund der Strafe und die sün- 
dige Handlung. Es ist also hiermit ein wirkliches, mündliches 
Genießen des Leibes Christi, und zwar von Unwürdigen, gelehrt. 

Wie schon aus den obigen Zitaten aus Chemnitz und Hollaz 
erhellt, ist der Haupteinwand der Kalvinisten der, daß nach Joh. 
6 das Essen und Trinken im Abendmahl ein geistliches sei, wenig- 
stens was Leib und Blut anlange. Der Herr lege es ja dort 
selbst so aus. Deshalb nannte Ökolampadius auch Joh. 6 seine 
feste Burg und den gegen die Lutheraner mit dem Feuerschwert 
bewaffneten Erzengel. Aber gegen die Beziehung von Joh. 6 
auf das Abendmahl spricht ja von vornherein dies, daß dann aus 
Joh. 6 die Lehre herauskäme, daß ohne Genuß des Abendmahls 
niemand selig werden kann. Es hat schon darum auch die 
lutherische Kirche beständig die Beziehung von Joh. 6 auf das 
Abendmahl verworfen im Gegensatz gegen die Reformierten und 
alle Sekten, auch gegen die katholische Kirche, welche die refor- 
mierte Ansicht über Joh. 6 teilt. 

So gewiß nun mit Brot und Wein mündlich auch der 
Leib und das Blut Jesu Christi genossen werden, so ist die Weise 
( modus ) doch so verschieden, wie Leib und Blut Christi als 
himmlische Elemente von Brot und Wein, den irdischen Elemen- 
ten, verschieden sind. In anderer Weise wie Brot und Wein 
nimmt also der Mund Christi Leib und Blut. Hollaz macht 
den Unterschied so klar 4 : Sacramentalis manducatio et bibitio 
est una et indivisa actio , qua simul eodem momento et panem 
eucharisticum , eique sacramentaliter unitum corpus Christi come- 
dimus. Scd unius illius nianducationis et bibitionis illius duplex 
est modus. Nam licet uno et eodem organo sumatur res terrena 
et coelestis, non tarnen eodem modo. Panis et vinum ore acci- 
piuntur immediate et natural iter, corpus et sanguis 
Christi me diat e et supernaturaliter. Quenstedt 
sagt 5 : Distinguendum inter manducationem ipsam ejusque for- 
mam, deßnitionem et proprietates, et inter nianducationis acci - 


4 Examen, l. c. 

5 Theol. dtd, pol., pars IV, cap. VI, sect. II, qu. III , ecthes. V , p. 204 . 


§ 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 126 

dentia et consequentia . Non valet: Christi corpus proprie man - 
ducatur , ergo dentibus atteritur, in ventriculum trajicitur, ibique 
more aliorum ciborum concoquitur . Neque enim de propriae 
manducationis ac bibitionis generali essentia est, ut cibus et potus 
mediante deglutitione ingerantur in stomachum, praedicta enim 
accidentia et consequentia competunt tantum manducationis modo 
physico, non hyperphysico ; siehe Sol. Declaratio L 

Man hat nun gefragt, welche Substanz in dem Menschen 
durch den Genuß des Leibes und Blutes Christi genährt werde. 
Etliche Kirchenväter dachten an die Ernährung des Auferste- 
hungsleibes, ebenso nicht wenige unter den neueren Theologen. 
Davon aber sagt die Schrift nichts. Gerhard und Calov äußern 
nur einmal, daß wir im Abendmahl das Pfand der Auferstehung 
hätten. Allein, da setzt ja der Herr viel klarer in Joh. 5 sein 
Wort zum Pfand der Auferweckung der Toten am Jüngsten 
Tag-, wie er dort auch die Auferstehung nicht aufs Abendmahl, 
sondern allein aufs Wort, auf seine auferweckende Stimme grün- 
det (Joh. 5, 28. 29). Nicht zur Ernährung irgendwelcher Sub- 
stanz in uns gibt der Herr nach den Abendmahlsworten seinen 
Leib und sein Blut, sondern er gibt sie offenbar als gewißma- 
chende Unterpfänder, aber nicht der Auferstehung, sondern 
der Vergebung der Sünden, worüber weiter im Stück 
de fine sacrae cocnae zu handeln ist. Kaum braucht wiederholt 
zu werden, daß von unserm Unvermögen, überhaupt einen Zweck 
der Mitteilung der realen Substanz des Leibes und Blutes Jesu 
Christi bestimmen zu können, die reale Gegenwart derselben nicht 
abhängig gemacht werden kann. Wir haben physisch reale 
Dinge, deren Zweck noch niemand bestimmt hat. 

Ein dritter wichtiger Abendmahlssatz ist der, daß im 
Abendmahl Christi Leib und Brot, Christi Blut und Wein in ganz 
besonderer Weise geeinigt sind. Gewiß ist diese Vereinigung, 
aber ihr Modus ist unfaßbar, also auch unbestimmbar, wie 
schon an anderer Stelle berührt ist. Es bleibt dabei, wir können 
sie nicht positiv beschreiben, sondern vermögen weiter nichts, 
als die falschen Ansichten über diese Vereinigung abzu- 
weisen, nämlich : 


Art. Vif , 64, p. 66t. 


126 § 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 

1. Verwandlung ( transsubstantiatio) ; 

2. Vermischung der Substanzen ( consubstan - 
tiatio ), wo entweder beide untrennbar gemischt, oder durch die 
Vermischung zu etwas Neuem geworden, durch ein Drittes auf- 
gehoben sind; 

3. Lokale, dauernde Einwohnung der himmli- 
schen Materie in der irdischen, wie die Papisten als Grund ihres 
Frohnleichnamgötzendienstes lehren : 

4. Einschließung ( impanatio , invinatio) ; 

5. Persönliche Einigung, wie die unio persona- 
lis in der unio der beiden Naturen Christi. Denn nicht der 
ganze Christus vereinigt sich mit dem Brot und Wein, sondern 
nur Christi Leib und Blut. Es ist zu unterscheiden, daß der 
ganze Christus im Abendmahl gegenwärtig, und daß die 
himmlische Sache mit Brot und Wein sacramentaliter ge- 
eint ist. 

PUNKT V. 

Das Wesen (forma) des Abendmahls ist die gesamte Handlung , 
zvelche Christus selbst in Ansehung der irdischen und himm- 
lischen Materien vorgenommen und dann für alle Zeiten 
eingesetzt hat , so dass nur da das Abendmahl zvirklich gefei- 
ert zvird, ivo die drei die Gesamthandlung bildenden wesent- 
lichen Handlungen ( actus formales) : Konsekration , Austei- 
lung , Empfangen statt haben. 

Anmerkung : — Gottfr. Hoff mann sagt 1 : Sacramen- 
ta } quorum forma , generaliter loquendo , consistit in actione divini- 
tus instituta, eaque totali , ex pluribus actibus partialibus quasi 
conflata, quäl es sunt consecratio, SoVis et qui actus for- 

males dicuntur, quia ad formam et substantiam sacramenti perti- 
nent , ita ut extra usum nullum sit sacramentum . In der ekthes. 
sagt er: Et in hoc quidem a pontificiis atque a calvinianis sece- 
dimus, qui genus sacramenti constituunt signum et sacramenta 
per signa deüniunt . Daß die Sakramente, so auch das Abend- 
mahl, als Wesen die Handlung haben, sei auch gewiß ex'eo } quia 
sublata actione sacramentum proprie dictum esse nequit. Daß 
das logische Genus der Sakramente actio sei, nicht signum oder 


1 Synopsis , 5 1, p. 824. 


§ 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 127 

res , ist in bezug auf das Abendmahl ganz besonders wichtig in 
der Polemik gegen die Papisten. 

Wir gehen nun zu den einzelnen actus formales über : 

A. Die Konsekration läßt sich nach den Schriftstel- 
len über die Einsetzung des Abendmahls wiederum nach einzel- 
nen, sie konstituierenden Akten unterscheiden. Nach Quen- 
s t e d t besteht die Konsekration : 

1. in der separatio der Elemente vom gewöhnlichen Ge- 
brauch ; 

2. in der benedictio, Segnung, mit welcher die Elemente 
unter feierlichem Gebet und Bitte für den Gebrauch im Abend- 
mahl bestimmt werden; 

3. in der sakramentalen Einigung ( sacramentalis unitio), 
d h. Bewirkung der Einigung des Brots und Weins mit Christi 
Leib und Blut, so daß das gereichte Brot des Leibes, der ge- 
reichte Wein des Blutes Gemeinschaft ist. Diese unitio geschieht 
durch die Einsetzungsworte. Quenstedt setzt aber gleich hinzu, 
daß die sakramentale Vereinigung nur in der Austei- 
lung geschieht Brot und Wein sind nicht Träger des Leibes 
und Blutes Jesu Christi, bevor sie gegessen und getrunken wer- 
den. Dies beweist als richtig das Wort Christi : „N e h m e t, 
esset; das ist mein Leib.” Die Dogmatiker nennen deshalb die 
in der Konsekration geschehende unitio eine praeclusiva , d. h. de- 
ren Resultat erst bei einer Handlung, dem Essen und Trinken, 
eintritt. 

Die benedictio ist nach 1. Kor. 10, 16 gewiß apostolischer 
Brauch. Paulus sagt : „Der gesegnete Kelch, welchen wir s e g- 
n e n.” Er gibt aber nicht an, w o m i t zu segnen sei. Wir wis- 
sen auch nicht, womit der Herr im ersten Abendmahl gesegnet 
hat. Das Abendmahl führte schon den Namen „Eucharistie” von 
den dabei gesprochenen Dankgebeten. Diese mag wohl Paulus 
mit dem „segnen” meinen. Nun brauchte nach Gregor Magnus 
die alte apostolische Kirche das Vater Unser. Einen Beweis aus 
apostolischer Zeit bringt er freilich nicht dafür. Doch läßt sich 
der Brauch des Vater Unser bei Cyrill, Basilius, Augustin, Hie- 
ronymus nachweisen. Die Kirchenväter setzten aber das Vater 
Unser hinter die Ein setzungs worte, während wir dem römischen 
Brauch folgend es umgekehrt machen. Und nicht schon in der 


128 § 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 

Präfation (so heißt der Gebetsteil beim Abendmahl seit Cyprian), 
sondern in der eigentlichen Konsekration durch die Einsetzungs- 
worte vollzieht sich die unitio praeclusiva, . Die Einsetzungs- 
worte dürfen auf keinen Fall fehlen, sagt unsere SoL Deel. 2 3 : 

1. damit dem Befehle Christi : „Das tut” Gehorsam gelei- 
stet werde; 

2. der Zuhörer Glaube vom Wesen und Frucht dieses Sa- 
kraments durch Christi Wort erwecket, gestärkt und vergewis- 
sert; 

3. und die Elemente damit geheiligt und gesegnet werden, 
auf daß uns damit Christi Leib und Blut zu essen und zu trin- 
ken gereicht werde, welche Heiligung und Segnung durch die 
Erzählung ( recitatio ) der Worte der Einsetzung geschieht. 

In Anbetracht dessen erklären die älteren Dogmatiker die 
Gebete für einen nicht wesentlichen Teil der Konsekration. 
Doch ist man durch genaue Unterscheidung zur nötigen Verein- 
barung der beiderseitigen Stellungen gelangt. Cotta legt in 
den Anmerkungen zu Gerhards Loci die Einigung vor Ä : Ad ex - 
emplum veteris ecclesiae per preces, sive orationem dominicam 
(quoniam de formula precationis Christi atque apostolorum non 
constat) symbola ad sacrum usutn destinentur ) per verba institu- 
tionis vero, accedente usu, corpus et sanguis Christi cum pane et 
vino uniantur. Unde distinguere solent theologi nostri inter con- 
secrationem totalem et partialem , destinativam et unitivam . Par- 
tialis et destinativa consecratio üt per preces et verba institutio - 
nis, quae non sine precibus internis sunt rccitanda. T otalis autem 
atque unitiva repetitis verbis institutionis , et accedente ipsa actione 
dandi et recipiendi , seu, ut supra diximus , accedente usu , praestat 
conjunctionem rei coelestis cum terrena. Zu einem wesentlichen 
Teil der Konsekration machen also auch die späteren Dogmatiker 
das Gebet nicht. Wesentlich wäre es ja nur, wenn sie ohne das- 
selbe das Wesen des Abendmahls für nicht vorhanden erklärten. 
So aber drückt sich keiner der späteren Dogmatiker aus. Für 
einen nicht zu entbehrenden Teil der Konsekration haben wir 
das Gebet also nur darum zu halten, weil offenbar im ersten 
Abendmahl der Herr betete. Der Schwerpunkt der Kon- 


2 Art. VII, 79, p. 664. 

3 Tom. X , loc . XXII , cap. XIII , I CXLVIII ,nota, p. 26S. 


§ 65- Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 


129 


sekration aber liegt, wie unser Bekenntnis sagt, in den Einsetz- 
ungsworten. 

Nun entsteht die weitere schwierige Frage, was eigentlich 
in der Konsekration die bewirkende Ursache der Ge- 
genwart des Leibes und Blutes Christi unter dem Brot und Wein 
sei. Unser Bekenntnis sagt 4 : „Dann die wahrhaftigen und 
allmächtigen Worte Jesu Christi, welche er in der ersten Ein- 
setzung gesprochen, sind nicht allein im ersten Abendmahl kräf- 
tig gewesen, sondern währen, gelten, wirken und sind noch kräf- 
tig, daß in allen Orten, da das Abendmahl nach Christi Ein- 
setzung gehalten und seine Worte gebraucht werden, aus Kraft 
und Vermögen derselbigen Worte, die Christus im ersten Abend- 
mahl gesprochen, der Leib und Blut Christi wahrhaftig gegen- 
wärtig, ausgeteilt und empfangen wird.” Bald darauf heißt es an 
derselben Stelle 5 : „Aber dieser Segen oder die Erzählung der 
Worte der Einsetzung Christi, wo nicht die ganze Aktion des 
Abendmahls, wie die von Christo geordnet, gehalten wird (als, 
wenn man das gesegnete Brot nicht aüsteilt, empfähet und ge- 
nießt, sondern einschleußt, aufopfert oder umträgt) , machet allein 
kein Sakrament.” Hier gilt die erste Regel: Nihil habet ra - 
tionem sacramenti extra usum a Christo institutum oder extra 
actionem divinitus institutam. Und gleich im Anschluß an die 
erst zitierte Stelle heißt es : „Dann Christus selbst, wo man seine 
Einsetzung hält und sein Wort über dem Brot und Kelch spricht, 
und das gesegnete Brot und Kelch austeilet, durch die gesproche- 
nen Worte, aus Kraft der ersten Einsetzung, noch 
durch sein Wort, welches er da will wiederholt haben, kräftig ist, 
wie Chrysostomus spricht: Christus richtet diesen Tisch selbst 
zu und segnet ihn.” Diese Erklärungen stehen nicht im Wi- 
derspruch miteinander; sie enthalten die schriftgemäße Entschei- 
dung über unsere Frage. Schärfer dogmatisch gefaßt geben 
unsere Dogmatiker die Entscheidung so 5 (§ 2) : Causa efficiens 
principalis hujus sacramenti Christus est, qui sacramentum hoc 
instituit ac frequentari praecepit, atque hodienum facit, ut actio , 
circa symbola externa , juxta praescriptum ejus administrata, 


4 Sol decl, Art VI J , 75 , P - 663. 

5 L . c. 83 , p. 665. 

c Baieri Comp pars III, cap . XI, I 2; 3, p. 546. 


130 § 6s. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 

habeat rationem et vim sacramenti. § 3 : Speciatim quoad realem 
praesentiam corporis et sanguinis Christi in qualibet administra- 
tione coenae , causae impulsivae principaUs rationem habet ipsa 
institutio Christi; causa impulsiva minus principaUs est 
consecratio symbolorum, a ministro juxta institutionem 
Christi facta. Er setzt hinzu : Interim notandum est, verba con - 
secrationis movere voluntatem Christi, non vi propria, et ut a 
ministro proferuntur, s e d vi ipsius institutionis a Christo pro - 
fectae . Richtig also wird unser Bekenntnis dahin verstanden, 
daß, indem wir durch dife Konsekration mittels der Einsetzungs- 
worte uns anschicken, dem Gebot des Herrn folgend sein 
Abendmahl zu wiederholen, Christus selbst, als der das Sakra- 
ment mit uns haltende, seinen Leib und Blut mit den irdischen 
Elementen vereinigt. So schreiben wir, wie unser Bekenntnis, 
einerseits alles den Einsetzungsworten zu, anderseits gründen 
wir ebenso richtig die Wirklichkeit des Abendmahls auf die erste 
Einsetzung des Abendmahls. Denn als dessen reale und wahr- 
haftige Fortsetzung gilt' uns unser Abendmahl. Aber daß es 
uns als solche Fortsetzung gelten kann, wird durch die Ein- 
setzungsworte vermittelt. Nicht also wie eine Zauberformel be- 
wirken die Einsetzungsworte die Einigung der himmlischen mit 
den irdischen Elementen, sondern kraft der Einsetzungsworte, 
durch welche die Kirche im Gehorsam dem Gebot des Herrn 
nachkommt, ist Jesus, getreu seiner Verheißung, die ja in 
denselben Einsetzungsworten ausgesprochen liegt, gegenwärtig 
und verbindet seinen Leib und Blut mit den irdischen Elementen. 

Bezüglich des Zeitpunktes, von welchem an Christi 
Leib und Blut unter den irdischen Elementen gegenwärtig seien 
und mit dem Brot und Wein geeint, sagt B a i e r, es sei nicht 
nötig, denselben zu bestimmen. Quenstedt geht auf diesen 
Punkt ein mit Behandlung der Frage: Ob das Abendmahlsbrot 
mit Unterlassung des Genusses auch zur Anbetung umherzutra- 
gen sei. Er führt gegen solches Umhertragen den Grundsatz 
an: Das Sakrament sei nicht eine bleibende Sache, son- 
dern eine Handlung. Er beweist diesen Grundsatz schla- 
gend : 

1. Aus der Art, wie Christus das Abendmahl gehalten 
habe ; 


§ 65 - Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 131 

2. Aus i. Kor. io, 16: „Das Brot, das wir brechen,” d. h. 
zum Genuß austeilen; 

3. Aus den Worten: „Nehmet, esset”; 

4. Aus dem Mangel jeglicher Verordnung Christi für das 
Umhertragen. 

K e 1 1 a r m i n wendet dagegen ein : Eine Sache hängt von 
ihrem Wesen, aber nicht von ihrem Gebrauch ab. Der Gebrauch 
setze vielmehr das Wesen voraus. So sei das Abendmahl schon 
Sakrament vor dem Brauch, d. h. vor dem Essen und Trinken. 
Diesen Einwurf widerlegt Quenstedt völlig folgender- 
maßen 7 : Distinguendum inter vocabulum usus, quatenus notat 
rei alicujus finetn, fructum et effectum, et sic non dat rei esse, et 
quatenus notat ipsum actum rei, et sic non raro convenit cum 
forma rei, quando seil illa est in praedicamento actionis. Gewiß, 
ein Messer wird nicht erst dadurch ein Messer, daß ich es ge- 
brauche. Aber mit dem Abendmahl steht es anders, weil sein 
Wesen in praedicamento actionis ist, d. h. nach der Schrift gehört 
es zu den Dingen, als deren Wesen eine bestimmte Hand- 
lung, ein bestimmter Brauch bezeichnet wird. Hier 
ist Wesen und Brauch eins; und außerhalb des Brauchs ist das 
Wesen nicht da, also auch nicht Christi Leib und Blut. Quen- 
stedt kommt somit darauf hinaus, daß im Moment des Essens und 
Trinkens unter dem Brot und Wein Christi Leib und Blut sind. 
Das hat auch vollen Grund in den Worten: „Nehmet, esset; das 
ist mein Leib. Trinket alle daraus; das ist mein Blut.” Und 
daß im Moment des Essens und Trinkens für den Genießenden 
Brot und Wein die Träger des Leibes und Blutes Christi sind, 
das wird vermittelt durch die mit den Einsetzungsworten gesche- 
hende Konsekration. Das will auch unser Bekenntnis sagen, in- 
dem es einmal erklärt, daß die Einset zungsworte bewirken, daß 
Christi Leib und Blut gegenwärtig seien und zugleich doch auch 
wieder sagt, es sei ohne Essen und Trinken kein Sakrament. 
Es sagt damit deutlich, daß kraft der Einset zungsworte im Mo* 
ment des Genießern des Brotes und Weines unter denselben 
Christi Leib und Blut seien. Wollte man die Sache anders fas- 
sen, so würde man stets zu einer Art von Impanation gelangen. 

7 Theol did. pol., pars IV, cap. VI, sect. II, qu. VIII, obf. diak 
UI, 2, p. 236. 



182 § 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 

B. Bezüglich der Austeilung, distributio , kommt zu- 
nächst die Art der Handlung in Betracht. Das Brotbrechen, 
welches allerdings nach der Schrift stattfand, machen die Kal- 
vinisten zu einer wesentlich wichtigen und darum hochnötigen 
Sache. So A 1 1 i n g 8 * : Fractio panis non indifferens, sed neces - 
saria ceremonia est, ac proinde intermitti nunquam debet — est 
essentialis ac sacramentalis ad dnem seu scopum, atque adeo ad 
formam sacrae coenae omnino pertinens . Das eigentliche Inter- 
esse, warum von den Kalvinisten so viel Gewicht auf das* Brot- 
brechen gelegt wird, zeigt Pa reu s*: „Daß dadurch der ab- 
göttische, falsche Wahn vom Leib Christi in oder unter dem Brot 
am allerkräftigsten zerbrochen und dem gemeinen, verirrten Volk 
aus dem Herzen geräumt werde/’ 

Ähnlich stehen die Sozinianer. S m a 1 c i u s sagt 10 : Hac 
ratione larva ista superstitionis detrahetur et agnoscent omnes, 
nihil ibi tale latere, quäle hactenus cum Pontificiis, Lutherani 
latere, non sine magna multarum animarum jactura contendunt. 

Kalvinisten und Sozinianer fechten hier gegen ein selbstge- 
machtes Gespenst. Was nun das Brotbrechen anlangt, so leugnen 
wir ja nicht, daß Christus das Brot gebrochen, aber wir erklären 
das Austeilen, Empfangen und Genießen wohl für wesentlich not- 
wendig, dagegen das Brechen für adiaphoristisch. Abgesehen 
von anderen, freilich viel wichtigeren Differenzen würde doch 
diese schon genügen, um Kirchenbruderschaft mit Kalvinisten 
zu verwehren, denn sie machen zur Sünde, was Gott nicht dazu 
macht, obgleich sie wiederum in unbegreiflich inkonsequenter 
Weitherzigkeit erklären 11 : Non esse adiaphoram ceremoniam 
censent ( seil. Calviniani ) , sed ex institutione Christi non minus 
necessariam quam acceptionem in manus, traditionem et commu - 
nionem. Nec tarnen de ea tarn rigide contendere volunt, ut nutla 
societas retineri possit cum iis, qui omittunt (sc. fractionem 
panis). Gewiß könnten wir das Brotbrechen gebrauchen, aber 
wir stehen um so mehr davon ab, als die reformierte Kirche es 
zum Bekenntniszeichen (ritus confessionalis) macht 

8 Syllab . Controv., p. 265. 

• Vom Brotbrechen, S. 198. 

10 Contra Frans., p. 349. 

11 Rüssen, F. Turretini campend, theol . auctum , XVII, 5/; bei Heppe. 
Dogmatik der evang -ref. Kirche, S. 465. 


§ 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 


138 


Bei der Austeilung kommt nächst dem modus distributionis 
weiter die Spendeformel in Betracht. In der lutherischen 
Kirche war frühe schon die Formel gangbar: Nimm hin und 
iß ; das ist der wahre Leib unsers Herrn Jesu Christi. Luther 
schlug zuerst (Form der Messe, 1523) vor die Worte: Der 
Leichnam unsers Herrn Jesu Christi bewahre deine Seele zum 
ewigen Leben. In der reformierten Kirche ist dies der Brauch, 
daß der Pastor, indem er selbst Brot und Wein genießt, einmal die 
Einsetzungsworte oder die Fassung 1. Kor. 10, 16 spricht; 
hiernach nehmen alle andern Kommunikanten ohne Wieder- 
holung der Worte, so daß sich die ganze übrige Abendmahlshand- 
lung stillschweigend vollzieht. Unierte Formel ist : Christus, in 
der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankete, gab 
es ihnen und sprach: Nehmet hin und esset usw. Diese Formel 
steht im Dienst der Indifferenz in der Lehre, auf welche ja dog- 
matisch die Union gebaut ist. Sinn der Formel ist ihnen : Chri- 
stus spricht so; das lege sich jeder nach seinem Glauben aus. 
Dagegen: Die Worte Christi: „Das ist mein Leib” sind beim 
ersten Abendmahl im Munde des Herrn Zeugnis, so müssen 
sie entsprechend in unserm Abendmahl ein Bekenntnis sein. 
Sowenig wir ein Kind taufen mit der Formel: Gehet hin und 
taufet, sowenig teilen wir Brot und Wein aus mit der erzäh- 
lenden, nur referierenden Formel : In der Nacht usw. 
Um so weniger können wir dies tun, als die besagte Formel im 
Dienst der Gleichgültigkeit gegen Lehrunterschiede steht. 

C. Die sunt p t io besteht in dem Nehmen, Essen und 
Trinken. Hierüber steht unsere lutherische Kirche in einem 
minder vichtigen Gegensatz gegen die reformierte Kir- 
che und in einem sehr wichtigen gegen die römische 
Kirche. 

Die reformierte Kirche dringt auf das Nehmen von Brot und 
Kelch mit der Hand. B u c a n u s sagt 12 : Aaßttv stve hi^ßavtiv 
proprie de manu intelligitur . Superstitiosum igitur est, prohi - 
bere, ne panem aut calicem eucharisticum communicantes manu 
excipianL Die reformierte Kirche will so geistig sein, und legt 
doch so Gewicht auf äußere Nebensachen. Unsere lutherische 
Kirche leugnet nicht, daß die Jünger Brot und Kelch mit der 


12 Institutiones theoL XLVIII, 33; bei Heppe a. a. O., S. 466. 


m 


§ 65. Das Sakrament des. heiligen Abendmahls. 


Hand genommen haben, ja Gerhard und andere Dogmatiker brin- 
gen Belege, daß dieses auch Sitte in der älteren Kirche war. 
Aber unsere Kirche erklärt die Art des Nehmens für adiapho- 
ristisch, ohne im entferntesten etwas von dem super siitiosum der 
Papisten anzunehmen. Der eigentlich wesentliche Akt beim Em- 
pfangen ist zweifellos das Essen ; das Organ, womit man das Brot 
zum Essen empfängt, ist ganz gleichgültig. 

Überaus wichtig ist die papis tische Antithese ge- 
gen den schriftgemäßen Brauch des Abendmahls bezüglich der 
sumptio. Die Antithese ist der Brauch sub una specie , zu 
welchem es ganz allmählich kam. Ihren Ausgangspunkt hat diese 
Antithese in der Ängstlichkeit darüber, daß bei dem Nehmen 
und Trinken des Weins etwas davon könnte verschüttet werden. 

50 kamen zuerst im achten Jahrhundert die fistulae (Saugröh- 
ren) auf. Vom zwölften Jahrhundert an wurde aus dieser Sorge 
die Kommunion der Kinder verboten. Nachdem dann Thomas 
Aquin die Konkomitanzlehre ausgebildet hatte, nach welcher im 
Leibe Christi auch sein Blut gegenwärtig sei und also von dem 
Abendmahlsgast mit dem Leibe zugleich das Blut Christi genos- 
sen werde, wurde vom 13. und 14. Jahrhundert ab das sub una 
specie Kirchensitte. Die Sitte wurde 1415 im Konzil zu Kon- 
stanz zum kirchlichen Gesetz erhoben und vom Conc. Trid., sess . 
21, 1562 bestätigt. Merkwürdig ist in letzterem der Wortlaut von 

cap, I lz : .Itaque sancta ipsa synodus declarat et docet, nullo 

divino praecepto laicos et clericos non conficientes obligari ad 
eucharistiae sacramentum sub utraque specie sumendum , neque 
ullo pacto ( salva fide) dubitari posse, quin Ulis alterius speciei 
communio ad salutem sufficiat. Dann heißt es canon I 19 : Si quis 
dixerit, ex Dei praecepto , vel necessitate salutis, omnes et sin- 
gulos Christi ßdeles utramque speciem sanctissimi eucharistiae 
sacramenti sumere debere , anathema sit . Und canon II heißt es : 

51 quis dixerit , sanctam ecclesiam catholicatn non justis causis 
et rationibus adductam fuisse , ut laicos atque etiam clericos non 
conßcientes sub panis tantummodo specie communicaret, aut in 
eo errasse, anathema sit . Noch zu Anfang des 13. Jahrhun- 
derts schrieb Papst Innozenz III. gegen die Lehre von der Kon- 
komitanz. Er sagte: Wie weder das Blut gegessen, noch der 


13 Sessio XXI , cap, /, p. 140 , 142. 


§ 6 s. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 


XS5 


Leib getrunken werde, so werde das eine nicht unter der Gestalt 
des andern getrunken, noch das andere unter der Gestalt des 
Weines gegessen. 

Über allen Zweifel klar und deutlich fordern ja auch die Ein- 
setzungsworte des Herrn sowie die Worte Pauli i. Kor. io, 14— 
17 den Genuß des Abendmahls unter beiderlei Gestalt. Was 
Pauli Worte anlangt, so redet er einmal die ganze Gemeinde zu 
Korinth an, sodann mahnt er gerade durch seine vom Abend- 
mahl hergeholten Argumente vom Götzendienst ab. Geht nun, 
wie offenbar ist, seine Ermahnung auf die ganze Gemeinde, so 
notwendig auch sein Argument. So ist aus seinen Worten gewiß, 
daß in der Gemeinde zu Korinth alle Christen auch den Kelch 
erhielten; vergl. 1. Kor. 10, 21 ; rr, 26. 27. 

PUNKT VI. 

Die Verwaltung (ad mini strati 0) des Abendmahls steht 

nur den ordinierten Dienern der Kirche zu, 

Anmerkung: — Nach der Schrift sind: 

1. ordentlicherweise die ordentlich berufenen Diener der 
Kirche die Verwalter der Geheimnisse Gottes, nur im wirklichen 
Notfälle auch Laien. 

2. Nach der Schrift gibt es in bezug auf das Abendmahl 
keinen solchen Notfall wie in bezug auf die Taufe. 

Unsere Dogmatiker entscheiden daher, daß, wenn ein Kran- 
ker das Abendmahl begehre und ein Pastor könne nicht erreicht 
werden, so solle man ihn überzeugen, daß die geistliche Nießung 
für ihn zureiche und daß von einer Gottes Ordnung widerstre- 
benden Genießung des Abendmahls mehr Anfechtung als Trö- 
stung hervorgehen müsse. Näheres hierüber ist in der Kasuistik 
zu finden. Es finden sich ja bei den lutherischen Dogmatikern 
auch differierende Ansichten. 

Für die reformierte Kirche gibt es die eben berührte Kasual- 
frage gar nicht, weil sie Hauskommunion überhaupt verbietet. 
Der Grund ist dieser: Das Abendmahl sei eine Feier der Ge- 
meinschaft des Gnadenbundes, und sei daher in der Kirche zu 
feiern. Bucanus 1 : Quo loco est administranda coena sacra? 


1 Instit. theol , XLVIII, 125; bei Heppe, Dogmatik der evang.-ref. Kir- 
che, S. 4 66. 


136 § 65 - Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 

In coetu publico, non singulis privatim , nec morbo domi decum- 
bentibus seu morituris citra üdelium congregationem et partici- 
pationem; quta communicatio debet esse ecclesiastica et publica 
non ISiov StXirvov, et coena symbolum est communionis sanc- 
torum, nec aperiri debet aditus opinioni operis operati et prae- 
posterae üduciae, qualis est in communione papistica. Beza 2 ; 
Non est sacra coena privata aiicujus familiae actio, sed ecclesiae. 

Die reformierte Kirche verbietet auch den Gebrauch der Al- 
täre für die Feier des Abendmahls, weil dasselbe kein Opfer sei. 
B u r m a n n sagt* : Peracta fuit prima coena ad communem 
mensam . — Pessime pontißcii rursus in ecclesia aras et altaria 
proprie dicta excitarunt, quae post oblatum Christi sacrificium 
reducere veile christianismi corruptio et venenum est . Nec sine 
omni fermento est , quod Lutherani adeo altarium formas deament 
atque ad ea coenam sacram celebrent, cum tarnen papisticum 
sacrificium detestentur. Also dies geben sie zu, und doch lästern 
sie von fermentum. 

PUNKT VII. 

Der eigentliche und nächste Zweck des heiligen Abendmahls ist 
in Ansehung des Menschen die Seligkeit. 

Anmerkung: — Im Lehrsatz liegt schon die Andeutung, daß 
das Abendmahl nicht nur in bezug auf den Menschen einen 
Zweck hat, und daß auch in bezug auf den Menschen der ange- 
zeigte Zweck nicht der einzige ist. Nach den Einsetz- 
ungsworten soll das Abendmahl gefeiert werden zum Ge- 
dächtnis Christi. Somit ist der Zweck des Abendmahls, 
schlechtweg angesehen, des Sohnes und überhaupt des dreieinigen 
Gottes Ehre. Nach den Einsetzungsworten ist aber das Abend- 
mahl auch für den Menschen gesetzt, um ihn der Vergebung der 
Sünden in ganz besonders gewißmachender Weise teilhaftig zu 
machen. Es ist also das Heil des Menschen hiernach 
recht eigentlich der Zweck des Abendmahls. Andere Zwecke, die 
sonst noch aus der Schrift offenbar sind, haben also nur die 
Stelle von Nebenzwecken, von mittleren, vermittelnden, irgend- 
wie dem letzten Zweck dienenden Zwecken. Quenstedt sagt 

2 Opera, tom. III, qu. II, 196; bei Heppe a. a. O. 

8 Synopsis theoi, VII, X, 45 ; bei Heppe a. a. Ö. 



§ 6s* Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 


1S7 


hierüber 1 : Finis est vel ultimus, vel subordinatus; ultimus est 
vel absolute talis, ut gloria divinae bonitatis et sapientiae, vel se- 
cundum quid talis, ut hominum salus . C a 1 o v 2 * : Finis sacrae 
eucharistiae primarius est ex parte Dei remissio peccatorum et 
gratiae obarrhatio , a parte nostri annunciatio mortis dominicae . 
Das hohe Gnadengut der Vergebung wird aber im Abendmahl 
vermittelt empfangen. Wir genießen den Leib und Blut des 
Herrn, haben damit Bundesgemeinschaft und damit 
auch das Bundesgut, die Vergebung. Und sofern wir über- 
dies unter sichtbaren Zeichen das Gnadengut empfangen, so ist 
das Abendmahl das Gnadenmittel, welches ganz besonders der 
Vergebung der Sünden gewiß macht Dieser Zweck wird aber 
wirklich nur erreicht bei denen, die im Glauben das Abendmahl 
genießen. Das Abendmahl erzeugt nicht erst den Glauben, wie 
die Taufe, sondern setzt ihn voraus. Gerhard: Per baptis - 
mum regeneramur, per s acr am coenam alimur et nutrimur ad 
vitam aeternam . Der Glaube vermittelt den Segen vom 
Genuß des Abendmahls, aber der Glaube bewirktnichtdie 
Gegenwart des Leibes und Blutes, noch überhaupt das Wesen 
des Abendmahls, weder der Glaube des Verwaltenden 8 , 
noch der Glaube des Empfängers 4 . 

Auch der unwürdige, und das ist vor allem der un- 
gläubige Abendmahl sgast, genießt den Leib und das Blut Christi, 
aber nicht zum Segen, sondern zum Gericht (i. Kor. n, 29). 
Daß auch unwürdige Abendmahlsgäste Christi Leib und Blut ge- 
nießen, bezeugt schon die alte Kirche. So sagt Cyprian in seiner 
Erzählung von einem unwürdigen Abendmahlsgast, der sofort 
nach dem Genuß den Wein erbrach: Der mit dem Blute Christi 
erfüllte Trank konnte von dem unwürdigen Gaste nicht empfan- 
gen werden. Gregor Magnus: Es ist auch in den un- 
würdigen Gästen der wahre Leib und das wahre Blut, aber nur 
secundum essentiam , nicht secundum salutarem efficientiam. 
Schön ist das Zeugnis in einem Abendmahlslied des Mittelalters: 
Sumunt boni , sumunt mali, 

Sorte tarnen inaequali 

1 Thcol. did. pol , pars IV, cap. VI, sect. I , thes. XV III, p. 184. 

2 Theol pos., pars III, sect. III, cap. VIII, thes. VIII, p. 48s. 

8 Sol. decl, Art. VII , 24 , p . 651. 

4 L. c., 32, p. 633; 60, p. 660; 8y, p. 666. 


138 § 65 . Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 

Vitae et interitus. 

Mors est malis , vita.bonis , 

Vide } paris sumptionis 
Quam sit dispar exitus ! 

Bei der Wittenberger Concordia nahm auch 
B u c e r u s die Lehre vom Genuß des Leibes und Blutes Christi 
auch durch die Unwürdigen an; freilich suchte er sich hernach 
vor seinen Oberländern durch allerlei Ausreden zu rechtfertigen. 

Unwiderleglicher Beweis für den Genuß des 
Leibes und Blutes Christi auch durch Unwürdige ist 1. Kor. II, 
27. Der unwürdige Abendmahlsgast kann durch mündliches 
Essen und Trinken nicht am Leib und Blut Christi schuldig wer- 
den, also, da Schuld am Leib und Blut des Herrn die Versündi- 
gung daran voraussetzt, sich nicht am Leib und Blut des 
Herrn versündigen, wenn sein essender und trinkender Mund 
mit dem Leib und Blut Christi gar nicht in Berührung kommt 
Weiterer klarer Beweis ist 1. Kor. 10, 16. Paulus sagt: „Das 
Brot, das wir brechen,” also zum Genuß austeilen, ist die 
Gemeinschaft des Leibes. So könnte der Apostel nimmermehr 
sprechen, wenn vom Glauben der Genießenden die Gegen- 
wart des Leibes und Blutes Christi abhängen würde, und nur 
der Gläubige mit dem Leib und Blut Christi in Berührung käme. 

Die Reformierten sind auch ganz unfähig zu erklären, wieso 
der Unwürdige sich das Gericht esse und trinke, weil er ja über- 
haupt nach reformierter Lehre das, was die Substanz des Abend- 
mahls ausmacht, nämlich Christi Leib und Blut, gar nicht genießt. 
Nach reformierter Lehre feiert ja der unwürdige Abendmahls- 
gast überhaupt kein Abendmahl. Wie soll ihm nun der Genuß 
vom Brot und Wein zum Gericht werden? Die Reformierten 
sagen: Wer des Königs Bild verunehrt, verunehrt den König 
selbst. So ist’s dem unwürdigen Abendmahlsgast zum Gericht, 
daß er nur an den Zeichen des Leibes und Blutes Christi sich ver- 
greift. Luther antwortet : „Wo sich das reimen sollte, müßte 
Paulus sagen : Wer dies Brot isset, der ist schuldig an Christo, 
gleichwie schuldig ist am Könige, wer des Königs Bild unehrt;, 
d. i. er versündigt sich nicht an einem Stück oder Glied der 
Person, sondern an der Majestät oder Regiment des Königs.” 
Gewiß ! Wenn jemand an einem Königsbilde etwa ein Auge aus- 


§ 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 139 

sticht, so verunehrt er doch nicht den Leib des Königs in 
natura , sondern des Königs Würde und Ehre. Nun aber 
spricht ja Paulus nicht vom Gottmenschen Christus 
und ’ seiner Würde, sondern er spricht von einem Teile des 
Gottmenschen, von seinem Leibe. Darin besteht die Sünde 
des unwürdigen Abendmahlsgastes, daß er den Leib Christi 
nicht unterscheidet ; und indem er isset, isset er sich das Ge- 
richt. Soll nun das Nichtunterscheiden (1. Kor. n, 
29) heißen : Er bedenkt nicht, daß dieses Brot den Leib darstellt, 
so wäre doch das, woran das Gericht für den Unwürdigen hängt, 
offenbar ein Gedanke über das Brot. Wie kann es dann 
aber heißen: „Der isset und trinket ihm selber das Gericht”? 
Ein Gedanke hat doch mit dem hier im Abendmahl eigentlich ge- 
meinten Essen des Brots nichts zu tun. Nach reformierter An- 
sicht müßten die Worte heißen : Er fällt unter das Gericht, weil 
er das Brot nicht unterscheidet, daß dies nämlich hier eine so 
hohe Bedeutung habe. Die Reformierten mögen sich dre- 
hen, wie sie wollen, es kommt in 1. Kor. 11, 27. 29 nur ein Non- 
sens heraus, wenn Leib nicht wahrhaftig der gegenwärtige Leib 
Christi ist. Ist Leib nicht wörtlich zu nehmen, so kann es nur 
metonymisch gleich Zeichen des Leibes sein. Nun soll ja aber 
Brot selbst schon das Zeichen des Leibes sein. So käme die 
lächerliche Tautologie heraus: Wer unwürdig das Brot, das 
Zeichen des Leibes, genießt, der ist schuldig an dem Zeichen 
des Leibes. Es wird auch kein gesunder Sinn gewonnen, wenn 
man mit Heidegger das Element als Pfandzeichen ansieht 0 : 
Ab eodem convivio arcendi sunt tum furiosi, quamdiu tales sunt , 
tum aperte facinorosi et tyLeTavoyroi, quibus, cum peccata non re - 
mitii possint, sed retineri debeant, remissionis pi gn or a offeri 
nec fas nec pium est. Wie soll nun der Satz gedeutet werden : 
Wer unwürdig das Brot, das Pfand der Sündenvergebung ge- 
nießt, der wird schuldig am Leibe Christi? 

Wer die unwürdigen Abendmahlsgäste seien, sagt unser 
Bekenntnis®; es sind die Unbußfertigen,, die weder Reue, 
noch Glauben haben. 


Corpus theol XXV , 75; bei Heppe, S. 477. 
fl L. c., 86, p. 662 . 


140 § 65 - Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 

Die zu Anfang dieser Anmerkung angedeuteten Neben- 
zwecke des Abendmahls sind : 

1. Befestigung der L i e b e s g e m e i n s c h a f t 
der Christen untereinander (i. Kor. u, 22. 23; 12, 13; 10, 17) ; 

2. Unterscheidung der Christen von 
Falsch - und Ungläubigen (1. Kor. 10, 20. 21); 

3. Antrieb zum Bekenntnis Christi mit 
Wort und Tat (1. Kor. n, 26; 10, 20. 21). 

In der Antithese zur schriftgemäßen Lehre vom Zweck 
des Abendmahls steht die papistische Lehre, daß das Abend- 
mahl vom Priester allein gefeiert werde und zwar zu dem Zweck, 
daß darin unter den äußeren Elementen des Brots und Weins 
Christi Leib und Blut geopfert werde, um durch dieses Meßopfer 
nicht nur für Lebende, sondern auch für Tote Gnade zu erlan- 
gen. Conc . Trid. 7 : Et quoniam in divino hoc sacrificio, quod in 
tnissa peragitur, idem Ule Christus continetur, et incruente im- 
molatur, qui in ara crucis semel seipsum cruente obtulit, docet 
sancta synodus, sacrificium illud vere propitiatorium esse . — 
Canon I : Si quis dixerit, in missa non offen Deo verum et pro- 
prium sacrificium , aut quod offen non sit aliud, quam nobis 
Christum ad manducandum dari, anathema sit. — Canon fl: 
Si quis dixerit , Ulis irerbis: Hoc facite in mei commemorationem , 
Christum non instituisse apostolos sacerdotes, aut non ordinasse , 
ut ipsi aliique sacerdotes offerent corpus et sanguinem, anathema 
sit — Canon HI: Si quis dixerit , missae sacrificium tantum esse 
laudis et gratiarum actionis, aut nudam commemorationem sacri - 
ficii in cruce peracti, non autem propitiatorium , vel soli prodesse 
sumenti, neque pro vivis et defunctis , pro peccatis, poenis , satis- 
factionibus, et aliis necessitatibus offen debere, anathema sit. 

Daß das Abendmahl ein sacrificium und zwar ein propitia- 
torium, d. h. ein Sühnopfer, zum Erwerb der Seligkeit und zwar 
für Lebende und Tote sei, begründet das Conc. Trid. in cap. I 
mit der Erklärung, daß Christus, der zwar einmal am Kreuz sich 
opfern wollte, um dort eine ewige Erlösung zu schaffen, doch 
auch mit seinem Tode sein Hohepriestertum nicht wollte erlö- 
schen lassen. Er wollte seiner Kirche ein visibile sacrificium 
hinterlassen, welches das am Kreuz zu bringende darstellte (re- 


7 Sess. XXII, cap . II, p. i$2 . 156 . 


§ 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 


141 


praesentaret) , und wodurch das Kreuzesopfer in steter Erinne- 
rung bliebe und dessen Kraft zur Vergebung der täglichen Sün- 
* den dem Menschen zugeteilt würde (ap plicar etur). Darum hat 
er als ein Priester nach der Weise Melchisedeks seinen Leib und 
Blut unter den Zeichen des Brots und Weins dem Vater geopfert 
und hat durch die Worte : „Solches tut” dieses Opfer auch den 
Aposteln und allen ihren Nachfolgern für alle Zeit darzubringen 
befohlen. Wie einst Israel das Passah opferte (immolabat) , so 
hat Christus bei seinem Gange aus dieser Welt zum Vater das 
neue Passah, nämlich sich selbst, unter den Zeichen des Brots und 
Weins zu opfern eingesetzt. Diese Darbringung und Opferung 
weissage Mal. i, n, davon rede Paulus i. Kor. io, 21, und darauf 
deuteten alle Opfer als auf ihre Erfüllung ( utpote quae bona 
omnia, per illa signiücata velut illorum omnium consummatio et 
perfectio complectitur ). 

Die Papisten gründen das Meßopfer : 

i. Auf Melchisedek (i. Mose 14, 18), welcher in der Dar- 
bringung von Brot und Wein einen Opferakt verrichtet habe. 
Aber es steht in der Schrift kein Wort davon, daß Melchisedek 
mit seiner Darbringung von Brot und Wein ein Vorbild des pa- 
pistischen Opfers sei, sowenig als überhaupt in der Stelle selbst 
von einem opfernden Darbringen geredet wird. Der Text lautet 
einfach : „Aber Melchisedek, der König von Salem, trug Brot 
und Wein hervor”; aber nicht; Er brachte Gott Brot und Wein 
dar. Vielmehr ist das objectum personale der Darbringung Abra- 
ham. Ihm bringt Melchisedek Brot und Wein entgegen. Ganz 
besonders stützen sich die Papisten auf die Septuaginta, 
welche übersetzt: Melchisedech , rcx Salem , proferens panem et 
vinum; erat enim sacerdos altissimi. Allein das ) im zweiten 
Satz wird ohne Grund mit enim übersetzt; es ist einfach gleich 
et . Zu übersetzen ist also : Und er war ein Priester des Aller- 
höchsten. Nicht das Vorhergehende, sondern das Folgende wird 
dadurch begründet, nämlich daß er, weil ein Priester, Abraham 
gesegnet habe. Daß nun die Papisten sagen : Wie das Segnen 
ein priesterlicher Akt war, so war es auch das Darbringen von 
Brot und Wein, nämlich ein Opfer, das hat keinen Grund. Mel- 
chisedek war Priester, aber auch König. Als Priester segnete 
er; als König, der mit Abraham befreundet war, brachte er diesem 


142 § 65. Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 

als Ehrengabe Brot und Wein zur Erquickung dar; vergl. 5. 
Mose 23, 4. So auch Cajetanus 8 : Nihil hic scribitur de 
sacrificio vel oblatione, sed de prolatione, seit extractione, quam 
scribit Josephus factam ad reficiendos victores. Quod autem in 
Vulgata editione subditur ut causa oblationis: „ Erat enim sacer- 
dos ” in Ebraeo non habetur ut causa , sed ut separata particula. 
Ganz besonders ist der Hebräerbrief ein Zeugnis dagegen, daß 
Melchisedek Brot und Wein opferte und darin ein Vorbild Christi 
und seines Opfers war beim ersten Abendmahl. Es vergleicht 
doch ex professo der Hebräerbrief Melchisedek und den Herrn 
Jesum; und zwar führt gerade Kap. 7 aus, daß Jesus ein Hoher- 
priester nach der Weise Melchisedeks war. Wenn es nun wirk- 
lich zu den Tätigkeiten des Herrn als Hoherpriester gehörte, das 
Opfer im Abendmahl nach papistischer Lehre darzubringen, so 
hätte es hier gesagt werden müssen. Allein, es wird dessen 
auch nicht einmal Erwähnung getan, daß Melchisedek Brot und 
Wein hervorbrachte, was um so auffälliger ist, da doch des S e g- 
nens Erwähnung geschieht (Heb. 7, 1). Recht geflissentlich 
wird das Hervorbringen von Brot und Wein übergangen als eine 
Dienstleistung, worin ja eher eine Inferiorität gegenüber Abra- 
ham sich aussprach; dagegen wird großer Nachdruck auf das 
Segnen gelegt (V. 6. 7), und dieses als Ausdruck des hoheprie- 
sterlichen Charakters Melchisedeks hervorgehoben. Und wenn 
irgendwo, so hätte nun Heb. 8, 3 von dem Opfer des Weins und 
Brots des Herrn geredet werden müssen, da gerade hier erklärt 
wird, Jesus müsse wie alle Priester etwas zu opfern haben, 
und da doch obendrein nach papistischer Lehre auf das Meß- 
opfer Christi alle andern Opfer hinweisen. Allein, wie in Kap. 7, 
so ist auch in Kap. 8 mit keinem Wort von einem opfernden Dar- 
bringen des Brots und Weins im Abendmahl die Rede; vergl. 
Q u e n s t e dt® : Urget Tirinus Jesuita in Indice Controversi- 
arum , XXII, 5: Non convenire Christo , quod sacerdos sit in 
aeternum secundum ordinem Melchisedec ( Ps . 110, 4 , Heb. 7, 4, 
ji), nisi ratione sacrißcii eucharistici, quod in Coena instituit, et 
quotidie per sacerdotes , ministros suos, offert in missa. Respon- 
detur: Cum in multis instituat Ep. ad Hebr. inter Christum et 

8 Cf. Quenst . , l. c. t sect . TI, qu. IX, obj. dial. I, p. 240. 

* L. c., obj. dial. II. 


§ 65 . Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 148 

Melchisedecum collationem , respectu sacerdotii , nusquam tarnen 
* meminit hujus imaginarii sacriücii, in quo fortnalis ratio Melchi - 
sedecianae functionis(secundum erroneam scntentiam papistarum) 
sita fuerit . ... De pane vero et vino a Melchisedeco prolatis plane 
nihil dicit , quia id ad regiam ejus muniücentiam pertinebat . 

2. Die Papisten gründen ihr Meßopfer auch auf das Pas- 
sah 1 a m m. Das Schlachten und überhaupt die ganze mit*dem 
Passahlamm geschehende Handlung soll eine immolatio sacriü- 
cialis gewesen sein. Das Passah soll Gott als ein Opfer darge- 
bracht worden sein. Dagegen spricht : 

a. Das Passah konnte vom Hausvater geschlachtet werden; 
aber kein Laie durfte ein wirkliches Opfer schlachten, sondern 
nur der Priester. 

b. Das Passahlamm wurde im Hause geschlachtet ; das 
eigentliche Opfer wurde nur am Altar dargebracht. 

c. Vor allen Dingen werden dem wahren Sühnopfer die 
Sünden auferlegt und auf dasselbe übertragen; von einer solchen 
Übertragung ist beim Passah gar nicht die Rede. 

d. Das Passahlamm kann auch darum nicht Sühnopfer sein, 
da es gegessen, aber nicht verbrannt wird; beim Sühnopfer ge- 
schah letzteres, aber ersteres durfte gar nicht geschehen. 

3. Das Meßopfer wird weiter auf Mal. 1, 11 gegründet: 
„Und an allen Orten soll meinem Namen geräuchert, und ein rein 
Speisopfer geopfert werden.” Eine lächerliche Begründung ist 
dies, da aus dieser Stelle niemand so etwas wie das römische Meß- 
opfer konstruieren würde, noch könnte (Speisopfer heißt es, 
nicht Sündopfer). Erst nachdem das Fündlein vom Meßopfer 
gemacht war und glorifiziert wurde, lag es nahe, eine solche 
Stelle zur Glorifikation zu mißbrauchen. Solange also nicht aus 
den Abendmahlsworten Christi oder sonstigen Schriftsprüchen 
über das Abendmahl die Lehre vom Meßopfer erwiesen worden 
ist, ist die Berufung auf Mal. 1, 11 ohne allen Belang. Die alt- 
testamentliche Weissagung stellt einfach unter alttestamentlichen 
Typen das geistliche Opfer des Neuen Testaments in Gebet und 
Gottesdienst dar. 

4. So töricht wie die Begründung des Meßopfers auf Mal. 
1, 11 ist die auf 1. Kor. 10, 18. 21 und der aus dieser Stelle ge- 
machte Schluß : Mensa Domini comparatur cum altaribus genti- 


144 § 65 . Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 

lium et tnensis leviticis; ergo ipsa quoque altare est cum relatione 
ad sacrißcium. Treffend antwortet Quenstedt 10 : Quae con - 
sequentiaf Mensa Domini comparatur cum altari; ergo est altare. 
Tertium comparationis hic non est sacrißcium , sed participatio, 
ut illic cum daemonio, ita hic cum Domino . 

5. Die Begründung des papistischen Meßopfers auf Heb. 
13, fo und den aus dieser Stelle gefolgerten Schluß fertigt Quen- 
stedt auch treffend ab mit den Worten 11 : Hinc colligunt Pon- 
tißcii: Ubi altare, ibi sacrißcium. Responditur : Nec altare, Heb . 
iß ab apostolo propositum , est altare aliquod externum et ma- 
teriale, ad sensibilia sacrißcia destinatum , sed mysticum et spiritu- 
ale; prout ibi sermo Pauli totus est allegoricus . Selbst Thomas 
A q u i n o sagt zu dieser Stelle 12 : Altare id esse, vel Christi cru- 
cem, vel ipsum Christum, quod Apocal . 8 altare aureum vocatur. 

So hat das Meßopfer keinen Grund in der Schrift, ist iypa<fxtv 
et omni Scripturae auctoritate destitutum. Nec Evangelistae , nec 
Paulus Apostolus docent, Christum sub specie panis et vini corpus 
et sanguinem suum Patri coelesti obtulisse, atque hanc corporis 
et sanguinis sui oblationem in posterum a sacrißculis Deo facien - 
dam instituisse (Quensted t 13 ). 

Es ist aber nicht nur aypatpov sondern offenbar &vrtypa<f>ov. 
Beweis: 

1. Die Schrift lehrt, daß Christus sich einmal geopfert 
habe, die Sünde wegzunehmen (Heb. 7, 26. 27; 9, 28); nach 
papistischer Lehre wird aber Christus täglich geopfert. 

2. Nach der Schrift gibt es nur einen Priester, Christus 
(Heb. 5, 5. 6; 7, 23. 24; 9, 15) ; die Papisten. setzen neben ihn 
viele. 

3. Die Schrift sagt : Christus habe einmal durch ein 
blutiges Opfer geopfert werden müssen (Heb. 9, 12. 14); 
nach römischer Lehre wird er o f t und unblutig geopfert. 

4. Die Schrift sagt, daß das eine Opfer am Kreuz allein 
versöhnend und sühnend sei (Joh. 19, 30; Heb. 1, 3; 
5, 9; 10, 14) ; dagegen wird von den Papisten Christus oft un- 

10 L. c., obj. dial. VIII, p. 243. 

11 L. c. 

12 L. c. 

13 L. c. f thes. beb., p. 238. 


§ 65 . Das Sakrament des heiligen Abendmahls. 145 

ter der Gestalt von Brot und Wein geopfert, um für Tote 
und Lebendige Vergebung zu erlangen. 

Noch mag darauf hingedeutet werden, daß dem Meßopfer 
der Papisten in Wahrheit das Wesen des Opfers fehlt. Dazu, 
daß etwas geopfert wird, gehört dessen Vernichtung, Das 
Opfertier wird getötet, zum Teil verbrannt Auch Christus, das 
wahre Gotteslamm, ist getötet worden. Das Brechen des Brotes, 
das Ausgießen des Weines, der mystische Genuß des Leibes und 
Blutes des Herrn im Meßopfer, — dies alles -ist keine Kreuzi- 
gung des Herrn; es ist nicht ein wahrhaftes in den Tod geben, 
keine Scheidung des Leibes von der Seele, wie im Tode Christi 
geschah. Daher ist es auch kein Opfer. Es k a n n ja auch kein 
in den Tod geben Christi im Meßopfer stattfinden, auch kein un- 
blutiges, weil Christus seit der Auferstehung nicht mehr dem 
Tode unterworfen sein kann (Röm. 6, 9). Quenstedt 14 : 
Paucis; sacriücium , quod in eucharistia est , non est proprie dictum 
sacriücium , quia ratio sacrificio proprie dicto intrinseca et essen - 
tialis, t. e. animantis mactatio, sive rei, quae sacriücatur, substan - 
tialis destructio deest . Und wie kann das Meßopfer als ein un- 
blutiges ein sacriücium propitiatorium sein? Ein Sühnopfer, ein 
sacriücium expiatorium kann einmal nach der Schrift ohne Blut- 
vergießen nicht geschehen (3. Mose, Kap. 4 — 7; 16; Heb. 9, 15. 
16. 26). Bellarmin sucht die unblutige Opferung und da- 
mit das Meßopfer so zu retten 15 : Non requiri ad quodvis sacriü- 
cium occisionem seu sanguinis effusionem, sed tantum in oblatione 
rei viventis , et quae in forma rei viventis offertur. Si vero sit 
sacriücium res inanimis, ut panis , vinum , thus et similia, suificere 
rei isti convenientem consumptionem. Dagegen: Unter Brot 
und Wein soll doch in Wahrheit Christus geopfert werden, also 
eine res animata; und darum kann ein für allemal ohne Blutver- 
gießen von einer Opferung Christi nicht geredet werden. Und 
ohne solch blutiges Opfer ist auch Vergebung nicht zu erlangen, 
was doch im Meßopfer geschehen soll ; Heb. 9, 22 : „Und ohne 
Blutvergießen geschieht keine Vergebung.” Daß gar die Papisten 
behaupten, der Körper Christi erleide im Meßopfer durch die 


14 L. c thes. beb . 4 , p . 238. 

15 Cf. Quenst., I. c ., p. 23g. 


146 § 66. Die Kirche im eigentl. und uneigentl. Sinne. 

manducatio sacramentalis des Priesters eine Veränderung, ist 
ganz gegen Rom. 6, g; i. Kor.. 15, 47. 


Lehrstück III. 

Die Lehre von der Kirche. 

(De ecclesia.) 

Lehr punkt I. 

Die Kirche im allgemeinen. 

(De ecclesia in genere.) 


§ 66 . 

Die Kirche im eigentlichen und uneigent- 
lichen Sinne. 

(De ecclesia stricte et late dicta .) 


LEHRSATZ. 

Die Kirche im eigentlichen Sinne (stricte dicta) ist die eine 
Gemeinde der Gläubigen , im weiteren Sinne (late dicta) 
die Menge aller derer, welche sich zu Wort und Sakrament 
halten . 

PUNKT I. 

Die Kirche im eigentlichen Sinne ist die Gemeinde der Gläubigen. 

Anmerkung: — Beweis, daß die Kirche eigentlich die Ge- 
meinde der Gläubigen sei ; ist die Bezeichnung derselben als Leib 
Jesu Christi (corpus mysticum Jesu Christi — Röm. 12, 5 ; 1. Kor. 
10, 17; 12, 27; Eph. 1, 23; 5, 23; Kol. 1, 18). Mit dem Haupte 
Christo kann niemand anders als durch den Glauben verbunden 
sein (Eph. 3, 17; 1. Kor. 12, 3; Gal. 5, 4, 5. 6). Also ist die 
Kirche nur die Gemeine derer, die den Glauben haben. Dieses 
bezeugt auch Matth. 16, 18. Da Christus die Gemeine gründen 
will auf das rechte Bekenntnis von ihm selbst, so können auch 
nur die die Kirche bilden, welche wahrhaftig glauben, daß Jesus 
der Christ, der Sohn Gottes ist. Zeugnis geben dafür auch die 
Ehrentitel der Kirche: Braut Christi (Joh. 3, 29; 2. Kor. 


§ 66. Die Kirche im eigentl. und u neigend. Sinne. 


147 


ii, 2), reine Jungfrau (2. Kor. n, 2), ein Fleisch mit dem Herrn 
(Eph. 5, 30), Haus des lebendigen Gottes (1. Tim. 3, 15), das 
geistliche Haus (1. Pet. 2, 5), lebendige Steine (Eph. 2, 20. 21; 
1. Pet. 2, 5). Alle diese Bezeichnungen passen nur auf wahrhaft 
Gläubige, nicht auf alle, die Wort und Sakrament äußerlich brau- 
I chen. Also ist im eigentlichen Verstände nach Lehre der Schrift 

die Kirche die Gemeinde der Gläubigen. So lehren auch unsere 
Bekenntnisse 1 und unsere Dogmatiker. Calov 2 : Eccle- 
sia est coetus üdelium, qui sub uno capite Christo per verbutn et 
sacramenta collectus, alitur et conservatur per eadem ad aeternam 
salutem. 

Da die Kirche eigentlich die Gemeinde der Gläubigen ist, so 
ist sie unsichtbar, gerade wie ihr Haupt, Christus, und das 
mit dem Haupt verbindende Band, der Glaube, unsichtbar ist, und 
endlich auch ihre Güter unsichtbar sind, nämlich Gerechtigkeit, 
Friede, Leben und Seligkeit. Und weil die Kirche unsichtbar 
ist, darum ist sie eben auch Glaubensartikel. Der 
Glaube ist ja die Gewißheit der unsichtbaren Dinge. Daß die 
wahre Kirche unsichtbar sei, bestätigt auch die Schrift ausdrück“ 

! lieh, denn sie schreibt nur Gott die Kenntnis derer zu, welche zur 

|) Kirche gehören (1. Kon. 19, 18; Rom. 11, 4; 2. Tim. 2, 19), und 

erklärt, daß das Kommen des Reiches Gottes sich der äußerlichen 
Wahrnehmung entziehe (Luk. 17, 20). 

Alle die, welche leugnen, daß die Kirche eigentlich die Ge- 
meine der Gläubigen sei, leugnen selbstverständlich auch ihre Un- 
sichtbarkeit ; so die Papisten. In seinen Disputat. führt B e 1 1 a r- 
\ m i n die haereticae sententiae über die Kirche auf und hier unter 

anderen die der Lutheraner, welche 3 malos nunquam volunt esse 
partes verae ecclesiae; et proinde caute Philippus non dicit 3 eccle- 
siam constare ex malis et bjonis, sed dicit , malos admisceri eccle- 
siae, In Punkt 9 gibt er seine Definition von der Kirche und 
sagt in bezug auf dieselbe : Ex qua deßnitione facile colligi po- 
test, qui homines ad ecclesiam pertineant, qui vero ad eam non 
pertineant . Tr es enim sunt partes hu jus deßnitionis : professio 
verae üdei , sacramentorum communio, et subjectio ad legitimum 

1 Augustana, Art. 7 u. 8, S. 40. 

2 Theol. pos., p. 447. 

a Tom. II, Hb. III, de ecclesia militante , cap. II 3 5. 6, p . 64. 


148 § 66. Die Kirche im eigentl. und uneigentl. Sinne. 

pastorem Romcmum pontiticem . Ratione primae partis excludun- 
tur omnes intideles , tarn qui nunquam fuerunt in ecclesia, ut 
Judaei, Turcae , Pagani, tarn qui fuerunt et recesserunt, ut haere - 
tici et apostatae. Ratione secundae excluduntur catechumeni et 
excommunicati .... Ratione tertiae excluduntur schismatici .... 
Includuntur autem omnes alii, et tarn si re pro bi, scelesti 
et impii sint . Diese Konsequenz ist natürlich, da die intideles 
nur diejenigen sind, welche das Glaubensbekenntnis äußerlich 
verwerfen, und da schon das bloße äußerliche Annehmen der 
Lehre nach papistischem Begriff tides ist. Bellarmin kommt dann 
in Punkt io auf den Unterschied zwischen ecclesia vistbilis und 
invisibilis zu sprechen: Atque hoc interest inter sententiam nos- 
tram et alias omnes , quod omnes aliae requirunt internas virtutes 
ad constituendum aliquem in ecclesia , et propterea ecclesiam 
veram invisibilem faciunt . Er schließt mit der Erklärung : Eccle- 
sia enim est coetus hominum ita visibilis et palpabilis, ut est coetus 
populi Romani , vel regnum Galliae aut respublica Venetorum. 
Den Beweis für die Sichtbarkeit der Kirche liefert Bellarmin in 
cap. 12. Zunächst behauptet er, daß in der Schrift sich nicht 
eine Stelle finde, wo mit dem Namen „Kirche” eine unsicht- 
bare Gemeinschaft bezeichnet werde. Soll dies heißen, daß nir- 
gends in der Schrift die Worte und Begriffe „unsichtbare Ge- 
meinschaft” und „Kirche” miteinander verbunden werden, so ist 
dieser Einwurf ebenso töricht, als wenn jemand die Gottmensch- 
heit Christi aus dem Grunde bezweifeln wollte, weil in der 
Schrift nirgends der Ausdruck „Gottmen sch,” 6 ca vBpw tos, ge- 
braucht sei. Soll diese Behauptung aber nur sagen, daß die 
Kirche in der Schrift nirgends mit solchen Begriffen bezeichnet 
sei, welche sie als eine unsichtbare Gemeinschaft kennzeich- 
net, so ist dieselbe einfach eine ftierhörte Verleugnung der 
Schrift. Denn Kol. i, 18 wird die Gemeinde der Leib Christi 
genannt und damit, wie schon nachgewiesen, als eine unsichtbare 
Gemeinschaft bezeichnet; vergl. Eph. i, 23; 5, 23; Luk. 17, 20. 

Als Beweise für die Sichtbarkeit der Kirche bringt Bel- 
larmin dann: 

i. Matth, s, 14 : „Es mag die Stadt, die auf einem Berge 
liegt, nicht verborgen sein.” Ist dieser Schluß richtig, so wäre 
weiter zu schließen, daß jedermann untrüglich erkennen kann, 


§ 66. Die Kirche im eigentl. und uneigentl. Sinne. U& 

wer ein Christ sei, und wer nicht. Damit würde aber die klar 
ausgesprochene Wahrheit umgestoßen, daß der Herr allein die 
Seinen kennt Also ist es Mißbrauch dieser Stelle, wenn man die 
Sichtbarkeit der Kirche damit beweisen will. Von diesem Miß- 
brauch sollte auch schon dies abhalten, daß eine der Schrift un- 
würdige Tautologie herauskommt, wenn unter der sichtbaren 
Stadt auf dem Berge die Kirche verstanden wird, nämlich : Die 
sichtbare Kirche kann nicht verborgen oder ungesehen bleiben. 
In dieser Fassung würde abermals der Aussage der Schrift, nach 
der dem Propheten Elias die Kirche seiner Zeit gänzlich verbor- 
gen war, aufs frechste widersprochen. Die richtige Auslegung 
ist : Bei der auf dem Berge liegenden Stadt liegt es in der Natur 
ihrer Lage, daß sie gesehen wird ; so liegt es in der Natur des 
Christen, daß er das Licht seines Glaubens in guten Werken 
s^hen läßt. Und wenn er das tut, so ist er immerhin als Christ 
noch nicht sichtbar, noch ist sein Christentum sichtbar geworden, 
noch seine herrliche Beschaffenheit, daß er zur Stadt Gottes und 
zum himmlischen Jerusalem gehört ; noch wird, wenn wir alle 
Christen 2ur Zeit so in guten Werken würden leuchten sehen, ja 
vor Gott selbst versammelt als nach seinem unfehlbaren Wissen 
und Erkennen gläubigen Leuten, damit die Kirche selbst sicht- 
bar. Das Geistliche, Göttliche, Himmlische in allen können ja 
doch unsere leiblichen Augen nicht sehen. Zwei werden mahlen 
auf einer Mühle ; die eine wird angenommen, die andere ver- 
worfen. Zwei erscheinen als solche, die das Licht des 
Glaubens in guten Werken leuchten lassen; und doch ist einer 
etwa ein Gläubiger und der andere ein Heuchler, der eine gehört 
zur Kirche, und der andere nicht. Und was den einen zum Glied 
der Kirche und des Leibes Christi macht, das Werk des Geistes 
und das Wesen des Glaubens, das sieht kein sinnliches, leibliches 
Auge. 

2. Einen weiteren Beweis für die Sichtbarkeit der Kirche, der 
auch einigen Schein hat, bringt Bellarmin darin, daß er die Sicht- 
barkeit der Kirche als ein notwendiges Erfordernis 
hinstellt. Es könne ja keine Gemeinschaft sein, wenn die, welche 
sie bilden sollen, sich als Genossen dieser Gemeinschaft nicht er- 
kennen können ; es könne auch niemand der göttlichen Forderung, 
sich der Kirche anzuschließen, nachkommen, wenn er die Kirche 


160 § 66. Die Kirche im eigentl. und uneigentl. Sinne. 

nicht sehen könne. Richtig sagt dagegen Quenstedt 4 : 
Quatenus aliquis ad externum coetum ecclesiae alicujus particu- 
laris pertinet, catenus etiam symbolis visibilibus illius ecclesiae 
utitur, et cum aliis conjungitur ; quatenus vero pertinet ad eccle- 
siam catholicam, eatenus per vincula spiritualia > fidem nimirum 
et charitatem tum cum capite } quod est Christus , tum cum aliis 
piis sociatur . Si nulla est societas, nisi inter illos socios, qui per 
signa externa et msibilia sese mutuo agnoscere possunt, omnis 
ommno societas inter Christum et catholicam ecclesiam ejusque 
membra negabitur, cum Christus oculis corporeis in hac vita non 
videatur. Es ist ja auch die Gemeinschaft der Gläubigen unter- 
einander nicht ein menschliches Werk, daß nach eigenem Erken- 
nen und Wollen ein Mensch sich den Gläubigen zugesellte, son- 
dern Gott sammelt seine Gläubigen durchs Wort und hält sie 
versammelt ums Wort durch Kraft des Worts in geistlicher Ge- 
meinschaft untereinander. Und wer durchs Wort mit wahrem 
Glauben erfüllt ist, der ist auch der einen allgemeinen unsicht- 
baren Kirche angeschlossen, obschon er dieselbe mit seinen Augen 
weder je gesehen hat, noch auch je sehen kann. Und wer zum 
rechten Glauben und Erkenntnis gekommen ist und also zur un- 
sichtbaren Kirche gehört, der soll und wird sich auch zu der 
Gemeinschaft derer, die den rechten Glauben bekennen, äußerlich 
halten, sei es, daß er in ihrer Mitte zum Kind Gottes wiederge- 
boren sei, oder nicht. Nebenbei ist leicht ersichtlich, daß in der 
Forderung, die Kirche müsse sichtbar sein, damit der Mensch 
dem göttlichen Gebote, sich der Kirche anzuschließen, nachkom- 
men könne, sich der alte Fehlschluß verbirgt, daß der Mensch von 
Natur und noch als ein Unbekehrter alles müsse tun können, 
was Gott gebotsweise fordere, weil es ja sonst töricht wäre, daß 
es Gott fordere ; so müsse z. B. der Mensch aus eigener Kraft 
den Anfang zu seiner Bekehrung machen können, weil Gott ihm 
gebiete, er solle sich bekehren. Sachlich ist ja „bekehrt werden” 
und „zur wahren Kirche hinzugetan werden” identisch. 

Ähnlich wie die Papisten stehen auch verschiedene luthe- 
rische Kirchengemeinschaften. Manche derselben 
führen die widerspruchsvolle Lehre, daß die Kirche zwei 

4 Theol. did. pol, pars IV, cap . XV, sect. II, qu. II, obj. dial. VI, 
P • 49<>- 


| 66. Die Kirche im eigentl. und uneigentl. Sinne. lftl 

Seiten habe; nach der einen Seite sei sie unsichtbar (Glaube), 
und nach der andern (Brauch der Gnadenmittel) sei sie sicht- 
bar. Es ist aber unsinnig, daß eine Sache ihrem Wesen nach zu- 
gleich sichtbar und unsichtbar sein soll. Mit Unrecht beruft man 
sich da auf unsere Theologen. Diese reden nicht davon, daß die 
Kirche als coetus üdelium nach zwei Seiten betrachtet werden 
könne, sondern der Gegenstand der Betrachtung ist in den be- 
treifenden Stellen der coetus vocatorum . Quenstedt 5 : Non 
statuimus duas ecclesias, unatn veram , realem et tnternam , al- 
ter am nominalem et externam, sed dicimus, unam eandemque 
ecclesiam, totum seil . vocatorum coetuip dupliciter considerari, 
co-o ) öev scii et «£ci>0«v sive respectu vocationis et externae 
societatis in ßdei professione ei sacramentorum usu consistentis, 
ac respectu interioris regenerationis et internae societatis in vin- 
culo Spiritus consistentis . Priori modo etiam hypocritas et non 
sanctos ad ecclesiam pertinere concedimus , sed posteriori modo 
ac respectu solos vere credentes et sanctos ad eam pertinere con- 
tendimus . 

Ist nun die Kirche im eigentlichen Sinne auch unsichtbar, 
so wäre es doch gegen die Schrift, dieses so zu verstehen, als ob 
die wahren Gläubigen mit ihrem unsichtbaren geistlichen Wesen 
keinen Zusammenhang mit dem äußeren Amt 
des Worts und der Sakramente hätten, sondern sozusagen unter 
unmittelbarer Leitung und Regierung des Heil. Geistes ständen. 
Dieses ist die Ansicht der Schwärmer, Mystiker und Pietisten, 
welche sich über die sichtbare Gemeinde und das äußere Amt der 
Gnadenmittel erhaben dünken. Die wahren Gläubigen sind her- 
ausgeboren aus dem hörbaren Wort und sichtbaren Sakrament 
und werden in ihrem unsichtbaren geistlichen Wesen durch beides 
erhalten, deren Wesen ja freilich selbst wieder etwas Geistliches, 
Unsichtbares, nämlich die göttliche Wahrheit ist. Wo daher 
Gläubige sind, da ist Wort und Sakrament; und an beiden kann 
man auch die Existenz der Gläubigen, der wahren Kirche, er- 
kennen. Die Gnadenmittel sind Kennzeichen der Kirche ( notae 
ecclesiae ), aber freilich nicht so, daß man mit ihrer Hilfe das 
einzelne Subjekt als zur Kirche gehörig erkennen könnte (sie 


ö L . c. t qu. I, ekthes. VI , p . 488. 


152 


§ 66. Die Kirche im eigentl. und uneigentl. Sinne. 


sind nicht notae distinctivae) . Unsere Bekenntnisschriften haben 
der Terminologie nach die Unterscheidung zwischen sichtbarer 
und unsichtbarer Kirche nicht, wohl aber der Sache nach®. 

PUNKT IL 

Die Kirche ist nur eine ( una ) von Anfang bis Ende der Welt 

auf dem ganzen Erdkreis . 

Anmerkung: — Die Kirche ist weder durch Zeit, noch durch 
Raum getrennt. Die Gestalt ihrer Glieder kann nach Raum 
und Zeit verschieden sein, aber nicht die Kirche 
selbst. Es ist wohl der Zustand der noch auf Erden glau- 
benden und kämpf enden*Kirche ( ecclesia militans ) anders als der 
der im Himmel triumphierenden Kirche ( ecclesia triumphans ) . 
Aber beide sind doch eine Kirche (Heb. 12, 22. 23). Eine 
kämpfende heißt die Kirche wegen ihres Kampfes gegen Satan 
(Eph. 6, 10. 11 ; 1. Pet. 5, 8. 9), Welt (1. Joh. 5, 4) und Fleisch 
(Rom. 7, 14. 15; Gal. 5, 17). Triumphierende Kirche heißt sie 
nach Off. 2, 10; 4, 4. Die Kirche ist nur eine (una) f denn sie ist 
von dem einen Herrn, durch die eine Taufe in den einen 
mystischen Leib unter das eine Haupt zusammengebracht, von 
dem einen Geist in Einigkeit des Glaubens, der Liebe und der 
Hoffnung zusammengehalten (Eph. 4, 5); sie bekennt einen 
Glauben und wird durch eine Berufung zu einem und dem- 
selben himmlischen Erbe berufen. 

Alles, was neben dem Genannten als zur Einheit der Kirche 
gehörig gefordert wird (gleiche Zeremonien, Verfassung, usw.), 
wird gegen die Schrift gefordert. Der Papismus fordert als 
Einheit vor allen Dingen die hierarchische Verfassung unter dem 
einen sichtbaren Haupt, dem pontifex summus Romanus . Boni- 
fazius VIII sagt: Subesse Romano pontiüci esse de necessitate 
salutis. Gegen die Forderung dieser Einheit sagen unsere 
Dogmatiker : 

1. Eine solche monarchische Form der Kirche sei nicht not- 
wendig und von Christo nicht geordnet, der Matth. 28, 19 allen 
Aposteln den gleichen Beruf gibt. 

2. Christus habe niemals Petrum zum Haupt der Kirche 
gemacht. 


* Apol., S. 152, 5; S. 153, 9-1 1 ; S. 155, 18. 


163 


§ 66. Die Kirche im eigentl. und uneigentl. Sinne. 

In dem Attribute der Einheit ( unitas ) liegt eigentlich ein 
Zweifaches, daß die Kirche nämlich die in sich unge- 
teilte und fest vereinigte ist, und daß sie die eine oder einzige 
ist, neben der es keine andere gibt, wie es vor ihr keine andere 
gegeben hat, noch nach ihr geben wird. Diese eine Kirche i s t 
immer gewesen und wird immer sein (Matth. 16, 18), 

PUNKT III. 

Diese eine Kirche ist auch die heilige ( una sancta ). 

Anmerkung: — So bezeugt es die Schrift i. Kor. 6, n ; 14, 
33 ; Off. 11, 2. Heilig ist ihr Haupt (Heb. 7, 26), welches auch 
die Glieder heilig macht (Job. 17, 19). Sie ist mit einem heili- 
gen Beruf berufen und von der Welt ausgeschieden (2. Tim. 
1, 9). Das heilige Wort Gottes ist ihr anvertraut (Rom. 3, 2) ; 
der Heil. Geist wirkt in ihr alles, was alle Schriftsprüche bezeu- 
gen, welche Glauben, Rechtfertigung, Wiedergeburt als Werk 
des Geistes bezeichnen. Nach der Schrift ist es auch gewiß, daß 
die Kirche als ecclesia sancta , oder als congregatio sanctorum, 
im vollen Sinne nur nach dem adäquaten Grunde bezeichnet wird, 
daß sie nämlich in der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, auch zu- 
gleich die vollgültige Heiligkeit hat; vergl. Eph. 5, 26. 27; Joh. 
13 . 10 1 iS, 3 ; 17 ; i- Kor. 6, 11 ; 14, 33 - 

Falsch ist es, wenn die Papisten die sanctitas doctrinae und 
die sanctitas vitac mit Ausschluß gerade der inneren Heiligkeit 
durch die Rechtfertigung im Glauben zum Grunde machen, daß 
die Kirche eine heilige heißt. Denn so gewiß die der Schrift 
gemäße Lehre eine vollkommene Heiligkeit hat, und diese sanctitas 
doctrinae mit zu den causae remotae gerechnet werden kann, wes- 
halb die Kirche als heilige bezeichnet wird, so gewiß ist, daß die 
von Gott geforderte sanctitas vitae , weil stets unvollkommen, nie- 
mals als vollberechtigter Grund für die Bezeichnung der Kirche 
als sancta gelten kann, und daß die aus der Rechtfertigung her- 
vorgehende vollkommene Heiligkeit, die ja die Heiligkeit 
Christi ist, der adäquate Grund für die Bezeichnung der Kirche 
als einer heiligen ist. 

PUNKT IV. 

Die eine heilige Kirche , oder Gemeinde der Heiligen , ist auch die 
allgemeine Kirche ( ecclesia u niv e r s ali s t c ath o- 
lica ). 



164 


§ 66. Die Kirche im eigentl. und uneigentl. Sinne. 

Anmerkung: — So bezeugt es die Schrift Matth. 16, 18; 
Eph. i, 22 ; 5, 24 — 27; 1. Tim. 3, 15. Es liegt diese universalitas 
schon im Begriff der Einheit. Gibt es nur eine Kirche, 
für die die ganze Menschheit bestimmt ist, so muß sie ja univer- 
salis catholica sein. Als solche allgemeine Kirche umfaßt sie 
nicht nur die Gläubigen aller Orte zu einer bestimmten 
Zeit (so verstanden ist sie ecclesia universalis sensu relativo), 
sondern, wie es eben aus ihrer Einheit schon folgt, die Gläubigen 
aller Orte zu allen Zeiten, die jemals durchs Evangelium beru- 
fen wurden (dies ist ecclesia universalis sensu absolut 0) ; vergl. 
Apologie 1 . 

In dem Attribut der Allgemeinheit der Kirche liegt nun aber 
nicht nur dieses, daß sie alle Völker der Erde umfaßt, sondern 
auch, daß sie immer dieselbe Lehre und dieselben 
Sakramente hat, was auch schon in der Einheit begründet liegt. 
Unsere Dogmatiker fassen dies so : Ecclesia dicitur catholica vel 
ratione qualitatis, propter doctrinam et ßdem (und selbstver- 
ständlich der wesentlichen Gleichheit der Sakramente), vel ra- 
tione quantitatis ob diifusionem per Universum terrarum orbem. 

In beiden Beziehungen hat die allgemeine Kirche einen 
Gegensatz; bezüglich der qualitas ist der Gegensatz die 
Sekte, die den einen Glauben nicht bekennt, bezüglich der 
quantitas die ecclesia particularis , die Sonderkirche, die Einzel- 
gemeinde. Es muß aber festgehalten werden, daß der letztere 
ein ungenauer Gegensatz ist. Denn in der ecclesia particularis 
ist ja immer wieder enthalten die ecclesia universalis ; und was 
die ecclesia particularis zu einer solchen macht, ist nichts We- 
sentliches, das zum Wesen der Kirche gehört, oder es auch nur 
berührt, sondern etwas Unwesentliches, Akzidentelles. Doch 
machen wir den Unterschied der einen stricte verstandenen 
Kirche als allgemeiner und partikularer auf Grund der Schrift, 
welche Matth. 16, 18 und and. Stellen die Kirche offenbar als 
ecclesia catholica , oder universalis , bezeichnet, und doch auch 
wieder eine Anzahl an einem bestimmten Orte lebender Gläubi- 
gen als Gemeinde oder Kirche, bezeichnet (Rom. 16, 5; 1. Kor. 
1, 2; Gal. i, 2. 22). 

Die eine katholische Kirche heißt eine christliche, weil 


1 S. 153, 10; 155, 20 (lat. Text). 


§ 66. Die Kirche im eigentl. und uneigentl. Sinne. 156 

sie Christus gegründet hat ( i. Kor. 3, r i ; Eph. 2, 20) ; aposto- 
lisch heißt sie, weil sie von den Aposteln gepflanzt ist und auf 
der Lehre der Apostel ruht (Eph. 2, 20). 

Daß die Allgemeinheit der Kirche an etwas anderem 
hange als an der Allgemeinheit der Lehre der Schrift und der 
schriftgemäßen Sakramente, ist römische und romanisierende 
Ketzerei. 

PUNKT V. 

Die eine heilige Kirche Gottes ist unfehlbar ( infallibilis ). 

Anmerkung : — Die Kirche kann nach Aussage der Schrift 
nicht in Irrtum fallen (Matth. 16/18; 24, 24; Mark. 13, 22); 
vergl. Apologia 1 . Gerhard sagt 2 : Nunquam tarnen 
tota ecclesia sic errat , ut non sint } qui simplicem verbi ductum 
sequentes Spiritus sancti directione et efficaci operatione in veri- 
tate et fide eo modo sanctiücentur , ut fundamentum salutis retine- 
ant } ab erroribus fundamentalibus immunes perseverent t ac vir - 
tute Dei per ßdem ad salutem conserventur, licet Uli nonnunquam 
pauci sint , ac persecutionibus et corruptelis publice grassantibus 
ita lateant , ut publice coram mundo non agnoscantur (Matth. 
16, 18; 24, 24; 28 20 ).' Unter dem coram mundo kann Gerhard 
natürlich nur das verstehen, daß in Zeiten des grassierenden Ver- 
derbens die notae ccclesiae, die von dem Vorhandensein der Kir- 
che zeugen, fehlen, denn an sich ist die Kirche ja selbst in den blü- 
hendsten Zeiten der Welt nicht erkennbar. 

Mit dem völligen Verfall der Kirche in Irrtum würde diese 
selbstverständlich unter gehen. Denn die Wahrheit im Glauben 
haben ist ja das Wesen der Kirche, ohne welches sie überhaupt 
nicht ist. Mit der Irrtumslosigkeit und Unfehlbarkeit der Kirche 
(immer auf die ecclesia stricte dicta bezogen) hängt ihr stetiges 
Bestehen zusammen, wie unsere Augustana bekennt 3 : „Es 
wird auch gelehrt, daß alle Zeit müsse eine heilige, christliche 
Kirche sein und bleiben.” 

Daß die Kirche nicht untergehen kann, ist begründet in der 
Leitung und Beschützung des Herrn (Luk. 1, 33; 1, Tim. 3, 15), 
sowie in der besonderen Zusage des Herrn (Matth. 16, 18). 


1 155, 20; 156. 

2 Loci , tont. XI, loc. XXIII, cap. IX, 8 CIV, />. 143- 

3 Art. VII, S. 40. 


16« § 66. Die Kirche im eigentl. und uneigentl. Sinne. 

Nach allen bisher aus der Schrift auf geführten Eigenschaf- 
ten der Kirche ist gewiß, daß außerhalb der Kirche (nämlich der 
Kirche stricte dictd) niemand kann selig werden, weil es außer- 
halb derselben kein Heil gibt. Dies bezeugt die Schrift, 
indem sie sagt, daß niemand selig werde, der nicht glaube, vergL 
Eph. 2, 12; 4, 16; 5, 8; i. Pet. 2. 9. 

In Antithese zu dieser schriftgemäßen Lehre von der 
Infallibilität der Kirche steht die papistische Lehre, und zwar 
sowohl bezüglich der Kirche, von welcher sie Unfehlbarkeit 
lehrt, als auch bezüglich des Grundes ihrer Unfehlbarkeit. 
Denn erstlich legt der Papismus der sichtbaren römischen 
Partikularkirche die Unfehlbarkeit bei, während diese nach der 
Schrift nur der ecclesia stricte dicta zukommt. Sodann aber 
nimmt der Papismus als Grund der Unfehlbarkeit nicht den in der 
Schrift gelehrten an, daß nämlich die Gläubigen und die Erwähl- 
ten vor dem Versinken in Irrtum von Christo bewahrt 
bleiben, sondern die Unfehlbarkeit des römischen Priestertums, 
d. h. die Unfehlbarkeit des Papsttums. Zwar sagt B e 1 1 a r- 
m i n 4 : Nostra igitur sententia est, ecclesiam absolute non posse 
errare , nec in rebus absolute necessariis, nec in aliis , quae creden- 
da, vel facienda nobis proponit, sive habeantur expresse in Scrip- 
turis , sive non; et cum dicimus, ecclesiam non posse errare , id 
intelligimus tarn de Universität e ßdelium, quam de Universität e 
episcoporum, ita ut sensus sit ejus propositionis, ecclesia non 
potest errare, id est, id, quod tefient omnes ßdeles tanquam de 
ßde, necessario est verum et de ßde; et similiter id, quod docent 
omnes episcopi, tanquam ad üdem pertinens, necessario est vcrunt 
et de ßde . Aber es wird auch offen die Unfehlbarkeit des Prie- 
stertums als Ursache der Unfehlbarkeit der Kirche hinge- 
stellt. B e 1 1 a rm i n 5 : Jam quod etiam ecclesia repraesenta- 
tiva (ihre Repräsentanten sind eben die episcopi ) non possit 
errare, probatur primo, quia si omnes episcopi errarent, tota 
etiam ecclesia erratet, quia tenentur populi sequi suos pastor es, 

dicente Domino Luc . 10, 16: Qui vos audit , me audit Nam 

eTclesia non docet, nec de cernit quidquam, nisi per suos pastor es, 


4 Disp totn. II, Hb. III, de ecclesia militante, cap . XIV , 4, p . SS, 

5 L, c., 15, p. Sq. 


§ 66. Die Kirche im eigentl. und uneigentl. Sinne. 167 

sicut quodlibet corpus per suum caput . Daher polemisiert® Bel- 
larmin eitrigst gegen den Satz, daß das ganze Predigtamt 
irren könne, wie ihn Quenstedt ausspricht 6 7 : Distinguendum 
inter universalitatem episcoporum et doctorum , quantovis nuntero, 
quantalibet sanctitate , doctrinaque pollentem , et inter universali- 
tatem omnium Ade Hum; non Ulis , sed his Christus hoc Privile- 
gium et hanc promissionem dedit, ut errare non possint. Also die 
eine allgemeine Kirche, die Gemeinde der Gläubigen, kann 
nicht in Irrtum versinken, aber mit den Trägern des Prie- 
stertums kann es geschehen. Den Beweis führen 
unsere Dogmatiker; 

1. aus i. Kön. 22, 23, wo berichtet wird, daß 400 Pro- 
pheten (V. 6) irrten und Micha allein übrig war; 

2. aus 1. Kön. 19, 10, wo Elias spricht: „Ich bin allein- 
übergeblieben.” Diese Worte bezeugen, dafi^Elias nichts von 
einem Häuflein noch gläubiger Israeliten und jedenfalls nichts 
von einem rechtlehrenden Predigtamt sah. 

3. Aus Jes. 56, 10, wo es von den Lehrern und Propheten 
heißt : „Alle ihre Wächter sind blind, sie wissen alle nichts/’ 

4. Aus Mark. 14, 64, nach welcher Stelle das gesamte Pre- 
digtamt, Hohepriester mit ihren Priestern, den Herrn verdamm- 
ten, während gleichzeitig alle Apostel den Glauben verloren 
(Mark. 16, 14; Matth. 26, 31). 

Bellarmins Polemik findet sich Kap. XVI und XVII in der 
angegebenen Stelle. Er erwähnt, daß auch römische Theologen 
gelehrt hätten: In passione Domini non mansisse veram Adern , 
nisi in sanctissima virgine Maria , idque signiücari crcdunt una 
illa candela , quae sola accensa conservatur, in triduo ante Pascha 
in officio nocturno . Er setzt hinzu: Sed haec satis levia sunt , 
nec magno negotio refellentur. 

Gegen die Beweise unserer Dogmatiker wendet Bellarmin 
ein, daß neben den 400 falschen Propheten in Israel ohne Zweifel 
doch noch rechte Propheten daselbst werden gewesen sein. Und 
dies wird kaum in Abrede zu stellen sein. In bezug auf das Bei- 
spiel des Elias (1. Kön. 19, 10) sagt er: Negatur consequentia 


6 L. c., cap. XVII, p. 04 . 

7 Theol did. pol. , pars IV, cap. XV, sect. II, qu. III, ekthes dist. VI, 
A 497. 


168 § 66. Die Kirche im eigentl. und uneigentl. Sinne. 

et antecedens hujus argumenti. Consequentia quidem , quia non 
est eadem ratio populi Judaeorum, et populi christianorum . Natn 
populus Judaeorum non erat ecclesia universalis, ut est populus 
christianorum, sed particularis. Er führt als Beweis Melchisedek 
und Hiob an. Auf diesen Einwand erwidert Gerhard 8 : Non 
negamus aliquam esse dis paritat em int er ecclesiam israeliticam 
veteris et ecclesiam chris tianam novi testamenti, quam disparita - 
tem exposuimus superius § 34; interim tarnen in eo tertio con - 
veniunt, quod si illa ecclesia obscurari, ad paucitatem redigi, et 
publicum ejus ministerium corrumpi potuit, tum et huic idem con- 
tingere possit. Neque enim alius Deus , alia doctrina, alia üdes, 

alia spes ecclesiae veteris, quam novi testamenti Quod Bel - 

larminus urget, ecclesiam israeliticam non fuisse universalem, 
ambigue dicitur. Sie war, führt er aus, nicht universale Kirche 
wie die christliche, zu der aus allen Völkern Glieder gesammelt 
werden, und die nicht durch die engen jüdischen Grenzen einge- 
schränkt ist. Aber führt er aus : Quia Deus nullen alias particu- 
lares ecclesias illo tempore habuit, quam judaicam , ideo hoc sensu 
et respectu recte dicitur universalis, continuit enim complexu suo 
particulares ecclesias in civitatibus et domibus collectas, ac quot- 
quot ex gentibus ad verum Deum convertebantur , Uli erant mem- 
bra hujus ecclesiae israeliticae , cui si non loco et externa societate, 
tarnen desiderio , animo, atfectu et interna societate conjuncti 
fuerunt; publicum divini cultus exercitium in sola israelitica ec- 
clesia erat , nuspiam alibi templum, sacerdotium, sacrificia Deo 
grata et placentia . Die Instanz des Melchisedek und Hiob weist 
er richtig ab mit der Bemerkung: Melchisedecus et Jobus om- 
nium consensu vixerunt ante ecclesiae illius constitutionem. End- 
lich ruft Gerhard aus: Et quos quaeso nominare nobis poterit 
Bellarminus, qui inter gentes fuerint vere üdeles, et habuerint 
publicum ac peculiare divini cultus exercitium ab omnibus cor- 
ruptelis liberum, cum ecclesia israelitica et judaica idololatria 
esset corruptaf Falsum ergo et absurdum est, quod Bellarminus 
asserit: Etiamsi universa Judaeorum synagoga defecisset, non 
tarnen continuo omnem Dei in terris ecclesiam defe risse. Noch 
sucht Bellarmin seine Sache zu retten mit der Bemerkung: Heli- 
am non loqui de omni populo Judaeorum, sed solum de illa parte, 

* L. c , cap. VIII , 5 LXXXrX, p, 113. 


§66. Die Kirche im eigentl. und uneigentl. Sinne. 159 

quae subjecta erat re gi Samariae . Er folgert dies daraus, daß 
zur Zeit des Propheten Elias in Juda die Könige Asa und Josa- 
phat regierten, welche gottesfürchtig waren. Und Gott sage ja 
ausdrücklich: „Ich will lassen überbleiben 7000 in Israel.” Es 
sei also von Juda gar nicht die Rede. Hier findet Bellarmin 
seine Widerlegung in Röm. 11, 2, wo Paulus offenbar das Wort 
„Israel” nicht auf das Teilkönigreich Israel, sondern auf 
das ganze Israel wendet. Auch sehen wir ja aus der Ge- 
schichte der Könige, daß Asa und 'der noch trefflichere Josaphat 
von Juda den Höhendienst und das Opfer auf den Höhen (1. 
Kön. 22, 44) nicht abtaten, und daß bereits unter Joram (2. Chron. 
21, 6) wieder voller Götzendienst in Juda einriß. Und sehr wohl 
kann Elias noch die ersten Regie rungsjahre Jorams erlebt haben, 
und damit eine Zeit, wo es tatsächlich kein reines Predigtamt in 
der Kirche des Alten Testaments gab. Somit kann Bellarmin 
das aus der Zeit Elias hergenommene Argument unserer Dog- 
matiker nicht entkräften. 

Ebenso kann er das aus Jes. 56, 10 genommene Argument 
nicht entkräften mit der willkürlichen Behauptung: Verba illa 
prophetarum esse ügurata, et dirigi quidem ad otnnes, non tarnen 
revera int eilt gi debere de Omnibus , sed de multis , ut supra dixi- 
mus . Warum es so müsse verstanden werden, macht Bellar- 
min allerdings nicht klar. Daß er zum Notbehelf einer so will- 
kürlichen Ausflucht greift, zeigt aber nur, wie unwiderleglich die 
Beweisstelle ist. 

In bezug auf Mark. 14, 64 macht Bellarmin gar nicht den 
Versuch, zu beweisen, daß zu der Zeit nicht das ganze Predigt- 
und Priesteramt verderbt war; aber, sagt er, dies verschlage 
nichts, daß alle in Irrtum versunken waren, da bereits Christus 
da war und lehrte. Damit ist aber keineswegs Mark. 14, 64 
entkräftet als Beweisstelle für den Satz, daß das ganze öffentliche 
Predigtamt in Irrtum verfallen könne, da Christus das gewöhn- 
liche, ordnungsmäßige Priestertum gar nicht hatte (Heb. 7, 13. 
14) und selbst ja das Priestertum seiner Zeit als rechtmäßig an- 
erkannt. 

PUNKT VI. 

Unter der Kirche im uneigentlichen Sinn ( ecclesia late 

d i c t a) verstehen wir die ganze Menge der durchs W ort 


160 § 66. Die Kirche im eigentl. und uneigentl. Sinne. 

berufenen und um das Wort versammelten Menge (c o e tus 

visibilis v o c at or um). 

Anmerkung: — In diesem Sinne ist die Kirche eine Gemein- 
schaft, in welcher Gute und Böse miteinander vermischt sind. 
Diesen Charakter trägt sie sowohl als über die Welt verbreitetes 
Ganzes ( ecclesia late dicta universalis) , wie auch als Teil ( eccle - 
sia late dicta particularis) . Der Kirche als einer solchen sicht- 
baren Gemeinschaft kommt der Name „Kirche” nur u n ei- 
gen 1 1 i c h zu, indem ihr der Name gegeben wird, der e i g e n t- 
lich ( proprie et principaliter ) nureinem Teil, nämlich den 
Gläubigen, zukommt. Die äußere Gemeinschaft wird also synek- 
dochisch, nämlich pars pro toto, Kirche genannt. Aber die 
Schrift selbst gibt dem coetus visibilis vo catorum den Namen 
„Kirche” (Matth. 18, 17: „Sage es der Gemeine”). So kann 
ein Mensch doch nur an die sichtbare Menge der ums Wort Ver- 
sammelten gewiesen werden. Ferner tut dies die Schrift I. Kor. 
1, 2; 12, 28; Apg. 20, 28. Selbst die Menge derer, welche zum 
größten Teil in Irrtum verfallen ist, wird um der in ihr ver- 
borgenen Gläubigen willen noch Kirche genannt (Gal. 1, 2). 

Daß mit dem Unterschied von ecclesia stricte und late dicta 
nicht zwei Kirchen gesetzt seien, sondern nur eine, ist schon bei 
der Unterscheidung zwischen ecclesia visibilis und inzdsibilis ge- 
sagt. Es ist nur die Betrachtung der einen Kirche nach ihrem 
Wesen als Gemeinde der Gläubigen ( ecclesia stricte dicta) und 
nach ihrer Existenzart in der Welt, da sie verborgen ist 
im Haufen der Berufenen, und mit allen Berufenen, von welchen 
doch viele nicht glauben, in eins zusammengefaßt wird (ecclesia 
late dicta). 

Die ecclesia late dicta unterscheiden wir als die vera und 
falsa . Dieser Unterschied ist kein absoluter, als wäre die 
ecclesia vera wahrhaft die Kirche, die falsa überhaupt gar nicht 
Kirche, sondern dieser Unterschied ist relativ ( distinctio 
relativa oder privativa). Die wahre Kirche ist diejenige äußere 
Kirchengemeinschaft, welche die zum Heil nötigen Glaubensarti- 
kel rein lehrt und die Sakramente recht verwaltet; die falsche 
Kirche ( ecclesia falsa, impura , corrupta) ist die, in welcher die 
Glaubenslehre vermischt ist mit Irrtum und die Sakramente nicht 


§ 66. Die Kirche im eigentl. und uneigentl. Sinne. 


161 


recht, d. h. nicht in rechter Weise und zum rechten Zweck ver- 
waltet werden ( non recto modo et fine administrmtur ) . 

Hier ist nun ein Hauptsatz unserer Kirche : A u c h i n 
der unreinen, verderbten Kirche können Kin- 
der Gottes geboren und also Menschen selig 
werden, wenn nur überhaupt noch wesentlich Gottes 
Wort darinnen gelehrt und die Taufe wesentlich richtig, 
d. h. nach der Ordnung des Herrn verwaltet wird; vergl. Apo- 
logie 1 . Diese Lehre hat ihren gewissen Grund in der Schrift 
Röm. ii, 3; 1. Kön. 19, 10. 14; vergl. Luther 2 : „Meinst du 
nicht, daß Gott unter dem Papsttum jetzt auch, wie in Israel un- 
ter Ahab die 7000, haben könne, die Samen erhalten, obgleich die 
Pfaffen und Mönche in der Christenheit eitel Teufelslehrer gewest 
und in die Hölle gefahren sind? Es sind gar viele Kinder und 
junges Volk gestorben in Christo. Denn Christus hat mit Gewalt 
unter seinem Widerchrist die Taufe, dazu den bloßen Text des 
Evangeliums auf der Kanzel und das Vater Unser und den Glau- 
ben erhalten, damit er gar viele seiner Christen und also seine 
Kirche erhalten und den Teufelslehrern nichts davon gesagt.” 
Ebenso in der Schrift von der Winkelmesse 3 : „Wo 
nun solche Stücke (Taufe, Evangelientext auf der Kanzel, Abso- 
lution, Psalter, Vater Unser, gute Lieder) geblieben sind, da ist 
gewiß die Kirche und etliche Heilige blieben. Denn es ist alles 
die Ordnung und Früchte Christi, ausgenommen der Raub der 
einigen Gestalt. Darum ist hie gewiß Christus bei den Seinigen 
gewest mit seinem Heil. Geist und in ihnen den christlichen Glau- 
ben erhalten.” 

Somit versteht die lutherische Kirche den Satz: Extra eccle - 
siam nulla salus anders wie die römische Kirche. Diese versteht 
ihn von der römischen Partikularkirche; die lutherische Kirche 
aber versteht ihn vom ganzen Haufen der Berufenen, weil aller- 
dings nur innerhalb des Haufens der Berufenen, also innerhalb 
der sichtbaren Christenheit, es eine Berufung durch Wort und 
Sakrament gibt, also auch nur innerhalb dieses coetus universalis 


1 S. 153, 9. 10. 11 ; S. 155, 19. 20. 

2 Beantwortung der Frage, ob die Heiligen für uns bitten, an Wen- 
zeslaus Link. Leipz. Ausg., XX, 236. 

3 Leipz. Ausg., XXI, 46. 



162 


§ 66. Die Kirche im eigentl. und uneigentl. Sinne. 


vocatorum die unsichtbare Gemeinde der Gläubigen und Erwähl- 
ten zu suchen ist. 

PUNKT VII. 

Das Dasein oder Vorhandensein der unsichtbaren Kirche wird 
erkannt an dem Wort Gottes und den Sakramenten; mit 
andern Worten: Das Wort Gottes und die Sakramente sind 
die notae ecclesiae. 

Anmerkung: — Daß da, wo die Predigt des Evangeliums 
erschallt und die Sakramente der Einsetzung gemäß verwaltet 
werden, Kinder Gottes als gewiß vorhanden anzunehmen sind, 
lehrt die Schrift. Denn nach Matth. 28, 19; 1. Pet. 1, 23; Röm. 
10, 14; Tit. 3, 5; 2. Kor. 4, 5. 6; Joh. 8, 31 werden die Kinder 
Gottes, welche die Kirche ausmachen, durch Wort und Sakra- 
ment gezeugt, geboren und erhalten. Da nun Gottes Wort nie- 
mals ohne seine von Gott gewollte Wirkung bleibt (Jes. 55, 10. 
11) und durch die Taufe gewiß wenigstens die unmündigen Kin- 
der wiedergeboren werden (Mark. 10, 14. 15; Matth. 18, 3), 
so ist nicht zu zweifeln, daß da Kinder Gottes seien, wo das 
Evangelium recht gepredigt wird und die Sakramente recht ver- 
waltet werden; oder, um es anders zu sagen: Man kann aus 
Wort und Sakrament als untrüglichen Kennzeichen auf das Vor- 
handensein der unsichtbaren Kirche schließen. 

Aber ebenso kann man aus ihnen als Unterscheidungszei- 
chen auch zwischen -der wahren und falschen sichtbaren Kirche 
unterscheiden. Wir erklären ja darnach, wie in Punkt VI aus- 
geführt ist, die sichtbare Kirche für die ecclesia vera , welche 
rechte Lehre und reines Sakrament hat ; und die, welche sich 
dessen nicht rühmen kann, erklären wir für falsa. Sofern Wort 
und Sakrament noch wesentlich vorhanden sind, sind sie 
notae der ecclesia invisibilis; sofern aber Wort und Sakrament 
rein oder nicht rein vorhanden sind, sind sie notae der 
vera und falsa ecclesia visibilis, also der Beschaffenheit der sicht 
baren Kirche. 

Nun ist gewiß, daß es keine sichtbare wahre und reine Kir- 
che auf Erden gibt, wenn es nirgends einen coetus visibilis voca- 
torum mit öffentlicher, reiner Predigt und öffent- 
lichem rechtem Sakrament gibt. Es entsteht somit die 


§ 66. Die Kirche im eigentl. und uneigentl. Sinne. 1Ö3 

Frage : Wie steht es in dem Falle, daß es nirgends auf Erden 
öffentliche reine Predigt und Sakramentsverwaltung gibt, einmal 
um die notae ecclesiae und sodann um das Vorhandensein der 
Kirche? Kann in dem gegebenen Falle, also beim Fehlen der 
offenbaren Kennzeichen, noch eine Kirche Gottes im wahren 
Sinne angenommen werden, da doch eben das Dasein und Vor- 
handeiiscin aus den Kennzeichen soll geschlossen werden? Oder 
wenn, wie es in Wirklichkeit doch ist, nach Gottes Wort in dem 
gegebenen Fall doch feststeht, daß es bei völlig verderbtem öffent- 
lichem Predigtamt doch eine wahre unsichtbare Gemeinde noch 
geben kann, ja geben muß, ist dann nicht der siebente 
A r t. 1 unserer Augustana zu beanstanden : „Es wird auch ge- 
lehrt, daß allezeit müsse eine heilige, christliche Kirche sein und 
bleiben, welche ist die Versammlung aller Gläubigen, bei welchen 
das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut 
des Evangelii gereicht werden"? Wir antworten: 

1. Die Definition in Art VII gibt den idealen Stand der 
Dinge, wie ihn Gott eigentlich will, wie er aber durch die Schuld 
der Sünder niemals ist. Es ist aber selbstverständlich, daß die 
Definition in Art. VII so, wie sie ist, eben sein muß. Denn wenn 
man eine Definition gibt, d. h. die ATerkmale einer Sache zu- 
sammenstellt, so bestimmt man notwendig die Merkmale nicht 
nach den zufälligen, durch Verhältnisse verschiedenen Graden der 
Vollkommenheit, sondern nach dem höchsten Grad der Vollkom- 
menheit. So erklärt auch G e r h a r d. daß die Definition in Art. 
VII nicht anders lauten könne, weil defin i tioncs, regit lae et canoncs 
dari debcant de i d e a . So, wie wir ihn erklären, und nicht an- 
ders müssen es die Kirchenväter in Art. VII gemeint haben. Sie 
sagen, es müsse immer eine Kirche sein ; und zugleich war ihnen 
doch nicht verborgen, daß es Zeiten gegeben, wo es öffentlich 
keine reine Predigt des Evangeliums und keine in allen Stücken 
rechte Verwaltung der Sakramente gab. 

2. Unter der reinen Predigt des Evangeliums, welche Kenn- 
zeichen der Kirche ist, ist nicht gerade nur die öffentliche Predigt 
der Pastoren zu verstehen, sondern auch das gemeinsame schrift - 
gemäße Bekenntnis, das noch vorhanden ist, wenn dasselbe auch 


1 S. 40 . 


104 § 66. Die Kirche im eigentl. und uneigentl. Sinne. 

von dem öffentlichen Predigtamt mag ganz verworfen werden. 
Es ist ja auch die öffentliche, richtige Predigt der Pasto- 
ren zum Bau und zur Erhaltung der unsichtbaren Kirche nicht 
absolut erforderlich (i* Kön. 19, 10. 14). Es kann, wie in 
Zeiten schwerer Verfolgung geschehen ist, durch das bloße Lesen 
der Heil. Schrift oder durch irgendwelche verborgene Mitteilung 
der seligmachenden Lehre die Kirche erhalten werden. 

In Antithese zur schriftmäßigen Lehre, daß allein reine 
Predigt und rechte Sakramentsverwaltung die notae ecclesiae 
seien, stehn die Papisten, teils durch Verwerfung dieser beiden 
notae , teils durch Setzung anderweitiger, in der Schrift nicht ge- 
gebener nötae. Bellarmin erklärt die von unserer Augusta- 
na aufgestellten notae für non sufficientes ullo modo , und gibt die 
verae notae , deren nach seiner Zählung fünfzehn sind 2 : 
Nomen ecclesiae catholicae , antiquitas, duratio diuturna, amplitu- 
do, suc cessio episcoporum, conspiratio in doctrina cum ecclesia 
antiqua , membrorum unio inter se et cum capite (papa)j sanc- 
titas doctrinae , efficacia doctrinae, sanctitas vitae , gloria miracu - 
lorum, lumcn propheticum, confessio adversariorum (lobende 
Äußerungen von Heiden, wie sie bei Plinius, Josephus u. and. 
über die alte Kirche angeführt werden), infelix exitus eorum, 
qui ecclesiam oppugnant (wofür Pharao, Julianus Apostata an- 
geführt werden, die es doch mit der Papstkirche gar nicht zu tun 
hatten ; auch Luther und Calvin werden angeführt, denen ein 
schreckliches Ende angedichtet wird), felicitas temporalis eorum , 
qui ecclesiam defenderunt. 

Eine der richtigen notae nennt Bellarmin auch, nämlich 
conspiratio in doctrina cum ecclesia antiqua; aber gerade diese 
fehlt der römischen Kirche, da sie die Rechtfertigungslehre Chri- 
sti und der Apostel verwirft. Daß die übrigen nach der Schrift 
nicht notae sind, ist ebenso gewiß wie dies, daß derselben die rö- 
mische Kirche, Papst, Klerisei und die große Masse des Kirchen- 
volkes angesehen, oft lange Perioden hindurch sich wahrlich nicht 
rühmen konnte, z. B. der sanctitas vitae. Es können auch nach 
anerkannten Vernunftgründen die angeführten Dinge nicht notae 
sein. Denn gewiß ist dies : Notae debent esse notiores re notata 


2 Disp tont. II, Hb. IV, de ttotis ecclesiae, />, 95 ff. 


§66. Die Kirche im eigentl. und üneigentl. Sinne. 


m 


Aber antiquitas, duratio usw t sind doch nicht notiores re notata , 
nämlich ecclesia. Gewiß ist ferner richtig der Grundsatz : Notae 
debent esse propriae et inseparabiles. Aber z. B. der Name 
ecclesia c at holte a war doch nicht immer vorhanden ; in der 
ältesten Zeit der Apostel kennt man ihn nicht. Andere notae 
sind eben nicht propriae ecclesiae . So kommt antiquitas nicht 
ausschließlich der Kirche, sondern auch dem Reich des Teufels 
zu ; antiquitas kann also nicht nota ecclesiae sein. Auch ist anti- 
quitas allein ohne rechte Lehre auch ohne Wert. Die duratio diu- 
turna kann auch nicht nota ecclesiae sein, denn sonst wären Ju- 
den und Mohammedaner auch die Kirche, da duratio ihnen auch 
zukommt. Die amplitudo war nicht nota der ersten Kirche 
(i. Kor. i, 26) ; sie kann daher überhaupt nicht Kennzeichen der 
Kirche sein. Die erste Kirche hatte keine prächtigen Tempel; 
und die multitudo ist am wenigsten Kennzeichen nach derri aus- 
drücklichen Wort des Herrn (Matth. 20, 16; 2. Thes. 2, 3; Luk. 
18, 8; 12, 32 (kleine Herde); Matth. 7, 14). Multitudo ist 
vielmehr Kennzeichen der Rotte Satans (Off. 13, 3. 8; 17, 15; 
Matth. 7, 13). Die successio episcoporum ohne successio in 
vera doctrina ist wertlos. Die Juden zur Zeit Christi hatten auch 
die successio episcoporum; und doch waren sie nicht die Kirche, 
sondern die Welt (Job. 16, 20). Auch auf dem römischen Stuhl 
haben arge Ketzer gesessen. Was die conspiratio in doctrina cum 
antiqua ecclesia anlangt, so ist sie mit der Apostelkirche nicht 
vorhanden; rekurriert man aber, wie die Römischen tun, auf 
Kirchenväter, so sind diese nicht die älteste Kirche. Quen- 
s t e d t : Ecclesia fuit, ante quam patres essent. Die unio findet 
sich auch unter den Bösen, war auch unter den Baalspfaffen ge- 
gen Micha (1. Kön. 22, 13), unter den Götzendienern der Diana 
(Apg. 19, 29). Dagegen kann Zwietracht sein zwischen denen, 
die wirklich die Kirche sind, so wegen des Passah zwischen den 
Orientalen und Okzidentalen. Und wie steht es mit der unio 
in der römischen Kirche selbst? Die Spanier und Italiener stell- 
ten den Papst über das Konzil, die französischen Bischöfe taten 
das Gegenteil. Die sanctitas doctrinae kommt nur der Lehre zu, 
wenn sie recht ist nach der Schrift ; das aber gilt gerade von der 
römischen Lehre nicht. Was die efficacia doctrinae anlangt, so 
kann der Umstand allein, daß die Lehre im Schwange geht und 



166 § 66. Die Kirche im eigentl. und uneigentl. Sinne. 

viel Bekenner hat, nicht Kennzeichen der Kirche sein, denn auch 
die Lehren Satans haben gewaltigen Fortgang und gewaltigen 
Anhang. Die sanctitas vitae kann auch nicht Kennzeichen der 
Kirche sein, denn die innerliche Heiligkeit ist unsichtbar und die 
äußerliche ist Frommen wie Heuchlern gemeinsam. Wäre aber 
wirklich die Heiligkeit des Lebens ein Kennzeichen der Kirche, 
so führe die Papstkirche sehr übel mit ihren Päpsten : Johann 
XII., Johann XXIII., Alexander III. und IV., Bonifazius VIII. 
und Innozenz VIII., über welchen der Vers ist: 

Octo Nocetts pueros genuit totidemque pucllas , 

Hunc rnerito poterit dicere Roma patrem . 

Was die miracula betrifift, so gesteht Bellarmin selbst zu: 
Ante ecclesiae probationem non esse evidens aut c er tum certitu- 
dine fidei de ullo miraculo , quod sit verum miraculum . Ebenso, 
wie mit den andern, steht es mit dem lumen propheticum , denn 
dieses fand sich nur zur Zeit der Pflanzung der Kirche ; und über- 
dies haben auch solche prophezeit, welche gar nicht zur Kirche ge- 
hörten, z. B. Bileam (4. Mose, 23). Die confessio adversariorum 
ist etwas so Zufälliges, Sporadisches, daß es schlimm stände, 
wenn dieselbe sollte ein Kennzeichen der Kirche sein. Wäre 
sie es, so führe die lutherische Kirche so übel nicht, da sie sich 
doch günstiger Bekenntnisse ausgesprochener Papisten zu er- 
freuen hat. Was die beiden letzten Kennzeichen betrifft, so 
braucht man bezüglich des infei ix exitus der Feinde nur auf 
Trajan, Aurelius, Antonius Pius, Septimus Severus, und bezüg- 
lich der felicitas cortim, qui ecclesiam defenderunt , nur auf Jo- 
sias, die Apostel und die Kreuzfahrer hinweisen, um zu zeigen, 
wie übel es damit bestellt ist (Ps. 73, 3 — 5). 

In derselben Antithese, was nämlich die Verwerfung der 
schriftgemäßen Kennzeichen der Kirche betrifft, stehn auch die 
Soziniancr. Sie erklären, rechte Lehre sei nicht nota, son- 
dern forma ecclesiae , quae dat ecclesiae suum esse . Ähnlich stehn 
auch die A r m i n i a n e r. 

In Antithese stehn auch diejenigen romanisierenden 
Lutheraner (Breslauer, Buffalo er), welche fordern, 
daß die Kennzeichen der Kirche immer in ihrer idealen V o 1 1- 
kommenheit vorhanden sein müssen, und, indem sie zu- 
gleich als Kirche den coctus vocatorum setzen, konsequent die 


§ 66. Die Kirche im eigentl. und uneigentl. Sinne. 1G7 

rein lehrende lutherische Partikularkirche zu der einen Kirche 
Gottes machen, außerhalb derer kein Heil ist. Sie lehren zu- 
gleich, daß alle wirklichen Kinder Gottes, welche außerhalb der 
sichtbaren lutherischen Kirche stehn, doch in Wahrheit die gan- 
ze Lehre der lutherischen Kirche haben. 

In Antithese steht auch die neuere und neueste 
Theologie, und zwar : 

a. bezüglich des Wesens der notae, sofern sie unter der 
Predigt des Evangeliums nicht die dem Wort der Schrift ent- 
sprechende, sondern die, wie es meist ausgedrückt wird, im Geist 
der Schrift sich haltende verstehn, als welche dann geradezu 
schriftwidrige, das Evangelium von der Erlösung durch das 
stellvertretende Opfer Christi und von der Rechtfertigung aus 
dem Glauben daran auf hebende Lehren passieren ; 

b. bezüglich der Bedeutung der notae. Während an 
denselben eigentlich- das Dasein der unsichtbaren Kirche soll er- 
kannt werden, machen sie dieselben, und zwar in ihrer laxen, 
schriftwidrigen Fassung, zum berechtigenden Grund für kirch- 
liche Bruderschaft zwischen sichtbaren Partikularkirchen. 

PUNKT VIII. 

Wie einzelne Partikularkirchen ganz von der Wahrheit fallen 
können, so kann dies auch mit der ganzen sichtbaren Kirche 
überhaupt geschehn 

Anmerkung: — Es kann, wie schon früher berührt wurde, 
geschehn, daß es auf dem ganzen Erdkreis keinen coetus ziisibilis 
mit reiner Lehre gibt. Den Beweis gibt Quenstedt 1 : Pro - 
batur , ecclesias particularcs omites error c posse . ex vaticiniis, 
sive praedictionibus r de magna scductione Matth. 24, 24; 1. Tim. 

4, 1 ; 2. Thes. 2, 3 Bene Gerhardtis: Apostolus manifeste 

loquitur de magna quadant et paene universali apostasia, p ar ti- 
cul ar es enirn jamdum contigerant complures. Diese Lehre 
hat ihren Schriftgrund auch darin, daß in der Schrift keiner 
Partikularkirche das Privilegium des Bestehens ge- 
geben wird; sie können also alle und alle zugleich hinfallen. Ge- 
wiß bleiben Gläubige, denn die unsichtbare Kirche kann nicht 

1 Theol did. pol . pars IV, cap. XV, sect. II, qu. III, thes. beb. 

P . 499- 



16$ § 66. Die Kirche im eigentl. und uneigentl. Sinne. 

untergehn, d. h. von der Wahrheit abfallen, aber es kann sich 
so verhalten, daß auf ihre Existenz nichts deutet. 

Mit dieser Lehre steht die lutherische Kirche zwischen zwei 
■schriftwidrigen antithetischen Extremen, einerseits den Papi- 
sten, welche die Infallibilität der sichtbaren römischen Parti- 
kularkirche und damit die Unmöglichkeit ihres Untergangs be- 
haupten, und anderseits den Sozinianern und Armini- 
a n e r n, welche behaupten, daß die Kirche im eigentlichen Sin- 
ne, d. h. die Gemeinde der Gläubigen, auf Erden gänzlich auf- 
hören könne. Ostorodus 2 : Nitnis audacem esse illam 
opinionem, qua statuitur, ecclesiam Christi semper debuisse 
martere , ac nunquam cessarc. E p i s c o p i u s 3 : Neque vero 
necesse esse credimus , ad hoc , ut Christus rex et caput maneat, 
in terris ecclesiam aliquam veram semper esse. 

2 Instit., cap. XLII, p. 412 . 

8 Disput de ec des., cap. 10. 

PUNKT IX. 

Obgleich eine Repräsentation der sichtbaren Kirche statt finden 
kann , so gibt es doch keinen Stand noch Körperschaft , die 
an sich die Repräsentanten der Kirche wären. 

Anmerkung: — Man bezeichnet die sichtbare Gesamtheit, 
welche Laien und Prediger zusammenfaßt, als ecclesia synthetica 
und versteht unter ihrem Gegenteil, der ecclesia repraesentativa , 
zunächst meist die Versammlung der Lehrenden. Sie sind dies 
aber nicht an sich und zu jeder Zeit, sondern nur, wenn sie auf 
Forderung und im Auftrag der Gesamtkirche zu einem Konzil 
oder einer Synode versammelt sind. Quenstedt 1 : Ecclesia reprae- 
sentativa dicitur congregatio doctorum. Thes. XXIV: Vocatur 
ha ec doctorum et episcoporum congregatio alias concilium . 
Ähnlich erklärt H o 1 1 a z, daß die Doktoren, Pastoren usw. die 
Kirche repräsentieren, wenn sie feierlich zu Entscheidungen in 
Sachen der Lehre und Zucht versammelt sind. 

Die Weise, in welcher es zur Abhaltung von Konzilien 
und Synoden kommt, kann ja nach der Art des vorhandenen und 
von der ganzen Kirche sanktionierten Kirchenregiments ver- 


1 Theol did. pol. pars IV, cap. XV, sect I, thes. XXIII , p. 483. 


16 » 


§ 66 . Die Kirche im eigen tl. und uneigen tl. Sinne. 

schieden sein, aber sie darf im Grunde nicht derart sein, daß etwa 
die Gesamtheit der Pastoren einseitig nach ihrem Er- 
messen und unter Nichtachtung des Rechts der gan- 
zen Kirche darüber bestimmen, denn dies wäre gegen Matth. 18, 
15 ff., wonach alle Rechte und Privilegien 
bei der Gemeinde, oder Kirche, liegen, also auch 
das Recht der Berufung von Konzilien (worauf Luther im- 
mer fest bestand), was auch die Apostel anerkennen (Apg. 1, 15 
ff. ; 6, 2. 5 ; 15, 22). Nach der Schrift ist das Korrekte die Wahl 
der Beisitzer durch die Gemeinde. 

Als Stand an sich repräsentieren die Pastoren die 
Kirche nicht. Wir kennen nach der Schrift überhaupt keinen 
besondern geistlichen Stand, der als solcher von 
den Laien als Nichtgeistlichen unterschieden wäre und als sol- 
cher die Kirche repräsentiert, sondern nur Amt des Dienstes 
am Wort. Darum sind auch nicht die Pastoren allein als Bei- 
sitzer der Konzilien berechtigt, sondern auch die Laien. Quen- 
s t e d t 2 : Asscssores et judices competentes , praeter praesidem, 
sunt non tantum episcopi , sed quivis fideles, litterarum sacrorum 
peritij tarn laici , quam clerici ad ecclesiam ab ecclesiis misst , Rom. 
14 , 12; 1. Joh. 4 , 7; /. Cor. 2, 75/ 70, 75. Dementsprechend sind 
unsere Synodalversammlungen zusammengesetzt. 


2 L. c., thes. XXVIII , p. 4S5. 


1EHRPÜNKT O. 

Der dreifache Unterschied der Glieder 
der Kirche. 

(De ordine triplici hierar chico.) 


§ 67. 

Der dreifache Unterschied der Glieder 
im allgemeinen. 

(De statu triplici Hierarchie o in genere.) 
LEHRSATZ. 

Alle Glieder der Kirche haben vermöge der Berufung durch Got- 
tes Wort und Taufe einen und denselben himmlischen Beruf 
und bilden demzufolge einen unterschiedslosen Bruderstand ; 
aber da sie nicht denselben äusseren Beruf haben , so findet 
sich in der Kirche ein Unterschied von ordines, nämlich: 
Lehrstand t Obrigkeit und Hausstand . 

Anmerkung: — Die Aufstellung dieses ordo oder Status 
hierarchicus triplex findet sich der Sache nach schon in der 
Haustafel des Kleinen Katechismus. Ausdrücklich stellt sie 
Luther auf; so in der Auslegung von i. Mose 19, 15. Er 
sagt dort zuerst, daß oft die Obrigkeit die Sünde nicht strafe, 
und fährt fort : „Denn Gott hat verordnet drei Stände, denen er 
Befehl getan hat, die Sünde zu strafen. Der erste ist der Eltern- 
stand, der über Zucht irn Hause ernstlich halten und Kinder und 
Gesinde regieren soll. Der andere ist die weltliche Obrigkeit, 
die darum das Schwert traget, daß sie die Ungehorsamen, Mut- 
willigen und Nachlässigen mit Ernst der Zucht zwingen soll 
Der dritte ist der Kirchen- oder Predigerstand, der mit dem Wort 
regieret ; und hat also mit diesem dreierlei Reginiente und Ge- 
walt Gott das menschliche Geschlecht wider den Teu- 
fel, unser eigen Fleisch und die Welt verwahret, darum daß 
Ärgernisse nicht sollen überhand nehmen, sondern vorgekommen 
und abgeschaffet werden. Die Eltern seien gleichwie die Zucht- 
meister über das junge Volk; die aber erwachsen sein und in 
ihrem Amte säumig sein, strafet und züchtiget die Obrigkeit 


§ 6 7- Der dreif. Unterschied der Glieder der Kirche im allg. 171 

durch den Henker. In der Kirche werden die mutwilligen und 
unbußfertigen Sünder verbannt.” Ferner sagt er am Schluß der 
Schrift von Kirchen und Konzilien 2 : „Summa, 
die Schule muß das Näheste sein an der Kirchen, als darin man 
junge Prediger und Pfarrherrn zeuget. Darnach das Bürger- 
haus nahest an der Schule ist, als daraus man Schüler kriegen 
muß. Darnach das Rathaus und Schloß, so Bürger schützen 
müssen, damit sie Kinder zeugen zur Schulen und Schulen Kin- 
der zu Pfarrherrn aufziehen und darnach Pfarrherrn wiederum 
Gottes Kinder (es sei Bürger, P'ürst oder Kaiser) machen kön- 
nen. Gott aber muß der Oberste und Näheste sein, der solchen 
Ring oder Zirkel erhalte wider den Teufel und alles tun in allen 
Ständen, ja in allen Kreaturen. Also sagt Psalm 127, daß auf 
Erden allein zwei leiblich Regiment sind, Stadt und Haus: „Wo 
derHerr nicht das Haus bauet, so arbeiten umsonst, die daran bau- 
en. Wo der Herr nicht die Stadt behütet, so wachet der Wächter 
umsonst”. Das erste ist Haushalten, daraus kommen Leute. 
Das andere ist Stadt regieren, das ist Land, Leute, Fürsten und 

Herrn (das wir die weltliche Obrigkeit heißen) Das Haus 

muß bauen, die Stadt muß solches hüten, schützen und verteidi- 
gen. Darnach kommt das dritte, Gottes eigen Haus und Stadt, 
das ist die Kirche, die muß aus dem Hause Personen, aus der 

Stadt Schutz und Schirm haben Das sind drei Hierarchien 

von Gott geordnet, und dürfen keiner mehr (geht gegen die 
Hierarchie der Priesterschaft), haben auch genug über genug zu 
tun, daß wir in diesen dreien recht leben. Denn siehe allein das 

Haus an, was da zu tun ist Darnach gibt uns die Stadt, 

das ist weltlich Regiment, auch zu tun Darnach ist das 

dritte Recht und Regiment ; wo das der Heil. Geist regiert, nennt 
es Christus eine tröstliche, süße, leichte Bürde”. — Ferner sagt 
er in der Predigt über das Evangelium vom 17. Sonntag nach 
Trinitatis 3 : „Und obgleich einer am hohem Stand und Ort ge- 
setzt ist, so sind sic* doch für ihm alle gleich seine lieben 

Gäste Hüte dich für dem übersteigen, daß du nicht 

denkest, weil ich ein Fürst, edel, gewaltig bin, so muß man mich 


2 Lpz. Ausg., XXI, S. 298. 299. 

3 Lpz. Ausg., XIT, 561. 


172 § 6y. Der drei! Unterschied der Glieder der Kirche im allg. 

alleine ansehrt und hochheben Siehe also macht Gott einer- 

lei Wesen und Gleichheit in der großen Ungleichheit der man- 
cherlei Stände und Personen, so er selbst geordnet Wie- 

derum, obwohl die Personen, beide in großen und geringen Stän- 
den, für Gott gleich und alles einerlei haben, wie die 
heutige Epistel Eph. 4, 4 sagt: „Ein Leib und ein Geist”. So 
lautet's doch und gilt doch nichts, daß der Oberknecht hinter 
dem Pfluge oder eine Dienstmagd im Hause wollt herfahren 
und sagen zu Herrn oder Frauen : Ich bin für Gott so edel und 

so gut als du ; darum darf ich dir nicht untertan sein 

Denn Gott muß viel und mancherlei Ämter und Stände haben, 
darum gibt er auch mancherlei unterschiedene Gaben, und ma- 
chet’s also, daß immer einer des andern bedarf und keiner des 
andern entraten kann. Was wären Fürsten, Adel, Regenten, 
wenn nicht auch da wären andere, als Pfarrherrn, Prediger und 
Lehrer? Item, die den Acker bauen, Handwerksleute usw. 
Denn sie würden’s und vermögend nicht, alles allein und selbst 
lehren, noch tun”. Zu Psalm 117, i 4 sagt er erst, daß Christi 
Reich himmlisch ist, nicht weltlich, das man mit Gesetzen re- 
gieren soll. Dann aber sagt er: ,,Ja, eben mit solchen Worten 
(Ps. 117, 1; 12. 10) bestätigt der Heil. Geist aller Lande welt- 
liche Rechte und Regiment Damit bestätigt er zugleich 

auch .alle Handwerke, Stände und Händel, so in solchen welt- 
lichen Herrschaften sind.” 

Was ist hiernach Luthers Lehre von dem ordo triplex? 

Antwort : 

1. Diese Stände finden sich innerhalb der sichtbaren Kir- 
che vertreten, stehen aber zur Kirche in keinem wesentlichen, 
inneren und adäquaten Verhältnis, ausgenommen das Predigt- 
amt (ordo ecclesiasticus). 

2. Hausstand und Obrigkeit sollen der Kirche in ihrer Art 
dienen. 

3. Der besondere Stand, z. B. Adel, Fürstenstand, gibt kei- 
ne besondere Stellung in der Kirche ; wiederum hebt die Kirche 
nicht auf, was an und für sich Gott in Hausstand und Obrigkeit 
gesetzt hat. 


4 Lpz. Ausg., VI, 495. 


§ 6 7- Der dreif. Unterschied der Glieder der Kirche im allg. 173 

In dem allen setzt Luther also diese Stände in kein über die 
Schrift hinausgehendes Verhältnis zur Kirche, oder sieht sie als 
etwas irgendwie durch das Wesen der Kirche oder deren Wohl- 
bestehn oder rechte Form Gefordertes in einer über die Schrift 
hinausgehenden Weise an 5 . 

Da gehen nun unsere Dogmatiker teilweise weiter; so z. B. 
Gerhard, wenn er diese Stände gleichsam als etwas der rech- 
ten Form der Kirche Entsprechendes und durch ihr Wohlver- 
faßtsein gleichsam Gefordertes hinstellt Er sagt so 6 : Quemad • 

modum int er angelos sanctos certi ordines divmitus con - 

stituti sunt, Eph . i, 21; CoL 1, 16; Gen . 3, 24; 1. Thes \ 4, 16, ita 
quoque in ecclesia in his terris militante, quae triumphantis eccle - 
siae in coelis est quoddam wirtiKoviufjua. et dwovirao- fidrtov, certi 
ordines ac Status itidem divinitus sunt definiti. Und : Ecdesia 
conspectum sni exhibet spirihtalibus oculis longe suavissimum, 
cum non sit confusa quaedam multitudo et colluvxes. Wie be- 
denklich ist diese Begründung, daß die Kirche, in der ein Glied 
dem andern nach Liebe Handreichung tut und alle einer dem 
andern sich unterordnen und alles nach guter Ordnung gesche- 
hen lassen, ein Ungeordneter Haufe wäre ( colluvxes confusa), 
wenn nicht z. B. auch der Stand der Obrigkeit wäre! Diese 
Begründung der Stände geht über die Schrift hinaus und setzt 
Hausstand und Obrigkeitsstand in ein über die Schrift hinaus- 
gehendes innerliches Verhältnis zur Kirche. Nirgends lehrt das 
die Schrift, daß es zum guten Bestand der Kirche als solcher ge- 
höre, daß auch Leute darinnen sind, die ein obrigkeitliches Amt 
haben, sondern nur, daß ein gottgefälliges Obrigkeitsamt nicht an 
der Gliedschaft der Kirche hindert. 

Aber derartige Ausführungen sind den im Staatskirchen- 
tum befangenen neuren Theologen sehr genehm. Wir sehn es 
an der Erklärung von P h i 1 i pp i 7 : „Was endlich die luthe- 
rische Lehre vom Kirchenregiment betrifft, so ruht dieselbe einer- 
seits auf der Anschauung von der unbedingten Herrschaft des 
Wortes Gottes innerhalb der Kirche, anderseits auf der Idee der 


5 — Siehe Predigt über Luk. 22, 24 — 30, Ev. am Tage Bartholomäi, 
Lcipz. Ausg., XV, 575. 

« Loci, tom. XII , loc . XXIV, cap . I, § 7, p. 1. 

7 — Glaubenslehre, B. 5, 3, S. 134. 


174 § 67 . Der dreif. Unterschied der Glieder der Kirche im allg. 

Kirche als eines wohlgefugten Organismus, in welchem jedes 
Glied seine Aufgabe je nach der ihm im Ganzen angewiesenen 
Stellung und den ihm verliehenen Gaben zu erfüllen hat. Dar- 
um dient das Regiment mit allen seinen Anordnungen und Maß* 
nahmen der Reinerhaltung, der Aufrechterhaltung und der Aus- 
breitung des göttlichen Wortes, und derjenige Stand in der Kir- 
che, welchem die Mittel zur Durchführung dieses Zweckes ver- 
liehen sind, wird demnach auch als der geeignetste Träger des 
kirchenregimentlichen Amtes zu bezeichnen sein. Wir halten 
deshalb den Übergang des Summepiskopats auf die der reinen 
Lehre zugetanen Landesherren für keinen bloßen Notbehelf, 
sondern für das an sich normale Verhältnis”. Alles dieses hängt 
in Wahrheit nach der Schrift an den wahrhaft Gläubigen, die, 
wie auch unser Bekenntnis lehrt, die Säulen der Wahrheit sind. 
Nicht an einem bevorzugten Stand hängt dies. 

Die Erklärung von Philippi setzt: 

1. eine unschrift mäßige und unlutherische 
Kirchenregimentstheorie voraus, vor allen Dingen, 
daß das kirchenregimentliche V erfaßtsein der 
Kirche eine res necessitatis wäre. Die älteste Kirche hat Der- 
artiges nicht gekannt Auch unser hiesiges Kirchen wesen kennt 
das nicht, weiß nichts von einem Summepiskopat, und blüht und 
besteht sicher besser als das gesamte deutsche Kirchen wesen mit 
aller Kirchenregimenterei. 

2. Sie setzt eine V e r m i s c h u n g von Staat und Kirche. 

3. Nach der Schrift sollen die Fürsten wohl der Kirche 
dienen, aber sie sagt nichts davon, daß naturgemäß das Summe- 
piskopat auf sie übergehn müsse. 

Derartige Theorien wollen sich zwar als Präservati v 
dem sogenannten kirchlichen Demokratismus entgegensetzen ; 
aber im Grunde sind sie Produkt des Unglaubens und Klein- 
glaubens, sofern man ohne Kirchenregimenterei und Summepis- 
kopat der Landesherrn den Bestand einer wirklich blühenden 
Kirche für unmöglich hält. 

Es mag noch erwähnt werden, daß nicht alle Dogmatiker 
eine Begründung des ordo triples nach der Weise von Gerhard 
versuchen ; z. P». nicht Quenstedt, der diesem Lehrstück die 
Stelle zwischen der Lehre vom Gebet und der Lehre von der 


4 


§ 68. Das Lehramt.- 


175 


Kirche gibt und nur einfach in These I erklärt, daß diese drei 
Stände in ecclesia constituti sunt , damit sie generi humatw die- 
nen sollen. Es ist gewiß bedeutsam, daß Quenstedt über die 
drei Stände nicht i n der Lehre von der Kirche, sondern vor 
derselben handelt 


§ 68 . 

Das Lehramt. 

(De statu ecclesiastico sive de ministerio ecclesiastico,) 
LEHRSATZ I: 

Das Lehramt , worunter wir hier den Stand der Diener am Wort , 

die Pastoren , verstehn , ist göttlicher Einsetzung, 

Anmerkung: — Man kann vom Predigtamt abstracte reden, 
d. h. darunter die Gnaden mittel verstehn. Die Schrift 
selbst tut es, z. R. 2. Kor. 3, 4 — 8, wo der Apostel Paulus das 
Gesetz als das Amt des Buchstabens, das Evangelium aber als 
das Amt des Geistes bezeichnet. So abstracte redet vom Predigt- 
amt auch die Augustana 1 , die Art. V so lehrt: „Solchen 
Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, Evan- 
gelium und Sakrament gegeben, dadurch er, als durch Mittel, 
den Heil. Geist gibt” usw. 

Man kann vom Fredigtamt aber auch konkret reden, 
indem man die Amtsträger darunter versteht, d. h. die Ausrichter 
des Predigtamts in abstracto . So redet die Schrift selbst auch 
vom Predigtamt, z. B. 1. Kor. i, 17: Epli. 4, 11, während sie z. 
B. Ps. 68, 12 vom Amt nach beiden Beziehungen redet. 

Wir handeln hier vom Predigtamt konkret betrachtet, 
also vom Dienstamt am Wort. Auch von dem Amt, so konkret 
betrachtet, lehrt die Schrift ebenso wie von dem Amt abstrakt 
betrachtet (Ps. 68, 12 ; Heb. 1, 1), daß es göttlicher Ein- 
setzung ist, oder de jure divino (1. Kor. 12, 28; 2. Kor. 5, 
18; Jerem. 3, 15 ; Joel 2, 23) ; und zwar wird nicht nur von Gott 
im allgemeinen, wie in den letzten Stellen, sondern auch von den 
einzelnen Personen die Stiftung des Amts im konkreten Sinne 
ausgesagt, vom Vater (Heb. 1, x : Gal. 1, 16), vom Sohn 




1 S. 39- 



176 


§ 68. Das Lehramt. 


(Matth, io, i; Luk. 9, 1; Matth. 28, 19; Mark. 16, 15; Eph. 4, 
11 ; Joh. 20, 21 ; 1. Kor. 1, 17; 4, 1. 2 ; 2. Kor. 5, 20), vom Heil. 
Geist (Apg. 20, 28; 1. Kor. 12, 4 — 6 — daher SiaKovta rov 
irvtvfiaros^ Quenstedt 1 * : Deus est auctor minist erii 

I . promittendo doctores ecclesiae, Jcr . 3, 13; 23, 4; Joel 2, 23; 

II. dando, quod protnisit, 1 . Cor. ,?<?; 2. Cor. 5, 18; III. con- 
scrvando ministerium usque ad consummationen* saeculi , Eph . 4, 
11; IV. ipso docendi munere fungendo; Heb . I, i f V. doctores 
ecclesiae necessariis donis instruendo, 2. Cor. 3 , 5. 

Die göttliche Stiftung des Predigtamts auch im konkreten 
Sinne finden wir gegenüber namentlich der Ansicht, daß das 
Predigtamt nur eine frei aus dem christlichen 
Geist hervorgehende und nur als Amt benannte 
Tätigkeit war, dadurch gelehrt, daß: 

I. die Apostel vom Sohne Gottes zu einem wirklichen 
Amt berufen werden. 

a. Sie sind vom Sohne Gottes berufen (Matth. 10, 1; 
Luk. 6, 13, wo Christus ihnen den. Namen „Apostel” gibt; 
Luk. 9, 1 — 10; Mark. 6, 7; Matth. 28, 18 — 20; Mark. 16, 15) 
und wirklich eingesetzt als Apostel. 

b. Es wird ausdrücklich ein Amt genannt in Apg. I, 17. 
25; Rom. i, 5: „Gnade und Apostelamt”, woraus hervorgeht, 
daß das Amt nicht ein bloßes Erzeugnis des christlichen Geistes 
ist, denn dann wäre es in dem Wort „Gnade” schon enthalten 
und Paulus könnte nicht hinzusetzen: „Und Apostelamt”, aus 
welchem Zusatz das Amt als etwas Vorhandenes erscheint, 
was jemand gegeben werden kann. Rom. 15, 15. 16 bezeichnet 
Paulus dies, daß er Diener Gottes ist, als von Gott gegeben; er 
ist also von Gott in ein schon durch göttliche Stiftung vorhandenes 
Dienstamt gesetzt. r._Kor. 9, 17 vergl, mit Vers 16. sagt Paulus: 
„So ist mir das Amt doch befohlen”. Hier ist klar, daß Paulus 
seine Tätigkeit aus freier Liebe nicht darum nur, weil er sie be- 
ständig auszuüben gedenkt, als Amt nur benennt, sondern daß 
er ein von Gott gestiftetes Amt kennt, das von seinem Christsein 
und seinem Geistestrieb usw. gar nicht abhängt, sondern real ohne 
das alles durch göttliche Stiftung vorhanden ist. 


1 * Theol. did. pol. pars IV , cap. XII, sect. I, thes . ///, nota, p. 394. 


¥ 


§ 68* Das Lehramt. 


177 


2 . Gott hat reichliche Anweisung und Gebote bezüglich des 
Verhaltens der Christen gegen die Diener des Worts gegeben. 
Denn wenn Gott solche Gebote gibt und deren Übertretung für 
Sünde erklärt, so kann das konkrete Amt, welches diese Gebote 
betreffen, auch nicht auf menschlicher Einsetzung oder bloßem 
Geistestrieb beruhen, sondern muß de jure divino sein. 

Die Antithese gegen die Schriftlehre von der gött- 
lichen Stiftung des Amts im konkreten Sinne tritt zum Teil in 
der Antithese gegen die Schriftlehre vom Beruf zutage, doch 
können hier diejenigen Theorien als Antithese bezeichnet wer- 
den, nach welchen das konkrete Dienstamt am Wort auf 
menschlicher Stiftung beruhen soll. Es hat dazu Miß- 
deutung der Ausführungen Luthers über das allgemeine 
Priestertum und Priesterrecht aller Gläubigen, wonach sie pas- 
send sind zum Predigtamt und nicht erst papistischer Weihen 
bedürfen, um einen geistlichen Charakter zu haben 2 , geführt. 
Diesen Weg hat schon K ö s 1 1 i n betreten. Besonders hat ihn 
Höfling 3 verteidigt. Es ist dann allgemein geworden, als 
genuine lutherische Lehre darzustellen, daß das Predigtamt nur 
um der guten Ordnung willen da sei ; so Hase 4 5 : „Nach der 
echt lutherischen Lehre ist der geistliche Stand aus der Ge- 
meinde hervorgegangen und nur um der Ordnung 
willen mit aller geistlichen Macht der Kirche betraut”. 
L n t h a r d t sagt 0 : „Der Protestantismus geht von den Gnaden- 
mitteln aus, welche der Kirche (im wesentlichen Sinn) über- 
geben sind und darum ein gemeindliches Amt der Ver- 
waltung fordern: Das Amt im wesentlichen Sinn (was wir als 
Amt in abstracto bezeichnen) im Unterschied von seiner empiri- 
schen Wirklichkeit (hier ist das Amt in concreto gemeint), die 
sich durch die geschichtlichen Verhältnisse bestimmt. In jenem 
(nämlich abstrakten Sinne, gleich Wort und Sakrament) ist das 
Amt de jure divino , in diesem (in concreto) Sinne de jure 
human o”. Palmer : „Immer ist das Wesentliche dies, daß eine 
innere Notwendigkeit (als welche Luther die Notwendigkeit der 

3 Z. B. Schrift von der Winkelmesse, Lpz. Ausg., XXI, 50. 

3 Grundsätze der ev. - luth. Kirchen Verfassung, 1853. 

4 Hutterus redivtvus , § 123, p. 332. 

5 Kompendium, § 74, 2, S. 371. 



178 


§ 68. Das Lehramt 


kirchlichen Ordnung erklären soll), die ebensowohl auf allge- 
meinen menschlichen, sittlichen Gründen ruht, wie sie aus dem 
eigentlichen Wesen der christlichen Gemeinde, der Kirche, ent- 
springt, dazu dränge, daß die Kirche, die congregatio sanc - 
torunt im protestantischen Sinn, das geistliche Amt aus 
sich heraussetze". Er verurteilt als widerschriftlich die 
Lehre : „Daß das geistliche Amt soll eine unmittelbare, direkte 
Stiftung Christi sein, ja selbst, daß ein eigner Stand vorhanden 
ist, dem dies Amt vertraut ist, soll der bestimmte Wille des Herrn 
sein”. Ferner: „Man dürfe da, wo das Neue Testament vom 
Amt rede, nicht gleich dreinfahren mit dem kirchenregi- 
mentlichen Begriff, das zeige deutlich 2. Kor. 3, 7’. 
Palmer behauptet also, daß das Wort „Amt” im Neuen Testament 
nicht das bedeute, was wir Predigtamt nennen, sondern das Wort 
selbst. In der von Palmer u. and. angezogenen Stelle (2. Kor. 3, 
7) ist es so, aber in vielen andern nicht; so nicht Rom. 11, 13: 
„Denn dieweil ich der Heiden Apostel bin, will ich mein Amt 
preisen”. Es wäre ja absurd, daß Paulus das Wort darum prei- 
sen wollte, weil er ein Apostel ist So auch ist 1. Tim. 1, 12 
unter dem Amt nicht das Wort verstanden. Paulus sagt hier: 
„Und gesetzet in das Amt”. Klar ist hier „Amt” nicht das Wort 
selbst, denn wo redet die Schrift so: Jemand ins Wort setzen? 
Auch zeigt sich hier deutlich, daß das Amt nicht aus dem Geistes- 
trieb des Apostels kommt, sondern außer ihm schon ist, sonst 
könnte er nicht hineinkommen. 

Diese Antithese gegen die göttliche Stiftung des Predigt- 
amts als Stand der Diener am Wort rief starken Widerspruch 
hervor, der aber selbst wieder nach der andern Seite hin eine 
Antithese gegen die schriftmäßige Lehre vom Predigtamt wurde. 
Diese Antithetiker erklären die Kirche nicht für eine Gemeinde, 
sondern für eine Anstalt. Was auf den Grund (1. Kor. 3, 
11. 12) gebaut wird, das sind nicht die Seelen, sondern Dinge, 
Lehren, Ordnungen, mit einem Wort, das Material des Gemein- 
wesens (Flörke 9 ). Zu dem Anstaltlichen gehört auch das 
geistliche Amt. Es ist nicht nur von Gott befohlen und nicht 
nur ein Dienstamt zur Mitteilung der Gnaden Gottes durch 


6 Rudelbach’sche Zeitsch. für lutherische Theologie und Kirche. 


§ 68. Das Lehramt. 


179 


die Gnadenmittel, sondern es ist a n sich s e 1 b s t ein Gnaden- 
mittel. „So tragen wir nun kein Bedenken, dem Amte des Neuen 
Testaments seinen Platz unter den Gnadenmitteln oder 
unter den Sakramenten im weitem Sinn anzuweisen. . . . Wollte 
man also auch nicht zugeben, daß das heilige Amt mit dem Worte 
Gottes, Taufe und Abendmahl in eine Reihe zu setzen sei, so wä- 
re es doch unverwehrt, den Namen der Gnadenmittel in weite- 
rem Sinne auf das heilige Amt anzu wenden. Daß aber das 

heilige Amt neben Evangelium und Sakrament in der Tat ein 
Mittel sei, den Heil. Geist zu erlangen, das ist weiter nichts als 
eine geschichtliche Tatsache” (Karl Lechler, „Lehre vom 
neutestamentlichen Amt”, 1857). Außer Flörke und Lechler sind 
Vertreter dieser romanisierenden Richtung, die schließlich die 
Wirksamkeit der Gnadenmittel im schriftmäßigen Sinne, also 
Wort und Sakrament, auf das Gnadenmittel des Amts gründen, 
Kliefoth, „Acht Bücher von der Kirche”, 1854; Löhe, 
„Kirche und Amt”, 1851 ; Münchmeyer, „Bericht über die 
Leipz. Konferenz”, 1851, und „Das Dogma von der sichtbaren 
und unsichtbaren Kirche” : Wucherer, „Ausführlicher Nach- 
weis, daß das ev. - luth. Pfarramt göttlicher Stiftung sei”. 

LEHRSATZ II. 

Niemand kann anders als durch äusseren, rechtmässigen Beruf 

(Vocation, vocatio legitima) ein Öffentlicher Diener am 

Wort werden . 

Anmerkung: — Gott beruft teils unmittelbar ( vocatio 
immediata, Matth. 10, 1; Mark. 3, 14; 1. Kön. 17, 2; Jes. 6, 8; 
Hes. 6, 2; Matth. 4, 21. 22; 9, 9; Apg. 9, 16. u. and. St,), teils 
mittelbar ( vocatio mediata), nämlich durch die Kirche. 
Gerade wie die unmittelbare, so ist auch die mittelbare Berufung 
eine göttliche. Unsere Dogmatiker beweisen die Göttlich- 
keit der mittelbaren Berufung damit, daß sie : 

1. auf Gott zurückzu führen sei (Ps. 68, 12; 
Jer. 3, 15; 1. Kor. 12, 28; Eph. 4, n) ; 

2. dass sie sich auf die vom Heil. Geist geleite- 
ten Apostel stütze (Apg. 14, 23 ; 1. Tim. 4, 14 ; 2. Tim. 
1, 6 ; 2, 2 ; 1. Tim. 3, 2 ; 1. Tim. 5, 21) ; 


180 


§ 68. Das Lehramt. 


3. dass sie Gottes V er heiss 11 ng habe ( 1. Tim. 4, 
14. 16; 2. Kon 3, 6; Eph. 4, 12) ; 

4.. dass sie auf dem Recht und der Gewalt ruht, 
die Gott selbst der Kirche gegeben hat, und wovon diese auch 
zur Apostelzeit schon Gebrauch gemacht hat. 

Genauer ist der Beweis im Zusammenhang mit der gött- 
lichen Stiftung des ausserordentlichen Apostelamts und des die- 
sem wesentlich gleich stehenden ordentlichen Predigtamts so zu 
führen : 

1. Das ordentliche Predigtamt ist die von Gott selbst 
gewollte Fortsetzung des ausserordentlichen Apostel- 
amts, und ist in und mit dem Apostelamt göttlicher Stif- 
tung. Die göttliche Stiftung des konkreten Apostelamts ist im 
I. Lehrsatz nachgewiesen. 

A. Es ist aber aus der Schrift gewiss, dass das ordentliche 
Predigtamt wesentlich dasselbe ist wie das Apostelamt. und 
zwar : 

a. nach der Stellung. 

a. Apostel sind Diener und H aushalter ( 1 . 
Kor. 4, 1 ) ; 

ß. ebenso die Prediger, denn r . Kor. 4, 6 bezieht Paulus 
V. 1 auf Apollo. 

y. Ausdrücklich stellt die Schrift die Prediger als Diener 
Christi, Arbeiter usw. den Aposteln gleich (1. Tim. 4, 6 ; Kol. 4, 
7; Phil. 2, 25; 1. Pet. 5, 1 ; 2. Thes. 1, 1 ; r. Kor. 1, 1; Jak. 

1, 1). 

b. Nach der Aufgabe. 

a. Der Apostel Aufgabe ist das Weiden und das Ver- 
walten der Sakramente (Joh. 21, 15 — 17; Matth. 28, 18 ff.); 
ß. der Prediger Aufgabe ist dieselbe (Apg. -20, 28; 

2. Tim. 1, 13; 2. Tim. 4, 5 vergl. mit V. 6). 

c. Nach der Vollmacht. 

a. Apostel sollen in der Kirche regieren (2. Tim. 1, 
6) , Aufsicht üben, Zucht halten usw. ; 

ß . ebenso haben die Prediger Aufsicht (Apg. 20, 28 ; 
1. Tim. 1.3), Lehrmacht (1. Tim. 4, 1 1. 12), Gebieten 
(1. Tim. 4, 11 ), Ordinieren (1. Tim. 4, 14; 2. Tim. 2, 2; 
1. Tim. 3, 1 — 7), Lehren (1. Tim. 3, 2), Reg.ie ren ( 1. Tim. 


§ 68. Das Lehramt. 181 

3, 5 ; vergl. 5, 17 ; Tit. 1, 5 ; 1, 7 — 9), Gehorsam fordern 
(Heb. 13, 17). 

d. Nach dem Zweck. Das Predigtamt hat den Zweck des 
Apostelamts, nämlich das Seligmachen (i. Kor. 3, 5). 

ß. Das ordentliche Predigtamt ist die von Gott gewoll- 
te und verordnete Fortsetzung des ausserordent- 
lichen Apostelamts. Beweis : 

a. Christus will immer Knechte, d. h. Prediger, Lehrer, 
Bischöfe, haben und stellt seine Kirche gar nicht anders dar bis 
zum Jüngsten Tage (Matth. 19, 28), als daß in ihr das Predigt- 
amt ist und Prediger, die er setzt (Matth. 22, 3. 4; 24, 45). 
In letzterer Stelle, wo doch der Herr zu den Jüngern als Haus- 
haltern und Knechten spricht, ist von Knechten die Rede, die er 
setzt. — Luk. 12, 42 — 48. vergl. V. 41. Wichtig ist in Luk. 12, 
43, dass es des Herrn Wille ist, dass Knechte (so heissen die 
Apostel Rom. 1, 1^ Gal. 1, 10; Phil. 1, 1, und zugleich die ordent- 
lichen Prediger Phil. 1, 1 ; Off. 1, 1 ; Jak. 1, 1) sind, bis er 
kommt. 

b. Dass Christus für die ganze Zeit nach den Aposteln bis 
zum Jüngsten Tag die ordentlichen Prediger, die es durch mittel- 
baren Beruf werden, haben will als Fortsetzung des ausserordent- 
lichen Apostelamts, zeigt dies, dass er bezüglich dieser Prediger 
von den Aposteln die Rechte und Pflichten festsetzen 
lässt. 

a. Pflichten. Paulus schärft für die Zeit nach seinem 
Abscheiden die Haupt pflichten den Ältesten in Ephesus ein ( Apg. 
20, 25 — 31 ; r. Tim. 3, 2 — 7) ; und zwar werden sie ausdrücklich 
als dem Herrn zur Rechenschaft Verpflichtete 
bezeichnet, damit aber auch als solche, die er angestellt und bevoll- 
mächtigt hat (Heb. 13, 17V- 

ß . Rechte. Heb. 13, 17 wird, und zwar mit Rücksicht 
auf die Zeit nach den Aposteln (V. 7), das vornehmste Recht der 
Prediger, Gehorsam zu fordern, eingeschärft. 

Hiernach ist klar, dass Christus das Amt selbst gewollt und 
gesetzt hat. 

c. Die Schrift lehrt deutlich, dass die Apostel, wie sie v o m 
Herrn gesetzt waren, so' in des Herrn Namen andere 


182 


§ 68. Das Lehramt 


setzen und diesen auftragen, wieder andere zu setzen 
als Knechte und Prediger. 

a. Paulus erklärt sich selbst als vom Herrn ins Amt gesetzt 
als Prediger (2. Tim. 1, ti). 

ß. Paulus befiehlt selbst das Amt andern (2. Tim. 2, 2 ; ver- 
gl. V. 4. 15. 24; 4, 5, wo vom Werk und Amt des Predigers 
die Rede ist; siehe dazu 2. Tim. 1, 11, wo Paulus sich selbst so 
nennt). 

y ■* Paulus gebietet denen, welchen er das Amt befohlen hat, 
es wieder andern zu befehlen (2. Tim. 2, 2; 1. Tim. 5, 22; Tit. 
1, 5, worauf V. 6 — 9 die Beschreibung der Bischöfe folgt wie 
1. Tim. 3, 1 — 7, wonach sie ganz die heutigen Prediger sind). 

d. Nach allem Vorhergehenden ist das heutige ordentliche 
Predigtamt die von Gott gewollte Fortsetzung des ausserordent- 
lichen Apostelamts und wesentlich eins mit demselben, was auch 
die Schrift in mancherlei Weise ausdrücklich bestätigt: 

a. durch die Erklärung, dass die Gemeinden den Predigern 
befohlen sind (1. Pet. 5, 2) und zwar ersichtlich nicht durch 
kirchliche Autorität, sondern von Christo, was V. 4 damit 
ausgesagt wird, dass die Prediger Christo als dem Erzhi rten 
verantwortlich sind, also als Unterhirten ; 

ß . durch die Erklärung, dass die Prediger vom Heil. Geist 
in die Gemeinde gesetzt sind ( Apg. 20, 28) ; 

•y. durch die Gleichstellung der Prediger mit den 
Aposteln (Kol. 4, 7; Phil. 2, 25; 1. Kor. 1, 1 ; 4, 1; 1. Pet. 

5. 0 - 

e. Und diese Fortsetzung soll nach Gottes Verordnung b i s 
zum Jüngsten Tag dauern. P>eweis ist (siehe B, b) Matth. 
28, 19 ff. : „Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende”. 
Hier ist also eine Zusage von Trost, dessen nächste Beziehung 
nur sein kann: Ich bin bei euch, damit ihr es ausrichten könnt, 
was ich bis zu meiner Wiederkunft will ausgerichtet haben. 
Sagt der Herr aber bis ans Ende Hilfe zur Ausrichtung zu, 
so dehnt er auch bis ans Ende den Befehl der Ausrichtung 
des Amts aus. 

2. Die mittelbare Berufung, und zwar durch die Gemeinde, 
ist die von Gott selbst gesetzte und als heilig feierlich bestätigte 
Ordnung. 


§ 68. Das Lehramt. 


18 


A. Gleich die erste wichtige Berufung, die des Matthias, 
geschieht durch die Gemeinde (Apg. i, 15 ff.), denn die Gemein- 
de wählt hier ; und damit beruft sie. Den Gemeindegliedem 
legt (V. 15) Petrus die Berufssache vor; sie stellen (V. 23) 
Kandidaten auf und werfen das Los, das auf Matthias fällt. 
Und so wird er zu den elf vorhandenen Aposteln zugeordnet. 

B. Dies Wählen und Berufen erscheint als etwas in der 
Schrift Gegründetes. Petrus sagt V. 16 : „Es musste 
die Schrift erfüllet werden” ; und zu dem, was noch erfüllt wer- 
den muss (V. 21), gehört dies: „Sein Bistum empfange ein 
anderer” (Ps. 109, 8). Zur Verwirklichung dieses „Muss” hat 
Petrus die Gemeinde versammelt ; und so ist das Handeln 
der Gemeinde in jenes „Muss” der Schrift gefasst und wird uns 
gezeigt als etwas, das nach der Schrift so sein muss. Es wird der 
Einwurf gemacht: Das Ganze war ein rein menschliches Han- 
deln ; Gott hatte Paulus als zwölften erkoren. Dagegen : 

C. Gott hat die durch die Wahl der Gemeinde erfolgte 
Berufung des Matthias feierlich bestätigt. Pfingsten fällt der 
Heil. Geist auf alle Apostel, denn Petrus ist mit den Elfen ver- 
sammelt (V. 14) ; also ist Matthias mitgezählt. Gott also zählt 
selbst durch das inspirierte Wort ihn zu den Aposteln. Die 
Zwölfe sind für die zwölf Stämme, dagegen Paulus für die Hei- 
demvelt (Gal. 2, 7. 8. 9). Fernere Berufungen durch die Gemein- 
de sind : Apg. 6, 2, Wahl der Diakonen, die nur eine Abzweigung 
vom Predigtamt sind; Apg. 13, 1, Absonderung Pauli und Bar- 
nabas; Apg. 14, 23: x €l P OTOv y <raVTt ' : d. h. Hessen durch die 
Gemeinde wählen; Apg. 15, 12 ff. 

Schluss aus allem: Gott selbst hat die Berufung durch die 
Gemeinde als heilige, ihm gefällige Ordnung bestätigt und 
in der Kirche eingesetzt. Es wird eingeworfen: Jesus hat aber 
doch nachher unmittelbar Paulum berufen ; und dieser setzt auch 
wieder allein Pastoren ein. Dagegen : 

a. Gott bindet durch seine Ordnung sich selbst die Hände 
nicht, nur uns. 

b. Dass an Judas Stelle ein anderer sein musste, war aus 
der Schrift klar; daß aber ein besonderer Heidenapostel sein 
solle, konnten die Gläubigen nicht wissen. 

c. Man muss sehn, wie es mit dem Setzen der Diener 


184 


§ 68. Das Lehramt. 


des Worts durch Paulum ist. Er setzt da, wo noch keine Ge- 
meinde ist, aber da, wo Gemeinden vorhanden, durch diese 
( xtiporoviqtra yr«s i Apg. 14, 23). 

3. Berufen ist der Gemeinde heiliges, von Gott verliehenes 
Recht. 

A. Das Predigtamt als von Gott gestiftetes Amt ist Haus- 
halteramt über bestimmte Güter, Wort und Sakrament, aber ur- 
sprüngliche Besitzerin dieser Güter ist die Kirche; und sie ist 
es, welche sie jemandem zur Verwaltung übergeben kann. Fragt 
man, wer die geistlichen Güter, welche das Predigtamt verwaltet, 
eigentlich besitze, so können nur zwei in Frage kommen: Pre- 
diger als Amtsinhaber, Kirche, oder Gemeinde. Aber von den 
Predigern sagt die Schrift, dass sie Haushalter sind (1. 
Kon 4, 1.6); ein Verwalter ist aber nicht Besitzer. Die Schrift 
sagt von den Predigern, sie seien Diener, Gottes und auch 
der Gemeinde (Kol. 1, 25) ; aber ein Diener ist nicht Herr (2. 
Kon 1, 24; 1. Pet. 5, 3) und nicht Besitzer. Aber von der Ge- 
meinde sagt die Schrift, dass sie die ursprüngliche Be- 
sitzerin aller dieser Güter ist (Kol. 1, 18 ff.). Christus ist 
nach V. 18 das Haupt der Gemeinde; in ihm ist alle Fülle (V. 19, 
und darum auch in der Gemeinde (Eph. 1, 23). Dieser Ge- 
meinde Diener nennt sich Paulus und erklärt damit die Ge- 
meinde als Herrin und Besitzerin. Nach Eph. i, 3. 22. 23 sind 
in Christo die Christen mit himmlischen Gütern gesegnet (V. 3), 
mit Erkenntnis durch die Pirdigt (V. 9. 10). Christus ist das 
Haupt der Gemeine (V. 22) ; die Gemeinde ist die Fülle dessen, 
der alles erfüllt, also doch wohl die reiche Inhaberin und Besit- 
zerin aller Güter (Eph. 4, 4 — 12). Die Kirche ist der Leib Chri- 
sti (V. 4). Christus hat ihr Gaben gegeben (V. 8) ; und diese 
Gaben sind die Apostel, selbstverständlich nicht mit ihrer Per- 
son, sondern mit ihrer Predigt und ihrem Dienst überhaupt. 
Die Beschenkte, also die Inhaberin, ist die Kirche. Selbst 
Israel gehört Röm. 9, 4 nach der Wahl noch Bund und Gottes- 
dienst, Gesetz und Vcrheissung, also gewiss der Kirche. In 
Röm. 15, 27 schreibt Paulus den Christen die geistlichen Güter 
als die ihren zu. Paulus sagt 1. Kor. 3, 21 : „Es ist alles euer”. 
Paulus will hier sagen : Warum nennt ihr euch nach den Per- 
sonen und einer rühmt sich meiner, ein anderer des Apollo, als 


§ 68. Das Lehramt. 


185 


wäre die Predigt unser Gut und Besitz, den ihr erst mit unserer 
Person bekommt? Es ist ja alles euer von Christo her. — Schluss 
aus allem : Die Prediger sind nur Verwalter; die Gemeinde 
ist B e s i t z e r i n. 

B. Was lehrt nun die Schrift davon, wo die Macht, die 
Prediger ins Amt zu stellen, sei? 

a. Sie nennt die ganze Macht und Kirchengewalt die Ge- 
walt der Schlüssel des Himmelreichs und sagt, dass sowohl die 
Pastoren (Matth. 16, 19; Joh. 20, 22. 23), wie auch die ganze 
Gemeinde (Matth. 18, 18; 1. Kor. 5, 12. 13) die Schlüssel haben. 

b. Die Schrift zeigt aber auch, dass die Pastoren die Schlüs- 
selgewalt immer erst durch einen besonderen Beruf haben, 
aber die Gemeinde hat sie von vornherein als Gemeinde kraft 
ihres Christentums, hat also die Schlüssel ursprünglich, während 
die Pastoren sie nur abgeleiteterweise haben. Beweis ist Matth. 
18, 17 — 20. Die Gemeinde hat die Schlüssel und zwar nach V. 
20 als in Christi Namen versammelt, d. h. kraft ihres Gnaden- 
standes im Glauben. Von den Pastoren sagt die Schrift, dass 
sie nicht durch ihren Gnadenstand schon, sondern durch beson- 
deren Beruf das Schlüsselamt haben (Heb. 5, 4) ; Art . Stnalcald 1 . 
Die Kirche als natürliche Inhaberin der Schlüssel, oder aller 
Kirchengewalt, bedarf also nicht erst irgendeiner besonderen 
Bevollmächtigung dazu, Prediger zu berufen ; diese Vollmacht 
hat sie als Kirche und zwar in jeder einzelnen Gemeinde. 

C. Wem liegt nun endlich die Pflicht eigentlich ob, 
Prediger ins Amt zu stellen? 

a. Das Gebot zu predigen haben die Pastoren, aber auch die 
Kirche (1. Pet. 2, 5 — 9; Rom. 15, 16). 

b. Die Gemeinde hat diese Verpflichtung zuerst und ur- 
sprünglich, • sofort durch ihr Christensein und Priester- 
tum (1. Pet. 2, 5 ff.; 1. Tim. 3, 15: „Die Gemeinde ues lebendi- 
gen Gottes, ein Pfeiler und Grundfcste der Wahrheit”; Gal. 4, 
26: „Das ist die Freie, die ist unser aller Mutter”. — Ist die 
Kirche die Mutter, so hat sie zuerst und unmittelbar die 
Pflicht, die Kinder zu versorgen.) ; vergl. Art. Smalcald 2 . 


1 24, P- 333 

2 67 , p. 34 ^ 



186 


§ 68. Das Lehramt 


Rekapitulation : 

1. Gott will, dass das Predigtamt bis zum Jüngsten 
Tage fortgesetzt werde. 

2. Die mittelbare Berufung ist in der Schrift als 
von Gott gesetzte und bestätigte Ordnung hingestellt 

3. Die Gemeinde als Kirche hat von Gott ursprünglich und 
an sich das Recht und die Verpflichtung zu beru- 
fen. Also ist die mittelbare Berufung durch die Gemeinde im 
vollsten Sinne eine göttliche Berufung. Der letzte Grund hier- 
von ist, dass Gott der Kirche die Schlüsselgewalt und den Auf- 
trag gegeben hat, zu berufen. P r in c i p ali t e r liegt nun 
selbstverständlich beides nur bei der Kirche im strikten 
Sinne, denn nur die Gläubigen sind das königliche Priester- 
tum und haben alle Güter, aber die Ungläubigen haben nichts, 
weder Güter noch Rechte. Aber wie eine sichtbare Partikular- 
gemeinde, die Gottlose enthält, die noch nicht offenbar gewor- 
den und noch nicht hinausgetan, doch um der Gläubigen willen 
wirklich Kirche ist und heisst, so kommt auch der sichtbaren Par- 
tikularkirche die Ausübung der den Gläubigen allein gege- 
benen Gewalt zu. Dies lehrt Matth. 18,-17. Hier wird die 
Schlüsselgewalt der sichtbaren Partikulargemeinde gegeben ; 
denn wenn es heisst: „So sage es der Gemeine”, so bin ich nicht 
an die unsichtbare Kirche gewiesen. Denn die Gläubigen kennt 
niemand unfehlbar gewiss und kann ihnen also auch nichts sa- 
gen. Es ist also an die sichtbare Partikulargemeinde gedacht. 
Und dieser sichtbaren Partikulargemeinde wird die Macht gege- 
ben, für Heiden und Zöllner zu erklären, d. h die Schlüssel- 
gewalt auszuüben. In V. 19 und 20 heisst es noch überdies, dass 
schon zwei oder drei solche Gewalt haben. Einwurf : Da eine 
sichtbare Partikulargemeinde nur durch die in ihr verborgenen 
Gläubigen die Schlüsselgewalt hat, so würde sie keine haben und 
also kein Berufsrecht, wenn die ganze Partikulargemeinde, wie 
es doch sein könne, ungläubig sei. Antwort: 

1. Auf solchen Fall ist nicht Rücksicht zu nehmen, weil, 
wenn er auch an sich denkbar ist, doch für uns nicht festzu- 
stellen wäre als vorliegend und weil daher die Praxis nicht irgend- 
wie davon abhängen kann. 

2. Es ist auch nach dem Beispiel Elias und der zu seiner 


§ 68. Das Lehramt 


187 


Zeit sogar ganz von der Lehre abgefallenen Kirche eher zu hof- 
fen, dass doch noch Gläubige verborgen sind, als wie nicht. 

3. Dies ist sogar ausser Frage, wenn junge Kinder vor- 
handen sind. 

4. Darum muss es umsomehr genügen, den Beruf einer sehr 
verderbten Gemeinde für einen göttlichen zu halten, wenn die- 
selbe noch Gottes Wort anerkennt, das Sakrament recht hat, sich 
zur lutherischen Kirche bekennt und die Verpflichtung, nach 
Gottes Wort sich regieren zu lassen, anerkennt. 

Dass die Partikulargemeinde das Recht hat zur Berufung 
und durch die Berufung die öffentliche Ausübung der Schlüssel- 
gewalt übergibt, sagt mit andern Worten, dass der nicht öffent- 
lich die Schlüsselgewalt in einer Gemeinde ausüben darf, dem die 
Gemeinde es durch Berufung nicht übergeben hat. Das verbietet 
auch Gott noch mit ausdrücklichen Worten, dass niemand sich 
ein Amt nehmen, d. h. ohne ordentliche Berufung es verwalten 
soll (Heb. 5, 4 — 6). So steht auch unser Bekenntnis 3 . 

In Antithese hierzu stehn : 

1. die Papisten, sofern sie das Berufsrecht der Kirche 
nehmen und den Pastor durch die Ordination zum Pastor werden 
lassen. Wir werden die papistische Antithese im nächsten 
Lehrsatz behandeln. 

2. Arminiancr. Diese nehmen, ähnlich den Papisten, 
der Gemeinde das Berufsrecht, aber, im Unterschied von den Pa- 
pisten, geben sie es der Obrigkeit; sie richten also ein Cacsareopa- 
patnm auf, während bei den Papisten ein Papocaesarcatum ist. 
Eine weitere Antithese der Arminianer bezieht sich auf die Not- 
wendigkeit der Berufung, wovon weiter unten die Rede ist. 
Auch die Staatskirchenregimente haben meist das Berufsrecht 
der Gemeinde beschnitten. 

3. Anabaptisten und andere Schwärmer, welche, im 
vollen Gegensatz gegen die durch die Schrift (Heb. 5, 4 — 6; 
Rom. 10, 15) gesetzte unbedingte Notwendigkeit der Berufung, 
erklären, dass die Ausübung des Predigtamts ohne besonderen 
Beruf jedem Christen kraft seines geistlichen Priestertums frei- 
stehn. So stehn auch die Sozinianer. Nach ihrer Lehre hat 


Conf. Aug., Art. XIV, p. 42. 


188 


§ 68. Das Lehramt 


seit vollendeter Pflanzung der Kirche durch die Apostel die Beru- 
fung zum Predigtamt überhaupt aufgehört. Cat. Racov 4 : Quid 
vero de Ulis verbis apostolicis dicis, ut praedicabunt, nisi mittan- 
turf Rom. io, 75. In der Antwort heißt es: Cum vero docto- 
rum horum temporum ejusmodi non sit praedicatio , ut paulo 
ante docuimus, ejusmodi missio ad eam minime est necessaria. 
Der Cat . Racov. führt nämlich hier aus, daß die apostolische 
Predigt neu und bisher unerhört war, und darum eine 
Sendung notwendig war. Eine nicht neue und unerhörte Pre- 
digt bedarf der Sendung nicht mehr. Socinus 6 sagt : Cuivis 
christiano homini licet , etiam sine speciali ullo sibi demandato 
legitime ejus rei munere, charitatem erga proximum exercere . 
Gewiß, aber privatim Leute einzeln zu Christo zu weisen, ist 
etwas ganz anders, als Leute versammeln und das Predigeramt 
öffentlich auszuüben. Smalcius : 5 Hoc in quaestione est, 
an hujusmodi constitutio sit prorsus necessaria ad constituendum 
vcrbi Dei ministrum, hoc autem nos negamus. Beruf und Amt 
sollen nicht Anspruch haben auf Notwendigkeit, sondern höch- 
stens auf Wohlanständigkeit. V o 1 k e 1 i u s sagt : 7 Admini - 
strent sane ministri cocnam Domini baptismumque in ecclesiis 
constitntis, ut et Paulus aliique fortasse fecerunt , ordinis deco - 
rique conservandi causa, non autem , quia necessaria solique hi 
facere tcneantur. 

Ähnlich stehen nun auch die Arminianer. Apolog. 
Confess . : 8 Missio, seu immediata, qualis fuit apostolorum, scu 
mediata, ut ita loquamur, qualis fuit episcoporum ordinatio per 
apostolos , aut corum successores, non cxistimanda est praecise 
necessaria ad constituendum ministrum cvangeUcum, sive ad 
hoc , ut quis jure et legitime evangelium per apostolos praedica- 
tum porro aliis hominibus praedicet. Sie machen auch einen 
Unterschied zwischen gegründeten und noch zu gründenden 
Gemeinden. Nur für erstere erkennen sie eine gewisse Notwen - 


4 Qu. 506, p. 1036 . 

5 Tractat. de ccclesia, lib. 10, tont. /, />. 323. 

6 Disput. IV de ordine cccles. contra Franz., p. 377. 

7 Respotis. ad vanam refutat. dissoluti nodi Gordici, cap. XVII , 
p. J-f. 

8 Cap. XXI , p. 225. 


§ 68. Das Lehramt 


189 


digkeit der Berufung an, aber auch da nur necessitas ordinis ei 
dccoris, non mandati divini. 

Noch radikaler verwerfen Weigelianer und Quäker 
die vocatio mediata. Die gegen sie zeugenden Schriftstellen su- 
chen sie zu entkräften; so Röm. io, 15; Heb. 5, 4 mit der Be- 
hauptung, daß erstere nur von den Aposteln, letztere nur von 
Aaron rede. Dagegen; Beide Stellen sind allgemeine Sätze, 
ln Röm. 10, 15 ist ebenso allgemein von der Sendung geredet, 
wie allgemein gesagt wird, daß niemand hören kann, wenn ihm 
nicht gepredigt wird. Auch waren die Apostel ja längst ge- 
sandt ; so wäre also dieser Satz gegenstandslos, wenn sie sich 
nur auf die Apostel beziehen sollte. Zur zweiten Stelle sagt 
richtig Quenstedt: 9 Textus generalis est , nemo sibi sumit 
honorem; Aaronis exemplum illustratio non restrictio regulae 
universalxs est . Über alle diese Schwärmer spricht unser Be- 
kenntnis das Verwerfungsurteil aus. 10 

In den Bahnen der Schwärmer gehn auch die, welche den 
sogenannten inneren Beruf für das ansehen, was den Pre- 
diger zum Prediger mache. Gegen sie ist 1. Kor. 9, 17; vergl. 
Jona 1, 1—3. 

ö Theol. did. pol, pars IV, cap . XII, sect. II, qu. I, ekdik p . 400, 

10 Apolog. 13, p. 303. 

LEHRSATZ III. 

Die Ordination macht niemand sum Pastor , sondern bestätigt 

nur einen Pastor als rechtmässig berufenen Pastor . 

Anmerkung: — Wer einen rechtmäßigen Beruf einer Ge- 
meinde hat, der ist Pastor und bedarf keines weiteren Dinges, 
um es zu sein. Die Ordination ist weiter nichts als dies, daß 
die Kirche jemandes Berufung anerkennt und bestätigt und 
zwar nach zwei Seiten hin, daß sie vor allem die Berufung als 
legitim geschehen und darum als göttlich bestätigt, zum andern, 
daß sie den Berufenen als tüchtig bestätigt, daß ihn die Ge- 
meinde mit gutem Bedacht als vor Gott berufen konnte. Wir 
lehren von der Ordination darum dies, daß sie niemandem das 
Predigtamt gibt, weil es die Schrift nicht sagt und gebietet Nur, 
was Gott durch sein Wort gebietet, haben will, muß geschehen 



190 


§ 68. Das Lehramt 


und ist notwendig. Mit dem Gesagten stimmt unser Bekennt- 
nis i 1 „Und ist dazumal die ordinatio nichts anders gewest denn 
solche Bestätigung.” Luther 2 * zu i. Mose 41, 16: . „Den Die- 
nern aber des Worts legen wir die Hände auf und tun zugleich 
unser Gebet zu Gott, allein darum, daß wir damit bezeu- 
gen, daß es Gottes Ordnung sei, beide in diesem und auch in 
allen andern Ämtern der Kirche, weltlicher Polizei und Haus- 
regimente.” Weiter sagt er: „Der Gebrauch und Weise mit 
Handauflegen ist ein sehr alter Brauch, und ist von den Vätern 
auch in das Neue Testament gekommen, wie das an Paulo zu 
sehen ist 1. Tim. 5.”® So spricht er sich auch aus in der Schrift: 
„Exempel, einen rechten christlichen Bischof zu weihen”, 1542. 4 
Chemnitz sagt : 5 Licet ergo ordinatio non faciat vocatio- 
nem, si tarnen quis legitime est vocatus, Ule ritus est declaratio 
et publica confirmatio, vocationem illam f quae praecessit, esse 
legitimem. Balduin: 6 * 8 Ordinatio nihil aliud est quam publica et 
solemnis vocationis confirmatio.... Ordinatio non est simpli- 
citer vel absolute necessaria . . . . neque divinitus praecepta est } 
nt omitti non possit. 

In Antithese hierzu stehen : 

I. Papisten. Sie erklären die Notwendigkeit des Be- 
rufs zur Ausübung des Amtes, geben aber das Berufsrecht dem 
Priesterstande und vornehmlich dem Papst. Conc. Trid.: Do- 
cet insuper sacrosancta Synodus } in ordinatione episcoporum , sa- 
ccrdotum et caeterorum ordinum, nec populi, nec cujusvis sae- 
cularis potestatis et magistratus consensmn, sive vocationem , sive 
auctoritatem ita requiri , ut sine ea irrita sit ordinatio. Bel- 
la r m i 11 : fl Doctores catholici summa consensione doccnt , jus 
episcopos ordinandi ac vocandi ad plebem nullo modo pertinere 
posse; jus autem eligendi fuisse aliquando et aliquo modo penes 
popnlum, sed pontificum conccssione vel conniventia, non lege 


1 Art Smai, 70, p. 34 «?. 

2 Leipz. Ausg., B. III, S. 146. 

* L. c., B. III, S. 375 - 

♦ L. c„ B. XXI, S. 412 ff. 

5 Loci , de ecclesia , p. 137. 

6 De casibus conscientiae , />. 1032. 

1 Sessio XXJ1I , cap. IV, p. 170. 

8 Disp., tom. II, de clericis, Ub. I , cap, II, 6, p. 139. 


§ 68 Das Lehramt. 


191 


divina. Daß das Berufsrecht aus der Schlüsselgewalt herkom- 
me, erkennen auch die Papisten an; daher ist denn auch ihre 
feste Burg das Wort Christi an Petrus Matth. x6 t 19: „Und 
ich will dir des Himmelreichs Schlüssel geben.” Sie behaup- 
ten Apostolum Petrum in persona totius ecclesiae accepisse 
claves , quia in totius ecclessiae commodum et utilitatem eas 
accepiL Diese Annahme fällt hin, da der Herr nicht nur allen 
Jüngern (Job. 20, 23), sondern auch der ganzen Kirche die 
Schlüssel gibt (Matth. 18, 18). Kaum wert der Erwähnung 
und sicher nicht der Widerlegung ist der Einwurf Bellarmins, 
womit er Matth. 18, 18 zu entkräften sucht, nämlich : „Sage es 
der Gemeinde” heiße: Sag es dem Prälaten oder dem Konzil. 
Per illud: Die ecclesiae , intelligitur prae latus aut concilium 
praelatorum . Ein sehr beliebtes papistisches Vernunftsargument 
ist: Non esse ovium eligere pastorem. Magistratum autem et 
popnlum oves esse , episcopos autem pastores. Ganz richtig gibt 
Quenstedt als letzte entscheidende Replik dies : Argumenta a 
dissimilibus desumpta non sunt IwoSeiKTiKd. 

In Antithese stehen die Papisten ferner dadurch, daß sie 
die Ordination für ein Sakrament erklären. Conc. Trid .: 10 Si 
quis dixerit , ordinem sive sacram ordinationem non esse vere et 
proprie sacramentum, a Christo Domino institutum , vel esse 
ßgmentum quoddam humanum exeogitatum a viris rerum eccle- 
siasticarum imperitis, aut esse tantum ritnni quendam eligendi 
ministros verbi Dei et sacramentorutn, anathema sit. Wie aus 
der Schrift gewiß ist, daß die Ordination nicht notwendig und 
wesentlich für das Predigtamt ist, weil sie nirgends in der Schrift 
ausdrücklich geboten wird, so ist es auch aus der Schrift gewiß, 
daß sie am wenigsten ein Sakrament sein kann, denn die Schrift 
erwähnt, wo sie von der Ordination redet, kein besonderes 
äußeres Zeichen. Chemnitz: 11 In baptismo enim et coena 
dominica, ipse hlius Dei instituit , praescripsit et mandavit cer- 
tum externum clementum , certam ceremoniam seu ritum. In 
ordinatione vero } sicut eam nunc intelligimus, Christus semel 
adhibuit externum symbolum, cum die resurrectionis insufflaret 


9 L. c, cap. VII, 17 , p. 146. 

10 L. c. can. FII. p. 171. 

11 Examen , /. c., p. 221. 



192 


§ 68. Das Lehramt. 


in discipulos, loh . 20. Non autem addidit mandatum , ut eccle- 
sia ritum illutn insufflationis , in ordinatione ministrorum imita- 

retur Diximus de apostolorum modestia , quod noluerint 

symboium insufflationis , in ordinationibus usurpare, quo tarnen 
Christus usus fuit , cum non haberent mandatum Christi, nec sine 
promissione divina, voluerunt sibi hoc sumere, quasi afflatu suo 
possent conferre Spiritum sanctum . Sed suffraganeus (Weih- 
bischof, jetzt Titularbischof, ursprünglich die episcopi in par- 
tibus inferioribus, die den aktiven Bischöfen als Gehilfen^ zur 
Seite standen) apud pontificios sine pudore sibi hoc arrogat. 
Insuff lans enim in ordinatos, inquit: Accipite Spiritum sanc- 
tum. Sed ubi mandatum ? Ubi promissiof Et blasphemia est 
fingere , in foetido suffragami anhclitu inclusum esse Spiritum 
sanctum , ut insufflando dicere possit: Accipe Spiritum sanc- 
tum .... Sed unctio est , de qua praecipue pontißcii pugnant , 
quando de sacramento ordinis disputant , id quod non dissimulat 
V . canon. Manifestissimum vero est, nec Christum, nec aposto - 
los extemam unctionem exhibuisse in ordinatiofie ministrorum 
verbi et sacramentorum. Das hat auch die spätere Kirche nicht 
getan wie Chemnitz hinzufügt : Et in tota ecclesiastica historia, 
item in Tripartita (Kirchengeschichte von Sokrates, Sozomenus, 
Theodoret), ubi multa exempla ordinationis describuntur , nus- 
quam mentio fit adh'ibitae unctionis in ordinationibus, sed tan- 
tum impositionis manuum. 

In den Fußtapfen der Papisten, sofern sie der Kirche das 
Berufsrecht nehmen und nicht durch die Berufung, sondern 
durch die Ordination als Sakrament den Prediger zu einem sol- 
chen werden lassen, gehen auch manche Lutheraner, 
indem sie nämlich : 

1. das Berufsrecht, welches sie allerdings für ein Besitztum 
der ganzen Kirche erklären, doch der Partikulargemeinde 
mehr oder minder nehmen, und wenigstens erklären, daß beim 
Berufen die Partikulargemeinde Gebrauch mache von 
dem Recht der ganzen Kirche (Buffaloer, separierte Luthera- 
ner in Preußen, Breslauer) ; 

2. indem sie mehr oder minder über Gebühr der Ordination 
entscheidende Wichtigkeit und die Wirksamkeit beilegen, daß sie 
jemand erst zum Pastor mache, indem die Amtsinhaber, bei de- 


§ 68. Das Lehramt 


193 


nen das Amt eigentlich ruhe, es dem Berufenen übertragen, wo- 
bei nicht wenige sich bis dahin versteigen, daß sie der Ordina- 
tion sakramentliche Würde und die Wirkung, einen character 
indelebilis aufzudrücken, beilegen. 

So sagt L e c h 1 e r : 12 „Ordination ist die Sitte, dem Be- 
rufenen im Namen Christi den besonderen Amtssegen zu ertei- 
len” (S. 326). Der Ausdruck 2. Tim. 1, 6: „Daß du erweckest 
die Gabe Gottes, die in dir ist, durch die Auflegung meiner 
Hände”, soll den Beweis liefern, „daß die mittels der Handauf- 
legung erteilte Gabe in dem Empfänger vorhanden sein kann, 
ohne daß ihr Vorhandensein offenbar wird”; es soll sein, wie 
in einer scheinbar erloschenen Kohle noch ein Funken fort- 
glüht”. Bei Timotheus schlummerte sie doch gewiß nicht; also 
kann das Erwecken nicht so gemeint sein. Bei der Ordination 
hat der „Segnende zuerst seine Hände gegen Gott ausgebreitet, 
um die erbetene Gabe für den, der des Segens bedarf, in Emp- 
fang zu nehmen, und teilt sie nun diesem mit, indem er die Hände 
gegen diesen selbst wendet. Nicht eine Übertragung persön- 
licher Eigenschaften auf andere, sondern eine wirksame, 
d. h. impetratorische, Art der Fürbitte ist 
also dieser Sege n”. „Die Handauflegung ist . . . . die 
naturnotwendige Gebärde bei dieser Handlung. Sie ist die 
Fürbitte in leiblicher Gestalt (dies ist ein Hin- 
steuern auf das äußere Element beim Sakrament). Die Erhe- 
bung der Ordination zu einer regelmäßigen kirchlichen Feier 
und infolge davon zu einem wichtigen Artikel des Kirchenrechts 
liegt so sehr im Geiste des Christentums, daß sich diese Sitte 
von selbst entwickeln mußte. Und wenn bis auf den heutigen 
Tag die Kirche fast ausnahmslos an der Notwendigkeit der Or- 
dination vor dem Eintritt in das Amt festgehalten hat, so kann 
sich eine Kirche, welche ihre Kandidaten ohne alle Weihe zur 
Verwaltung der Sakramente zuläßt, dem Vorwurf einer u n- 
würdigen Nachlässigkeit nicht entziehen. Sie er- 
niedrigt das Amt zur Stufe der gemeinsten weltlichen Berufs- 
arten. Ein so wesentlicher Verstoß gegen die Ordnung des 
Heil. Geistes kann nicht ohne empfindlichen Schaden bleiben.” 

12 Lehre vom neutestamen tlichen Amt, Teil TTI, I, 2 , die Übertragung 
des heiligen Amts. 


194 


§ 68. Das Lehramt 


Mit dunklen Worten wird S. 33off. als folgender Schade dies 
hingestellt, daß in solchen Gemeinden kein wahres kirchliches 
Gemeindeleben herzustellen ist. Das sei die Folge davon, daß 
man die Ordination nur als Erfordernis heiligen Anstandes (mit 
diesem mißdeutenden Ausdruck wird die lutherische Lehre, daß 
Ordination gleich Bestätigung sei, verächtlich gemacht und als 
verwerflich hingestellt) und nicht als eine Handlung ansehc, 
„durch die Wirkliches und Wesentliches gewirkt werde”. Hier 
ist verhüllt ausgesprochen, daß das Amt mit den Amtswer- 
ken, Predigt und Sakraments Verwaltung, eigentlich erst zur Er- 
bauung der Gemeinde wirksam wird durch die Ordination. Dies 
wird noch klarer durch die Darstellung der Folgen (S. 
331 ff.) der Ordination. Diese ist Segnung. Aber Segnung ist 
göttliche Verheißung. Solche Verheißung ist aber aus dem 
göttlichen Wort genommen; und das göttliche Wort, von der 
Kirche oder einem Gläubigen im Glauben gesprochen, kann 
seine Wirkung nicht verfehlen (Jes. 55, 11). Darum hat die 
Segnung der Ordination den Vorzug „unbedingter Wirk- 
samkeit”. „Was dem Worte an sich zukommt, muß dem im 
besonderen amtlichen Aufträge (wessen Auftrag?) von der 
Kirche erteilten Segen im verstärkten Maße zugeschrieben wer- 
den.” Hier wird verhüllt die Ordination als von Gott geboten 
hingestellt. Darum heißt es nun weiter: „Es ist also dabei zu 
verharren, daß die Ordination unter allen Um- 
ständen kräftig und von wesentlichen Fol- 
gen, sowohl für die Gemeinde, als für den 
Ordinierten, begleitet ist” (S. 332). Hier wird 
die Gemeinde vorangestellt ; und das ist vielsagend. Es wird 
damit noch klarer als bisher ausgesprochen, daß durch die Or- 
dination das Amt erst für die Gemeinde wahrhaft zum Segen 
wirksam wird. Nun wird auch der Sakramentsbegriff für die 
Ordination vindiziert. „Die Ordination tritt dadurch in eine 
Reihe mit allen andern sakramentlichen Handlungen der 
Kirche, mit der Taufe und dem Abendmahl, dem Ehe- und Kon- 
firmation ssegen, ja mit der Predigt” (S. 332). Man achte 
darauf, daß die Ordination, der sakramentliche Wirkung zuge- 
schrieben wird, unterschieden wird von Taufe und Abendmahl, 
also neben diesen wirklichen Gnadenmitteln für sich wirkungs- 


§ 68. Das Lehramt. 


195 


kräftig sein soll. Hierauf wird unter Mißbrauch der Schrift- 
wahrheit, daß Wort und Sakrament objektiv das Heil mitteilen, 
eine Wirkung ex opere operato gelehrt und diese vermeintliche 
Wirkung des Worts und Sakraments auf die Ordination über- 
tragen. Den Abschluß bildet die Erklärung, daß die Ordination 
ihre Wirkung für immer behalte, daß sie also ein für allemal 
eigentlich den Pastor mache, und nicht allein der jedesmalige 
Beruf; denn selbst wenn ein Pastor das Predigtamt mit einem 
weltlichen Amt vertausche, so sei nachher keine neue Ordina- 
tion nötig. „So wenigstens fordert es die Gleichheit mit an- 
dern kirchlichen Weihen/' Hier ist an die Taufe gedacht, von 
der man gut römisch annimmt, daß sie dem Menschen einen 
character indelebilis auf drücke, davon etwas auch im Abgefalle- 
nen bleibe. Das ist" die bekannte Keimlehre der neueren Theo- 
logie. Darnach kann nicht mehr befremden, daß die ganze Ar- 
gumentation endet mit der (selbstverständlich gänzlich unwah- 
ren) Erklärung: „Demnach lehrt allerdings auch die evange- 
lisch-lutherische Kirche im gewissen Sinne einen unauslösch- 
lichen Charakter der Ordination" (S. 333). Ja, S. 335 heißt 
es, „daß die Ordination einen wirklichen Unterschied zwischen 
Geistlichen und Laien begründe”. Nachgehends wird der Ver- 
such gemacht, diese ganze Lehre als die der Bekenntnisse hin- 
zustellen. So heißt es S. 336: „Das Predigtamt selber ist ihr 
(der lutherischen Kirche) das Mittel, dadurch Gott den Heil. 
Geist gibt” ( Conf . Aug., art . V), Es ist sonnenklar, daß 
Art. V das Predigtamt in abstracto gemeint ist ; und man sieht, 
wie bedenklich es ist, wenn auch korrekte Theologen diesen Ar- 
tikel als Beweis für das Amt in concreto nehmen ; siehe Wal- 
ther/ 3 Eine ganz besonders harte Nuß ist aber für diese 
falsche Lehre die Stelle aus den Articuli S malcaldici . 14 Von die- 
ser sagt Lechler ganz einfach, man müsse es mit diesem Wort 
Luthers nicht so streng nehmen. Die ganze Darstellung von 
Lechler ist ein Beispiel der romanisierenden Phantasterei über 
das Amt, der alle andern mehr oder minder gleichen. 

Nach reiner, evangelischer Lehre ruht das Amt, das verge- 


18 Kirche und Amt, S. 199, am Schluß des ersten Zitats. 
14 Art. X, p. 323. 



196 


§ 68. Das Lehramt. 


ben werden soll und womit ein Amtsträger bekleidet werden 
soll, bei niemandem anders als bei der Kirche, d. h. bei den Gläu- 
bigen, auch bei den wenigen, die an irgend einem Ort sich be- 
finden, und wären es auch nur zwei, und bei der kleineren 
oder größeren Anzahl von Leuten, die um das Wort irgendwo 
versammelt sind und unter denen die wenigen Gläubigen ver- 
borgen sind, d. h. bei irgendeiner Partikulargemeinde. Daß 
eine Partikulargemeinde nicht durch ihren Beruf das Amt über- 
antworten könne und wirklich überantworte ohne Zutun irgend- 
welches Ordinationsaktes, ist nur dann bewiesen, wenn zuvor 
bewiesen ist, daß die in einer Gemeinde verborgenen Gläubigen 
nicht Inhaber aller Güter und Schätze Christi sind. 

LEHRSATZ IV.* 

Gezvalt und Recht des Predigtamts ist: Evangelium predigen , 

Sakrament verzvalten , Sünden vergeben oder behalten, Zucht 

üben . 

Anmerkung: — Beweis für die Gewalt, das Evange- 
lium zu predigen, ist Matth. 28, 19; Mark. 16, 15, für 
die Gewalt, die Sakramente zu verwalten Matth. 28, 
19 ; 1 . Kor. 4, 1 ; Tit. 1, 7, für die Gewalt, Sünden zu ver- 
geben oder zu behalten Joh. 20, 23 ; Matth. 16, 19, für 
die Gewalt, Zucht zu üben t. Kor. 5, 3 — 5. Die Gewalt 
des Predigens und der Sakramentverwaltung faßt man zusam- 
men unter dem Begriff potestas ordinis , die Gewalt der Schlüssel 
unter dem Begriff potestas clavium, auch als potestas jurisdic- 
tionis bezeichnet. Über die potestas clavium sagt Gerhard:* 
Potestas jurisdictionis , quam vocant k/utiktJv, in usu clavium 
consistit . Est autem duplex clavium potestas, solvens et ligans, 
Matth. 16 , tq; Joh. 20, 23 Quamvis enim unum sit verbi Mi- 
nisterium, quo peccata solvuntur et ligantur, proittde etiam ge- 
nerica consideratione una clavis ad aperiendum et claudendum 
regnum coelorum efücax ; tarnen pro diversitate objectorum, me- 
diorum ct cffechtum una clazis dicitur solvens, qua poeniten- 
tes a peccatis absolvuntur et coelum Ulis aperitur; altera ligans , 
qua impoenitentibus peccata retinentur et coelum Ulis clauditur. 


1 Loci, tom. XTTI, loc. XXIV , cap. V, sect 1 , § CXCIV , p, 16. 


§ 68. Das Lehramt 


m 

lila vocatur absolutio , haec excommunicatio . Utraque vel pu- 
blice vcl privatim exercetur. Absolutio publica est, quando Om- 
nibus vere poenitentibus ex evangelio adnunciatur remissio pec- 
catorum propter Christum ; privata est , quando in specie alicui 
poenitenti peccata remittuntur . Excommunicatio publica est , 
quando omnibus im poenitentibus et incredulis ex lege adnuncia- 
tur ira Dei et aeterna damnatio; privata est, quando in specie 
alicui praefracte facinoroso peccatorum retentio denunciatur. 
Ratione graduum duplex statuitur excommunicatio , minor scili - 
cet et major . lila est exclusio sive suspensio ab usu coenae do- 
minicae, haec e communicatione ecclesiae ejectio , illa vocatur 
KaOalptvis, haec vero 4<£opur/uios. Es ist hierzu folgendes wohl 
zu merken: 

Die Unterscheidung von excommunicatio minor und major 
hat für uns nur historische Bedeutung. Es ist unter letzterem 
verstanden, was man Bann und Acht nennt und mit Hilfe 
der Obrigkeit von der Kirche vollzogen wurde. Luther sagt 
im „Sermon vom Bann” 2 : „Von dieser Gemeinschaft (des Sa- 
kraments) mag ein Bischof und Papst einen absondern und ihm 
dasselbe um seiner Sünden willen verbieten; und das heißt in 
Bann tun. Dieser Bann war vor Zeiten fast im Gebrauch 
und heißt jetzt der kleine Bann ; denn darüber erstreckt 
er sich weiter, daß man auch verbannt Begräbnis, kaufen, ver- 
kaufen, wandeln und allerlei Gemeinschaft des Menschen, zu- 
letzt auch (als sie sagen) Wasser und Feuer, das heißt der 
große Bann. Daran haben etliche nicht genug, sondern über 
das alles brauchen sie wider den Verbannten weltliche Gewalt 
usw Dasselbe sind aber mehr neue Fünde, denn gründ- 

liche Meinung der Schrift. Denn mit weltlichem Schwert zu 
handeln höret zu dem Kaiser usw. und Herrschaften der Welt, 
und gar nichts dem geistlichen Stand, des Schwert nicht eisern, 
sondern geistlich sein soll, welches ist das Wort und Gebot Got- 
tes (Eph. 6, 17) ; vergl. Art . SrnaP. 

2. Das Staatskirchen tum, auch in lutherischen Ländern, hat 


2 Lpz. Ausg., B. XVII, S. 451. 
s Art. IX, p. 323. 



198 § 68. Das Lehramt. 

allerdings neben dem kleinen Bann etwas in der Art des großen 
Bannes gekannt. 

3. Wir setzen heutigen Tages die exclusio ab usu coenae 
dominicae nicht gleichbedeutend mit suspensio ab usu. Unter 
letzterer verstehn wir heute eine zeitweilige Versagung 
des Abendmahls, welche ein Pastor aus alleiniger Autorität als 
Seelsorger und vor öffentlicher Verhandlung eines Sünden-, oder 
Zuchtfalles, also vor Eintritt in den zweiten Grad der Zucht übt, 
weil er davon sich gute Frucht verspricht. Nicht auf geraume 
Zeit darf sie sich erstrecken. 

4. Wirklichen Ausschluß vom Abendmahl vollzieht der Pa- 
stor nicht als der, welcher denselben verfügt, denn das kann 
nur die Gemeinde, vor die ein Zuchtfall im dritten Grade kommt, 
sondern als der, welcher den von der Gemeinde verhängten Aus- 
schluß vollzieht (1. Kor. 5, 2 — 5). 

Die Absolution ist keine bloße Verkündigung, ge- 
schieht nicht declarative , sondern effective; sie löst wirklich. 
Oueristedt 4 : Ministri ecclesiae habent potestatem remittcndi 
peccata , ita ut non tantum io-to/hkö*, declarative et annuncia- 
tive f sed et effective , attamcn opyaviK&s (der Prediger ist ja 
nur Werkzeug Gottes) peccata remittant . Das ist Schriftlehre, 
denn : 

1. den Dienern des Wortes sind die Schlüssel des Bindens 
und Lösens übergeben. Die Schlüssel sind aber nicht eine An- 
kündigung nur einer Öffnung; und „binden” und „lösen” heißt 
in keiner Sprache, eine Bindung und Lösung erklären oder 
verkündigen, sondern tatsächlich, actu } binden und 
lösen, obschön dies durch das Mittel des Worts geschieht. 

2. Was den Aposteln gilt, gilt allen Dienern des Worts. 
Auch sind überdies der ganzen Kirche die Schlüssel gegeben, 
nicht den Aposteln allein. 

In Antithese hierzu stehn Kalvinisten, Armi- 
nianer, Sozinianer-, alle von den Kalvinisten stam- 
menden Sekten, alle Schwärmer, Schwenkfel- 
dianer, Weigelianer, heutige Methodisten, 
auch U n i e r t e. Diese alle erklären die absolutio für eine reine 


4 Theol . did. pol. pars IV , cap. XII, sect. //, qu. V , thesis , p. 411. 


V 


§ 68. Das Lehramt. 199 

annunciatio. Der Pastor ist nach ihrer Meinung nur ein praeco , 
ein Herold, Verkündiger. So sagt Olevianus 5 : Ut nec 
poenitentiam nec fidem ipse Icgatus dat (2. Tim. 2, 19. 20) f ita 
nec justificat nec absolvit peccatores ipse , sed tantae rei et quae 
majestatis dhnnae propria est, testis est et constitutus praeco. 
y Welche Torheit ist das, zumal vom reformierten Standpunkt 

aus! Wozu der praeco , da die Vergebung dem Erwählten, der 
sie doch überhaupt nur empfängt, durch den Heil. Geist in ihm 
viel gewisser sein muß als durch die Ankündigung des praeco f 
Selbst auf nicht reformiertem Standpunkt ist es Torheit, die Ab- 
solution als Verkündigung nur Zeugnis von dem sein zu lassen, 

| was dann nicht sie, sondern Gott und auch er nicht eigentlich 

durchs Wort als Organ selbst gibt, da sie als solches Zeugnis ja 
ganz überflüssig wäre. Gewöhnlich verdrehen die Kalvinisten 
die lutherische Lehre dahin, als würde ein Vergeben des Pa- 
stors aus eigner Machtvollkommenheit gelehrt. Aber oben zeigt 
Quenstedt mit seinem opyaviKw? das Gegenteil. Der wirklich 
i vergibt, ist Gott, aber des Predigers Lösen ist das von 

Gott selbst gesetzteaktu eil wirkende Mit- 
tel. Die Ansicht der Kalvinisten von dem nichts wirkenden 
* Wort der Absolution ist ganz gemäß ihrer Grundansicht vom 

Wort überhaupt, nach welcher es nichts als bloße Darstellung 
und Lehre ist und an sich selbst unwirksam. Schwenkfeld sagt 
aus demselben Mißverstand der lutherischen Lehre, wie er bei den 
Kalvinisten sich findet, in seiner Postille, S. 295: „Der Priester 
hat keine Macht, Sünden zu vergeben ; Gott allein vergibt die 
Sünde und kein Mensch/’ Der Sozinianer Wol zogen sagt 
zu Matth. 16, 19: Non habent apostoli in hac sua potestate et 
auctoritate remittendi peccata ullos successores . So stehen auch 
die Arminianer. 

In die Hände der Kirchendiener, oder Pastoren, legen unsere 
Theologen auch die Zeremonien und Riten. Doch ist 
selbstverständlich, daß sie nicht Macht haben, irgend etwas in 
bezug auf Zeremonien und Riten zu ordnen ohne zuvorigen Be- 
schluß der Gemeinde. Ebenso selbstverständlich ist, daß keine 
Riten und Zeremonien ratione cultus aut meriti erga Deum, d. 


6 De substantia foederis gratuitij p. 282 . 


200 


§ 68. Das Lehramt. 


h. unter .dem Namen des Gottesdienstes und Verdienstes einge- 
führt werden dürfen ; siehe Conf . Aug 6 . 

Daß den Pastoren Gehorsam der Christen gebührt, sagen 
Heb. 13, 17; 1. Thes. 5, 12. 13; Phil. 2, 29; 1. Thes. 4, 8; Luk. 
10, 16; es gebührt ihnen jedoch kein Gehorsam wider und über 
Gottes Wort; Conf. Aug 7 . Gott selbst verbietet, den falschen 
Lehrern zu folgen (Matth. 7, 15; Gal. 1, 8). Sünden des Pre- 
digers sind falsche Lehre, falscher Brauch der Schlüssel, böses 
Leben. Der Prediger, welcher nach genügender Ermahnung in 
falscher Lehre beharrt, ist abzusetzen. Wer ein böses Leben 
führt, kann überhaupt, weil er den guten Namen verloren 
hat. nicht mehr das Predigtamt führen (Apg. 6, 3 ; 1. Tim. 3, 7. 
8). Ein Prediger ist seines Amtes ledig, sobald ihm die Gemein- 
de die durch ihren Beruf übertragene Gewalt abfordert 
oder nimmt, d. h. ihn absetzt. Jemand Prediger nennen, der keine 
Gemeinde hat, ist Mißbrauch. Das Pastorat ist ein Amt, 
nicht ein Stand. 

LEHRSATZ V. 

Wesentlich sind alle Prediger an Rechten und Würden gleich. 

Anmerkung: — Beweis dafür, daß der Würde nach kein 
wesentlicher Unterschied unter den Pastoren ist, 
geben Apg. 20, 28, wo den Bischöfen das Amt gegeben wird, 
die Herde zu weiden und auf dieselbe zu achten; Phil. 1, 1, wo 
Paulus sich dem Timotheus, den Bischöfen und Dienern gleich- 
setzt ; Tit. i, 5 ff., wo Timotheus Älteste bestellen soll, die V. 7 
Bischöfe und Haushalter genannt werden, und nach V. 9 das 
Amt führen sollen, wie Apg. 20, 28 die Bischöfe ; 1. Tim. 4. 14, 
wo den Ältesten das Handauflegen zum Bischofsamt in bezug 
auf Timotheus selbst zugeschrieben wird, gerade wie ihm wieder- 
um selbst 1. Tim. 5, 22; 1. Pet. 5, 1, wo Petrus sich ein Mit- 
ältester der Ältesten nennt. 

Die Schrift setzt also Bischöfe und Älteste gleich. Quen- 
s t e d t 1 : Retinemus in nostris ecclesiis ordinem inter ministros, 


8 Art. 15, p • 42; Art. 28 , p , 65. 

7 Art. 28 , p. 64. 

1 Theol did. pol. , pars IV. cap. XII, sect. I, thes. XIV , nota, VI 
P- 396. 


§ 68. Das Lehramt 


201 


ut alii sint episcopi , alii presbyteri, alii diaconi, quia et in aposto- 
lica et primitiva ecclesia distincti fucrunt ministrorum ordines, et 
quidetn divinitus constituti , i. Cor , 12, 28; Eph. 4, 11; interim 
eandem potestatem ministerii , in praedicatione verbi et admini - 
stratione sacramentorum , et potestatem jurisdictionis in usu cla- 
vium consistentem, omnibus ecclesiae minist ris competere dici- 
mus . Ebenso Chemnitz 2 : Sed quaestio est, qualis gradus in 
ministerio ecclesiastico sit episcopatus, quae sint officia episcopi. 
Et explicatio hu jus quaestionis, ideo brevius potest absolvi , est 
enim a Hieronymo ex professo pertractata . Ostendit autem et 
probat , tempore apostolorum eosdem fuisse episcopos et pres- 
byteros, seu eundetn fuisse presbyteruni, qui et episcopus, quo - 
rum aliud sit officii et di gnit atis nom en, 
aliud ae t atis. 

In der Antithese hierzu stehn : ' 

1. die Papisten. Bellarmin 3 : At ecclesia catho- 
lica distinctionem agnoscit ac docet , jure divino episcopatum pres - 
byterio majorem esse, tum ordinis potestate, tum etiam juris- 
dictione . Sic enim loquitur Conc . Trid sess. 24, cap t 4: Proinde 
sacrosancta synodus declarat praeter ceteros ecclesiasticos gra- 
dus, episcopos, qui in apostolorum locum successerunt, ad hunc 
hierarchicum ordinem praecipue pertinere, et positos , sicut aposto- 
Ins ait , a Spiritu sancto regere ecclesiam Dei, eosque presbyteris 
superiores esse. Et canon 6: Si quis dixerit, in ecclesia catho- 
lica non esse hierarchiam divina ordinatione institutam, quae 
constat ex episcopis, presbyteris et ministris, anathema sit. Et 
canon j: Si quis dixerit, episcopos non esse presbyteris superiores 
etc., anathema sit. Bellarmin gibt sich Mühe, die angeführten 
schlagenden Schriftstellen zu entkräften. Gegen Phil. 1, 1 führt 
er verschiedene Kirchenväter ins Feld und meint zuletzt, daß 
wohl Chrysostomus die Stelle am besten erkläre 4 : Facilior est 
sancti Joannis Chrysostomi et aliorum multorum commentarius , 
qui docent , apostolorum tempore nomina illa, episcopus et Pres- 
byter, communia fuisse omnibus sacerdotibus, tarn majoribus, 


2 Ex., pars II, de sacramenlo ordinis, p. 223. 

3 Disput at., tom. II, de clericis, Hb. I, cap. XIV , 2, p. 156. 

4 L. c., cap. XV, 5 , P- 


§ 68. Das Lehramt 


202 

quos nunc episcopos dicimus, quam minoribus, quos presbyteros 
appellamus, licet res ipsae et potestates distinctae essent Es ist 
merkwürdig, daß die Schrift soll diese Namen ohne Unterschied 
den Priestern verschiedener Ordnung geben, während doch ge- 
rade die Existenz des Unterschieds der Ordnung, des realen Un- 
terschieds zwischen Bischof und Presbyter auf die Verschieden- 
heit der Namen gebaut wird. Doch, da Bellarniin eine bessere 
Ausflucht dieser Stelle gegenüber überhaupt nicht finden kann, 
als daß allen Priestern, obschon sie verschiedene geistliche Ge- 
walt und Würde hätten, was freilich bis jetzt noch kein Papist 
aus der Schrift hat beweisen können, dennoch die Namen 
Presbyter und Bischof gemeinsam gewesen wären, so wendet er 
dieselbe auch auf die andern Stellen an und fertigt dieselben so 
ab Ä : Sed ad haec omnia uno verbo respondetur. Nomina eo 
tempore fuisse communia et propterea in his omnibus locis veros 
etiam episcopos presbyteros appcllari Viel bemüht er sich auch, 
den Worten von Hieronymus eine dem Papismus günstige Deu- 
tung zu geben. Daß es unmöglich ist, zeigt, daß der berühmte 
Michael Medina in de sacrorum hominum origine et con- 
tinentia , lib. /, cap. 5 sagt 5 6 : Atque ita isti viri alioqui sanc- 
tissimi et sanctarum scripturarum consultissimi ; quorum tarnen 
sententiam prius in Aerio, deinde in Waldensibus } postremo in 
Joanne Wiclefo damnavit ecclesia. Dazu sagt Bellarmin: Ce - 
teruni haec Medinae sententia (ut levissime dicam) valde est 
inconsiderata. Er beweist aber nicht, daß sein eignes Urteil be- 
rechtigt sei und daß dagegen Medina den Hieronymus falsch 
verstanden habe. 

2. In dieser Antithese stehn auch die sogenannten r o m a - 
nisierenden Lutheraner, welche das Kirchenregiment, 
wonach Personen einander übergeordnet werden, für göttlich ge- 
stiftet erklären und also auch eine vermeintlich göttlich geord- 
nete Hierarchie haben. So stehn die separierten Lutheraner 
unter dem Breslauer Kirchenkollegium. In der „Öffent- 
lichen Erklär 11 ng” derselben vom Jahre 1878 heißt 


es: 


5 L. c. f 10. 

6 Bei Bellarniin, l c. 3 15, p. röi. 


§ 68. Das Lehramt. 


203 


a. Daß das Amt des Kirehenregiments an ihm 
selber, d. h. die Beauftragung gewisser Personen mit der öffent- 
lichen Ausübung der kirehenregimentlichen Befugnisse, von 
Gott und nicht von der Gemeinde gestiftet sei und es also 
nach göttlichem, nicht bloß nach menschli- 
chem Recht bestehe und handle ( S. 3. 28) ; 

b. daß dasselbe höhere Kirchenregiment die Würde ei- 
ner geistlichen Obrigkeit mit Recht in Anspruch 
nehme und darum nach dem vierten Gebot Gehorsam zu fordern 
habe (S. 33) ; 

c. daß die von Menschen gemachten, übrigens aber dem 
Wort Gottes gemäßen Kirchenordnungen nicht bloß nach mensch- 
lichem, sondern auch nach göttlichem Recht gelten 
und auch die Gewissen von Gottes wegen zum 
Gehorsam verpflichten (S. 3. 44). 

Die Breslauer haben sich, wie die Papisten, immer vor- 
nehmlich auf Eph. 4, 11 (vergl. I. Kor. 12, 28 ff.) berufen, denn 
hier sei göttliche Stiftung verschiedener Ämter mit ihrer kirch- 
lichen Tätigkeit gelehrt. Dagegen: 

1. Es ist nicht von einer göttlichen Stiftung von Rang- 
unterschieden zwischen gradweise abgestuften Ämtern 
die Rede. (Die römische Kirche zählt deren sieben auf : Sacer- 
dotes, d. h. cpiscopi und presbyteri zusammen, diaconi , subdia- 
coni, welche zusammen die drei höhern Grade bilden, acolythi, 
Begleiter des Bischofs, jetzt der höchste der niedem Grade, nur 
noch nominell bestehend als Durchgang zu höhern Graden, lec- 
tores, exorcistae , ostiarii , Türhüter, welch letztere vier Grade 
als ordines nihiorcs bezeichnet werden und nur die den character 
indeJcbilis nicht aufdrückenden niederen Weihen erhalten, daher 
ihnen auch der Austritt gestattet ist.). Namentlich die Korinther- 
steile (1. Kor. 12, 28 ff.) zeigt, daß vielmehr von Tätigkeiten 
und Begabungen zum Besten der Kirche die Rede ist. Es wird 
in ein und demselben Zusammenhang die Gabe der Heilung, des 
Wundertuns, der Sprachen usw. aufgeführt Sind dies keine 
gradweise und rangartig abgestuften Kirchenämter mit unter- 
schiedener Machtbefugnis und Amtswürde, oder werden sie durch 
die Aufzählung dazu nicht gemacht, so auch die übrigen nicht, 
oder, wenn wirklich auch Ämter genannt werden, so werden 


§ 68. Das Lehramt 


204 

sie doch nicht hier aufgezählt, um wirklich wesentlich unter- 
schiedene, namentlich durch Rangunterschied unterschiedene 
Ämter festzusetzen. 

2. Es werden hier die eigentlich im Episkopat, oder Pres- 
byteramt, oder Kirchendienstamt am Wort und Sakrament ur- 
sprünglich enthaltenen Amtstätigkeiten aufgeführt, welche zu- 
erst auch im Apostolat vereinigt waren und so auch im ordent- 
lichen Bischofs-, Presbyter-, oder Pastorenamt vereinigt bleiben 
konnten, doch aber aus Not, wie das Amt der Diakonen, oder 
um des größeren Nutzens willen, wenn es in den Gemeinden 
Leute gab, die für die eine oder andere Tätigkeit größere Be- 
gabung empfangen hatten als die schon vorhandenen Presbyter, 
auf verschiedene Personen übertragen wurden. 

Tn ähnlicher Weise äußert sich Chemnitz 7 . Er sagt 
über Eph. 4, 11 ff. richtig: Es werden hier fünf gradus Ministe- 
rn aufgezählt: 

a. Apostel, die, unmittelbar berufen, einen Universalbe- 
ruf und alle Wundergaben hatten und deren Predigen und Leh- 
ren inspiriert und also im wahren Sinn Gottes Wort und Quelle 
der Lehre für andere war; 

b. Propheten, qui linguas et scripturas interpretabantur 
( /. Cor . 14 , t — 6 ) ; 

c. Evangelisten, welche nicht Apostel waren, aber 
mit der allgemeinen Mission, das Evangelium zu predigen, lp- 
yov noiTjfTov cvayyc Aurrw, ausgesandt wurden; so Philippus 
(Apg. 2i, 8), Timotheus (2. Tim. 4, 5), Tvchikus (Apg. 20, 4; 
Eph. 6, 21 : Kol. 4. 7) ; 

d. Pastoren, qui certo gregi ecclesiae pracfccti erant 
( 1. Pet. 5, 2) : 

e. Lehrer, StSacrKaXov irrprCwv (Röm. 2, 20; Heb. 5, 12), 
wahrscheinlich die spätem Katecheten. 

Aber, sagt Chemnitz, diese verschiedenen Grade haben eben 
die Apostel immer zusammengefaßt unter die beiden Namen 
„Bischöfe und Presbyter”. Sehr beweiskräftig sind Kol. 4, 7; 
Eph. 6, 21, wo Paulus den Tychikus, offenbar einen Evangelisten, 
als Diener und Mitknecht bezeichnet, und 1. Pet. 5, 1.2, wo Petro* 


7 Examen , pars II, p. 217 ff. 


§ 69. Von der Obrigkeit 


sich Mitältesten nennt und die Presbyter zugleich (V. 2) als Pa- 
storen, Hirten charakterisiert. Auch deuten ja Stellen wie 1. 
Tim. 3, 1 ff. auf eine wiedereintretende Vereinigung der anfäng- 
lich getrennten und von verschiedenen Personen ausgeübten 
Amtstätigkeiten in einer Person hin, wenn z. B. gefordert wird, 
daß er lehrhaft sei (V. 2), daß er der Gemeinde vorstehn müsse 
(V. 4. 5), also ebensowohl weide, wie auch regiere. Es ist also 
aus den Stellen Eph. 4, 11 ; 1. Kor. 12, 28 die göttliche Institution 
einer Kirchenhierarchie, römischer oder romanisierender Art, 
nicht zu erweisen. 

Chemnitz schließt seine Auseinandersetzungen auch mit der 
Erklärung ab, daß die Aufzählungen Eph. 4, 11; 1. Kor. 12, 28 
nur zeigen, in welche Grade die Obliegenheiten und Pflichten ein 
und desselben Kirchen- oder Predigtamts geteilt waren. End- 
lich fügt er folgende Grundsätze bei : 

a. Das Wort Gottes setzt keine Zahl der gradus. 

b. Aus der Schrift ist klar, daß zur Zeit der Apostel nicht 
in allen Gemeinden dieselben gradus vertreten waren. 

c. Ebenso ist aus der Schrift gewiß, daß die Teilung in 
gradus keine Notwendigkeit war, so daß nicht öfter alle Tätig- 
keiten in einer Person wären vereinigt gewesen; es war viel- 
mehr die ganze Ordnung eine Sache der Freiheit und richtete 
sich nach dem Bedürfnis und dem Nutzen der Kirche. 

d. Alle gradus waren nicht Ämter neben dem Predigtamt, 
sondern ipsa et vera officia ministerii verbi ct sacramentorum. 


§ 69 . 

Von der Obrigkeit. 

(De magistratu politico.) 

LEHRSATZ. 

Die Obrigkeit ist das von Gott eingesetzte weltliche Amt , wel- 
ches durch Erlassung nötiger und guter Gesetze , Handha- 
bung der Rechtspflege und der äusserlichen Zucht im Ein- 
klänge mit dem göttlichen Moralgesetz dem dreieinigen Gott 
zu Ehren und dem Menschen zum zeitlichen Wohle ver- 
waltet werden soll 


306 § 69 . Von der Obrigkeit. 

PUNKT I. 

Die Obrigkeit ist das von Gott eingesetzte weltliche Amt. 

Anmerkung : — Wir handeln hier von der weltlichen Obrig- 
keit abstrakte als Amt (officium). 

In diesem Sinne bezeugt die Schrift die göttliche Stif- 
tung: 

1. unmittelbar. Die sedes classica hierzu ist Rom. 13, 
i ff. Die Obrigkeit ist von Gott geordnet; es ist keine Obrigkeit 
ohne von Gott. 

2. Mittelbar. 

• a. Die Schrift sagt, daß die obrigkeitlichen Personen : Kö- 
nige, Fürsten usw. durch Gott ihr Amt haben und darin er- 
halten werden (Dan. 2, 21. 3 7; Spr. 8, 15; Joh. 19, 11). 

b. Die Schrift fordert Gehorsam gegen die Obrigkeit auch 
von den Christen und zwar um des Gewissens willen (Röm. 13, 
5). Es kann aber der Ungehorsam nur dann das Gewissen ver- 
letzen, wenn Gott selbst die Obrigkeit zu einer Gehorsam fordern- 
den Autorität gemacht hat, also zu einem Amt, welches kraft 
göttlicher Stiftung mit göttlichem Recht Gehorsam fordert. 

Es widerspricht nicht der göttlichen Einsetzung, daß es I. 
Pet. 2, 13 heißt: „Seid untertan aller menschlichen Ordnung um 
des Herrn willen”. Hier ist von bestimmten einzelnen Ordnun- 
gen und Einrichtungen die Rede, die freilich Gott nicht so be- 
sonders vorgeschrieben, sondern dem menschlichen Ermessen 
nach den maßgebenden Prinzipien überlassen hat; und insofern 
sind die einzelnen Ordnungen menschlich, aber nicht, sofern man 
die Autorität, die sie ordnet, nämlich die gottgesetzte Obrigkeit, 
ins Auge faßt. In der göttlichen Einsetzung liegt nicht, daß 
eine besondere Form der Obrigkeit, Königtum oder andere, von 
Gott eingesetzt wäre, sondern nur in abstracto die obrigkeitliche 
Gewalt überhaupt, sie erscheine, in welcher Form sie wolle. Das 
bezeugt Röm. 13, 1, wo von der Obrigkeit schlechtweg die gött- 
liche Einsetzung ausgesagt wird ; vergl. Conf . Aug 1 . 

In der Antithese hierzu stehn: 

1. Schwärmer, wie z. B. Anabaptisten, Weigelianer und an- 


1 Art XVI, p . 42. 


§69. Von der Obrigkeit. 


207 


dere. Sie leugnen alle die göttliche Einsetzung der Obrigkeit. 
Sie erklären weltliche Obrigkeit für unnötig und verbieten den 
Christen, ein obrigkeitliches Amt zu übernehmen. Zugrunde 
liegt bei ihnen der Mißbrauch von der neutestamentlichen Lehre 
über die christliche Freiheit; die sie auch als Unabhängigkeit von 
irgendeinem äußerlichen Regiment auffassen, und zuletzt der 
Mangel an Unterscheidung zwischen Christi Reich und bürger- 
lichem Reich. 

2. In Antithese hierzu stehn auch die Papisten, welche zwar 
nicht sagen, daß die Obrigkeit nicht von Gott sei, wohl aber be- 
haupten, daß der Papst eine Obergewalt über die Obrigkeit habe, 
nicht an sich, aber da, wo es das Heil der Seelen fordert, so- 
gar dahin, daß er die Fürsten absetzen darf. B e 1 1 a r m i n 
sagt 2 : Non potest papa, ut papa , 0 r d in ari e temporales prin- 
cipes deponere , etiam justa de causa, eo modo , quo deponit epis - 
copos, id estj tanquam Ordinarius judex ; tarnen potest mutarc 
regna atque uni auferre, atque altert conferre, tanquam sum- 
mu s princeps spiritualis, si id necessarium sit ad 
anitnarum salutem . In § 8 wird dieselbe Gewalt dem Papst in 
bezug auf die bürgerlichen Gesetze und § 9 in bezug auf die bür- 
gerlichen Gerichte zugeschrieben. 

3. Die naturalistischen Staatsrechtslehren Staat und Obrig- 
keit beruhen nach ihnen nur auf menschlichem Übereinkommen ; 
so Rousseau, nach dem das ganze Staatsleben ein Gesell- 
schaftsvertrag ( Contrat social) ist, wo freiwillig der einzelne 
sich der Gemeinschaft unterwirft So steht auch Grotius ; ferner 
die modernen Staatsrechtslehrer. 

4. Die Anarchisten, welche nicht nur jede Regierungsform, 
sondern alles Regiment beseitigt wissen wollen. 

5. Diejenigen, welche eine bestimmte Regierungsform für 
die entweder einzig von Gott gewollte erklären, wie häufig die 
Anhänger der Monarchie taten, oder doch für die allein ange- 
messene und für das Gemeinwohl förderlichste, wie dies wohl 
Lobredner der Republik tun. 


2 Disputat ., tom. I , lib. V , cap. VI, 7, p . 505. 


208 § 6g. Von der Obrigkeit. 

PUNKT II. 

Das Gebiet für die Tätigkeit der Obrigkeit sind allein die seit- 
lichen , bürgerlichen , sozialen Dinge als solche , aber in kei- 
nerlei Weise die geistlichen Dinge . 

Anmerkung: — Daß allein die zeitlichen, bürgerlichen, so- 
zialen Dinge das Gebiet der Tätigkeit der Obrigkeit sind, ist aus 
der Schrift gewiß, weil sie : 

1. nachweislich nur solche Dinge der Obrigkeit un- 
terstellt, als : 

a. Geld und Gut, denn sie legt Schoß und Abgaben auf 
(Rom. 13, 7), übt Rechtspflege in bezug auf zeitlich Gut (1. Kor. 

6 , 1. 3); 

b. Handel und Verkehr (Apg. 19, 38) ; 

c. Leib und Leben (Röm. 13, 4) ; 

d. bürgerlicher Friede (Röm. 13, 6; I. Tim. 2, 2; 1. Pet. 2, 
1 . 3 - 14 )- 

e. bürgerliche, äußere Zucht (Röm. 13, 4; 1. Pet. 2, 14), 
die sich als bürgerliche und äußerliche, als justitia civilis, im 
Gegensatz gegen geistliche Zucht erweist durch die äußerlichen 
Mittel, nämlich äußerliche Strafe allerlei Art (Röm. 13, 4) 
und durch den äußerlichen Zweck, nämlich bürgerlichen 
Schutz und Frieden (Röm. 13, 6). Diese äußerliche Zucht ist 
auch das höchste Ziel aller Rechtspflege seitens der Obrig- 
keit, sowohl ihrer legislativen (1. Pet. 2, 13), als der exekutiven 
(1. Kor. 6, 1. 3; Röm. 13, 4. 6). Alles hier Genannte, das der 
Obrigkeit ausdrücklich in der Schrift zugeschrieben wird als ihr 
Gebiet, ist zeitlich, bürgerlich, sozial, also äußerlich, im Gegen- 
satz gegen die geistlichen Dinge, die spiritualia. 

2. Daß nur die äußerlichen Dinge das Gebiet der Betäti- 
gung der Obrigkeit sind, bezeugt die Schrift auch dadurch, daß 
sie derselbigen nirgends die geistlichen Dinge 
z u w e i s t und vpn ihr als Pflegerin in geistlichen Din- 
gen redet. Man darf hier nicht auf die Obrigkeit in 
Israel unter dem alten Bunde sich berufen, denn 
einmal haben wir da eine Obrigkeit mit positiven, d. h. von Gott 
gestellten Ordnungen, und zum andern ist die ganze bürgerliche 
wie auch die zeremoniale Verfassung Israels für uns aufgeho- 


§69. Von der Obrigkeit. 


20 » 


beti. Man darf dies, daß das Neue Testament die Obrigkeit 
anweise, die geistlichen Dinge zu pflegen, nicht etwa schließen 
aus Röm. 13, 5, daß man um des Gewissens willen soll der Obrig- 
keit untertan sein. Denn es gibt Dinge, die es mit dem Gewis- 
sen zu tun haben, auch bei den Heiden (Röm. 2, 15), aber darum 
sind sie noch nicht geistliche Dinge, spiritualia , welche im wah- 
ren Gottesdienst und rechten Glauben bestehen. Gewissens- 
sachen und geistliche Sachen sind nicht identisch nach der 
Schrift, denn der Heide hat Gewissen und ist doch ganz und 
gar fremd von allem Geistlichen (Röm. 2, 15; Eph. 2, 12 vergl. 
mit V. 3. 5. 6). Man darf nicht vergessen, daß die Lehrer un- 
serer Kirche von Luther an allerdings insofern oft geistliche 
Dinge und Dinge des Gewissens identifizieren, als sie die letz- 
teren auf das Evangelium allein beziehen. Auch aus 1. Tim. 2, 
2 kann eine von Gott gewollte Betätigung der Obrigkeit in geist- 
lichen Dingen nicht geschlossen werden, denn es ist keineswegs 
der Sinn, daß die Obrigkeit, welche durch ihre Macht zwar ein 
stilles und geruhiges Leben, also bürgerlichen Frieden anrich- 
ten kann und soll, auch die Heiligkeit und Frömmigkeit anrich- 
ten soll Vielmehr lehrt der Zusammenhang dies: Bittet ihr 
Christen für die Obrigkeit, daß sie uns den Frieden erhalte, die 
wir als Christen in Gottseligkeit und Frömmigkeit wandeln. Gott 
ist das angenehm, denn wie er uns geholfen hat zu solcher wah- 
ren Gottseligkeit, will er allen Menschen dazu verhelfen in 
Christo (V. 4 — 7) und auch durch meine Predigt. Weil aber 
dies nicht guten Lauf haben kann, ohne daß bürgerlicher Friede 
ist und durch Verfolgung gehindert wird, darum betet für die 
Obrigkeit. Die Stelle sagt also vielmehr recht hell, daß die 
Obrigkeit die geistlichen Dinge nicht treibt. Dazu ist vielmehr 
das Predigtamt da (V. 7) ; die Obrigkeit soll nur äußerlichen 
Frieden erhalten. Wenn nun die Schrift die rechten geistlichen 
Dinge der Obrigkeit nirgends zuweist, so sind dieselben daher 
auch nach der Schrift nicht ihr Gebiet. 

3. Dies bezeugt die Schrift endlich auch dadurch, daß sie 
der Obrigkeit die geistlichen Dinge ausdrücklich 
abspricht. Was Gottes ist, soll Gottes bleiben (Matth. 22, 
21 ; Luk. 20, 25). Gottes ist aber gewiß sein Reich, oder Christi 
Reich, das Himmelreich mit allem, was nach der Schrift dazu 


210 § 6g. Von der Obrigkeit 

gehört. In diesem Reich ist der einzig regierende König Christus 
(Ps. 2, 6; HO, i. 2; Matth. 22, 44; Heb. 10, 12). Er regiert 
aber durch sein Wort und die Predigt des Worts, und schaffet 
durch beides alle Dinge in seinem Reich. So hat Gott alle geist- 
lichen Dinge für sich behalten, so daß nichts für die Obrigkeit 
bleibt 

So steht auch unser Bekenntnis. Zwar gesteht es der 
Obrigkeit die Erhaltung äußerlicher Zucht zu, 1 aber es spricht 
derselben alle Betätigung, Recht und Regierung in geistlichen 
Dingen ab. 2 

Wenn es in diesem Lehrpunkt heißt, daß die Obrigkeit zu 
tun hat mit den zeitlich-bürgerlichen Dingen als solchen, so 
soll dies dienen, die Grenze zu wahren zwischen äußerlichen und 
geistlichen Dingen. Ein Christ wandelt auch in bezug auf diese 
äußerlichen Dinge als ein Christ und dient als neuer Mensch in 
denselben auch Gott, aber in dieser Weise hat die Obrigkeit da- 
mit nichts zu tun. 

PUNKT III. 

Die Quelle , aus welcher die Obrigkeit ihre Ordnungen schöpft, 

ist die Vernunft nach dem ganzen Vermögen , welches die 

Schrift derselben zuschreibt, aber angemessen dem Gebiet, 

welches die Schrift ihr zuweist . 

Anmerkung: — Nach der Schrift begreift die Vernunft 
dreierlei Vermögen in sich : 

a) Ein Vermögen, in rein physischen Dingen zwischen 
Nützlichem und Schädlichem zu unterscheiden und überhaupt 
natürliche Dinge zu beurteilen (Jes. 40, 20; Luk. 16, 8; Spr. 
10, 15) ; 

b) ein Vermögen in moralischen Dingen, nämlich 
das eingeschriebene Gesetz und Gewissen (Röm. 2, 14. 15) ; 

c ) ein Vermögen in religiösen Dingen (Röm. 1, 19. 

20). 

Die Quelle für ihre mancherlei Satzungen hat die Obrig- 
keit, da sie nur mit den äußerlichen Dingen bis zur Erhaltung 


1 Apol. Conf., art . IV (II), 23, />. 9/. 

* Conf. Aug ., art. XXVIII, p. 63. 


§69. Von der Obrigkeit. 


211 


rein bürgerlicher Zucht zu tun hat, in dem unter a und b genann- 
ten Vermögen. Nach dem unter o genannten Vermögen be- 
stimmt sie im allgemeinen die Polizeiordnungen, nach dem un- 
ter b die ganze Rechtspflege und Handhabung bürgerlicher 
Zucht Dies letztere lehrt die Schrift klar Rom. 13, 3. 4. Da 
die Obrigkeit soll Gottes Dienerin sein und zunächst darin, daß 
sie die Bösen straft und die Guten schützt, so muß ihr Gott doch 
eine Anweisung gegeben haben, um zu entscheiden, was böse 
und gut sei, was, nebenbei hervorgehoben, doch auf das sitt- 
lich Gute und *Böse zu beziehen ist, nicht auf das physisch 
Schädliche und Nützliche. Denn ein Haus nicht geschickt bauen, 
nennt die Schrift doch nicht ein böses Werk, noch einen ge- 
schmacklosen Baumeister einen Übeltäter (1. Pet. 2, 14). Jetzt 
ist nur dreierlei möglich, nämlich : 

o) Gott hat aller Obrigkeit ein positiv, schriftliches Regle- 
ment gegeben ; 

b ) Gott hat der Kirche Auftrag gegeben, der Obrigkeit 
Licht zu geben ; 

c) Gott hat aller Welt etwas eingestiftet, wonach sie bis zu 
einem gewissen Grad über moralisch Gutes und Böses entschei- 
den kann. 

Das erste und zweite ist nicht der Fall, wohl aber das dritte. 
So ist gewiß, daß die Obrigkeit als Quelle und Norm für ihre 
besten und wichtigsten Satzungen in bezug auf Rechtspflege 
und Zucht das eingeschriebene moralische Gesetz nehmen soll. 
Dies tut sie auch wirklich, wie die Geschichte zeigt. 

Hierbei ist wichtig, daran zu erinnern, daß materialiter das 
natürliche und geoffenbarte Gesetz nicht verschieden sind, daß 
aber die Obrigkeit nirgends in Gottes Wort verpflichtet wird, 
nach dem geschriebenen Gesetz zu urteilen, daß trotzdem das 
verwerflich ist, was wider das geschriebene Gesetz geht weil es 
in Wahrheit auch gegen das natürliche Gesetz in seiner unver- 
stümmelten Form geht. Denn für diese Verstümmelung ist der 
natürliche Mensch ebenso unentschuldigt, wie für die Unter- 
drückung der anfänglichen Gotteserkenntnis (Röm. I, 18 — 21). 

In Antithese hierzu stehen: 

1.) Die Papisten, welche lehren, daß die Kirche als solche 
sich in bürgerliche Gesetzgebung mischen dürfe. Es ist etwas 



212 


§ 6p. Von der Obrigkeit. 


anderes, daß ein Bürger, der ein rechtschaffener Christ ist, als 
Bürger gegen üble Gesetze protestiert, und etwas anders, daß 
die Kirche als solche es tut. 

2.) In Antithese stehen auch diejenigen, welche es bestrei- 
ten, daß das natürliche Moralgesetz die vornehmste Norm für 
die Tätigkeit der Obrigkeit sei. Es ist freilich nicht zu begrei- 
fen, wie das in Abrede kann gestellt werden. Denn soll unter 
Licht der Vernunft, welche man als Norm für die Obrigkeit 
will gelten lassen, nur das Entscheidungsvermögen über rein 
physische Dinge verstanden sein, so ist nicht abzusehen, wie die 
Obrigkeit in Ehesachen sich legislativ und juristisch betätigen 
kann; und doch gehören Ehesachen unter ihre Jurisdiktion, wie 
auch Luther ausdrücklich erklärt. 

PUNKT IV. 

Die Obrigkeit hat die Gewalt, Gesetze zu machen, Gericht zu 

halten , Gehorsam zu fordern und Straf amt bis zur Todes- 
strafe zu üben. 

Anmerkung: — Daß die Gewalt, die Gott der Obrigkeit ge- 
geben : 

1. ) eine legislatorische sei, nämlich Gesetze zu 
machen, geht hervor aus Rom. 13, 3. 4. Da die Obrigkeit rich- 
ten und strafen soll, sowohl böse Werke, wie auch böse Men- 
schen, so muß sie zuvor Gesetze machen, deren Übertretung ein 
böses Werk ist, das unter ihre Jurisdiktion fällt. 

2. ) Daß sie eine richterliche Gewalt hat, folgt aus 
derselben Römerstelle ; denn ehe die Obrigkeit straft, muß sie 
richten. Dagegen spricht nicht 1. Kor. 6, 1 — 7. Die Stelle stellt 
nicht Gericht und Rechtspflege als ungöttlich dar, noch spricht 
sie heidnischen Obrigkeiten die göttliche Gewalt zu richten ab, 
sondeirrsie straft überhaupt das Rechten der Christen um Mein 
und Dein (V. 7) und dann das Bringen der Händel vor die 
heidnischen Gerichte, ehe man in der Gemeinde zu schlichten 
suchte (V. 5. 6). 

3. ) Daß die Obrigkeit auch Gehorsam fordert von Gottes 
wegen, lehrt Röm. 13, 1; 1. Pet. 2, 13. Dieser Gehorsam hat da 
eine Grenze und in dem Stück, wo von dem Bürger gefordert 
wird, etwas gegen Gottes Gebot und zumal gegen das Evan- 


§ 69. Von der Obrigkeit 


213 


gelium zu tun (Apg. 4, 19; 5, 29). Aber es entbindet nicht 
vom Gehorsam gegen die Obrigkeit, wenn diese ein ungerech- 
tes Gesetz, Auflage, Steuer usw. ordnet, wodurch man Schaden 
erleiden muß. Übel leiden ist nicht wider das christliche Ge- 
wissen, wohl aber Übel tun. Luther 1 sagt: „Wie? Wenn 
ein Fürst unrecht hätte, ist ihm sein Volk auch schuldig zu fol- 
gen? Antwort: Nein! Wider Recht gebührt niemand zu tun, 
sondern man muß Gott, der das Recht haben will, mehr gehor- 
chen denn den Menschen.” 

In der Antithese hierzu stehen: 

1. ) die Papisten, welche erklären, daß die Kirche, resp. der 
Papst, das Recht hat, die Gesetze der Obrigkeit zu rezensieren 
und, wo die Macht dazu da ist, zu ändern. 

2. ) Ferner sind hier zu nennen diejenigen, welche es für 
gerechtfertigt halten, daß ein Christ als obrigkeitlicher Beamter 
im Namen der Obrigkeit eine amtliche Verrichtung ausführe, 
die nach Gottes Gesetz verwerflich ist. 

3. ) Zu nennen sind auch die, welche der Obrigkeit das jus 
gladii , d. h. das Recht, Krieg zu führen und die Todesstrafe zu 
verhängen, absprechen. Daß dies Recht der Obrigkeit von Gott 
gegeben ist, zeigt Rom. 13, 4. Die Antithetiker : Sozinianer, 
Anninianer, Anabaptisten, Mennoniten, Quäker, Weigelianer 
verfechten ihre Irrlehre durchaus mit Vernunftgründen. 

Ein besonderer Streitpunkt ist hier die Hinrichtung von 
Ketzern durch die Obrigkeit. Papisten und Kalvinisten billigen 
dieselbe. Bellarmin: 2 Nos igitur breviter ostendemus , hae- 
reticos incorrigibiles, ac praeserüm relapsos, posse ac debere ab 
ccclcsia rejici, et a saecularibus potestatibus temporalibus poenis 
atque ipsa etiam morte mulctari. Zanchius: 3 Ontnes fere ex 
nostratibus hu jus sunt sententiae , cjuod haeretici sint gladio pu - 
niendi . So sprechen sich auch aus Bucanus, Beza. Es 
ist dies derselbe Geist, der als puritanischer hier bei uns Fröm- 
migkeit mit Staatsgewalt erzwingen will. Daß diese papistische 
und kalvinistische Lehre falsch ist, zeigt Matth. 13, 29. 38, wo 


1 Schrift von der weltl. Obrigkeit, Lpz. Ausg., B. XVIII, S. 401. 
402 

2 Disputat tont. 77 , de iaicts , Hb, III , cap. XXI, 3, p , 31Q. 

3 M iscellan,. ton 1. II, cap. de magistratu , 



214 


§69. Von der Obrigkeit. 


Christus die leibliche Ausrottung (der Acker ist die Welt) der 
Gottlosen der Kirche verbietet. Quenstedt: 4 Haeretici, qui 
fundamentum religionis impugnant, sed xta, ut judicii imbecilli- 
tate errent, nec subditos contra magistratum concitent, et a nta- 
gistratu regno exire jussi, libenter pareant, non supplicio capi- 
tali, sed excommunicatione et exilio castigandi sunt et coercendi. 
Qui vero non modo blasphemos errores voluntaria malitia disse- 
minant, sed etiam turbas excitant et subditos in magistratum ar~ 
mant, et e territorio magistratus exire jussi , cedere recusant , jure 
et vinculis coerceri, et si voluntarie insanire pergunt, capitis sup- 
plicio afüci possunt. So viel ist nach der Schrift gewiß, daß die 
Obrigkeit auch gegen Irrlehrer und deren Anhang mit aller 
weltlichen Macht vorzugehen befugt, ja verpflichtet ist, wo es 
die öffentliche Ruhe, der Schutz der Rechtschaffenen und der 
bürgerliche Friede verfangt, den Gott durch die Obrigkeit ja 
will erhalten haben (Rom. 13, 4. 6; i. Tim. 2, 2). 

Der dem papistisch-kalvinisti sehen Irrtum diametral entge- 
gengesetzte ist der der Sozinianer, Arminianer, Anabaptisten, daß 
nämlich schlechterdings die Obrigkeit gegen Irrlehre nicht ein- 
schreiten soll. Schlichting: 5 Nulla unquam tetrior et ca - 
pitalior et effectu saevior ac truculentior fuit haeresis, quam 
haereses civili magistratni puniendas et ulciscendas subjicere . 

PUNKT V. 

Der Zweck der Obrigkeit ist Gottes Ehre. 

Anmerkung: — Da die Obrigkeit Gottes Dienerin ist (Rom. 
13, 4), so muß ihr letzter Zweck Gottes Ehre sein (Unis princi - 
palis , ultimus). Aber sie soll auch Gottes Dienerin allen recht- 
schaffenen Bürgern zugute sein (Rom. 13, 4. 6; 1. Tim. 2, 2 — ’ 
das (toi bezieht sich auf einen, der ro ayaOov votet, nicht auf 
alle Menschen ohne Unterschied). So ist also ein mittelbarer 
Zweck (Unis intermedius) das Wohl der Menschen (bonum pu- 
blicum). Hollaz: 1 Magistratus civilis ordinatus est ob bo- 
num publicum , idqne quadruplex: 1) ecclesiasticum , sunt enim 


4 Thcol. did . pol, pars IV, cap. XIII, scct. II, qu. VI, thes., p. 440. 

5 Ad. Jok. 6, 67, p . 55. 

1 Examen, pars IV, cap. III, qu. XIV, b. />. 899. 


§ 7 o. Vom Hausstande. 


215 


reges nutritii ecclesiae et episcopi extra templum. 2) Civile, dum 
civium commoda tuetur et hostes externos a finibus patriae pro - 
pulsat . 3) Morale , quatenus honestas praescribit leges, quibus 

subditi in officio continentur, ut vitam tranquillam agant in pie- 
tate et hone state, r . Tim. 2, 2. 4) Naturale , quod promovet sub- 
ditis de commeatu et aliis necessariis. Daß als erstes bonum das 
ecclesiasticum genannt wird, hat im allgemeinen darin Schrift- 
grund, daß nach der Schrift Gott überall in seinem Walten und 
Regieren die Kirche im Auge hat (1. Kor. 3, 21 — 23; Matth. 24, 

22) . Die Könige sollen Pflegerinnen der Kirche sein (Jes. 49, 

23) , was so manche (2. Chron. 17, 7 — 9), selbst heidnische 
Obrigkeiten getan haben (Dan. 3, 29). Die lutherischen Dog- 
matiker und Kirchenrechtslehrer fassen diese Aufgabe der Obrig- 
keit zusammen in das obrigkeitliche jus circa sacra. Dasselbe hat 
es nicht mit Feststellung rechter Lehre und Ordnung der Sa- 
kramente zu tun, sondern mit dem äußeren Schutz und äußerer 
Verbreitung der Kirche. Geier sagt zu Dan. 3, 29 von dem 
jus circa sacra: Magistratus tanquam Dei veri vicarius prir 
maeque tabulae custos digne facit officio , edicta promulgando, 
quibus religionis veritas honorque debitus asseritur omniaque pie- 
tatis obstacula aut offendicula e medio tolluntur . Huc ejusdem 
cura de purae doctrinae per sy nodos investigatione , investigatae 
promulgatione, promulgatae propagatione et defensione. Item 
cura templorum . scholarum, salariorum, disciplinae ecclesia- 
sticae , doctorum rite vocandornm etc. Selbstverständlich hat dies 
alles nur seine Geltung, wo ein Land als Ganzes der reinen Lehre 
zugetan ist und ebenso auch die Obrigkeit als einer der drei 
Stände der Kirche in dieser steht. 


§ 70. 

Vom Hausstande. 

(De statu oeconomico.) 

LEHRSATZ. 

Der Hausstand ist Gottes Ordnung und hat den Zzveck, zu Gottes 
Ehre der Auferziehung eines neuen, heranwachsenden Ge- 
schlechts in der Furcht des Herrn zu dienen. 

Anmerkung: — Der Hausstand ist göttlicher Ordnung, weil 



216 


§ 70- Vom Hausstande. 


die Ehe von Gott gestiftet ist (i. Mose i, 27; 2, 18; Matth. 19, 
4; 1. Tim. 2, 15). Darum auch, weil die Ehe den Hausstand 
gründet und auch deren Kern ist, handeln manche Dogmatiker, 
z. B. Quenstedt, nur von der Ehe und nicht vom Hausstand. 

Das Wesen der Ehe besteht in der von Gott gesetzten 
und von Gott für unauflöslich erklärten freiwilligen Gemein- 
schaft von Mann und Weib zu einem Fleisch (1. Mose 2, 24 ; 
Matth. T9, 5 ; 1. Mose 24, 57). F r e i w i 1 1 i g ist diese Gemein- 
schaft, weil sie durch freiwillige Zustimmung der die Ehe schlie- 
ßenden Personen zustande kommen soll. Consensus facit con- 
jugium. Zur legitimen Ehe ist aber nicht nur die Zustimmung 
der die Ehe schließenden Personen, sondern zuvor schon die der 
Eltern erfordert. Verlöbnis (sponsalia) ohne Willen der 
Eltern ist ein heimliches (sponsalia clandestina) , ungültiges 
und nichtiges. Die Notwendigkeit und Wichtigkeit der elter- 
lichen Zustimmung beruht im allgemeinen auf dem vierten Ge- 
bot, im speziellen darauf, daß nach der Schrift die Eltern das 
Recht haben (2. Mose 34, 16; 5. Mose 7, 3; Jer. 29, 6; r. Kor. 
7, 36.37), die Kinder zu verheiraten. Dieses Recht ist auch be- 
stätigt durch 2. Mose 22, 16. 17; 4. Mose 30, 4, denn da nach 
letzterer Stelle der Vater ein ohne seine Zustimmung gemachtes 
Gelübde an Gott, wodurch das Kind der väterlichen Gewalt ent- 
zogen würde, aufheben kann, so auch das von Sohn oder Toch- 
ter einem Weibe oder Manne gemachte Vcrlöbnisgelübde, durch 
welches ja auch der Sohn oder die Tochter der Gewalt des Va- 
ters entzogen werden. So sagt auch J u s t i n i a n '} Justas 
nuptias int er se contrahunt , qui sccundum praecepta legum 
coeunt , masculi quidem puberes , feminae autem viri potentes , 
sive patres familiarum sunt , sive filii familiarum, dum tarnen , 
si filii familiarum sunt , consensum habeant , quontm in potestate 
sunt . Nam hoc deri debere , et cknlis et naturalis ratio suadet 
in tantum, ut jussus parentum praecedere debeat. Für den Fall, 
daß die Eltern ihre elterliche Macht mißbrauchen, gilt, was 
Quenstedt sagt : 1 2 Et si parentes ofücii sui parum memores 
f uer int, vel potestate patria abuti velint } magispratus in locum 


1 Institut, de nuptiis, lib . I. 

2 Theol did. pol., pars IV, cap. XIV , sect I , thes . III, nota, p. 4$e. 


§ 7o* Vom Hausstände. 


217 


parentum succedat. Jn unseren Verhältnissen folgt den Eltern 
natürlich die Gemeinde. 

Das Verlöbnis, welches die Ehe begründet ( causa ma~ 
trimonii antecedens , disponens ac praeparans sunt sponsalia), 
ist entweder öf fentlich ( sponsalia publica) oder geheim 
(sponsalia clandestina). Letzteres ist das ohne legitime elter- 
liche Zustimmung geschlossene Verlöbnis. Es bleibt heimlich, 
verwerflich und ungültig, wenn es auch sonst vor vielen Zeugen 
geschah. Die Verwerflichkeit des heimlichen Verlöbnisses ist 
offenbar aus der oben bewiesenen Notwendigkeit der elterlichen 
Zustimmung. 

Zu dem Konsens der Eltern kommt noch hinzu der Konsens 
der Obrigkeit. Aus weisen Gründen fordert die Obrigkeit, 
daß alle, die sich zur Ehe entschlossen haben, dazu ihre Erlaub- 
nis einholen. Da nun Gottes Wort sagt : „Seid untertan aller 
menschlichen Ordnung” (i. Pet. 2, 13; Rom. 13, 1; Tit. 3, 1), 
so ist die Ehe nur dann eine legitime, wenn auch der Konsens 
der Obrigkeit dazu erlangt ist. 

Der Ehebund ist nach Gottes Einsetzung unlöslich (1. 
Mose 2, 24; Matth. 19, 6). Nur Sünde, nämlich Ehebruch 
(Matth. 19, 9) und die ihm gleichstehende böswillige Verfassung 
(1. Kor. 7, 15), löst den Ehebund. Ist durch Ehebruch oder 
böswillige Verfassung faktisch die Ehe geschieden, so darf die 
Scheidung auch bestätigt und proklamiert werden und dem un- 
schuldigen Teil die Eingehung einer anderen Ehe gestattet wer- 
den (Matth. 19, 9). Es gibt sonst keine vor Gott berechtigte 
Scheidung der Ehe. Scheiden sich Eheleute aus anderen Grün- 
den, so sind sie Ehebrecher ; und das sind auch die, welche un- 
rechtmäßig geschiedene Männer oder Frauen heiraten, denn vor 
Gott ist die erste Ehe nicht geschieden (Matth. 19, 9; 5, 32). 

Eine legitime Ehe können nur die schließen, 
welche in keinem 3. Mose 18 angegebenen Grade verwandt sind, 
sei es durch Blutsverwandtschaft (consmguinitas) oder durch 
Verschwägerung (affinitas). Niemand soll sich nach 3. Mose 18, 
6 mit einer Person verehelichen, die seines Fleisches Fleisch ist, 
sei es durch Blutbande oder Verschwägerung. Zu nahe Ver- 
wandtschaft bildet ein Ehehindemis und zwar nicht nur ein auf- 
schiebendes (impedimentum impediens ), sondern ein trennendes 


218 


§ 7o* Vom Hausstande. 


(impedimentum dirimens). Eine so geschlossene Ehe ist ein 
matrimonium annihilatum. Ein viel verhandelter Fall ist die 
Ehe mit der Schwester der verstorbenen Frau. Der allgemeine 
Grundsatz 3. Mose 18, 6 verbietet sie, denn die verstorbene Frau 
war des Gatten Fleisch, die Schwester also des Fleisches Fleisch. 
Aber man hält die Ehe gestattet durch 3. Mose 18, 18. Mit Un- 
recht, denn dieser Vers enthält einfach das Verbot der Poly- 
gamie. „Du sollst auch deines Weibes Schwester nicht nehmen” 
heißt: Du sollst nicht ein Weib zu dem schon vorhandenen 
nehmen. So heißt Jes. 6, 3: „Und einer rief zum andern” 
wörtlich : Ein Engel rief zu seinem Bruder. Dieser Sprach- 
gebrauch von Bruder und Schwester zur Bezeichnung von „ein 
anderer” und „eine andere” findet sich vielfach im Alten Testa- 
ment. Übrigens zeigen V. ipff., daß ja das Gebiet der Ver- 
wandtschaft verlassen wird; so zwingt nichts, sie in V. 18 durch- 
aus noch anzunehmen. 

Der Zweck des Ehestandes ist, wie überall, absolute die 
Ehre Gottes, sodann neben dem Guten, das Mann und Weib im 
Ehestand durch sich gegenseitig haben sollen (1. Mose 2, 18; 
Eph. 5, 25 — 29. 31; Kol. 3, 19), die Auferziehung des heran- 
wachsenden Geschlechts in der Zucht und Vermahnung des 
Herrn (Eph. 6, 4; Kol. 3, 2t; 5. Mose 6, 7. 20; Spr. 19, 18). 
Wie darin die Hauptpflicht der Eltern den Kindern gegenüber 
besteht, so sind die Kinder wiederum den Eltern Gehorsam schul- 
dig (2. Mose 20, 12; Eph. 6, 1; Kol. 3, 20). Das christliche 
Haus ist eine ecclesiola in ecclesia , deren Priester der Hausherr, 
daher auch der Gottesdienst nicht fehlen darf (5. Mose 6, 7; 1. 
Mose 18, 19; 2. Kor. 12, 14). Selbstverständlich kann Gegen- 
stand des Hausgottesdienstes nichts sein, was in den Bereich des 
Predigtamts gehört, also nicht die Verwaltung der Sakramente 
und die Predigt, sofern Sie öffentlich ist, d. h. zu andern als den 
Gliedern des Hauses geschieht. 


§ 71 . 

Der grösste Feind der Kirche, oder 
der Widerchrist. 

(De antichristo.) 

LEHRSATZ. 

Der in der Schrift geweissagte grosse Widerchrist und grösste 

Feind der Kirche ist nickt mehr zu erwarten , sondern be- 
reits im Papsttum vorhanden. 

Anmerkung: — Feinde der Kirche sind einmal die Schis- 
men und die Häresie, zum andern auch der Unionismus, oder 
Synkretismus. (Der Synkretismus tritt, abgesehen von den man- 
cherlei Unionsversuchen schon zu Luthers Zeiten, mit Georg 
Calixt, seit 1614 Professor der Theologie in Helmstädt, so recht 
in der Reformationsgeschichte auf. Er fand seinen heftigsten 
Gegner in Calov.) Der Hauptfeind der Kirche ist der Wider- 
christ, oder Antichrist, der große Antichrist, denn im all- 
gemeinen Sinne wird alles Widerchrist genannt, was 
dem Reich Gottes entgegen ist (1. Joh. 2, 18. 22 ; 4, 3 ; 2. Joh. 
7). Im strengen Sinne bezeichnet das Wort den Erbfeind der 
Kirche (Dan. n, 36—39; 1. Joh. 2, 18; 2. Thes. 2, 3. 4. 9 — 12; 
Off. 13, 11 — 18: 17, iff.). „Und der König wird tun, was er 
will, und wird sich erheben und aufwerfen wider alles, das Gott 
ist” (Dan. 11, 36). „Der Mensch der Sünde, und das Kind des 
Verderbens, der da ist ein Widerwärtiger und sich überhebt 
über alles, das Gott oder Gottesdienst heißt” (2. Thes. 2, 3. 4). 

Die Hauptkennzeichen des Widerchrists nach der 
Schrift sind : 

1. ) Er geht weder aus dem Heiden- noch Judentum hervor, 
sondern aus dem Christentum (2. Thes. 2, 3. 4; 1. Joh. 2, 18. 
19). Paulus, der den Antichrist beschreibt, deutet klar genug 
an, daß derselbe in dem Abfall, nämlich von Gottes Wort, hervor- 
trete, also aus der Kirche hervorgehe. Ausdrücklich bezeugt 
dies auch Johannes (V. 19). 

2. ) Der Antichrist ist nicht Satan selbst, auch nicht eine 
Personifikation desselben, sondern ein Mensch (2. Thes. 2, 3), 
dessen Kommen nach der Wirkung Satans geschieht (2. 



220 § 7* Der größte Feind der Kirche, oder der Widerchrist. 

Thes. 2, 9). Der Antichrist wird also deutlich vom Satan, dem 
Urheber, als dessen Werk unterschieden. Doch ist dieser Mensch 
nicht ein Geschöpf Satans und heißt nicht Mensch der Sünde, 
als der in der Sünde seinen Ursprung hätte, sondern als Mensch 
ist er Geschöpf Gottes. 

3. ) Der Antichrist ist nicht eine einzelne Person, sondern 
eine Gesamtheit von Personen, deren jede einzelne ist, als was 
der Mensch der Sünde in Thes. 2, 2ff. beschrieben ist, so daß in 
jeder neu auf tretenden Person doch stets ein und derselbe vor- 
handen ist und also das Kommen und Gehen der einzelnen Per- 
sonen insofern ohne Bedeutung ist. Beweis hierfür ist wiederum 
2. Thes. 2, 2ff., wonach der Antichrist bis zum Jüngsten Tag 
dauert (V. 8) ; aber er hat nun, da er schon zu Pauli Zeiten war 
(V. 7), nur heimlich, um offenbar zu werden, wenn das Auf- 
haltende hinweggetan (V. 7), schon Jahrhunderte hindurch ge- 
dauert. Da also der Antichrist durch solch langen Zeitraum 
dauert und doch Mensch ist, so ist das die schriftgemäße An- 
nahme, daß unter dem Antichrist eine Reihenfolge wirklicher 
menschlicher Persönlichkeiten zu verstehen sei. 

4. ) Der Widerchrist hat seinen Sitz in der Kirche Gottes, 
in der Christenheit (2. Thes. 2, 4). Er setzt sich in den Tempel 
Gottes, worunter nicht der zu Jerusalem zu verstehen ist (pa- 
pistische Ausflucht). Da Christus ja selbst dem Tempel zu 
Jerusalem den Untergang diktiert (Matth. 23, 38; 24, 2; Luk. 
19, 44), so kann Paulus nicht von demselben als bis zum Jung 
sten Tag dauernd reden. Der Tempel ist nach Auslegung der 
meisten alten Kirchenlehrer und aller rechtgläubig lutherischen 
Theologen die Christenheit. Das .Sitzen des Antichrists 
im Tempel ist Bezeichnung des antichristlichen Reichs als eines 
festen, ferner Bezeichnung der Herrschaft des Antichrists 
als einer über die Herzen und Gewissen der Christen, denn das 
Sitzen im Tempel als Gott und das Sichüberheben über alles, 
was Gott und Gottesdienst heißt (nämlich was nach Gottes Offen- 
barung mit Recht so heißt), ist Anmaßung der geistlichen Herr- 
schaft über Herzen und Gewissen durch falsche Lehre unter 
Beseitigung der rechten Lehre. Der Antichrist ist also keine 
Weltmacht, nicht grobes, wüstes Anstürmen gegen alles 
Christliche mit äußerlicher Gewalt, sondern ein Herrschen über 


§ 71 . Der größte Feind der Kirche, oder der Widerchrist. 221 

die Gewissen und Herzen der Christen unter dem Schein des 
Gottesdienstes und Christentums. 

5.) Der Widerchrist tritt auf, wenn das ihn Aufhaltende 
hinweggeräumt und ihm Platz gemacht ist (2. Thes. 2, 7). Sein 
Kennzeichen ist hiernach mächtiges Hervortreten nach dem Fall 
# einer andern ihn niederhaltenden Macht. 

Das nun, worauf alle diese Anzeichen trefflich, ja allein 
passen, ist das Papsttum, und dieses daher der Widerchrist. 
Selbst Georg Calixt, der ja zur Union zwischen Römischen und 
Lutherischen mithelfen wollte, gesteht: Auf den römischen 
Papst paßt die paulinische Beschreibung vortrefflich. Davon 
kann man sich leicht überzeugen : 

1. ) Der Widerchrist ist der Mensch der Sünde, dessen Reich 
die Sünde ist, der nur Werkzeug ist, die Sünde zu mehren, aus- 
zubreiten und zur Herrschaft zu bringen. Das Papsttum aber 
ist in vielen Vertretern eine Musterherrschaft von Sünde. Ehe- 
bruch, Sodomiterei, Mord, Simonie, Meineid, Treulosigkeit ha- 
ben oft den päpstlichen Stuhl befleckt. Und dazu sagt Luther 
recht, daß das Papsttum der Mensch der Sünde sei, weil Cr durch 
seine Gebote unzählige Dinge zur Sünde gemacht, die Gott nicht 
dazu gemacht, und die Menschen dadurch sündigen macht 
und die Welt mit Sünde erfüllt hat. Und vornehmlich erhält 
der Papst die Herrschaft der Sünde, weil er dem Glauben wehrt, 
der allein zur Seligkeit und frommem Leben hilft. Luther in 
den Art . SmaL : „Zuletzt ist nichts denn eitel Teufel, da er seine 
Lügen von Messen, Fegfeuer, Klöstcrei, eigen Werk und Got- 
tesdienst, welches denn das rechte Papsttum ist, treibet über und 
wider Gott, verdammt, tötet und plagt alle Christen, so solchen 
seinen Greuel nicht über alles heben und ehren”. 

2. ) Er sitzt im Tempel Gottes und gebärdet sich wie Gott. 
Der Papst herrscht in der Christenheit. Er hat einen 
christlichen Schein, als führte er vor allen andern die Sache 
Christi. Er herrscht tyrannisch über die Gewissen seiner An- 
hänger. Er gebärdet sich wie Gott, denn er macht Glaubens- 
artikel und schreibt gewissenbindende Gesetze vor, was beides 
nur Gott gebührt. 

3. ) Er überhebt sich über alles, was Gott und Gottesdienst 
heißt. Seine Dekrete gelten ihm viel mehr als Gottes Wort, dem 


222 § 71. Der größte Feind der Kirche, oder der Widerchrist. 

sie widersprechen. Selbst Calixt sagt: Der Papst schreibt es 
sich zu, daß es eine viel größere Sünde ist, ihn zu beleidigen, als 
Gott zu beleidigen. Luther sagt in den Art . SmaL: 1 „Er 
will die Christen nicht lassen selig sein ohne seine Gewalt, welche 
doch nichts ist, von Gott nicht geordnet, noch geboten. Das heißt 
eigentlich über Gott und wider Gott sich setzen, 
wie S. Paulus sagt 2. Thes. 2, 4.” 

4. ) Er verleugnet Christum. Er setzt Christum ab und sich 
selbst an Christi Stelle. Vortrefflich sagt Spanheim: „Das 
prophetische Amt Christi hebt der Papst auf durch seine 
T raditionen, das königliche durch die Gewalt, die er sich 
anmaßt, das hohepriesterliche durch die Opfer, welche 
er von seinen Priestern verwalten läßt.” Wie kann der Papst 
mehr wider Christum stehen als durch die Erklärung im Conc. 
Trid . : Wer da sagt, daß der Mensch durch den Glauben gerecht 
werde, der sei verdammt! 

5. Er lästert Gott. Er tut's, weil er sich an Gottes Stelle 
setzt. Er tut’s, weil er sich göttliche Majestät anmaßt und sich 
über Gottes Wort stellt. Denn er schreibt sich zu, daß er unfehl- 
bar sei und man ihm glauben müsse, weil er es sage. Er dürfe 
von niemand gerichtet werden, also auch nicht durch die Schrift, 
deren Richter ja vielmehr er ist. 

6. Er verfolgt die Gläubigen und wahren Heiligen. Dafür 
liefert die Geschichte reichlich Beweise. 

Wer kann also noch im Zweifel sein, ob der Papst der An- 
tichrist äst? Selbst Spencr sagt in einer Reformations- 
predigt vom Jahre 1687: ,,Wer das päpstliche Reich nicht für 
das antichristische erkennt, der steht noch nicht so feste, daß er 
nicht durch diese oder jene Verleitung möchte dazu verführt 
werden”. Wie sehr er recht hat, zeigt der Lauf derjenigen pro- 
testantischen Richtungen in Deutschland, England und auch hier 
in Amerika, welche ferne davon, den Papst für den Widerchrist 
zu erkennen, vielmehr manches Treffliche und für die protestan- 
tische Kirche Wünschenswerte in ihm und an ihm suchen. Sie 
sind in ausgesprochen papistische Bahnen eingelenkt. 

So gewiß wir nach der Schrift das Papsttum für den Anti- 


1 Art. IV, 10, p. 308. 


§ ?i. Der größte Feind der Kirche, oder der Widerchrist- 203 

Christ halten, so gewiß diese Lehre auch ein Teil unsers Bekennt- 
nisses ist a , so gewiß ist doch richtig, was Quenstedt sagt 8 : Non 
autem dicimus, quaestionem hatte de antichristo esse taletn, cujus 
decisio omnihus christianis ad salutem scitu sit necessaria, vel 
ignoratio per se dantnabilis . Und in der Darlegung des Status 
controversiae äußert er sich über die Wichtigkeit dieser Lehre 
dahin : Non est quaestio de fundamentali aliquo articulo fidei, cu- 
jus ignoratio vel negatio damnat, sed de articulo fidei non funda- 
mentali. Es ist aber im Auge zu behalten, daß die Begriffe 
„fundamental” und „nicht fundamental” sich auf die Seligkeit 
und nicht auf die kirchliche Gemeinschaft beziehn. Wir spre- 
chen dem, der diesen Artikel nicht glaubt, die Seligkeit nicht ab, 
wohl aber die lutherische Kirchengemeinschaft. 

In Antithese hierzu stehn selbstverständlich die Papi- 
sten. Sie leugnen zwar nicht, daß es einen Widerchrist gibt, 
aber sie leugnen, daß der Papst der Widerchrist sei. B e 1 1 a r - 
min sagt 2 3 4 : Magna impudentia haeretici pontificem romanum 
faciunt an ti Christ um. 

Antithetiker sind ferner die romanisierenden Protestanten, 
außerdem ältere und neuere Chiliasten, die alle noch einen per- 
sönlichen Antichrist erwarten ; so R i n c k ; Lutbardt 5 : 
„Mit der Anerkennung des unleugbaren antichristlichen Wesens 
des Papsttums (vergL Bonifaz. VIII: Subesse pontißci romano 

esse de necessitate salutis) verträgt sich wohl, daß nach 

der Schrift das Anti Christentum eine höchste Steigerung und 
Machtentfaltung in einer persönlichen Konzentration fin- 
den wird.” Dagegen: Welche Steigerung soll denn noch kom- 
men nach der Verdammung des Evangeliums von der Glaubens- 
gerechtigkeit? Ferner ist doch das aufs höchste gesteigerte An- 
tichristen tum im Papsttum ja beständig konzentriert gewesen in 
jedem Papst als Träger. Endlich ist Machtentfaltung gar kein 
Charakteristikum des Widerchrists, da ja Christus keine welt- 
liche Macht beansprucht, denn er sagt: „Mein Reich ist nicht 
von dieser Welt.” Ebenso, wie Luthardt, steht auch R o h n e r t. 

2 — Apol, art. IV, 23 , p . r$6; Art. SmaL, art. IV, 14, p . 308; 39 ff 
p. 336; Sol decl ., ort . X, p. J02. 

3 Thcol. did. pol, pars IV. cap. XVI, sect. II, qu. f ecthes. I, p. 328. 

4 Disputot cf. Qrt .. /. c., sect. II, qu., antith p. 529. 

5 Lehre von den letzten Dingen ; Komp, der Dogmatik, § 76. S. 383 


224 § 71 . Der größte Feind der Kirche, oder der Widerchrist. 

Er sagt 0 : „Daß wir unter dem großen Antichrist eine für die 
Endzeit noch zu erwartende Erscheinung zu verstehen haben, 
und diese nur eine Einzelperson sein kann”. Das Haupt- 
argument aller genannten Antithetiker ist dies, daß nach der 
Schrift der Widerchrist eine Person, nicht eine Mehrheit von 
Personen sei ; daher sei das Papsttum nicht der Antichrist. Gut 
erwidert Quenstedt 7 : Antichristum certam et unicam per- 
sotiam fore, scriptura nullibi dicit . In Daniele unus rex no- 
minatur, non unus numero res r. Et fatetur ipse Fraaic. Ribera? in 
Comment. Apocal. 17., non esse inusitatum in scriptura , ut in 
uno rege multi similes intelligantur . 

Die lutherische Auslegung ist also ganz berechtigt. Die 
Schrift redet von einer Person, begrenzt aber die Existenz der- 
selben nicht in der Weise, daß an ein einzelnes Individuum ge- 
dacht werden müßte, oder auch nur könnte. Anderseits ist Ver- 
schiedenheit der Namen, selbst der Charaktere der einzelnen 
Päpste, wie die Geschichte bezeugt, ganz unwesentlich gewesen. 
Tatsächlich war immer ein und derselbe Papst. Quenstedt sagt 
weiter 9 : 4. Apud Matthaeum audio pseudo christos et pseudopro- 
phetas, cosque multos , cap . XXI V , 11 24, Unicam antichristi 
personam non audio . ... 5. Scriptura enim saepe singulärem nu- 
merum pro plurali ponit, sic . Joh. 4 , 37 — alius est, qui 

seminat, ct alius , qui metit, non unus , sed multi intelliguntur . 

Noch berufen sich Papisten, Chiliasten und fast alle neuren 
Theologen darauf, daß erst der große Abfall kommen müsse, ehe 
der Antichrist komme. Also, sagt Bellarmin triumphierend, kann 
es der Papst nicht sein. Schmachvollerweise stimmen hier Pro- 
testanten mit ein. Wie wenig muß denen doch Christus gelten, 
welche es noch nicht als den Abfall ohnegleichen ansehn, daß der 
Papst die Lehre verdammt, daß der Mensch durch den Glauben 
an Christi Verdienst selig wird ! Welcher greulichere Abfall 
soll denn noch kommen? Es ist aber eben das Elend bei allen 
chiliastischen Schwärmern, daß ihnen der wahre geistlich evange- 
lische Sinn fehlt. 

6 Dogmatik, § 51, S. 584. 

7 L. c. t obj. diaL, Fj p. 531. 

8 Ein Jesuit. 11m 1549 Missionar im Kongoland. Nach 5 Monaten 
taufte er schon 1700 Eingeborene. Er wurde von Loyala abberufen. 

9 /.. c. 


Von den letzten Dingen. 

{De novissimis .) 


§ 72 . 

Vom Zustand nach dem Tode. 

(De statu post mortem.) 

LEHRSATZ. 

Die durch den Tod vom Körper geschiedenen Seelen befinden 
sich in der Zeit zwischen dem Tod und Jüngstem Gericht 
nicht in einem Zwischenzustand (status intermedius) ; die 
gläubigen Seelen sind nicht in einem schlafenden oder halb- 
seligen Zustand, und die gottlosen Seelen nicht in einem 
noch zwischen Rettung und Verdammnis schwebenden Zu- 
stand , sondern die gläubigen Seelen kommen sofort zur se- 
ligen Anschauung Gottes und die gottlosen Seelen sofort in 
die ewige Verdammnis . 

Anmerkung : — Nach der Heil. Schrift sind die Gläubigen 
in diesem Leben bei dem Herrn (Joh. 17, 21. 23) und er- 
kennen Jesum im Glauben (Joh. 17, 3). Es wäre daher nicht 
ein Fortschritt, wie sonst überall im Reiche Gottes, sondern ein 
Rückschritt, wenn nach dem Tode die Seelen der Gläubigen in 
einem halbschlafenden Zustand wären, wo sie Jesum nicht actu 
erkennten. Wie könnten sie da überhaupt im Leben sein (Joh. 
17, 3) 5 Sie wären ja getrennt von Christo. 

Es sagt aber auch die Schrift schlechterdings 
nichts von einem Zwischenzustand zwischen Glauben hier 
und vollem Genießen dort, Paulus kennt in dem locus classicus 
für die Lehre über den Zustand der gläubigen Seele nach dem 
Tode, nämlich 2. Kor. 5, 1 — 10, nach dem Wandel hier auf Er- 
den im Glauben nur ein sofortiges Wandeln im Schauen, da nach 
dem Ablegen der Leibeshütte die mit der Gerechtigkeit Christi 
bekleidete Seele überkleidet wird mit dem himmlischen Hause 
der Herrlichkeit. Hier war der Leib die Hütte der Seele; 
dort wird sofort nach dem Tode der Himmel mit seiner Herr- 
lichkeit das die Seele bergende Haus sein. Und zwar sagt die 
Schrift : Wir haben ein Haus i m Himmel. Sie gibt uns 



§ 72. Vom Zustand nach dem Tode. 


damit zu bedenken, daß jede Seele definitive gleichsam immer 
nur einen Teil des ganzen Himmels einnimmt, der eben dann 
i h r Haus i m Himmel ist. So auch unsere Dogmatiker: Coelum 
est ttov com m u n e electorum , oui a vero cujusvis pro- 
prium ir ov i n c o € l i s. Wichtig ist, daß der Apostel das Prä- 
sens c^oftev braucht. Er zeigt damit die unmittelbare Folge an, 
und spricht damit zugleich so entschieden wie möglich gegen 
einen noch dazwischen sich einschiebenden Zwischenzustand. 
Daß sofort auf das Ableben im Glauben die volle Seligkeit folgt, 
sagt Paulus auch Phil, i, 23 vergl. mit V. 21. Paulus hat Lust 
abzuscheiden und bei Christo zu sein. Weil er da sein wird 
nach seinem Scheiden, darum ist ihm (V. 21) Sterben ein Ge- 
winn. Folgt aber auf das Sterben nicht die vollkommene Selig- 
keit für die Seele, so wäre Sterben kein Gewinn zu nennen. 
Ferner ist nach Luk. 16, 22 Lazarus sofort nach dem Tode im 
Paradies, in welchem auch, wie die Stelle ebenfalls bezeugt, die 
Gläubigen des Alten Testaments sofort nach ihrem Tode sind. 
Und nach Luk. 23, 43 verheißt Christus dem Mörder: „Heute 
wirst du mit mir im Paradiese sein”; also sofort nach dem Tode 
tritt er in die Seligkeit ein. 

Schon als Gegenstück der aus den angeführten Stellen gege- 
benen Lehre bezüglich der Gläubigen ergibt sich die s o f o r t i g e 
V erdammnis der Gottlosen nach dem Tode. Am klarsten 
lehrt dies Luk. 16, 22 — 31. Der reiche Mann ist sofort nach dem 
Tode in der Qual und zwar in der ewigen (V. 26). Ebenso klar 
ist Apg. r, 25. Judas ist gegangen an seinen Ort. Sein Ort 
ist nach seiner Sünde und nach seinem Tode in un vergebener 
Sünde und in Verzweiflung des Unglaubens die ewige Verdamm- 
nis: denn: „Wer aber nicht glaubet, der wird verdammet wer- 
den”. So ist unsere These als Schriftlehre erwie- 
sen. 

Die Antithese ist mannigfaltig. Es wird : 

a. ein wenigstens bis zum Gericht dauernder Sta- 
tus intermedius sowohl für Gläubige, wie auch für Ungläubige 
gelehrt ; 

b. auch ein in Ewigkeit sich fortsetzender Status in- 
termedius zwischen Seligkeit und Verdammnis wird gelehrt, 
oder 


§ 72. Vom Zustand nach dem Tode. 


227 


c. wenigstens ein ewiger Status nicht voller Verdammnis. 

Umfassend und in sorgfältiger Ausbildung hat die römische 
Kirche hier den Irrtum zu ihrer Lehre gemacht. Bellarmin 
sagt 1 ; Constituunt ettim scholastici communi consensu intra ter - 
rani quatuor sinus , sive unum in quatuor partes divisutn; unum 
pro damnatis, alt er um pro purgandis, tertium pro infantibus sine 
baptismo abcuntibus, quartum pro justis, qui moriebantur ante 
Christi passionem, qui nunc vacuus remanet (Christus lehrt, daß 
Abraham im wirklichen Paradies ist und da, wo alle Gläubi- 
gen immer sein werden. Denn die Geschichte erzählt Christus 
nicht als für den kurzen Rest bis zu seiner Passion geltend, son- 
dern als Lehre für alle Zeit.), quorum ( sinuutn ) sufficientia su- 
mitur penes genera poenarum: sunt ettim hacc omnia loca poena- 
lia. Omnis autcrn pocna , aut est tantum damni, aut etiam sen- 
su s, et rursus aut aeterna, aut temporalis: pro pocna ergo solius 
damni aeterna est limbus pucrorum, pro pocna solius damni 
temporali erat limbus patritm, pro pocna damni et sensus aeterna 
est infcrnus, pro pocna damni ct sensus temporali est pur goto- 
rium . Über die Lage und Anordnung dieser sinus im Verhält- 
nis zueinander sagt Gregor ius de V a 1 e n t i a 2 : Imutn 
esse infernum damnatorum, proximnm pnrgatorium , et supra 
limbum pucrorum , quo limbus patrum erat superior . Merkwür- 
digerweise ist einer der oberen (limbus infantum) bleibend 
und einer der untersten (pnrgatorium) nicht. 

Vom Zustand im limbus infantum sagt Bellarinin 3 : Limbum 
pucrorum esse in loco inferni altiorc . quam sit purgatorium . 
Man wollte sie doch der Empfindung des höllischen Feuers fer- 
ne setzen. Becanus sagt 4 : Limbus pucrorum continet par- 
vulos in original i pcccato dccedentcs , perpetuo carituros conspec- 
tu f)ci, ncc tarnen dolorem percepturos ob carentiam regni coelo- 
rum . Das letztere läßt aber Gregorius de Valentia nicht gelten 
und beschreibt die Kinder als dolorem aliquem internum seu 
aff lieft o nent habt tu ros . 


1 Disputat., tom. II, de purgatorio, lib . II, cap. VI, § p, p. jöd. 

2 Quenstedt, Theol. did. pol. , pars IV, cap . XVII, sect . II, qu. IV, 
antith., p . 556. 

3 L. c § 14 . 

4 — Tract. de peccat. orig., cap. p, p. u. 



§ J2. Vom Zustand nach dem Tode. 


Vom limbus patrum steht im Cat. Rom. 6 : Tertium recepta- 
culi genas est, in quo animae sanctorum ante Christi Domini 
adventum excipiebantur, ibique sine ullo doloris sensu beata 
redemptionis spe sustentati, quieta habitatione fruebantur. Es 
wird hinzugesetzt, daß selbst Maria, wenn sie vor Jesu gestor- 
ben, trotz ihrer Hoheit noch in den limbus patrum gekommen 
wäre. Dies ist auch einer der römischen Widersprüche. Maria 
ist ja sonst über Christum erhaben, aber hier kommt ein anderes 
Interesse als Maria und Jesus in Frage, nämlich die Hoheit des 
Papsttums mit seiner Messe usw. Das Interesse, weshalb diese 
Lehre vom limbus patrum festgehalten wird, ist klar. Es würde 
ja sonst der Glaube als seligmachend bestätigt und die Entbehr- 
lichkeit der päpstlichen Seligmachungs - Maschinerie prokla- 
miert, namentlich des Meßopfers, welches doch den Tod Christi 
voraussetzt. 

Das purgatorium, welches der eigentlichen Hölle zunächst 
liegt, beschreibt Stengelius 6 als medium quendam statum 
inter felicitatem electorum et damnationem reproborum . Doch 
sollen die cruciatus purgatorii atrocissimi sein, nur nicht ewig, 
denn ihr Endzweck ist die Reinigung der Seelen zur Seligkeit 
Es kommen daher in das Purgatorium nach Bellarmin nur zweier- 
lei Leute 7 : Purgatorium pro iis tantum esse, qui cum venialibus 

culpis moriuntur_ et rursum pro Ulis, qui decedunt cum 

rcatu pocnac , culpis jam remissis (hierzu soll Luk. 12, 59 Be- 
weis sein). Dies müsse man sich nicht falsch vorstellen, wie 
Luther (Bell., cap . //, § /) getan hätte: Quia cxistimaznt, cas 
animas ad purgatorium mitti , quae non sunt perfectae in charitate; 
daher er auch erklärt hätte, die Seelen im purgatorium sollten 
einerseits Verdienst erwerben und anderseits könnten sie, weil 
in der Liebe nicht vollkommen, doch nur sündigen, was beides 
zu verwerfen sei. Vielmehr, wie jeder Katholik im Leben voll- 
kommen sei (nach r. Joh. 2, 5), weil er die Gebote bewahre 
(Bell., cap. III, § 6), so seien alle Seelen im Fegfeuer vollkom- 
men in der Liebe : Tarnen absolute omnem animam in purgatorio 
existentem esse perfectam in charitate . Sie seien nur imperfectae 


8 Pars I , p. 49. 

6 De statu antmarum post mortem, cap . 5. 

7 L. c., cap. I, § 29, p. 359. 


§ 72. Vom Zustand nach dem Tode. 


229 


respectu earum, quae sunt in coelo , und insofern bedürften sie 
der Vervollkommnung, die aber nicht im Purgatorium verdient 
werde, sondern die Belohnung sei der im Leben erlangten Ver- 
dienste. Wozu ist denn nun das Purgatorium? Bellarmin sagt 8 : 
Dico, per charitatem proprie non satisfieri , sed per dolorem a 
charitate imperatum ; et quanquam potest fieri, ut dolor internus 
sit tantus, et a tanta charitate procedens , ut plene satisfaciat pro 
omni reatu , tarnen potest etiarn fieri , ut non sit tantus dolor et 
propterea remaneat aliquid in purgatorio luendum; non enim re - 
pugnat perfectioni charitatis , quae habetur extra regnum coelo - 
rum, reatus poenae, pro quo satisfaciendum sit. Dies ist also der 
Zweck der Strafen im Purgatorium. Die Art der Strafen be- 
schreibt nun Bellarmin in cap. X (p. 77 /). Er verwirft noch 
einmal in § 1, was er schon cap . V zu widerlegen gesucht hat, 
daß nämlich die Seelen im Fegfeuer müßten an ihrer Seligkeit 
zweifeln und daß dies eine der Strafen im Fegfeuer sei. Dann 
erklärt er, die Strafe bestehe in carentia divinae visionis (§2), 
dann in poena sensus oder einem dolor , welcher dem entspreche, 
daß er auf Erden durch Sünde sich von Gott entfernt ( § 3) ; so- 
dann bestehe die Strafe in einer poena ignis, möge man ignis nun 
metaphorisch oder eigentlich nehmen (§4), für welch letzteres 
er sich dann nach dem Vorgänge der meisten entscheidet, ob- 
schon er zugibt, daß man nicht klar machen könne, wie wirkliches 
Feuer auf eine Seele brennen könne. Gewiß sei also: Poenas 
pur goto rii atrocissimas esse. Aber sie lassen manchmal ab, und 
dafür, sowie für eine Abkürzung derselben, kann etwas getan 
werden ; darum, das ist des Pudels Kern, soll man dies, nämlich 
Fürbitte der Kirche und namentlich Meßopfer benutzen (cap. 
XV — XIX). Darum auch wieder wird so hohes Gewicht auf 
die Lehre vom Purgatorium gelegt, daß Bellarmin ( lib I, cap. XV, 
§ 7) erklärt: Dogma esse fidei purgatorium adeo , ut qui non cre- 
dit , purgatorium esse , ad illud nunquam sit perventurus , sed in 
gehenna sempiterno incendio cruciandus. Wir kommen auf die 
vermeintliche Begründung der Lehre vom Fegfeuer und ihre 
Widerlegung später zurück, wenn wir die wesentlich ähnliche 


L. c.. Hb. U , cop. III, § H. />. 36T. 



230 § 72. Vom Zustand nach dem Tode. 

Lehre neurer Theologen von einem Zwischenzustand widerle- 
gen. 

Als weiteren Antithetiker führt Quenstedt auch den Schwär- 
mer Weigel an, der ähnlich den Papisten einen limbus pa - 
trum lehrte. Dann führt er noch einen Anonymus an, der drei 
Abteilungen des Infernums lehrte, nämlich: "A18171/, Odvarov , 
er kot oy cfwrcpov. Damit schließt er die Reihe der Antithetiker 
ab. 

Seit seiner Zeit ist sie erheblich gewachsen. Ja, wenn die 
theologische Vertretung den Ausschlag geben würde, so wäre 
die Lehre von einem Zwischenzustand heute die herrschende 
Lehre. Daß schon zur Zeit der Pietisten die Lehre von einem 
Zwischenzustand erneuert wurde, bezeugt Cotta in seiner 
Schrift: Recentiores quaedam controversiae de statu anitnarutn 
post mortem. Peter Poiret, reformierter Theologe, gest. 
1719, lehrte eine Reinigung der Seelen nach dem Tode. Ähn- 
lich standen J o h. P e t e r s e n fl und Lichtscheidt, Es 
wurden damals noch mancherlei verschiedene Dinge hitieinge- 
zogen, so z. B. die von Leibnitz ausgebaute, schon von den 
Pvthagoreern stammende Ansicht von einer doppelten Leiblich- 
keit ; siehe Supplement zu Gerhards Loci von Müller 9 10 : Sup- 
plementum de morte speciatim de exilio mortis Leibnitiano , scu 
duplici ammorum corpore , c ras so uno , quod deponitur in morte, 
subtil i altera , quod anima post mortem secam vehere dicitur. 
Diese doppelte Leiblichkeit haben auch Theologen vertreten, z. 
B. J o h. G o 1 1 1 . T ö 1 1 n e r, ein Rationalist, Prof, zu Frank- 
furt a. O. und daselbst gest. 1774, Israel, Gottl. Canz, 
ein Wolffianer, Prof, zu Tübingen. Letzterer sagt in seiner 
Schrift, .«Über zeugender Beweis aus der Vernunft für die Un- 
sterblichkeit der Seele” : Die Seele müsse nach dem Tode einen 
eignen subtilen Leib haben, den sie ans dem gröberen Leib extra- 
hiert, wie der Branntwein aus den Weinhefen. Ähnlich stan- 
den in neuster Zeit Tholuck, Rinck, Delitzsch, Split t- 

9 Petersen, zuerst Superintendent zu Lübeck, dann zu Lüneburg 
(1688). wurde dort wegen seiner Schwärmerei 1692 abgesetzt. Er starb 
1727 aut seinem Gute bei Zerbst. Seine Frau war die bekannte Schwär- 
merin Eleonora von Mer kn 11. Fr war sehr be freundet mit der noch grö- 
ßeren Schwärmerin Juliane von Asseburg. 

10 — Loci, iom. XVItf, />. 


§ 72. Vom Zustand nach dem Tode. 


281 


gerber; Kahnis hält diese Ansicht für wahrscheinlich. 
Hauptbekämpf er dieser Ansicht waren Mosheim, Val. Lö- 
scher, Pfaff und in neuester Zeit Philipp i, Thoma- 

s i u s. 

Als Erneurer der Lehre vom Zwischenzustand steht vor allen 
Schleiermacher da. Bei ihm ist sie ein wichtiges Stück 
seines ganzen Lehrgebäudes 11 . Seite 265 sagt er: „Wir schlie- 
ßen daraus, daß diese Vorherbestimmung Gottes zur Aufnahme 
in die Lebensgemeinschaft Christi an einem während seines Le- 
bens noch nicht in Erfüllung gegangen, keineswegs, daß durch 
den Tod eine andere (Vorherbestimmung) erfüllt sei, sondern 
auch der Zustand, in welchem einer stirbt, , ist dann nur ein 
Zwischenzustand”. Es erklärt sich dadurch die allgemeine Auf- 
nahme dieser Lehre in der theologischen Welt. 

Im einzelnen ist freilich noch viel Verschiedenheit. So leh- 
ren viele Theologen einen Zwischenzustand der Gläubigen, in- 
dem sie teils die alte Lehre vom Seelenschlaf erneuern und ein 
Dämmerdasein bis zur vollen Seligkeit nach der Auferstehung 
lehren auf Grund der von „Entschlafenen” redenden Schrift- 
stellen, über welche schon Tertullian, de anima, 58, treffend 
sagt: Dormire est corporutn, non anitnarutn; teils, indem sie 
annehmen, daß die gläubigen Seelen nach dem zeitlichen Tode 
noch nicht völlig rein sind von allen Schlacken der Sünde, oder 
wenigstens noch Fortschritte in der Heiligung machen müssen, 
um völlig würdig der am Jüngsten Tage zufallenden Herrlich- 
keit zu werden ; so z. B. K a h n i s 12 , Martense n 13 , während 
Rinck 34 zwar eine Entwicklung, aber keine Reinigung an- 
nimmt. Er sagt : ,,So sehr wir die Annahme eines Zwischenzu- 
standes biblisch begründet finden werden, so sehr müssen wir ge- 
gen die Behauptungen eines Zwischenzustandes zur fortgehenden 
Reinigung und Läuterung von den Sünden für die Bekehrten 
auf Grund des Wortes Gottes aufs entschiedenste protestie- 
ren”. 

Vornehmlich aber wird von einem Zwischenzustand viel ge- 

11 Siche Glaubenslehre, B. TT, § 117 — 120, namentlich § 119, 3. 

12 Dogmatik, B. 3, S. 549 ff. 

13 Dogmatik, § 276, S. 430. 

14 Von der Fortentwicklung der Seele nach dem Tode, 1878. 


§ 72. Vom Zustand nach dem Tode. 


redet in bezug auf die Gottlosen. Eine große Anzahl von Theo- 
logen lehrt, daß nach diesem Leben die Gottlosen der Predigt 
des Evangeliums teilhaftig gemacht und nochmals vor die Ent- 
scheidung, für oder wider Christum, gestellt werden. So stehn 
König : ,, Lehre von der Höllenfahrt Jesu”, Güder : „Er- 
scheinung Christi unter den Toten”, Delitzsch, Rudloff, 
Meyer: „Kom. zu Luk. 23, 43”. Ja, Tholuck findet 
einen Zwischenzustand um der Gerechtigkeit Gottes willen gera- 
dezu für notwendig, weil es sich mit dieser nicht reimen würde, 
daß ein Gottloser, der auf Erden nur flüchtig vom Evangelium 
berührt wurde und nicht zum Glauben kam, nun schon der Ver- 
dammnis preisgegeben werden soll. 

Der Ort, wo die Gläubigen noch ausreifen, wo auch die 
Gottlosen noch der Heilspredigt teilhaftig werden sollen, ist nach 
den neuren Theologen der Hades, oder Scheol, der aber zwei ver- 
schiedene Abteilungen haben soll, von denen die obere für die 
Frommen bestimmte das Paradies sei (Luk. 23, 43), welches 
Luk. 16, 22 auch „Abrahams Schoß” heiße. Dagegen: Die 
Schrift weiß nichts von solcher Hadeslehre und von einer Unter- 
scheidung zweier Abteilungen im Hades. Unter Hades, wo dies 
Wort in der Schrift vorkommt, ist offenbar die Hölle ‘gemeint ; 
vergl. Matth, rr, 23; 16, 18; Luk. 10, 15 ; 16, 23; Apg. 2, 27. 31 ; 
r. Kor. 15, 55; Off. 1, 18; 6, 8; 20, 13. 14. In Luk. 16, 22. 23, 
worauf gerade die Unterscheidung der beiden Hadesabteilungen 
gegründet wird, ist klar und deutlich der Schoß Abrahams in 
Gegensatz gestellt zu dem ewig davon getrennten Hades; vergl. 
V. 26. Und in 2. Kor. 12, 2. 4 wird ausdrücklich bezeugt, daß 
das Paradies im Himmel ist; und zwar sagt dabei die Schrift 
kein Wort von zwei Abteilungen des Himmels, daß etwa die 
obere das Paradies und die untere Abrahams Schoß sei, Wie 
R i n c k behauptet in seinem Buch : „Vom Zustand nach dem 
Tode”. 

Ganz besonders ist dem Alten Testament eine fast heidnische 
Hadeslehre angedichtet worden. Klar ist, daß im Alten Testa- 
ment der Scheol (Im Hebr. nach vielen von 

: " r 

fordern, als der Ort, der alles zu sich fordert, nach andern von 
eingesenkt sein, also Senkung, Tiefe.) als Ort der Un- 


§ 72. Vom Zustand nach dem Tode. 


233 


seligen und Verdammten angesehn wird* Auch der Talmud 
setzt Scheol und Gehinnom einander gleich. Obgleich nun Hölle 
die Grundansicht und eigentliche Bedeutung des Wortes ist, so 
kommt es im Alten Testament freilich vor, daß vom Scheol 
als dem Ende aller Menschen geredet wird und zwar von 
Gläubigen wie Hiob io, 21; 14, 20. 21; Ps. 6, 6 vergl. Sir. 17, 
25. 26. Man erkennt aber, daß die Gläubigen gerade in Zeiten 
der Anfechtung, so Hiob, in dieser Weise das Sterben als 
zusammenfallend mit dem Eingang in den Scheol ansehn, wie 
noch heute in Anfechtungen Gläubige wohl Sterben und Un- 
seligkeit für verknüpft miteinander ansehn. In Zeiten lebendigen 
Glaubens äußert sich Hiob ganz anders (Hiob 19, 25 — 27 vergl. 
Ps. 16, 9—1 1 ; Ps. 17, 15). 

Die Irrlehre vom Seelenschlaf ( Psychopannychie oder Thne- 
topsychie) ist gegründet worden auf solche Stellen der Schrift, 
welche Sterben und Tod als Schlaf bezeichnen (1. Kor. 15, 18: 
Koif*Y)$ € vt es j Hiob 14, 12; 2. Sam. 7, 12; Dan. 12, 2; Matth. 
27, 52 ; 1 Kor. 11. 30). Gut sagt dagegen T e r t u 1 1 i a n : Dor- 
mire est corporum non animarum. Was vom Leib nur gilt, ist 
auf die ganze Person übertragen. Die Seele aber kann nicht 
schlafen, denn ihr Leben ist Selbstbewußtsein. 

Daß die Seelen der Gläubigen nach dem Tode noch Fort- 
schritte in der Heiligung machen und ausreifen müssen, um 
für das ewige Leben in seiner Vollendung vollkommen fähig zu 
sein, ist ein Fündlein, welches selbst von seinen Vertretern auf 
keine besondere Schriftstelle basiert wird. Es ist hervorgegan- 
gen aus dem Bedenken, daß es eine wunderbare und gewaltsame 
Prozedur sein müßte, wenn plötzlich beim Tode aus der mensch- 
lichen Seele die Sünde, die doch darin hafte, nun völlig heraus- 
gerissen würde. Man nehme daher besser an, daß nach dem 
Tode bei den gläubigen Seelen durch fortgesetzte Heiligung die 
Sünde nach und nach überwunden werde. Zunächst ist da vom 
bloßen Standpunkte der Kritik aus zu sagen, daß hiermit nur 
hinausgeschoben wird, was man an der rechten Lehre, daß im 
Tode die Sünde vernichtet wird, tadelt. Denn da die Sünde noch 
immer in der Seele haftet und durch die fortgesetzte Heiligung 
doch nur in ihrer Betätigung unterdrückt wird, so 
würde zuletzt doch immer noch eine besondere Art der Exstir- 


234 


§ 72. Vom Zustand nach dem Tode. 


pation der Sünde jiötig sein. Aber die Schrift verdammt dieses 
Fündlein von fortgehender Reinigung von Sünden auch nach 
dem Tode durch die klarsten Schriftsprüche. Paulus sagt 2. 
Tim. 4, 6, daß die Zeit seines Abscheidens vorhanden sei. Und, 
indem er auf sein Lebensende blickt, sagt er V. 7: „Ich habe 
einen guten Kampf gekämpfet, ich habe den Lauf vollendet”. 
Also mit dem Tode ist nach dieser Erklärung des Heil. Geistes 
der Christenlauf, wozu doch als wesentliches Stück die Heiligung 
gehört, vollendet; also ist auch nach dem Tode kein Kampf 
der Heiligung mehr. Heiligung ist Kampf, ist Arbeit. Darauf 
soll nach der Schrift Ruhe folgen ; der Christ soll ruhen von sei- 
nen Werken und Arbeit (Heb. 4, 10). Wie lange soll denn der 
Christ Arbeit im Weinberg des Herrn und also auch in der Hei- 
ligung haben? Die Schrift sagt: „Bis ans Ende” (Heb. 6, 11 ; 
3, 14). Dies Ende aber ist mit dem Lebensende eines Christen 
da. Mit dem Tode hört überhaupt alle Arbeit und Wirksamkeit, 
die auf die ewige Ruhe abzielen, auf. Bis zum Tode währt nach 
der Schrift für den Menschen der Gnadentag, das „Heute”, wo 
man die Anwartschaft auf die Ruhe erlangen kann. Das sagt 
gerade Heb. 3, 17 — 19 so deutlich, daß alle, die im Unglauben 
sterben, mit diesem Tode im Unglauben der ewigen Ruhe ein 
für allemal verlustig gehen. Wie bei diesen aber alle auf die 
Seligkeit abzweckende Arbeit und dem gleichen Schaffen auf- 
hört, wie für diese der Tod das entscheidende, alle Arbeit auf- 
hebencie Ende ist, so auch bei den Gläubigen. Wenn Paulus 
V. 17 — 19 so ernstlich warnend bei den Ungläubigen den Tod 
als das abschließende Ende, als das Ende schlechtweg bezeichnet, 
so hieße es sich geradezu verblenden, in V. 14 unter „Ende” 
etwas anderes zu verstehen, nämlich in den Worten: „So wir 
anders das angefangene Wesen bis an das Ende festbehalten.” 
Ebenso ausdrücklich wie durch den Hebräerbrief wird das in 
Rede stehende Fündlein verdammt durch Johannes in Off. 14, 
13 : „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben, von nun 
an. Ja, der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit; denn 
ihre Werke folgen ihnen nach.” Das „von nun an”, an dpn 
genau : „ g 1 e i c’h j e t z t”, muß doch eine Beziehung haben auf 
einen Terminus, und zwar auf einen, den auch Gottes Wort be- 
zeichnet; sonst schwebte es ja völlig in der Luft. Nun nennt 


§ 72. Vom Zustand nach dem Tode. 


235 


der Spruch . selbst aber einen sehr wesentlichen Zeitpunkt, eben 
das Sterben in dem Herrn. Auch die Worte Pauli Kol. i, 12: 
„Der uns tüchtig gemacht hat zu dem Erbteil der Hei- 
ligen im Licht”, zeugen scharf gegen die Ansicht von einer Vol- 
lendung in der Heiligung noch nach dem Tode. 

Alle soeben behandelten Schriftstellen, zumal Heb. 3, 17 — 
19, verdammen zugleich auch die Lehre, daß nach dem Tode in 
einem Zwischenzustand den Unseligen nochmals das 
Heil angeb oten wer de. Man hat aber gleichwohl sogar 
in i.Pet.3,19 eine Schriftstelle sehen wollen, die das ausdrücklich 
lehre, da sie aussage, Christus sei im Geist hingegangen zu den 
Geistern im Gefängnis, B. Brückner, Bearbeiter der De 
Wetteschen Kommentare, sagt Exkurs 4: „Der Zweck dieser 
Predigt war, wie aus Kap. 4, 6 mit Evidenz erhellt, ein heil- 
samer ; und ebenso schriftwidrig als unbarmherzig ist der Satz : 
Fuit praedicatio Christi in inferno non evangelica, sed legalis 
(Flacius, Calov, Quenstedt usw.)”. Brückner sagt ferner: „Da- 
mit nun der Menschheit vor der Flut, welche keinen Versöhner 
und Wegweiser zum Geistesleben gehabt hatte, gleichsam ihr 
Recht geschehe und der Mangel ersetzt würde, brachte ihnen 
der Auferstandene noch in der Unterwelt das Heil.” Man muß 
über solche Erklärung staunen, da doch zu jener Zeit und mit- 
ten unter dem damaligen Geschlecht Xoah genug hatte, um 
gerettet und selig zu werden; und außerdem der geduldige Gott 
ja ausdrücklich sagt, daß die Leute zu jener Zeit sich von sei- 
nem Geist, der ihnen ja Wegweiser sein sollte, nicht strafen lie- 
ßen. Man muß staunen über die Erklärung, daß es unbarmherzig 
wäre, hier nicht eine Heilspredigt anzunehmen. Nach dem Texte 
wäre doch eine solche nur anzunehmen für die so frechen Un- 
gläubigen aus Noahs Zeit, aus keiner anderen. Aber die Un- 
gläubigen zu Noahs Zeit werden ja stets als Spiegelbild der ihnen 
gleichen Gottlosen aller Zeiten hingestellt (Matth. 24, 37 — 39). 
Warum sollten denn alle andern, die doch einmal der Text selbst 
nicht einschließt, ausgeschlossen sein und nur denen aus Noahs 
Zeit,' die eben einmal der Text allein nennt, die Vergünstigung 
der Heilspredigt in der LTnterwelt gestattet sein? Wo bleibt nun 
die Barmherzigkeit? Brückner setzt noch hinzu: „Es sei unter 
Gefängnis nicht die ganze Unterwelt gemeint, sondern der V e r- 


236 


§ 7 2 Vom Zustand nach dem Tode. 


wahrungsort der im Unglauben abgeschiede- 
nen Geister”. Was soll man bei solchen Worten sich vor- 
stellen? Alle, die sich in der Unterwelt befinden, sind ja im 
Unglauben abgeschieden. Brückner selbst will ja nichts wissen 
von einem limbus patrum in der Unterwelt, also von Einteilung 
derselben. Die Hauptsache ist nur, ob unsere Stelle selbst einen 
wirklichen Grund legt für Annahme der Heilspredigt an die un- 
gläubigen Seelen in der Hölle. Man will den zureichenden 
Grund finden in Dieses sei absolut geich evayycM- 

i€tv, dieses wieder gleich „Evangelium predigen zum Heil”. 
Dies ist nicht wahr. Rom. 2, 21 wird das Wort gebraucht in 
bezug auf das Gesetz: *0 /xt; kAcVtciv xAeirret?; 

— Gal. 5 > H- Ei w€pt,TOfjt,r]v €Tt *v)pv<r<rit>, — Apg. 15, 21 : 

MwiiVijs to vs tc 7 ]pv<r<rovTa$ avrov %x tl Diese Stellen 

sucht Brückner mit der Behauptung zu entkräften, daß 
in denselben alle Objekte des xi/pvcro-eiy im Zusammenhang mit 
dem Evangelium gedacht seien. Dieses ist eine der Ungeheuer- 
lichkeiten und Unklarheiten, von denen die neueren Theologen 
strotzen. Der Fluch des Gesetzes steht freilich auch im Zusam- 
menhang mit dem Evangelium; trotzdem wird die Verkündi- 
gung des Fluchs doch kein Vernünftiger für Evangelium halten. 
Es ist nach den obigen Stellen vielmehr gewiß, daß K^pvo-o-ccv 
keineswegs gleich evayyt\i£tiv ist und daß unser Bekenntnis 
mit Recht als Objekt der Verkündigung dies faßt: 15 Und wir 
einfältig gläuben, daß die ganze Person, Gott und Mensch, nach 
dem Begräbnis zur Hölle gefahren, den Teufel überwunden, der 
Höllen Gewalt zerstöret und dem Teufel alle seine Macht ge- 
nommen habe.” Dies nämlich steht in bester Übereinstimmung 
mit dem Zusammenhang der ganzen Stelle. Der Apostel ermahnt 
zur Geduld im Leiden ( 1. Pet. 3, 1 4f f . ) und 4, r — 7 weist er hin 
auf das Gericht; und dazwischen wird die Höllenfahrt Christi 
gelehrt. Wie schlecht würde nun eine Heilspredigt in der Holle 
an die, welche trotz aller Langmut Gottes doch freche Ungläu- 
bige blieben, stimmen mit den Ermahnungen zur Geduld im Lei- 
den und mit dem Hinweis aufs Gericht! Es hieße ja in der Tat 
beides entkräften. Zudem heißt es V. 20, daß zu Noahs Zeit 


6 Form. Conc .. sol. decl. art. IX, />. 696. 


§ 72. Vom Zustand nach dem Tode. 287 

nur acht Seelen gerettet wurden durch das Wasser, welches, 
fährt V. 21 fort, nun auch uns selig macht. Hier werden ja ge- 
rade die Seligen jenen Ungläubigen im Gefängnis gegenüber- 
gestellt und letztere also als Verdammte und damit wieder als 
das Objekt des Krjpv<r<r€ iv die Ankündigung der Verdammnis 
als einer gerechten bezeichnet. G. U h 1 h o r n in seinen „Vor- 
trägen über die letzten Dinge”, 1887, S. 54, gibt zu, daß 1. Pet. 
3, 19 sich auf die Zeitgenossen Noahs beziehe und nur Heilspre- 
digt an sie lehre. Aber eine Stelle, die nun weiter greife und 
die Universalität der vocatio rette, die doch in diesem Leben in 
Ansehung der Mohammedaner usw. fehle, sei 1. Pet. 4, 6: „Denn 
dazu ist auch den Toten das Evangelium verkündiget, auf daß 
sie gerichtet werden nach dem Menschen am Fleisch, aber im 
Geist Gotte leben.” Es ist aber kaum zu begreifen, daß man in 
diesen Worten Predigt an Seelen solcher, die im Unglau- 
ben gestorben, finden konnte, da ja ausdrücklich gesagt ist, daß 
sie gerichtet werden sollen nach dem Menschen am Fleisch. 
Seelen ohne Körper können doch am Fleisch nicht gerichtet wer- 
den. Als „Mensch des Fleisches”, „Mensch nach dem Fleisch” 
und ähnlich wird der Mensch nur bezeichnet, solange er in die- 
sem Leben ist. 

So ist es gewiß, daß die Schrift nichts weiß von Heilspre- 
digt in der Hölle und Bekehrung nach diesem Leben. Es ist 
hiermit genügend auch die Fegfeuerlehre der Papisten 
widerlegt. Es ist diese Lehre in sich selbst widersprechend und 
auch von den Papisten selbst wenig übereinstimmend vorgetra- 
gen. Daher hat auch das Conc. Trident . sich wohl gehütet die 
Lehre selbst näher darzulegen, aber doch die Bischöfe angewie- 
sen, die Lehre recht zu gebrauchen ; siehe U h 1 h o r n. 10 Na- 
mentlich widersprechend ist, daß das Fegfeuer doch zum Guten, 
nämlich zur Rereitmachung für die Seligkeit dient, und daß doch 
zugleich die römische Christenheit aufgefordert wird, durch 
Fürbitten an die Heiligen und Bezahlung von Ablaß für Ver- 
storbene deren Fegfeuerqual abzukürzen. Damit könnte doch 
deren Seligkeit wegen noch nicht geschehener völliger Abbüßung 
in Frage gestellt werden. Wendet man ein, daß durch Fürbitte 


tfl Vorträge über die letzten Dinge, S. 42. 



238 


§ 72. Vom Zustand nach dem Tode. 


und Messe das Verdienst der Heiligen als Äquivalent den See- 
len zugewendet wird, so ist erstlich zu fragen, warum nicht über- 
haupt Christi Verdienst den Sündern zugewendet werden soll, 
und sodann daran zu erinnern, daß es ja gerade im Fegfeuer 
sich um Leiden des Schmerzes als Büßung handeln soll, weil es 
im Lehen daran gefehlt, daß es sich aber nach Bellarmin im Feg- 
feuer uni Verdienst gar nicht mehr handelt, weil das Verdienst 
bereits im Leben erworben sei und die Seelen im Fegfeuer ja 
perfectac in caritate sein sollen. Ein fernerer Widerspruch ist, 
daß das Fegfeuer ein Strafort, wo poena damni et sensus, wenn 
auch nur vorübergehend, sei; und doch wird zugleich gelehrt, 
daß die Seelen im Fegfeuer sich mit Gott in Liebe vereinigt wis- 
sen. Wirkliche Strafe Gottes, also -Ungnade und Zorn, und 
doch zugleich Liebe und Hoffnung, die sogar kräftiger sein soll 
als in diesem Leben. Die Papisten geben selbst zu, daß in der 
Schrift die Lehre vom Fegfeuer laicht ausdrücklich vorgetra- 
gen sei. Abgesehen von der für uns gar nicht maßgebenden 
apokryphischen Stelle in 2. Makk. 12, 44—46, wo Gebete und 
Opfer für Verstorbene dargebracht werden, so hat je und je 1, 
Kor. 3, n — 15 als Beweis für das Fegfeuer herhalten müssen. 
Aber in dieser Stelle wird nicht gesagt, daß. Seelen ins Feg- 
feuer kommen, sondern deren vor Gott nicht bestehende 
Werke; auch wird nichts gesagt von Büßung und Läuterung, 
sondern vom Seligwcrden der Seelen, aber durchs Feuer, näm- 
lich so, wie vorher schon gesagt, daß die nicht vor Gott bestehen- 
den Werke, Heu, Stoppeln, durchs Feuer vernichtet werden. Es 
ist auch nicht von einer längeren Läuterungszeit, sondern von 
einem Gericht an einem bestimmten Tage die Rede. Der eigent- 
liche Grund für die Lehre vom Fegfeuer ist die Tradition; und 
der wahre Begründer ist Gregor der Große. 

Zum Schluß seien noch zwei allgemeine Ein- 
würfe erwähnt, welche gegen die rechte Lehre von der Selig- 
keit und Verdammnis gleich nach dem Tode gemacht werden; 

1.) Nach 2. Thes. 1, 7; 2. Tim. 4, 8 ; 1. Pet. 1, 5 soll erst 
der Jüngste Tag die Vergeltung und die Krone der Gerechtig- 
keit bringen : folglich könne vor dem Jüngsten Tag ein Genießen 
der vollen Seligkeit nicht stattfinden. Antwort: Es ist zu unter- 
scheiden zwischen Genießen ( fruitio ) der Seligkeit und Herr- 


§ 72. Vom Zustand nach dem Tode. 


239 


iichkeit und Offenbarung (manifestatio) derselben, und 
ebenso zwischen Genießen der Seligkeit durch .die Seele 
a l- 1 e i n und durch den auferweckten Leib. Indem die genann- 
ten Stellen dieses lehren, leugnen sie doch jenes, das Genießen 
der Seligkeit durch die Seele allein, keineswegs. Namentlich 
Petrus sagt, daß die Seligkeit am Jüngsten Tage offenbart 
werde; er sagt nicht, daß sie dann erst gegeben werde. Auch 
Paulus spricht in derselben Weise vom Offenbaren (Kol. 3, 4). 

2.) Wenn vor dem Gericht und gleich nach dem Sterben 
die Frommen die volle Seligkeit, die Gottlosen die Verdammnis 
empfangen, so ist nicht abzusehen, wozu überhaupt noch ein Ge- 
richt sei. Antwort: 

0. Die Schrift sagt beides aus, Seligkeit und Verdammnis 
gleich nach dem Tode, und doch ein Gericht am Jüngsten Tage. 

b . Die Belohnungen der Seelen und der auferweckten Lei- 
ber sind einander untergeordnet, nicht entgegengesetzt. 

c. Man muß das persönliche Gericht, welches bei jedem 
einzelnen Menschen in agone mortis stattfindet, und das allge- 
meine am Jüngsten Tage unterscheiden. Jenes ist verborgen, 
diesem ist offenbar. Man muß überhaupt unterscheiden zwi- 
schen Gericht selbst und Offenbarung des Ge- 
richts. Das Jüngste Gericht wird nicht deshalb angestcllt, damit 
überhaupt erst die Menschen gerichtet werden, sondern (Job. 3, 
18) das im Tode geschehene Gericht wird am Jüngsten Tage 
offenbart (publice manifcstatar , Matth. 25, 32). Es soll auch 
die Gerechtigkeit des Gerichts öffentlich kund werden : 
daher das allgemeine öffenliche Gericht. 


§ 73 . 

Von der Auferstehung. 

(De resurrectione.) 

LEHRSATZ I. 

Die Auferstehung der Toten besteht darin , dass derselbe Leib , 
den der Mensch hier auf Erden gehabt hat , der durch den 
Tod von der Seele geschieden , ins Grab gelegt und durch 
die Verwesung zerstört war , von dem Herrn Jesu Christo 
am Jüngsten Tage wieder lebendig gemacht wird. 


242 § 73- Von der Auferstehung. 

allerdings auf dem Verdienst Christi. Den Gottlosen erweckt 
Christus nur durch die Macht seiner Stimme und als Richter. 
Sein Richten aber ist nicht gegründet auf sein Verdienst, son- 
dern Gott hat ihm das Gericht gegeben, welches er kraft seiner 
Heiligkeit ja zuletzt über die Sünder halten muß. Balduin : 
fmpios non virtute re surre ctionis Christi resurrecturos , sed prop- 
ter immutabile decretum, quo statutum est homini semel tnori et 
postea judicium, Ebr . q, 27. So muß ja eine Auferweckung der 
Gottlosen stattfinden. Über denselben Punkt sagt Dann- 
hauer 4 in richtiger Unterscheidung der absoluten und rela- 
tiven Betrachtung der Auferstehung, d. h. als Auferstehung 
überhaupt und als Auferstehung zum Leben, dieses : Resurrectio 
absolute, prout praescindit a salut ari et non salutari , non 
est effectus meritorum Christi, 1. quia , quod est fructus me - 
ritorum Christi , id absque interventu meritorum Christi non eve- 
nit ; at evenisset resurrectio damnatis, si maxime filius Dei nun- 
quam esset incarnatus ; 2. quia nullus fructus meritorum Christi 
absque fiduciali apprehensione in hominem cadit . At damnati 
resurgent , etsi fide non appr ehenderint resurrectionem Christi. 
Et tarnen resurrectio Christi causa re surre ctionis ad vitam, 
quamvis a c tu pauci potiantur; Dies ist also wohl zu beachten 
für das Verständnis des universalen Ausspruchs des Herrn Joh. 
5, 28 und der Erklärung unserer Dogmatiker: Objedum sive 
materia resurre ctionis suht omnes homines mortui , tarn im pH, 
quam pii. 

Das Wesen der Auferstehung besteht darin, daß derselbe 
Leib, den wir hier auf Erden gehabt, der Zahl und Substanz nach 
wieder lebendig gemacht wird. So auch unsere Dogmatiker : 
Subjectum quo resurre ctionis est idem numero et substantia cor - 
pus t quod hic gessimus ; Also nicht nur ein Körper von gleicher 
Substanz, sondern der mit dem jetzigen Körper identische wird 
auferweckt werden. Klar lehrt dies die Schrift, nämlich: 

r. dadurch schon,, daß sie Christum, der mit demselben Leib 
auferstand, den Erstling nennt. 

2. Rom. 8, 11 heißt es, daß Gott die sterblichen Leiber wird 
lebendig machen. 

3. Phil. 3, 21 steht: „Welcher unsem nichtigen Leib ver- 


4 Hodosophia. 


§ 73 Von der Auferstehung. 24# 

klären wird. Hier steht: *Os /* «rao-^ ly/AanVc^ d. h. eine andere 
Gestalt geben. 

4. 1, Kor. 15, 53: „Denn dies Verwesliche muß anziehen 
das Unverwesliche, und dies Sterbliche muß anziehen die Un- 
sterblichkeit", Es kann aber von Verklärung der sterblichen 
Leiber nicht geredet werden, wenn derselbe sterbliche Leib gar 
nicht aufersteht; und das Sterbliche kann die Unsterblichkeit 
nicht anziehn, wenn es bei der Auferstehung überhaupt nicht 
vorhanden ist. Gerade der Ausdruck „anziehen" zeigt, daß der 
Leib, der auf Erden die Sterblichkeit an sich trug, in der Aufer- 
stehung vorhanden ist und nur seine Qualität und Erscheinung 
ändert. Dies bezeugt auch gerade das 1. Kor. 15, 37 ff. von 
Paulus gebrauchte Bild vom Weizenkorn. Das Weizenkorn 
kommt hervor, nur nicht in derselben Gestalt, sondern verändert. 
So wird in der Auferstehung derselbe Leib, numero et substan- 
tia idem corpus, lebendig, aber in anderer Qualität. Drum sagt 
C a 1 o v zu dieser Stelle 5 : Non hic spectatur diversitas rei , sed 
qualitatis et conditionis. Und Quenstedt 6 erklärt : Idem 
numero et substantia corpus , quod in hac vita gessimus, resurget 
in novissimo die , ac proinde corpora nostra resuscitata quoad 
substantiam non sunt futura spiritualia, sed solutn quoad quali - 
tates. Denn wenn die Auferstehungsleiber nicht nur spirituale 
Eigenschaften trügen, sondern aus einer spiritualen, himmlischen 
Substanz gemacht wären, so wäre, abgesehen davon, daß sie 
dann irgendwie von göttlicher Wesenheit seih müßten, sowie, 
daß materia spiritualis ein Widerspruch in sich selbst ist, doch- 
die Identität mit dem gegenwärtigen Leibe der Substanz nach 
aufgehoben. Es sagt auch die Schrift wohl, daß die Leiber geist- 
lich sein sollen, aber nicht, daß sie Geist sein sollen ; d. h. sie 
sagt wohl Qualität, aber nicht Substanz des Geistes von ihnen 
aus. 

Die Beschaffenheit der auferweckten Leiber in be- 
zug* auf die Frommen gibt Q u e n s t e d t 7 so : Im ewigen Le- 
ben sind bona corporis, 1 . spiritualitas (1. Cor. 1 $, 44. 45. 47; 
Phil 21) , 2 . impalpabilitas ( 1 . Cor . 15, 44. 47), j. agilitas 


6 Bibi. Wustr., N. T., tom. II, />. 405. 

6 L. c sect. II, qu. IV, thes., p. 599. 

7 L. c., pars 1, cap. XV, sect . 1, thes. XX, p. 557. 



244 


§ 73- Von der Auferstehung. 


(i. Thess. 4 j 17; 7. Cor . 75, 44), 4. impassibilitas ( Apoc . 7, 76; 

4J, 5. immortalitas et incorruptibüitas (1. Cor \ 15, 42 . 43. 44 . 
53; 2. Cor. 5, 4; Apoc. 2i t 4 ), 6. claritas (Dan. 12 , 3; Matth . 13 , 
43; 1. Cor . 75, 41 . 43J, 7. formositas (1. Cor . 75, 43; PW/. 
3 * 

Weitab nicht so reichlich wie über die Beschaffenheit der 
auf erstandenen Leiber der Frommen äußert sich die Schrift be- 
züglich der Leiber der Gottlosen. Wir hören nur aus Dan. 12, 2 
vergl. mit V. 3, daß die Gottlosen auferweckt werden zur Schan- 
de, die auch im Gegensatz zur Herrlichkeit der Frommen (V. 3; 

1. Kor. 15, 43) in abschreckender Häßlichkeit bestehn wird. 
Dies bestätigt Jes. 66, 24, daß sie allem Fleisch ein Greuel sein 
werden, was sich doch nur auf ein leiblich greuliches Aussehn 
beziehn kann. Näheres ist uns darüber nicht öffenbart. 

Auch darüber erhalten wir aus der Schrift keinen absolut 
sicheren Aufschluß, ob unter den Auferstandenen Alters- 
unterschiede sein werden. Es haben sich darüber drei 
Ansichten gebildet: 

1. Alle werden auferstehn secundum mensuram staturae 
Christi auf Grund von Phil. 3, 21, wonach der Auferstehungsleib 
<rvfAfiop4>o^ } d. h. dem Leib des Herrn ähnlich sein wird. Allein 
Aop <f>7j sagt keineswegs strictissime nur äußerliche Körperge- 
stalt aus. 

2. Augustin läßt alle, ob als Kind oder Greis gestorben, 
mit einem Jünglingsleib auferstehn: Rcsurgent omnes juvenili 
aetate. 

3. Jeder wird auferstehn in der Gestalt, die er zur Zeit seines 
Todes hatte. Quenstedt 8 9 sagt : Cut sententiae, ut maxime 
probabili , cum Gerhardo et Brochmanno accedimus . Sein 
Schriftgrund ist Off. 11, 18; 20, 11. 12. Er sagt auch, er be- 
gründe seine Meinung ex Scripturae silentio, haec enim aequali - 
tatem quantitatis in corporibus resuscitatis nuspiam asseruit. 
Auch Neure, wie z. B. Philip p i, treten dieser Ansicht bei® : 
„Daß unter den Auferstandenen die Altersstufen, namentlich der 
Kinder und der Erwachsenen, und die Geschlechtsunterschiede 
nicht aufgehoben sein werden, ist eine naheliegende Annahme”. 


8 L. c cap. XVIII , sect. II, qu. V, p. 604 . 

9 Glaubenslehre, B. 6, S. 14. 


S 73* Von der Auferstehung. 


245 


Die Zeit der Auferstehung ist der Jüngste Tag 
(Joh. 6, 40; ii, 24; 1. Kor. 15,-52).' Über alle, die am Jüngsten 
Tage noch im zeitlichen Leben wandeln, sagt die Schrift (1. 
Kor. 15, 51), daß sie werden verwandelt werden. Es wird also, 
ohne daß sie sterben, ihr Leib durch Verwandlung zu dem ver- 
klärten Leibe (V. 52) gemacht, der die notwendige Bedingung 
des Genusses der ewigen Seligkeit ist (V. 50. 53). Über den 
Modus dieser Verwandlung ist, abgesehen von seiner Plötzlich- 
keit (V, 52), nichts gesagt und aus dem Wort nichts zu neh- 
men. 

LEHRSATZ II: 

Die Antithese zu der gestellten Schriftlehre ist teils eine partielle, 
indem sie unter Annahme einer Auferstehung in einzelnen 
Punkten gegen die Schrift verstösst, teils eine totale, indem 
sie die Auferstehung schlechthin leugnet 

Anmerkung: — Zur partiellen Antithese gehö- 
ren folgende Irrtümer: * 

1. Annahme eines K e i m 1 e i b e s und eines Zwischen- 
leibes. Schon bei Lebzeiten bilde sich in dejn grobmateriel- 
len Leibe der Gläubigen der Keim eines himmlischen Leibes. 
Dieser werde mit dem grobmateriellen begraben und am Aufer- 
stehungstage wachse aus ihm der Auferstehungsleib hervor; so 
Nitzsch, Martensen, Kahnis, Rinck, Splitt- 
gerb e r. Es wird damit oft die Lehre verbunden, daß gerade 
zu dem Zweck uns im Abendmahl Christi Leib und Blut zuteil 
werde, um diesen Keimleib zu nähren. Die Schrift weiß davon 
nichts; auch das Gleichnis vom Samenkorn (1. Kor. 15, 35 — 38) 
sagt davon nichts. Dieses Gleichnis soll nur sagen, daß Gott aus 
dem Verwesenden wieder Lebendiges hervorbringen kann, wie 
aus dem verwesenden Korn, so auch aus dem verwesenden Leib. 
Weiter ist dies Gleichnis nicht zu gebrauchen, weil die Schrift 
nicht das Werden des Auferstehungsleibes als Hervorwachsen 
eines neuen Leibes aus einem Keim, sondern als Verklärung ei- 
nes und desselben einst erstorbenen, nichtigen, verweslichen Lei- 
bes darstellt (1. Kor. 15, 44; Phil. 3, 21). 

Von dem Zwischenleibe, der schlechthin ein Fünd- 
lein ohne allen Schriftgrund ist, war schon in § 72 die Rede. 



m 


§ 73- Von der Auferstehung. 


Ein hierher gehörender Irrtum ist der, daß man die Identität 
der Substanz des jetzigen und einstigen Leibes aufhebt. De- 
litzsch 1 : „Ihre Identität mit den diesseitigen Leibern ist nicht 
begründet in Gleichheit der Stoffmasse (falsch und gegen 1, 
Kor. 15, 53: Dies Verwesliche), denn diese ist ja schon dies- 
seitig in einem unaufhörlichen Entstehen und Vergehen begrif- 
fen, aber auch nicht in Gleichheit der Form bei gänz- 

licher Verschiedenheit der Substanz (Origenes, — der allerdings 
nicht nur wie Delitzsch die Identität der Substanz, sondern 
sogar die Gleichartigkeit leugnet). Die wahre Identität liegt 
zwischen jener grobmateriellen (damit verwirft er die schrift- 
gemäße lutherische Lehre) und dieser rein formalen in der Mitte. 
Gott bringt aus der Welt der Verklärung (eine Phrase, bei der 
sich alles Mögliche denken läßt, aber nichts Bestimmtes gesetzt 
ist) die Grundstoffe unserer Leiber wieder zusammen, in glei- 
cher Bestimmtheit der sie durchwebenden Kräfte und gleicher 
Mischung der wesentlichen Bestandteile, soweit diese Bestimmt- 
heit und diese Mischung die Individualität des einzelnen bedin- 
gen”. Von allen Phrasen entkleidet ist der Sinn dieser Erklä- 
rung dieser : Die Grundstoffe der Dinge werden nach dem Ende 
der Welt von Gott erneuert; und aus diesen Grundstoffen bringt 
Gott zu einem neuen Leibe für die Gläubigen zusammen die 
Bestandteile in der Menge und in der Mischung, wie es dem 
jetzigen Bestände jeder Leiblichkeit entspricht. So wird wohl 
eine Erhaltung der Grundstoffe, aber nicht eine Auferweckung 
derselben Leiblichkeit, sondern eigentlich eine Neuschaffung des 
Leibes gelehrt. Es wird nicht ein Anziehen des Unverweslichen 
seitens des Verweslichen, daß die frühere, verwesliche Leiblich- 
keit die Unverweslichkeit anzieht, gelehrt, sondern ein Anziehen 
des Unverweslichen seitens der verklärten Seele, daß die Seele 
eine unverwesliche Leiblichkeit anzieht. Es wird Identität der 
Substanz quoad formam, aber nicht quoad numerum gelehrt. 
Das Ganze ist eine feine Umgehung der Schriftlehre, derer man 
sich eben schämt im Gegensatz zu Paulus, der sich des Evan- 
geliums nicht schämte und dazu, wie er 1. Kor. 15 lehrt, be- 
sonders das freudige Bekenntnis der Auferstehung rechnet und 
zwar in dem Sinne, daß dies Verwesliche, To^apTOKTovro, 


1 System der bibl. Psychologie, S. 457, 


§ 73- Von der Auferstehung. 


247 


das dies auf die einzelne Leiblichkeit mit ihrer Substanz h i e 1 
gebend, die Unverweslichkeit anzieht. Was Delitzsch von den 
verklärenden Grundstoffen sagt, hängt zusammen mit seinen 
weiteren Phantastereien über die verklärte Erde. Luthardt 2 
pflichtet Delitzsch ganz bei, teilt also seine Irrtümer. 

Es gehört zur partiellen Antithese auch die Annahme einer 
zweifachen Auferstehung, einer partikularen 
zur Eröffnung des tausendjährigen Reiches (Chiliasmus) und 
einer universalen am Jüngsten Tage. Die krassen Chilia- 
sten lehren eine Wiederkunft Christi vor dem Jüngsten Tage 
zur Eröffnung des tausendjährigen Reiches, bei welcher Christus 
eine Anzahl Frommer und besonders Märtyrer auf erwecken 
wird, damit sie die Herrlichkeit des chiliastischen Reiches mitge- 
nießen. Die Schrift aber kennt weder eine doppelte Wiederkunft 
Christi, noch eine doppelte Auferstehung. Ist die Auferstehung 
am Jüngsten Tage wirklich universal, so können keine Toten 
vorher auferstanden sein außer dem Erstling Christus. Man hat 
diese Irrlehre hineintragen wollen in i. Kor. 15, 23, daß diese 
Stelle sagen soll : Zuerst kommt die Auferstehung Christi, dar- 
nach die partikulare der Frommen und Märtyrer zum tausend- 
jährigen Reich ; dann kommt am Ende des tausendjährigen 
Reiches das Ende der Auferstehung in der allgemeinen Auferste 
hung. Allein, klar und deutlich genug ist rc'Ao? (V. 24) nich: 
das Ende in bezug auf verschiedene Auferstehungsperioden, son- 
dern das Ende überhaupt. Diese Stelle sagt, was alle ähnlichen 
sagen: Erst ist Christus auferstanden als der Erstling; ihm nach 
stehen alle die Seinen auf, und damit kommt das Ende aller Dinge. 

Eine fernere partielle Antithese ist die L e u g n u n g der 
Auferstehung der Gottlosen, oder andemteils, die Annahme, 
daß die Gottlosen kraft des Verdienstes Christi 
auf er stehn. Die Auferstehung der Gottlosen leugnen alle Sozinia- 
ner mit Ausnahme von Schlichtin g. Nach ihrer Lehre wer- 
den am Ende der Welt die Gottlosen nach Leib und Seele völlig 
vernichtet. So ein 3 sagt: Nisi nobis novus Dei favor adsit, 
ne c esse est omnino , ut omnes moriamur, et in ipsa morte manea- 


2 Kompendium, § 77, S. 388. 

3 Praelect. Theol. , cap . I, v . Quenstedt L c. qu. JI, antithesis . 



248 


§ 73- Von der Auferstehung. 


mus . Ebenso lehren die Baptisten. Auch Hofman n 4 lehrt 
so, indem er erklärt, daß die Vernichtung des Todes (i. Kor. 15, 
26) auch Vernichtung des Totenreichs und der Unterwelt * isL / 
So ist es für die Spekulation, welche eine Flut von Bibelstellen, 
in denen Gott ewige Verdammnis lehrt, nichts achtet. 

Daß die Gottlosen kraft des Verdienstes Chri- 
s t i auferstehn, haben Kalvinisten gelehrt. So sagt Calvin 5 
selbst : Sed hic difficilior quaestio exoritur: Quo jure communis 
sit intpiis et a Deo maledictis resurrectio, quae singulare est 
Christi beneficium. Auf den Einwurf : Quid minus consentane - 
um, quam eos in obstinata sua coecitate consequi, quod sola fide 
recupermt pii Dei cultoresf antwortet er: Respondeo , non de- 
bere videri tarn insolitum t cujus simulitudinem in quotidiano usu 
cernimus . Er bezieht sich darauf, daß Gott über Gerechte und 
Ungerechte die Sonne aufgehn, regnen lasse usw., also auf etwas 
ganz und gar nictit Analoges. Und dann spricht er unumwunden 
seinen Irrtum aus mit den Worten: Hinc certe cognoscimus, 
quae propria sunt Christi et membrorum ejus , ad impios quoque 
exundare. So stehn auch Partus, Heppe, Petrus Mar- 
tyr. Letzterer sagt 6 : Statuendum est, beneücio Christi vitam 
restituendam tum bonis , tum tnalis etiam, at pii coronabuntur 
magna gloria , impti vero afficientur magfia ignominia . Für den 
strengen Kalvinismus ist diese Irrlehre eine notwendige Konse- 
quenz ihres Systems. Der Grund der Seligkeit wie der Ver- 
dammnis ist das absolute Dekret Gottes, welches durchaus nicht 
auf Christum gegründet und darum absolut ist. Aber Christus 
ist Werkzeug zur Ausführung des Dekrets ; daher muß konse- 
quent seinem Verdienst sowohl die Auferweckung der Gottlosen 
wie auch der Frommen zugeschrieben werden. 

Eine totale Antithese *zur leiblichen Auferstehungslehre 
ist die Leugnung der Identität des jetzigen 
und des auferstandenen Leibes. Zwar viele, die 
dieser Leugnung sich schuldig machen, lehren eine Auferste- 
hung, aber es ist dieselbe im Sinne der Schrift gar keine. Dies 
gilt von Schlciermacher, der die scheinbar erst angenom- 

4 Schriftbeweis, II, 2, S. 658. 

5 Instil Hb. III t cap. XXV , 9, p. 182 . 

9 Vide Quenstedt, l. c. qu. f III f antithes . 


§ 73 * Von der Auferstehung. 


249 


mene Auferstehung nachher mit seinen gewöhnlich auf und ab- 
gaukelnden Reflexionen in ein Nichts auflöst. Er sagt beim 
zweiten prophetischen Lehrstück von der Auferstehung des 
Leibes : 7 „Christus hat nicht nur die unter seinem Volk herr- 
schende Vorstellung von der Auferstehung der Toten teils in 
bildlichen Reden t teils auch lehrend sanktioniert, sondern er 
schreibt in seinen Reden sich selbst auch die Auferstehung zu; 
und nur dies ist eine, wiewohl ganz natürliche und aus verwand- 
ten Reden hergenommene, weitere Ausbildung dieser seiner Leh- 
re, daß die allgemeine Totenerweckung den gewöhnlichen Fort- 
gang des menschlichen Erdenlebens auf eine plötzliche Weise 
unterbricht” Die Erläuterung hierzu sagt: i. Unser christ- 
liches Bewußtsein kann sich Seele ohne Leib nicht denken; und 
da ein Bewußtsein der Identität bei sehr veränderten Ver- 
hältnissen des Jetzt und Einst nicht gut annehmbar ist, so muß 
man um deswillen eine große Ähnlichkeit der jetzigen und 
zukünftigen Welt annehmen. Aber da kommt die Vollendung 
der Kirche zu kurz, die in einer ähnlich gedachten zukünftigen 
Welt nicht gut möglich; und daher muß die Ähnlichkeit be- 
schränkt werden. Tut man dies (durch Aufhebung der Sterb- 
lichkeit und des Geschlechtsunterschiedes), so muß der unsterb- 
liche und geschlechtlose (anders organisierte) Leib sich so sehr 
anders in jeder seiner Funktionen erweisen, daß wieder das Be- 
wußtsein der Identität beeinträchtigt wird. Also treffen hier die 
Forderungen der Identität der Leiblichkeit und der Vollendung 
der Kirche nicht zusammen und wir bleiben über dieses Lehr- 
stück im unklaren, was auch der Titel (prophetisch) andeuten 
soll. 2. Die gleichzeitige allgemeine Auferstehung aller setzt 
einen andern Zustand zwischen Tod und Auferstehung voraus, 
und es fragt sich, ob für Aufstellung von Vorstellungen über die- 
sen Zwischenzustand die Schrift eine Regel gibt oder auch 
nur eine Verpflichtung. Eine Regel nicht, denn was hier- 
her gerechnet werden kann, ist entweder der Lehre nach un- 
entschieden, oder überhaupt schon der Auslegung der 
Schriftworte nach streitig. Fest muß nur stehen bleiben, daß der 
Zwischenzustand als bewußtes Leben in Christo (nicht als 
Schlaf), ja als Zustand höherer Vollkommenheit zu fassen ist. 


7 Glaubenslehre, B. II, § 161, S. 530 ff. 


250 


§ 73- Von der Auferstehung. 


Darnach aber ist es schwer, die Auferstehung nicht für etwas 
Überflüssiges und die Wiedervereinigung mit dem Leibe nicht 
für Rückschritt zu halten (da ja der Zustand in der Tren> 
nung der Seele vom Leib ein Fortschritt). Höchstens bliebe 
übrig zu denken, daß im Zwischenzustand die einzelne Seele für 
sich mit Christo in Gemeinschaft sei, und insofern nicht durch 
Auferstehung beeinflußt, aber die Seligen untereinander seien 
in ihrem Wirken aufeinander durch die Auferstehung bedingt, 
und folglich diese zur Vollkommenheit nötig. Dann bliebe aber 
wieder die Vollendung der Kirche bis zur allgemeinen Aufer- 
stehung unterbrochen. Man habe deshalb die Auferstehung bild- 
lich verstanden und andere hätten sich so aus der Schwierigkeit 
gezogen, daß sie das künftige Leben gleich nach dem Tode be- 
ginnen ließen. Dann müsse man annehmen, daß die Seele den 
neuen Leib beim Sterben schon habe. Ebenso müsse man dann 
die Wiederkunft Christi und Gericht für Bilder ohne wesent- 
lichen Kern halten, gerade wie die allgemeine Auferstehung. Al- 
so stehe die Sache so: Auf einer Seite die biblische Vorstellung 
mit Wiederkunft Christi, allgemeiner Auferweckung und plötz- 
licher Veränderung der unvollendeten Kirche zur triumphieren- 
den und dies alles auf Kosten des wichtigen Gesetzes von der 
stetigen Entwicklung; auf der andern Seite die minder biblische 
(welche aber noch ihre naturwissenschaftliche Begründung brin- 
gen müßte), die die Kontinuität der Persönlichkeit und das be- 
ständige Herauswachsen der vollendeten Kirche aus der jetzigen 
rein hält. 3 . Bei der gangbaren Vorstellung von der Aufer- 
weckung bleibt noch eine weitere Schwierigkeit, daß doch die 
neuen Leiber nicht dieselben sein dürfen, sondern dem verschie- 
denen durch das Gericht entstehenden Status der Person ange- 
messen. Dann wäre aber schon vor der Auferweckung ein Ge- 
richt gesprochen, kraft dessen die Leiblichkeit der Gläubigen und 
Ungläubigen verschieden. Sind aber die Leiber gleich, so wird 
ja wieder durch die Auferweckung nicht das Gericht ausgeführt, 
wie es doch sein soll. — Nachdem Schleiermacher so nach allen 
Seiten hin die von ihm gründlich mißverstandene und unerkannte 
Lehre von der Auferstehung in seiner dialektischen Reflektions- 
mühle zermahlen, dekretiert er, daß zu einer Gewißheit nicht 
zu kommen sei, und nur dies als wesentlicher Gehalt festzuhalten 


§ 73* Von der Auferstehung. 


251 


sei, daß die Himmelfahrt Christi nur dadurch möglich ist, daß 
für all e menschlichen Einzelwesen eine an den gegenwärtigen 
Zustand anknüpfende Erneuerung des omanischen Lebens statt- 
findet, worüber wir aber nichts sagen können. 

Was von Schleiermacher gilt, das gilt auch von denen, wel- 
che die Auferstehungsleiber aus einem K e i m 1 e i b e hervor- 
gehn lassen, dann auch von denen, welche den neuen Leib aus 
einer Substanz, die hier nicht die seine war, entstehen lassen. 
O r i g e n e s nahm eine spirituale und himmlische Substanz für 
den Auferstehungsleib an. Aber, wenn der Auferstehungsleib 
in der Schrift mxvfAartKfc heißt, so ist daraus nicht zu schließen, 
daß er es secundum substantiam, sondern secundum qualitates 
sein wird. Paulus sagt, daß die Seligen «rufiora irrtv/uxriKi ha- 
ben, aber nicht, daß sie dem Leibe nach Trvcfya sein werden. Ähn- 
lich wie Origenes stehn die Spzinianer. Auferstehung im 
Sinne eines mit 'dem gegenwärtigen Leibe numero et substantia 
identischen Auferstehungsleibes leugnen sie ganz. Smalci- 
u s 8 : Ubi vero scriptum est , corpora nostra ex pulvenbus exci- 
tata et resuscitata proditura? Equidem me tale quid legisse non 
memini. Schlichtin g 9 : Libenter concedimus nosdn resur - 

rectione non numero tantum , scd et specie alia ab iis , quae 

terrae mandantur, habituros esse. Smalcius 10 : Corpora haec , 
quae nunc circumferimus f resurrectura non credimus, scd alia no - 
bis danda esse, ab apostolo edocti statuimus . Nur im Sinne von 
Origenes nehmen sie eine Auferstehung an. Sie sagen: Corpora 
esse resurrectura h. c. ipsos fideles homines , qui tunc-novis cor - 
poribus coelesribus induendi sunt , idque probant ex i. Cor. 15, 

ubi non idem corpus, quod seminatur sed al'iu d, vide - 

licet immortale , gloriosum et spirituale dicitur resurrecturum. 
Ähnlich stehn Arminianer und Baptisten. 

Ganz entschieden und im totalsten Sinne leugnen vulgäre 
und spekulative Rationalisten die Auferstehung. 
Wegscheider 11 : Tantum vero abest, ut resurrectio corporum 


8 Examen centum error, ad error em 89, f. 36, vide Scher seri Colle- 
gium antisocinian., p . 1194. 

9 Contra Meisnerum, de Trinit />. 91, vide Scherzeri Coli antisocinian ., 
p . 1196. 

10 L. c vide Quenstedt. I. c. qu. IV, antithes. 

11 Institutiones, § 193, p. 624. 


§ 74- Das Jüngste Gericht 


cüm sanae rationis praeceptis bene conciliafi queat. So beflissen 
erstere waren, die Unsterblichkeit zu beweisen, so entschieden 
leugnen sie, daß die Seelen in der Ewigkeit einen Körper haben. 
Nach ihrer Ansicht hat die Seele keine Leiblichkeit nötig, um 
tätig sein zu können, sonst dürfte sie auch bis zum Jüngsten 
Tage nicht ohne Leib sein. Dagegen: Es handelt sich in der 
Schrift gar nicht um die Frage, ob die Seele mit oder ohne Leib 
tätig sein kann, sondern die Schrift sagt einfach aus, daß der 
Mensch nach Leib und Seele die Seligkeit genießen soll. Das 
gewöhnliche Argument der Rationalisten 12 ist die physikalische 
Unmöglichkeit der Auferstehung derselben Leiber. Aber wir 
urteilen über Glaubenslehren nicht nach der Physik. Auch auf 
die Schrift hat man die Verwerfung der Auferstehung im schrift- 
gemäßen Sinne bauen wollen, z. B. auf r. Kor. 6, 13 und 15, 50. 
Allein, die erstere Stelle sagt nur, daß der Leib nach seinem 
jetzigen Gebrauch auf hört, und die zweite, daß er nach sei- 
nen Qualitäten aufhören wird. Aber weder die eine, noch 
die andere Stelle sagt, daß der Leib der Substanz nach 
vernichtet wird, vielmehr lehrt die Schrift, wie gezeigt, 
das Gegenteil. 


§ 74 . 

Das Juengste Gericht. 

( De extremo judicio.) 


LEHRSATZ I: 

Zwar ergeht schon im T ade über jeden Menschen ein abschlies- 
sendes Gericht , aber dennoch ist nach der Schrift gewiss, 
dass am Ende der Welt, oder am Jüngsten Tage, ein allge- 
meines Endgericht stattfinden wird . 

Anmerkung: — Daß sofort im Tode über einen jeglichen 
Menschen ein Gericht und Urteil erfolgt und nicht etwa die aus 
dem Leben Geschiedenen in einem vorläufigen Ort und Stande 
einer künftigen Entscheidung entgegenharren, ist bereits in § 72 


2 Wegscheider, l. c., p. 635. 


§ 74 Das Jüngste Gericht 


258 


ausgeführt. Aber neben diesem Gericht über den einzelnen und 
im besonderen und verborgenen (das judicium extremum parti - 
culare et occultum unserer Dogmatiker) lehrt die Schrift ein 
letztes allgemeines und offenbares Gericht über alle Menschen 
(judicium extremum universale et manifestum ). Und zwar sagt 
die Schrift nicht nur die Tatsache dieses Gerichts aus (Rom. 
3, 6; i. Kor. 5, 13; Matth. 10, 15; 11, 22. 24; Off. 20, 12. 13), 
sondern sie macht auch von demselben unter Hinweisung 
auf seine Schärfe und seinen Ausgang den reichsten paräne- 
tischen Gebrauch, einesteils zur Ermunterung zum 
Guten und Gottgefälligen (2. Kor. 5, 9. 10), sondei- 
lich zur Buße (Apg. 17, 31), zum Glauben (Joh. 5, 24), zur Ge- 
duld (Jak. 5, 8), zur Treue im Predigtamt (1. Kor. 3, 8 — 13), 
zur Lauterkeit und Aufrichtigkeit (1. Kor. 4, 5), andernteils zur 
Warnung vor allem Bösen (Joh. 5, 29; Heb. 10, 27; 
Jak. 5, 9 ; Matth. 12, 36) unter Hinweisung auf die Schonungs- 
losigkeit dieses Gerichts, namentlich zur Warnung vor Unglau- 
ben und Unbufifertigkeit { Matth. 10, 14. 15; Joh. 12, 47. 48; 
Röm. 2, 5) und besonders vor der Sünde wider den Heil. Geist, 
als deren unabwendbare Folge das Gericht hingestellt wird 
(Mark. 3, 29). Auch sonst noch enthält die Schrift anderwei- 
tige, reichliche Aussagen über das Jüngste Gericht, so über den 
Richter, die Art des Gerichts, die gerichteten Personen, die Ge- 
richtsnorm, den äußeren Vorgang und Ausgang (Matth, 25, 31 ; 1. 
Thess. 4, 16; Matth. 13, 50). Endlich spricht die Schrift auch 
aus, daß dieses Gericht in der göttlichen Gerechtigkeit begründet 
sei und die Lösung vieler Geheimnisse der Weltgeschichte und 
mancher rätselhafter Ungleichheiten in dieser Zeit bringen werde 
(Ps. 73, 16 — 20; Phil. I, 28; 2. Tim. 4, 8; 2. Thess. 1, 5 — 10). 

In der Antithese zur Schriftlehre, daß es ein Jüngstes 
Gericht gibt, steht die epikureische Denkart alter 
(Apg. 17, 31. 32) und neuer Zeit. So leugnete schon zur Zeit 
Christi die Sekte der Dositheaner, Anhänger des falschen, 
samaritanischen Messias Dositheus, ein Jüngstes Gericht. In 
der Reformationszeit war es besonders die Sekte der Liber- 
tiner, die die Lehre vom Jüngsten Gericht verwarf. Diese 
Sekte, die aus den Niederlanden über Frankreich in die Schweiz 
gekommen und besonders in Genf sich festgesetzt hatte, verfolgt ' 



254 


5 74* Das Jüngste Gericht. 


eine pantheistisch - antinomistische Richtung, leugnete Gottes 
Vorsehung und das Gewissen, verfiel in die ärgste Sittenlosig- 
keit, und lief zuletzt in vollen Atheismus aus. Die vulgären 
Rationalisten leugnen das allgemeine Jüngste Gericht, ob- 
wohl sie ein Gericht überhaupt anerkennen. Wegscheider 1 : 
Doctrina de judicio divino mortuis instante, Hebraeis antiquiori - 
bus nondum cognita> sub exilii Babylonii tempora detnunt a pro - 

phetis exculta est, ut horribilem aliquando futurum diem 

annunciarent , quo gravissimam a populi sui inimicis vindictam 
Jehova esset exaoturus, ics . 34, 1; 63 17. Dann führt er aus: 
Duplex tarnen et de judicio post mortem futuro in libris N. T . 
exstat narrandi typus. Alter Ule est , secundum quem Jesus ipse 
et apostoli f ex justissima Dei ipsius judicis sententia statim post 

mortem expectanda , virtutem fruituram esse praemio divino 

impr obitat em vero poenam sempiternam nullo modo effugere pos- 
se, simpliciter docuerunt , Matth. 5, 3 — 7/ 8, 11 ff.; Luc. 16, 22 

Alter autem (typus) tum formulis et allegoriis judaicis de 

adventu Messiae mortuos resuscitaturi atque sub judicium voca- 

turi , tum modo ac rationi humani judicii est accommodatus. 

In der Epicrisis 2 führt er aus, daß : 

1. die Aussagen der Apostel des Neuen Testaments über die 
Rückkehr Christi zum Gericht wohl dadurch entstanden seien, 
daß die Apostel mancherlei Aussagen des Herrn über den Sieg 
seiner Sache mit den bekannten jüdischen Vorstellungen von ei- 
nem letzten Gericht verschmolzen hätten ; 

2. gibt er zu bedenken, welches Unheil schon die in exal- 
tierten Köpfen gährenden Vorstellungen von der Wiederkunft 
Christi zum Gericht über die Welt gebracht hätten, — und mit 
der Erklärung: Quibus argumentis bene perpensis subsistere 
licet in simpliciore scripturae sacrae sententia (der obige erste 
Typus), macht er in aller Gelassenheit einen Strich durch die 
ganze gewaltige Schriftlehre vom Jüngsten Gericht. 

Die Stellung der Neukirchlichen Dogmatiker 
dem vulgären Rationalismus gegenüber kennzeichnet Rein- 
hard 3 : „Daß ein solches Gericht zu erwarten sei, findet die 


1 Institutiones, § 196, p. 627 sq. 

2 L. c § 199, p. 636 sq. 

8 Dogmatik, § 190, 2, S. 682. 


§ 74« Das Jüngste Gericht. 


265 


Vernunft schon wahrscheinlich. Sobald die Seele des Menschen 
als unsterblich gesetzt wird, muß auch angenommen werden, daß 
sie in einem andern Leben ein ihrem Verhalten gemäßes Schick- 
sal erwarte, da dies teils die Natur der Seele, teils besonders die 
Eigenschaften Gottes notwendig fordern”. 

In neurer Zeit leugnen Universalisten und ihre Ge- 
sinnungsgenossen, sogenannte Protestanten, Frei- 
gemeindler usw. das Jüngste Gericht. Ihr Dogma ist : Ein 
Jüngstes Gericht ist überflüssig, da doch alle Menschen selig 
werden. 

Die neuen spekulativen Theologen wenden 
teilweise das Kunststück von Schleiermacher an, der 
vom Jüngsten Gericht in seinem dritten der prophetischen Lehr- 
stücke redet, welche Lehrstücke seine ganze Glaubenslehre be- 
schließen und darum diesen Namen tragen, weil man über die 
in ihnen behandelten Lehrgegenstände nur Ahnungen und Ver- 
mutungen haben, aber es zu keiner bestimmten Lehrfassung brin- 
gen. Schleiermacher setzt den Begriff des Gerichts in 
etwas ganz anderes um. Seine These 4 vom Jüngsten Gericht 
lautet : „Die Vorstellung vom Jüngsten Gericht, wozu die Ele- 
mente sich ebenfalls in den Reden Christi vorfinden, will die 
gänzliche Scheidung der Kirche von der Welt darstellen, sofern 
die Vollendung der ersteren alle Einwirkungen der letzteren aus- 
schließt”. Er führt dann aus: 

t. Die gewöhnliche Vorstellung, daß im Gericht die Gläubi- 
gen von den Ungläubigen räumlich und dauernd getrennt wer- 
den, führe nicht zur Vollendung und Bewahrung der vollendeten 
Kirche, was doch das Hauptziel sein müsse, denn die aus dem 
Leben geschiedenen Gläubigen tragen doch in sich noch die 
Sünde, wenn auch im Verschwinden ; und wenn inan annehmc, 
daß die Wiederkunft Christi diesen letzten Rest der Sünde be- 
seitige, so müßte die Wiederkunft auch auf die Ungläubigen 
ähnlich wirken und man bekäme, wenn nämlich Christus phy- 
sisch wirkte, dann eine ganz plötzliche Wiederbringung aller 
Seelen ins Reich der Gnade. 

2. Wenn eine völlige Scheidung der Gläubigen und Un- 
gläubigen stattfindet, wie man nach Christi Reden meint an- 


* Glaubenslehre, § 162, S. 538 ff. 


256 


§ 74* Das Jüngste Gericht. 


nehmen zu müssen, so sei doch klar, daß dieselbe wohl die Selig- 
keit befördere, aber nicht die Vollkommenheit, die vielmehr ge- 
rade unter bleibender Einwirkung der Ungläubigen auf die Gläu- 
bigen, bei den letzteren durch stete Übung zunehmen müsse. 
Und da wir doch beständig die Lebensgemeinschaft mit Christo 
müßten im Auge behalten, der doch bei seinem Leben unter den 
Sündern nicht Einbuße an seiner Seligkeit litt, so können auch 
die Gläubigen durch das Fortfallen der völligen Trennung von 
den Ungläubigen keine Einbuße an der Seligkeit erleiden. Und 
endlich sei doch gewiß, daß trotz der Trennung von den Un- 
gläubigen in den Seelen der Gläubigen ein Mitgefühl mit dem 
Schicksal der ersteren sein werde, das seine Bitterkeit habe. 

Resultat : Die Scheidung, die der Jüngste Tag zwi- 
schen Gläubigen und Ungläubigen bringen soll, ist teils unzu- 
reichend, teils überflüssig. Da bleibe nur übrig anzunehmen, 
daß die Ungläubigen durch die Trennung von den Gläubigen 
allen Nutzens durch diese, nämlich durch ihren Einfluß auf sie, 
beraubt werden sollten. Dies aber heiße dem höchsten Wesen 
eine unwürdige Mißgunst zuschreiben; und von einer göttlichen 
Gerechtigkeit, die das fordere, habe die Schrift so wenig Aus- 
sage, daß wir nicht berechtigt, geschweige denn verpflichtet wä- 
ren, sie anzunehmen. 

3. Wenn man nach einer richtigen Vorstellung vom Jüng- 
sten Gericht suche, müsse man also Gedanken an göttliche Rach- 
sucht ebenso femhalten wie Gedanken an Furcht, daß die Seli- 
gen durch Kontakt mit den Ungläubigen noch wieder könnten 
zu Fall kommen. Dann blieben zweierlei Gedanken übrig: 

a. Sobald die Vollendung unserer Gemeinschaft mit Christo 
da ist, so mögen das Böse und die Bösen noch vorhanden sein, aber 
sie sind es nicht mehr für uns; und somit sind wir in der unge- 
trübten Fülle der göttlichen Gnade selig. 

b. Wenn wir die Kirche als vollendet denken und zugleich 
noch annehmen, es gebe noch einen Teil des menschlichen Ge- 
schlechts, der nicht von Christi Geist ergriffen, so könne dies 
nur unter der Bedingung angenommen werden, daß dieser Teil 
gegen alle Einflüsse der Kirche (die nämlich noch bessern könn- 
te) verwahrt bleibe. 

Auf diese inhaltslosen „Wenns” kommt also die ganze spitz- 


§ 74* Das Jüngste Gericht 257 

findige Tüftelei hinaus. Sie sind inhaltslos. Denn wenn nach 
Schleiermachers pantheistischer Grundstellung die Vollendung 
der Kirche da ist, gibt es kein Böses und keine Bösen mehr. 
Denn das Böse ist das noch nicht gewordene Gute, aber die 
Vollendung der Kirche ist ja absolute Vollendung des Guten. 
Das Ganze ist eine wahrhaft widerliche Spielerei mit heiligen 
Dingen. 

Als Argument gegen das allgemeine Gericht am Jüngsten 
Tage wird auch sonst oft das partikulare Gericht Gottes über 
den Menschen im Tode gebracht und dahin formuliert, daß das 
allgemeine Gericht überflüssig sei, da der Mensch schon ge- 
richtet sei. Auf dies Argument werden wir bei der Darstellung 
des Zwecks des Jüngsten Gerichts eingehn. 

LEHRSATZ II: 

Der Richter am Jüngsten Tage ist Gott und zwar in der Person 

Jesu Christi , des Gottes- und Menschensohnes . 

Anmerkung: — Daß die richterliche Gewalt der ganzen 
Dreieinigkeit zukommt, sagt die Schrift Ps. 9, 8; Apg. 10, 42; 
17, 3 1 »' J°h. 5 > 22 > Röm. 2, 16. Doch wird Gott das Gericht so 
halten, daß der Gottes- und Menschensohn der Richter ist Jesus 
wird 2. Tim. 4, 8 der Richter genannt. Es wird gesagt, daß er 
von Gott, oder vorn Vater, als Richter verordnet ist (Apg. io, 
42 ; 17, 31 ; Röm. 2, 16). Es wird ausgesagt, daß er das Richter 
amt wirklich als Richter verwaltet, denn er nimmt den Stuhl der 
Herrlichkeit ein (Matth. 19, 28; 25, 31. 32), welches der Richt- 
stuhl ist (Röm. 14,- 10; 2. Kor. 5, 10). Auch werden die richter- 
lichen Funktionen „vergelten, verdammen” ihm zugesprochen 
(Matth. 16, 27; 2. Thes. 1, 5. 8). Auch wird ausdrücklich der 
Grund angegeben, warum Christus der Richter am Jüngsten 
Tag sein soll, nämlich weil er der Menschensohn ist, wörtlich: 
Weil er Menschensohn, on mos &vdpu>irov i<rr(v (Joh. 5, 27). 
Schwerlich legt Ouenstedt dies mit anderen unserer Alten rich- 
tig aus, indem er ort = *a0<m faßt und zwar in diesem Sinne : 
Der Vater hat dem Sohne auch das Gericht gegeben, sofern 
er der Menschensohn ist, quatenus homo est r i. e . secundum 
humanam naturam . Denn der Zusammenhang der Stelle weist 
nicht darauf, daß die Mitbeteiligung der menschlichen Natur an 
dem Gerichthalten des Menschensohnes hervorgehoben werden 



258 


§ 74* Das Jüngste Gericht. 


soll, sondern es wird offenbar auf die angenommene Menschheit 
hingewiesen als auf einen Grund, weshalb Christus überhaupt 
speziell der Richter ist und der Vater ihm das Gericht zu ver- 
walten gibt. Nach vielen Auslegern ist nun dieser Grund fol- 
gender: Der Sohn richtet, weil er der Menschensohn ist, da der 
Vater, d. i. der verborgene Gott, nicht richten kann, wohl aber 
der Sohn, der menschliche Erscheinung hat Dieser Grund al- 
lein ist nicht ausreichend, obschon mitbestimmend. Wir müssen 
auf die schon im Alten Testament Jes. 53, 10 gegebene Erklä- 
rung zurückgehn, daß alles Vornehmen Gottes, d. hi alles mit der 
Erlösung und seinem Reich Zusammenhängende, soll durch die 
Hand seines Knechtes fortgehen, worauf auch jedenfalls Apg. 
17, 31 anspielt. Aber Knecht Gottes, der dem Willen Gottes 
dient zur Erlösung, ist der Sohn nur als der Menschgewordene. 
Der eben behandelte Spruch (Joh. 5, 27) ist schon eine Haupt- 
aussage, daß Jesus Richter ist nicht nur als Gott, sondern auch 
als Mensch. Dies ist auch sonst aufs deutlichste ausgesagt. 
Denn : 

1. wird der Richter als Menschensohn bezeichnet, 
und das ist Bezeichnung der menschlichen Natur. Der Menschen- 
sohn nimmt den Stuhl als Richter ein (Matth. 19, 28; 24, 30; 
vgl. Rom. 14, to; 2. Kor. 5, 10) und wird Richterfunktionen 
ausüben (Matth. 16, 27; 25, 31 ff.). 

2. Der Richter wird vom Himmel kommen ( 1. Thes. 4, 16 ; 2. 
Thes. I, 7) und zwar sichtbarlich, wie er aufgefahren ist (Apg. 
1, 11 ; Luk. 21, 27).. Aber die sichtbare Auffahrt galt umvider- 
sprechlich von seiner menschlichen Natur, wie überhaupt alle 
Stufen der Erhöhung zu ihrem eigentlichen Subjekt nicht die 
Gottheit, sondern die Menschheit haben. 

3. Das Gericht ist Christo gegeben (Joh. 5, 27). Dies 
muß notwendigerweise angenommen werden als eine Aussage, 
daß die menschliche Natur am Gericht teilhat. Als Gottes Sohn 
und ewiger Gott hat Christus die richterliche Gewalt von Ewig- 
keit gleich dem Vater, oder man muß die Schrift umstoßen, 
gleiches Wesen und Würde des Sohnes leugnen und damit den 
Subordinationismus vertreten. 

Gegen die vorgetragene Schriftlehre stehn in Antithese Kal- 
vinisten und auch Papisten. Admonitio N e 0 s t a a. 


§ 74* Das Jüngste Gericht 


259 


de Form . Conc. 1 : Humana Christi natura de coelo descendet in 
nube , conspicietur in gloria , testante in ea habitantem D eitat em, 
et feret sua voce sent enttarn extremi judicii; divina inspiciet et 
manifestabit omnium corda et conscientias, dictabit et exequetur 
sua potentia latam sententiam . Hiernach hat die menschliche 
Natur Christi, wie ja schon bei den Kalvinisten aus ihrer Leug- 
nung der communicatio idiomatum folgt, nicht die Fähigkeit, die 
Gewissen der Menschen im Jüngsten Gericht zu erforschen, auch 
nicht das Recht, Urteil zu fällen und zu vollziehn; beides fällt 
der göttlichen Natur allein zu. Die menschliche Natur Christi 
fungiert gleichsam nur als Ausrufer des von der Gottheit ge- 
fällten Urteils. Ähnlich erklärt B e 1 1 a r m i n bei Gelegenheit 
der Widerlegung der schriftgemäßen communicatio idiomatum, 
daß dem Menschensohne das Gericht nicht zukomme quomodo - 
cunque, also nicht in der Weise der Gottheit, sondern nur exterius 
et sensibüiter , nur darum, weil er propter carnem assumptam visi - 
bilis est . Adam Contzen (Jesuit f 1635) sagt in seinem 
Evangelien - Kommentar zu Joh. 5, 22: Alto omni modo Pater 
judicat , hoc modo visibili non judicabit, sed judicium Filio dedit . 
In der Randbemerkung dazu fügt er hinzu: De externa forma 
judteis est sermo. Suarez 2 (Jesuit f 1614. War Prof, zu- 
erst in Valladolid, dann nacheinander in Rom, Alcala de Henares, 
Salarnanca, Coimbra, woselbst er auf Anregung Pauls V. gegen 
Jakob I. und den englischen Huldigungseid sein berühmtes Werk 
schrieb: Defensio fidei catholicae et apostolicae adversus angli- 
canae scctae errores , welches aber Jakob durch den Henker vor 
der Paul§kirche verbrennen ließ.) : Potestatem judicandi Christo 
in Humanität e datam , non esse primariam, sed secundariam et 
quasi ex commissione Dei datam , hanc potestatem esse inferiorem 
divina et hoc sensu dici posse minist erialem. 

Wie ist dies zu verstehn, daß der Herr selbst das Gericht 
auch den Jüngern zuschreibt ( Matth. 19, 28 ; Luk. 
22, 30) , sowie den Aposteln und den Gläubigen über- 
haupt (1. Kor. 6, 2. 3; Weish. Sal. 3, 8), und daß der Herr von 
den Niniviten und der Königin von Mittag sagt, sie würden das 


1 P. 21, vid Quenstedt , L c., pars IV, cap. XIX, sect, II, qu. III, 
antitkes. I, p. 620 . 

2 Bei Quenstedt, I. c obj. dial II, p. 621. 



200 


§ 74* Das Jüngste Gericht 


ungläubige Geschlecht seiner Zeit verdammen (Matth. 12, 41. 
42) ? In letzterer Stelle ist nicht notwendig ein wirklich richten- 
des Tun ausgesagt ; es kann sehr wohl davon verstanden werden, 
daß ihr Beispiel zeigt, wie verdammlich die sind, welche mit 
der Fülle der Gnadenpredigt bedacht, dagegen nicht Buße taten. 
Die ersten Stellen aber sprechen von wirklichem Richten, ja 
Christus weist den Aposteln für den Tag des Gerichts eine exi- 
mierte Stelle in seiner Nähe an. Unsere Dogmatiker bauen auf 
diese Stellen die Erklärung : Assessores et festes judicii 
erunt in specie apostoli (Matth. 19 , 28; Luc. 22 , 30) et in genere 
ontnes sancti ( 1 . Cor. 6 , 2. 3). Etwas mehr erklärt Bai er 8 ; 
Homines vero sancti festes et comprobatores judicii Christi erunt. 
Quenstedt 4 selbst gibt folgende nähere Erklärung : Dicen- 
dunt ergo potius: Sanctos in extremo die suo modo mundum et 
malignos spiritus judicaturos r. Christo judtci assidendo , 2. sen- 
tentiam judicis suo calculo publice approbando } 3. testificando, 
quatenus de piorum beneficentia ac liberalitate sibi praestita , 
aliisque 0 peribus bonis testimonium f er ent, et 4. exemplo con- 
stantiae fidei suac impios et malos angelos damnando. Gegen 
diese Erklärung läßt sich nichts einwenden, denn teilweise, näm- 
lich in Punkt 3 und 4, wiederholt sie nur, was die Schrift selbst 
aussagt. Sodann aber sagt sie über die Weise des Richtens der 
Apostel und Gläubigen überhaupt nichts Näheres aus. Die wirk- 
lich in Punkt 1 und 2 gemachten Aussagen enthalten aber jeden- 
falls nichts der Schrift Widersprechendes. Indes, da die Schrift 
doch einmal den Modus des Richtens der Apostel und Gläubigen 
nicht genauer erklärt, können selbstverständlich die Erklärungen 
der Dogmatiker auf absolute Gewißheit keinen Anspruch ma- 
chen. 

Leicht wird einem auch die Frage kommen : Warum be- 
kommen die Apostel, denen doch alle Heiligen als assessores und 
festes in der Teilnahme am Gericht wesentlich gleichstehn wer- 
den, doch einen eximierten Platz in demselben (Luk. 22, 30; 
Matth. 19, 28) ? In der letzteren Stelle erscheint das ,, Sitzen 
auf Stühlen” und das „Richten der zwölf Geschlechter Israels” 
als eine Belohnung der Jünger für ihre Nachfolge des Herrn, 


8 Compendium, pars /, cap. X § X, p. 279. 
* L. c., sect. I, thes . VII. 


§ 74* Das Jüngste Gericht 


261 


denn diese Verheißung des Herrn das Gericht betreffend erfolgt 
nach der Frage Petri: „Was wird uns dafür ?” In der Stelle 
aus Lukas, wo diese Worte der Einsetzung des heiligen Abend- 
mahls folgen, also zu einer ganz anderen Zeit gesagt sind als bei 
Matthäus, geht voraus der Zank der Jünger, wer unter ihnen 
sollte für den Größesten gehalten werden. Hierbei weist der 
Herr auf sein eigenes Dienen hin und schließt daran die Ver- 
heißung, wie sie bei Matthäus gegeben ist, mit der besonderen 
Bemerkung: „Ich will euch das Reich bescheiden, wie mir’s 
mein Vater beschieden hat”. Das Richten der Jünger erscheint 
also als eine Belohnung für dieselben, aber es wird weder in 
seinem Verhältnis zum Richten Christi, noch in seinem Modus 
näher erklärt, i. Kor. 6, 2. 3 wird gesagt, daß die Heiligen 
die Welt, ja die Engel richten sollen. Irgendeine besondere Stel- 
lung, wie den Jüngern, wird ihnen nicht ausdrücklich gegeben. 
Wenn man aber der Parallele Pauli folgt, sofern er die Gläubi- 
gen tadelt, daß sie ihre Händel vor den heidnischen Richter brin- 
gen, der doch hier als hörend, richtend, entscheidend, Gewinne 
oder Verluste setzend zu denken ist, während sie selbst Welt 
und Engel einmal richten sollen, so müßte man ihnen richter- 
liche Funktionen ähnlich denen eines weltlichen Richters zu- 
schreiben. Indessen, da die Schrift dies nicht positiv aussagt, 
so können wir die so gewonnenen Erkenntnisse über den Modus 
ihres Richtens nicht für gewiß ansehn. Nun ist uns ja in Matth. 
25, 31 ff. eine Beschreibung des Jüngsten Gerichts gegeben. 
Hier wird: 

1. in V. 31 nicht, wie uns als naheliegend erscheinen könnte, 
etwas von den Stühlen der Jünger erwähnt; 

2. es wird nicht irgendwie ausdrücklich ein Mitrichten der 
Jünger und Gläubigen beschrieben; 

3. es ist für uns nicht leicht möglich, anders als erst V. 40 
und 45 einen Platz für das Mitrichten zu sehn ; 

4. am unmittelbarsten würde sich ein Mitrichten als das von 
Quenstedt genannte testes oder testificando ergeben. 

Weitere Auskunft wird auf Grund der Schrift nicht gege- 
ben werden können. Nur werden wir noch angesichts einer Er- 
klärung Christi wie Joh. 12, 26, daß der Vater die Gläubigen einst 
ehren werde, wohl annehmen können, daß die Art des Mitrich- 



262 


§ 74- Das Jüngste Gericht. 


tens der Jünger und Gläubigen sicher eine bedeutsame und herr- 
liche sein werde; vergl. 2. Thes. I, 10. 

Die Lehre unserer Dogmatiker trägt auch noch Siegm. 

J. Baumgarten 5 vor : „Insbesondere ist zu bemerken, 

daß die heiligen Engel und die vollendeten Gerechten nicht 
nur Zuschauer und Zeugen, sondern auch Beisitzer dieses all- 
gemeinen Weltgerichts sein und das Urteil mit fällen werden; 
indem der Richter nach derselben Erkenntnis sprechen; auch 
sein Urteil ihre höchste Genehmhaltung haben wird, so daß sie 
nach ihrer vorhergegangenen eigenen Lossprechung die höchste 
Genehmhaltung des Verdammungsurteils der übrigen bezeugen 
und an den Tag legen werden”. Genauen Nachweis aus Schrift- 
worten bringt er freilich auch nicht. 

Im Anschluß daran, daß Christus am Jüngsten Tage als 
Richter erscheint, wird von unsem Dogmatikern noch vielfach 
die Frage aufgeworfen: An zulnerum in passione acceptorum 
praecipuas cicatriees ostensurus sit in die pantocritico judex vi- 
vorum et mortuorum f Christus Jesus f* Viele Theologen, wie 
Brenz, Aeg. Hunnius, Förster, Gefiner, unter den 
Kalvinisten Calvin selbst, stellen dies in Abrede. Nach der 
Auferstehung, so sagen diese, habe Christus nur noch kurze Zeit 
die Wundenmale getragen, Kar oitcovofiu iv et per dispensationem 
pro informandis discipulis et confortanda eorum ßde. Viele an- 
dere Theologen bejahen die Frage. Lut her 7 : ,, Solches ge- 
schieht alsdann und kommet auch allein daher, daß Christus uns 
weiset seine Hände und Seite, d. i. so er uns durchs Wort zeiget, 
wie er vor uns gekreuzigt, sein Blut vergossen und gestorben 

Denn es ist genug, daß er auf einmal solches sichtig- 

1 i c h gezeiget, beide, ihren und unsern Glauben zu stärken.” 
Diese Worte klingen, als ob B r en z, der ja überhaupt sehr treu- 
lich Luthers Fußtapfen nachgeht, auch hier auf Luthers Vorgang 
fuße, und als ob Luther die Meinung geführt habe, daß nach den 
vierzig Tagen Christus die Wundenmale nicht mehr getragen 
habe. Doch Gerhard 8 führt dagegen diese Erklärung Luthers 


B Glaubenslehre, B. III, Art. 26, § 2, II, 3, S. 717. 

8 Quenstedt, /. c., sect. II, qu . IV, p. 622. 

7 Kirchenpostillc, zweite Predigt am Sonntage Quasi modogeniti, Leipz 
Ausg. B . XIII , S. 546. 

8 Harm. Ev. 


§ 74« Das Jüngste Gericht. 268 

an : „Und kann wohl sein, daß er dieselben Zeichen oder Male 
behalten habe, die vielleicht viel schöner und herrlicher am Jüng- 
sten Tage leuchten werden denn sein ganzer Leib 9 .” Derselben 
Ansicht wie Gerhard sind Chemnitz, Glassius, Tarno- 
v i u s, die sich ebenfalls auf Luther berufen. Als Schriftbeweis 
für ihre Ansicht führen diese Theologen Sach. 12, 10; Off. 1, 7; 
Joh. 19, 37 an. Zwar geben diese Stellen keine absolute Gewiß- 
heit. aber es gibt gewiß auch keine Schriftstelle, durch welche 
diese Ansicht irgendwie als unwürdig und unstatthaft hingestellt 
würde, so daß für ihre Verwerfung eine Berechtigung wäre. 

LEHRSATZ IIL 

Die Personen , •welche am Jüngsten Tage gerichtet werden , sind 
die bösen Engel , sodann die Menschen überhaupt , und im 
besonderen die Gottlosen , vorab der Antichrist. 

Anmerkung: Es handelt sich hier also um das objectum 
personale des Gerichts, nicht um das objectum reale, worunter 
der Unglaube, Gottlosigkeit, böse Werke, Gedanken und Worte 
zu verstehn sind, die an denen, welche objectum personale sind, 
gerichtet werden. Dies sind erstlich die Engel, die nach aus- 
drücklicher Erklärung der Schrift zum Gericht des großen Tages 
behalten (2. Pet, 2, 4; vergl. Jud. 6), von den Gläubigen gerich- 
tet (1. Kor. 6, 2. 3) und zur Verdammnis bestätigt werden sollen 
(Matth. 25, 41), welches Urteil Off. 20, 10 in der Prophetie als 
ausgeführt zeigt. Objectum personale des Gerichts sind zum an- 
dern alle Menschen. Alle V ölker erscheinen vor dem Richtstuhl 
(Matth. 25, 32), alle, auch die Gläubigen müssen vor dem Richt- 
stuhl offenbar werden { 2 . Kor. 5, 10). Dem Menschen ist 
schlechtweg Sterben und Gericht gesetzt (Heb. 9, 27) ; und als 
Gericht über alle Menschen wird Off. 20, 12 das Gericht be- 
schrieben. Aber besonders werden die Gottlosen als objec- 
tum personale des Gerichts genannt, wenn vom Gericht mil Her- 
vorhebung des Schreckensvollen desselben geredet wird (Heb. 
10, 27; Mark. 3, 29; Joh. 5, 29; 1. Kor. 11, 29; fak. 2, 13; 2. Pet. 
2, 4; Off. 20, 10. 15). 2. Pet. 2, 4 gehört hierher, weil in dieser 
Stelle durch Vergleich mit den Engeln den Gott losen da 5 Gericht 
ganz gewiß gemacht wird. 


9 A. a. O., Predigt über d. and. Teil d. Evan. von St. Thoma, S. 557 


264 § 74* Das Jüngste Gericht. 

Wenn nun die Schrift zwar für alle Mer. sehen das Gericht 
ansagt, aber doch den Gläubigen nicht in gleicher Weise wie den 
Gottlosen mit dem Gericht droht, so sagt sie uns damit, daß die 
Gläubigen nicht in derselben Weise ins Gericht kommen wie die 
Gottlosen, d. h. daß das Gericht an den Gläubigen nicht nach 
seinem eigentlichen Wesen zur Ausführung kommt. 
Dies besteht aber ganz besonders in der Hervorziehung 
der Sünde (Matth. 25, 41. 42 ; 1. Kor. 4, 5 ; Röm. 2, 16 vergl. 
mit Ps. 50, 21; 1. Tim. 5, 24), in der Feststellung der 
Verschuldung (Matth. 25, 44. 45) und in der damit ver- 
bundenen öffentlichen Beschämung und dem Zuschan- 
denwerden. Die Gläubigen werden also am Jüngsten Tage 
zwar vor dem Richtstuhl Christi erscheinen müssen (2. Kor. 5, 
10); aber nachdem sie eben offenbar gemacht worden sind 
von Christo als Gläubige (Matth. 25, 32. 33), werden zwar ihre 
guten Werke hervorgehoben werden (Matth. 25. 34 — 40), aber 
nicht also ihre Sünden, deren sie sich auch reichlich in ihrem 
Gnadenstande schuldig gemacht haben. So ist es zweifellos ge- 
meint, wenn die Schrift von den Gläubigen sagt, daß dieselben 
nicht gerichtet werden (Joh. 3, 18; 5, 24 vergl. V. 29), daß eben 
die Gläubigen nicht nur kein verdammendes, sondern 
überhaupt auch kein über ihre Sünde urteilendes Gericht 
erfahren. 

Unsere Dogmatiker leiten aus der Schrift dieselbe Lehre 
ab, daß allerdings alle Menschen ohne Unterschied vor den 
Richtstuhl Christi kommen werden, daß aber alsdann ein Unter- 
schied im judicium sein werde. Quenstedt 1 : Aliud est , 
venire in judicium ratione comparitionis, absolutionis et rnnune- 
rationis , et aliud , venire in judicium ratione cognitionis pecca- 
torum et condemnationis. PU veniunt in judicium ratione com- 
paritionis, 2 . Cor. 3, .10, absolutionis , Matth. 25, 34; Luc. 21, 36, 
remunerationis , 2. Cor. 5, 10; 2 . Titn. 4 , 8; non venient in judi- 
cium ratione cognitionis pcc catorum, Esa. 43 , 23; Jer. 31, 34; 
Ezech. 18, 22 , et condemnationis, Joh. 3, 24. Der Ausdruck 
judicium comparitionis ist zuvar dahin erklärt ( ekthes . II) : Ac- 
cipitur vox Ertremi Judicii pro comparitione omnium hominum 

1 Theol. did. pol., pars IV, cap. XIX , sect. II, qu. V, ekthes. IV, 
p. 628. 


§ 74* Das Jüngste Gericht 


m 

coram tribunall Christi , ut per ipsunt in ultimo die cognoscant , 
quid de ipsis Deus statuat , Rom . 14 10. seq Matth . 25, 32; et 
sic quoque pii ac üdeles venient in judicium et judicabuntur, 2 . 
Cor . 5, 10. 

Unsere Dogmatiker gehn dann auf die Sache noch genauer 
ein durch Aufstellung bestimmter quaestiones . H o 1 1 a z 2 : 
An etiam üdelium peccata in die Judicii Extremi examinabuntur 
et publicabuntur? Seine Antwort lautet: Singula üdelium pec 
cata in die novissimo spcciatim a Christo examinatum et publica - 
tum iri non est probabile . Sein Beweis ist genommen : 

1. A promissiöne divina. Promisit Deus, se veile pcccata 
nostra delere ut nebulas, Esa. 44, 22 , projicere post tergum , Esa. 
38, xj, demergere in profundum maris, Mich. 7, 19, ut eorum non 
amplius recordetur, Esa. 43, 25. Sed quorum Deus non vult 
recordari , ea non publicat. 

2. Ab immutabilitate Dei. Voluntas Dei est immutabilis, 
Mal . 3, 6. Quoniam itaquc Deus in hac vita fidelibus peccata 
remisitj improbabile est , eundem peccata remissa in altera vita ad 
rigidum examen rcvocaturum esse. 

3. Ab affe du judicis. Veniet Christus ad judicium ut noster 
Redemptor , L uc. 21, 28. Qm sistit sibi ecclesiam splendidam , non 
habentem maculam aut rugam , aut quiequam talium, Eph . 5, 27, 
maculas sanctorum non propalabit. Entschiedener äußert sich 
Gerhard 3 . Nachdem er in § 63 die Gründe derer angegeben 
hat, welche die Frage bejahen, sagt er § 64: Negantem quacsti- 
onis partem statuunt plerique omnes ex nostris. Er argumen- 
tiert : 

/. a processu judiciali Matth. 23 descripto . Hier sei aber 
von Veröffentlichung der Sünden der Gläubigen nicht die Rede. 

2. A Dei gratuita promissionc et misericordia , ganz wie bei 
Hollaz. 

3. A Dei immutabilitate. 

4. A judicis erga pios affe du. 

5. A Christi officio. Wenn Christus die Sünden der Gläu- 
bigen am Jüngsten Tage offenbaren würde, dann würde er gegen 
sein hohepriesterliches Amt handeln, das ja gerade darin besteht, 


2 Examen , pars III , sect. II, cap. X, qu. 13, p. 738. 

8 Loci, tom. XIX , loc. XXIX, cap, V, § LXIII — LXV. p. ?o8 sq. 



266 § 74- Das Jüngste Gericht. 

daß er die Sünden getragen, gebüßt und mit seinem Blut getilgt 
hat (Röm. 4, 25). 

6. A conversorum exemplo . Der Sünden der Bekehrten will 
Gott nicht mehr gedenken. 

7. A piorunt conditione y Joh. 5, 24. 

8. A norma judiciL Norma ist das Evangelium ; und dieses 
erklärt die Sünden für bedeckt. 

Q. Ex consequente incommodo. Die Aufdeckung der Sünden 
gereicht zur Schmach. Nach der Schrift aber sollen die Gläubi- 
gen auferstehn ift Herrlichkeit (1. Kor. 15, 44; 1. Joh. 3, 2). 

10 . A causae necessariae defectu . Man mag Gott oder Chri- 
stum als Richter oder die Gläubigen ansehn, so findet man keinen 
zureichenden Grund für eine Aufdeckung der Sünden der Gläu- 
bigen. Dieser Grund ist an sich bedenklich. Wir würden eine in 
der Schrift geoffenbarte Sache anzunehmen haben, wenn wir 
auch ihren Grund nicht erkennen könnten, z. B. das Sitzen der 
Apostel auf Stühlen und das Richten der Gläubigen. Sehr ent- 
schieden äußert sich Q u e n s t e d t. Er behandelt den Punkt in 
2 quaestiones *. Quaestio VII lautet: Utrum peccata etimn elec - 
torum in Bxtremo fudicio sint manifestandaf Er antwortet: Non 
sicut impiorum et infidelium, ita quoque electorum et piorum 
peccata cor am Universität e hominum in novissimo judicio mani- 
festabuntur. Er führt dafür fünf Gründe an, die den von Ger- 
hard angeführten Gründen 1. 2. 4. 7. 10 entsprechen. Er geht 
weiter auf die Sache ein in quaestio VII : An pii ac fideles in die 
pantocritico discussionis judicium subituri sint ? Unter judicium 
discussionis ist verstanden, daß die einzelnen Sünden der Gläu- 
bigen unterschieden, in ihrer Art betrachtet und zur Beurteilung 
gebracht werden und zwar so, daß zugleich in dem Gewissen der 
Gläubigen die Zurechnung der Sünde zur Verschuldung vor sich 
geht, wie bei bußfertiger Betrachtung der Sünde hier im Leben. 
Antwort: Pii ac fideles non subituri sunt aliquod discussionis 
divinae in conscientiis suis judicium , sed sine examine , discussi- 
one et disceptatione ad vitam aeternam transituri sunt. Seinen 
Beweis führt er : 

1. aus Joh. 3, 18. Ergo nec illorum causa discutitur , qui in 


* L. c., p. ö?9. 


§ 74 Das Jüngste Gericht 


2#7 


cotispectum judicis veniunt cum certitudine suae salutis et beati 
tudtnis, imo jam beati sunt. 

2. Joh. 5, 24. Qui non veniunt in judicium, sed habent vitam 
aeternam, illoruni peccata nec publicantur, nec examinantur. 

Man sieht, daß Quenstedt den Stoff der ganzen Frage 
teilt und erst die rein objektive Seite, die Offenbarung der 
Sünden der Gläubigen, dann die mehr subjektive Seite, 
die an die Gewissen der Gläubigen dringende Dis- 
kussion, die mit der publicatio verbunden sein würde, behandelt. 

Die neuren Theologen entscheiden meist wie unsere Dog- 
matiker, freilich mit vielfach anderer, geradezu schriftwidriger 
Begründung, oft unter dem Einfluß Schleiermachers. So Eb- 
r a r d. Nach ihm ist die richterliche Gerechtigkeit die Norm 
des Gerichts, aber nicht das Motiv (ganz wie Schleiermacher, 
nach welchem in der Schrift von solcher fordernden Gerechtig- 
keit nichts steht), was ganz gegen 2. Thes. 1, 6; Röm. 2, 6 und 
2. Kor. 5, 10 ist. Das Motiv ist lediglich die Rettung und Vol- 
lendung der Gottesgemeinde auf Erden. Das Schlußgericht ist 
iK$(KTfvis für das wahre Israel Gottes. Kommt also Christus 
nur. um seiner Gemeinde Recht zu schaffen, so versteht sich von 
selbst, daß nicht die Seinen, sondern nur die Feinde Objekte des 
Gerichts sind. Dann wird freilich auf Joh. 5, 24 verwiesen. 
Luthardt 5 äußert sich so: „Christus wird nach dem Ver- 
halten gegen ihn richten (Matth. 25, 34 ff.). Wenn Joh. 5, 24 
steht, daß die Gläubigen nicht ins Gericht kommen, so ist aas im 
Sinne von 1. Joh. 4, 17, daß wir Freudigkeit haben am Tage des 
Gerichts, zu verstehn. Das richterliche Urteil Christi richtet sich 
nach den Werken, — dies ist konstante neutestamentliche Lehre. 

Die Werke sind aber nicht als bloß äußerliche und nicht 

bloß einzelne, sondern das sittliche Werk und der gesamte sitt- 
liche Bestand des Lebens überhaupt, wie er, durch die Gnade ge- 
worden, die Rechtfertigung zur Voraussetzung hat”. Dage- 
gen : 

1. In Matth. 25, 32 sind bereits die Menschen geschieden 
als Schafe von den Böcken ; und dann erst kommt der Herr V. 
35 ff. auf die Werke. 

4 2. Joh. 5, 24 heißt es schlechtweg: „Und kommt nicht in das 


5 Komp., § 78. S. 389- 


268 § 74- Das Jüngste Gericht. 

Gericht”. Vom Modus, der Freudigkeit oder ihrem Gegenteil, 
ist nicht die Rede. 

3. Die Schrift sagt schlechtweg: Wer da glaubt, der wird 
selig; wer aber nicht glaubt, wird verdammt. 

Was Luthardt vom sittlichen Werk und sittlichem Bestände 
durch Gnade und Rechtfertigung sagt, ist die gangbare Vermi- 
schung von Gesetz und Evangelium. 

Merkwürdigerweise gehen manche neure Theologen auf die 
vorliegende Frage überhaupt nicht nähej* ein, selbst da nicht, wo 
man es erwarten sollte. So sagt T h o 1 u c k in der Auslegung 
zu Joh. 5, 24 nur dies: KpiVis ist das verdammende Gericht. 
Es sollte ja das Vorhergehende wie das Nachfolgende sagen, daß 
hier «pum nicht das verdammende Gericht sein kann, sondern 
das Gericht über die Sünder überhaupt. Wäre KpUns wirklich 
das verdammende Gericht, dann wären die Worte dieses Verses : 
„Der hat das ewige Leben, und kommt nicht in das Gericht” 
eine nichtssagende Tautologie, nämlich: Der hat das ewige Le- 
ben und wird daher nicht verdammt. Und ebenso verhielte es 
sich mit den Endworten dieses Verses, denn wir hätten in Ver- 
bindung mit dem Vorangehenden nur dies: Der kommt nicht ins 
verdammende Gericht, oder doch einfach: Der wird nicht ver- 
dammt, sondern er hat schon die Verdammnis hinter sich und ist 
im Leben. Ganz anders ist es, wenn *p«m überhaupt nur Ge- 
richt ist. Wir haben dann dies: „Der kommt nicht in das Ge- 
richt” heißt: Fs wird nicht erst ein Gericht im wesentlichen 
Sinne über ihn gehalten, ein judicium discussionis , um über ihn 
zu entscheiden fürs Leben, denn er ist schon von allem, was 
Tod heißt, zum Leben hindurchgedrungen, hat also auch die 
richterliche Entscheidung schon hinter sich. Daß, so verstanden, 
die Endworte so beziehungsreich werden, zeigt, daß das Gericht 
hier nicht speziell das verdammende, sondern das Gericht über- 
haupt ist. De Wette setzt das «is xpiaiv ovk 2p X eTat gleich 
dem Oavarov ov ^ Otvpvjvy (Joh. 8, 51), ohne die Gleichstel- 
lung als berechtigt zu erweisen. 

Die ganze Frage ist in bezug auf das Christenleben wichtig. 
Wer könnte eigentlich recht selig und im Frieden sterben, der 
darauf gefaßt sein müßte, daß z. B. die vielen Sünden böser Ge- 
danken, die nur Gott bekannt und durch die Vergebung gnädig 


§ 74 » Das Jüngste Gericht 


26 « 


bedeckt worden sind, sollten im Jüngsten Gericht hervorgezogen 
werden und zur Examinierung und Diskutierung kommen und 
also doch den Gläubigen eine schreckliche Beschämung oder we- 
nigstens Ängstigung des Gewissens und schwere Traurigkeit be- 
reitet werden? Dies ist auch der Grund, weshalb die Kirche den 
Antithetikern in dieser Frage entschieden gegenüber getreten ist. 
Es sind dies Scholastiker, Papisten, Grotius, Ge- 
org C a 1 i x t und andere. Thomas Aquino, Bona- 
Ventura, Scotus behaupten die Offenbarung der Sünden 
auch der Gläubigen. Die gegenteilige Lehre aber hat Petrus 
Lombard us. Die Papisten, den erstgenannten Scholastikern 
folgend, behaupten ebenso ein judicium discussionis, wonach die * 
ntala opera discernuntur et discutiuntur , wenigstens in bezug auf 
die Gläubigen, welche nicht eine höhere Stufe der Heiligung er- 
langt haben. Suaresius 4 : De judicio autem discussionis fere 
omnes (Scholastici) etiam dicunt , non omnes sanctos esse judi - 
candos hujusmodi judicioj sed illos tantum, qui imperfectum sanc- 
titatis gradum attigerunt et grazna peccata habuerunt bonis operi- 
bus admixta, non vero alios insigftiores sanctos , qui viam per- 
fectionis tenuerunt An anderer Stelle sagt er : Omnes sanctos , 
qui aliqua peccata commiscrunt , aliquo modo judicandos judicio 
discussionis. Ganz in derselben Bahn läuft Hugo Grotius 6 7 : 
Judicium discussionis perfecte piis acque ac impiis aliquando 
sustinendum esse , quamvis hac cumdifferitate, quod 
Mud improbis cessurum sit in opprobrium, erubescentiam et con - 
demnationem , probis in solatium, utpote qui de peccatorum in vita 
patratorum patcrna condonatione pridem facta, ac de aeterna 
beatitaie sibi inviccm sint gratulaturi , illamque dkdnae miserxcor- 
diae in solidum adscripturi. Eine sonderbare Ansicht, daß die 
Diskutierung und das richterliche Examen über ihre Sünden den 
Gläubigen gerade recht helfen soll zum seligen Genießen der im 
Leben geschenkten Vergebung. Umso verwerflicher ist die greu- 
liche Behauptung von Grotius : Preces Mas vivorum pro defunc- 
tis conducere ad mitigandum rigidiusculum examen seu scruti- 
nium conscientiae. Denn folgerichtig wäre ja dies, daß die Ge- 
nießung der Vergebung umso größer wird, je strenger das scru- 

6 Vide Quenstedt, l. c., qu. VII , antith . /, p. 632. 

T Quenstedt, l c. ß ontith. II. 


270 


§ 74- Das Jüngste Gericht 


iinium und judicium discussionis, und daß daher durchaus nicht 
die Bitte geschehen sollte, welche könnte ad mitigandum judici- 
um conducere. Ganz ähnlich steht Georg Calixt 8 : Etiam 
pii ac fidelis animo ac conscientia exatnen et scrutinium insti- 
tuendum et judicium , quod discussionis appellari solet, peragen- 
dum sit, agniturosque fideles, sibi in peccato natis ntalum per- 
tinaciter adhaesissc, actus etiam praevaricationum singul os men- 
tibus adversaturos, non ut pudefiant, aut terreantur, sed ut salu- 
tem suam non suae ipsorum justitiae vel sanctimoniae, sed divi- 
nae misericordiae et Christi meritis acceptam fcrant . Wieder 
eine höchst befremdliche Erklärung, daß das Gericht dazu dienen 
soll, daß die in die Seligkeit eingehenden Gläubigen ja ihre Selig- 
keit nicht ihren Werken, sondern Christi Verdienst zuschreiben. 
Als ob nicht überhaupt gerade darum nur von ihrer Seligkeit die 
Rede wäre, daß sie mit dem Glauben, der nur auf Christum 
und nicht auf Gesetzeswerke baut, in den Tod gegangen. Welch 
eine Unsinnigkeit, daß erst im Gericht ausgesprochen werden 
soll, was im ganzen Christenleben des Glaubens wahrer Kern sein 
muß! Aber zuletzt sind solch unsinnige Dinge bei Leuten wie 
Grotius und Calixt, für deren Theologie eben das Evangelium 
überhaupt nicht der rechte Kern ist, erklärlich. Auch Calixt ver- 
teidigt die Gebete für Verstorbene. In seiner Schrift, De Sacri- 
ficio Christi , thes. 79, sagt er ; Fructum deprecalionum ( pro dc- 
functis) ad leniendnm rigor cm examinis, quod magno Mo die 
peragetur, sive ad mitigandum judicium discussionis retulimus 
libro, quem de supremo judicio scripsimus . Need um quidquam 
probabilius apparet . Es ist beachtenswert, daß beide Männer in 
ihrem judicium discussionis eine Art von schwachem Abbild des 
römischen Purgatoriums haben; darum haben auch beide, gleich- 
sam als Ersatz für das römische Meßopfer, die Gebete für Ver- 
storbene. 

Unser Lehrsatz sagt noch im besondem das Gericht 
über den Antichrist aus. Dieses wird nicht nur mit 
Recht daraus geschlossen, daß mit dem Teufel (Matth. 25, 41 ; 
Off. 20, 10) auch dessen Kreatur, der Antichrist, muß gerichtet 
und verworfen werden, sondern dies ist auch ausdrücklich offen- 
bart (2. Thes. 2, 8; Off. ro, 20). 

8 ln Libro de extremo judicio, p . // 7 . ttS; Quenst., I. c., antith. IJI. 


§ 74- Das Jüngste Gericht. 

LEHRSATZ IV: 


271 


Die Norm , zvonach int Jüngsten Gericht gerichtet werden wird , 
ist im allgemeinen das Wort Gottes nach seiner ganzen Leh- 
re , im besondern aber in bezug auf die Gläubigen das Evan- 
gelium, und in bezug auf die Ungläubigen das Gesetz . 

Anmerkung: — In diesem Leben werden die Menschen ver- 
wiesen auf Gottes Wort (Luk. u, 28 ; 16, 29) ; und von dem 
Verhalten dazu wird die Seligkeit a b h ä n g i g gemacht 
(Luk. 11, 28). Damit ist auch das Wort Gottes als die Norm 
hingestellt, nach welcher das Gericht geschieht. Dies wird aller- 
dings vom ganzen, Gesetz und Evangelium zugleich um- 
schließenden Wort nicht mit der gleichen Ausdrücklichkeit für 
den Tag des Gerichts wie für dieses Leben ausgesägt (Heb. 4, 
12), wohl aber von den einzelnen Teilen. So vom Evangelium 
in bezug auf die Gläubigen (Matth. 25, 34). Hier wird den 
Schafen das Reich Gottes gegeben als ein freies, ‘unverdientes 
Erbe, als denen, die durch den Glauben Gesegnete des Vaters 
sind (Gal. 3, 9). Das Evangelium ist also tatsächlich mit seinen 
Zusagen wie Rom. 5, 2; 8, 17. 30 das, wonach sie gerichtet wer- 
den. Dagegen wird auch ausgesagt, daß die Ungläubigen nach 
dem Gesetz gerichtet werden (Joh. 5, 45). Moses, auf den die 
Juden hofften, soll sie richten. Die Juden sollten auf Mosis Ver- 
heißungen hoffen, aber sie hofften nur auf die Werke nach dem 
Gesetz Mosis (Rom. m. 3). Gerhardt 1 : PU judicabuntur ex 
evangelio , specialiter et propne sic dicto, impii ex lege per evan- 
gelii lucem collustrata. Ebenso Quenstedt 2 : Nortna judi- 
cii hnjus et quidem quoad homines judicatidos generati m 
loquetido , cst tota doctrina coelestis , Joh. 12, 48: Rom . 2, 16 , 
s p e c i at im vero et quidem respectu p io r um cvangeliutn 
stricte sumptum et quatenus legi con trad isti nguitur, Gal. 3, 9. 
12; Matth. 2 5, 34, respectu vero infidelium lex, Gal. 3, 10: 
Rom. 2, 12: 1. Cor. 6 , p. jo ; Gal. 5, iq . 20. 21; lex, inquam , ve- 
rum non s 0 l a et per s e s p e c tat a, sed quatenus per 
evangelium collustrata est. Gewiß ist es nötig, dies 
in Betracht zu ziehn. An sich verdammt das Gesetz ja alle Men- 

1 Loci, tont. XIX , loc . XXIX , cap. V, § LXX, p. 217. 

2 Theol. did. pol., Pars IV, cap. XIX , sect. I, thes. X , p. 61 1. 


m 


§ 74. Das Jüngste Gericht. 


sehen und vor dem Gesetz besteht nicht einer derer, die selig 
werden. Allein, die Gläubigen sind nicht unter dem Gesetz, weil 
sie glauben; die Ungläubigen bleiben unter dem Gesetz, aber 
nur, weil sie nicht glauben, denn Christus sollte für alle nach 
Gottes Rat das Ende des Gesetzes sein (Rom. 10, 4). Das mei- 
nen Gerhardt und Quenstedt mit der Erklärung, daß die Un- 
gläubigen gerichtet werden lege , aber nicht lege per se spectata , 
sed per evangelium coliusirata . Sie fallen unter das Gericht des 
Gesetzes erst durch den Unglauben. Das spricht der Herr auch 
aus Joh. 12, 48. Sein Wort wird sie richten, sofern er gesagt hat 
von seinem Evangelium, daß, wer demselben nicht glaube, ver- 
dammt werde unter Gottes Zorn, also auch unter des Zornes 
Fluchpredigt, dem Gesetz, verbleibe. 

Der Hergang des Gerichts wird also der sein, daß zuerst der 
Richter nach seiner Allwissenheit alle vor ihm Ver- 
sammelten scheidet (Matth. 25, 32. 33), als der die Seinen, die 
Gläubigen, wohl kennt (2. Tim. 2, 19; Joh. 6, 64; 10, 14. 27; 
Ps. 7, 10 ; Off. 2 , 23). Daß in dieser Weise das nach Evangelium 
und Glauben geschehende Gericht gehalten und ausgerichtet wird, 
ist das einzig dem Wesen des Glaubens, der nach dem Evange- 
lium im Gericht bestehen läßt, entsprechende. Weder die eigne 
Aussage, noch das Zeugnis anderer für den Glauben auf Grund 
seines Wandels, seiner Werke und seines öffentlichen Bekennt- 
nisses können das in erster Linie Entscheidende sein. Denn wenn 
der Herr auch selbst (Matth. 10, 32) das Bekenntnis zu ihm als 
entscheidend hinstellt, so wissen wir doch, daß dieses Bekenntnis 
nur Wert hat, wenn es auf dem Grund des Glaubens steht, wie es 
in Rom. 10, 9 — 11 ausdrücklich ausgesprochen ist und nur nega- 
tiv in bezug auf den Glauben dieselbe Erklärung gegeben wird, 
die positiv Heb. II, 6 steht, wonach Gott gefallen oder nicht ge- 
fallen, bestehen oder nicht bestehen am Glauben hängt, also an 
dem, was im Menschen verborgen ist. Ob jemand glaubt oder 
nicht, kann dem Wesen des Glaubens nach von vornherein nur 
der Richter, der alles weiß, und zwar allein unfehlbar alles weiß, 
entscheiden. Gerade das spricht auch in bezug auf das Jüngste 
Gericht 1. Kor. 4, 4. 5 mit klaren Worten aus. Ja, hier stellt ge- 
rade Paulus allem Äußerlichen, wonach etwa gerichtet werden 
kann, z. B. äußerliche, der Treue entsprechende Amtsverwaltung, 


§ 74- Das Jüngste Gericht. 


273 


das Richten des Herrn nach seiner die Herzen erforschenden 
Allwissenheit gegenüber. Ja, indem Paulus sagt, daß nicht ein- 
mal sein eignes Bewußtsein entscheide (V. 4), sondern das Rich- 
ten dessen, der den Rat der Herzen unfehlbar kennt, so finden 
wir vollständig bestätigt, daß das Gericht damit beginnt, daß der 
Herr von vornherein, aber definitiv, nur nach seinem allwissen- 
den, unfehlbaren Erkennen Glauben und Unglauben scheidet und 
jegliches Werk und Tun erst in zweiter Linie Bedeutung haben 
wird. 

Nachdem der Herr durch seine Allwissenheit und sein unfehl- 
bares Urteil über Gläubigkeit und Ungläubigkeit zwischen Scha- 
fen und Böcken geschieden hat, gibt er das Reich, d. i. die ewige 
Seligkeit und Herrlichkeit, denen zur Rechten als Segen der 
Gnade und frei geschenktes Erbe der Gnade, als ihnen 
zugedacht von Ewigkeit her (Matth. 25, 34). Hierauf bezeugt 
er ihnen, daß er sie mit Recht (denn V. 35) Gesegnete des 
Vaters, d. h. Gläubige, Kinder und Erben nenne und als solche 
ihnen die Herrlichkeit überantworte, weil sie für ihren Glauben 
Beweise, die freilich auch wieder nur ihm, dem Allwissenden, 
allein als Erzeugnisse und Früchte des Glaubens an ihn (mir 
getan) und damit als v o 1 1 g ü 1 1 i g e Beweise bekannt sind, 
im Liebesdienst zu ihm gegeben (V. 35 — 40). 

In gleicher Weise spricht er den Bösen, denen zur Linken, 
den Ungläubigen, als den schon längst unter dem Fluch sich be- 
findenden (Joh. 3, 18), das ewige Feuer zu (V. 41) und bezeugt 
nun auch ihnen ihrerseits, daß er sie mit Recht für Ungläubige 
und Verfluchte ansehe und als solche der Verdammnis überant- 
worte, da ihr Unglaube durch den Mangel an guten Werken in 
der Liebe zu i h m bezeugt sei (V. 42 — 45). 

Daß bei den Gläubigen nur gute Werke der Liebe zu Christo 
in Betracht kommen und zwar zunächst als Zeugnis ihres Glau- 
bens, das hat eben seinen Grund darin, daß sie nach dem Evan- 
gelium und Glauben gerichtet werden. Denn das deckt ja alles 
Sündliche an ihnen, alle bösen Werke, und alles Böse selbst an 
den guten Werken zu und macht, daß die guten, aber doch in 
jeder Hinsicht durch Beimischung des Sündlichen, durch Mangel 
des vollkommenen Maßes des Guten mangelhaften Werke als 
vollkommen in dem zugerechneten Verdienst Christi gnädig be- 


274 


§ 74- Das Jüngste Gericht. 


lohnt werden (Matth. 5, 12; 6, 1; ro, 41; Luk. 6, 23. 35; Off. 
22, 12). Daß aber bei den Ungläubigen der Mangel an guten 
Werken hervorgehoben wird, hat seinen Grund wiederum darin, 
daß sie sofort nach dem Gesetz gerichtet werden. Das deckt 
aber alles Verdammliche auf. So wird das Gesetz denn auch 
an ihnen nicht nur den Mangel an guten Werken aufdecken, son- 
dern überhaupt alle Sünden in Werken (2. Kor. 5, 10; 
Rom. 2, 6; 6, 16), Worten (Matth. 12, 36) und Gedanken (r. 
Kor. 4, 5 ; Röm. 2, 16). 

Antithetiker sind die Papisten mit der Behauptung, 
daß die Werke die Norm im Jüngsten Gericht sein wer- 
den. Ihnen gleich stehn viele neure protestantische Theologen, 
deren Ansicht sich durch Luthardts Erklärung kundgibt 3 : 
„Das richterliche Urteil Christi richtet sich nach den Werken ; 
dies ist konstante neutestamentliche Lehre”. Aber unter den 
Werken soll der gesamte sittliche Bestand verstanden werden. 
Er beruft sich auf 1. Kor. 4, 5. Hier steht nun am wenigsten et- 
was von einem Gericht nach den Werken. Es wird gesagt, 
daß Christus am Jüngsten Tage den Rat der Herzen offenbaren 
werde, was doch mit dem allergrößten Recht auf die verborgene 
Stellung des Herzens im Glauben oder Unglauben zu beziehn ist. 
Luthardt, indem er den Widerspruch mit der Rechtfertigungs- 
lehre fühlt, sagt, er rede von dem gesamten sittlichen Bestand, 
„wie er durch die Gnade geworden und die Rechtfertigung zur 
Voraussetzung hat und sich nur eben in einzelnen Werken äußert, 
die alle als Betätigung des Glaubens oder Unglaubens gemeint 
sind”. Ein Knäuel von Widersprüchen, Unklarheiten und Ver- 
wirrungen ! 

1. Der sittliche Bestand soll in Betracht kommen, wie er 
durch Gnade und Rechtfertigung geworden ist, und doch sollen 
die Ungläubigen ebenfalls nach dem sittlichen Bestand gerichtet 
werden, wofür Luthardt Rom. 2, 6 als Beweis gibt. Allein, Röm. 
2, 6 spricht ja von dem Menschen ganz allgemein und stellt all- 
gemein das Gericht nach den Werken, also nach dem Gesetz, 
ohne Rücksicht auf Glauben oder Unglauben und durch Gnade 
und Rechtfertigung gewordenen Stand, als Norm hin. Es ist 
durch den ganzen Zusammenhang dieser Stelle, wo ja Paulus vom 


3 Kompendium § 78, S. 389. 


§ 74* Das Jüngste Gericht. 


275 


Gesetz redet, klar, daß, dieser Ausspruch legaliter zu verstehn ist, 
wie von der Grundlage des Gesetzes aus ohne Rücksicht auf 
das Evangelium zu urteilen wäre. So sind aUe ähnlichen, legal 
klingenden Stellen zu verstehn, zu denen in gewissem Betracht 
2. Kor. 5, io gerechnet werden kann. 

2. Wenn der durch Gnade und Rechtfertigung gewordene, 
also bei Gläubigen vorhandene, bei Ungläubigen fehlende Be- 
stand in Betracht kommt und darüber entscheidet, ob das Gericht 
über die Werke günstig oder ungünstig ausfallen kann, so kann 
folgerichtig Gnade und Rechtfertigung nur als innerlich wirken- 
de, neuschaffende, wiedergebärende Kraft in ihrer Wirkung als 
Heiligung in Betracht kommen. Die Werke der Gläubigen sind 
gute, weil sie aus dem gerechtfertigten neuen Menschen kom- 
men; die des Ungläubigen sind verwerflich, weil sie aus dem al- 
ten Menschen kommen. Allein, sofort entsteht - das mit dem 
wahrhaftigen Gericht Unverträgliche, daß, während bei den Un- 
gläubigen mit voller Strenge gerichtet wird, bei den Gläubigen 
die doch vorhandene Unvollkommenheit der Werke und des gan- 
zen sittlichen Bestandes, d. h. der Heiligung, die ja offenbar von 
Luthardt und anderen hier zu dem Entscheidenden gemacht 
wird, übersehen wird. Bei gleicher Norm, nämlich der Werke 
nach Luthardt, ist eine solch ungleiche Beurteilung Gottes un- 
würdig, wie Paulus Röm. 2, n ff. erklärt. 

3. Sobald aber einmal bei dem Gläubigen die Rechtfertigung 
doch auch ihrem Wesen nach, d. h. als Zurechnung nicht eignen, 
sondern fremden Werkes, nämlich Christi, und als damit gesche- 
hende Zudeckung aller sündlichen Unvollkommenheit der Werke 
und aller Sünde überhaupt mit in Rechnung kommen soll, wie 
ja Luthardt es klar statuieren muß, um nicht auch den Gläubigen 
mit seinen Werken verdammlich werden zu lassen, so kann sie 
nicht mehr in Frage kommen nach ihren subjektiven Wirkungen, 
daß nämlich aus der Rechtfertigung Friede (Röm, 5, 1) und auch 
Lust zu guten Werken und Stand in guten Werken (Tit. 3, 8) 
hervorgeht. Denn dann würde die Absurdität herauskommen, 
daß der Mensch, der schon im Gericht allein dadurch als gerecht 
besteht, daß er durch den nur als annehmendes Organ, nicht als 
wiedergebärende Kraft fungierenden Glauben die vollkommene 
Gerechtigkeit Christi ergriffen hat (Röm. 3, 28) — denn wenn 


m 


§ 74. Das Jüngste Gericht 


dies nicht genügte, müßte ja Christi Verdienst als ungenügend 
gelten gegen Röm.,3, 24. 25; 2. Kor. 5, 19—21; Gal. 3, 13. 22; 

1. Joh. 1, 7; 2, 2 — , dennoch gerichtet wird nach dem ganzen 
durch Glauben und Rechtfertigung gewordenen sittlichen Bestän- 
de mit seinen einzelnen Werken, wobei aber schließlich doch die 
Rechtfertigung als solche wieder eintreten muß, um auf den 
sittlichen Bestand hin den Menschen im Gericht bestehen zu 
lassen. 

Es ist bei Luthardt nichts weiter als der alte und ewig miß- 
lingende, weil durch die Schrift unmöglich gemachte Versuch, die 
Rechtfertigung und Heiligung zusammenzuschweißen. Mitwir- 
kend ist dabei, wie öfter gesagt, das Mißbehagen an der alles 
entscheidenden Stellung des Glaubens allein als des das Ver- 
dienst Christi ergreifenden Organes und der damit implicite ge- 
setzten Wichtigkeit der rechten Lehre, wie vom 
Glauben selbst, so vom Objekt des Glaubens, nämlich Christo und 
dessen Person, Werk und Ständen, die man ebensowohl im Inter- 
esse der theologischen Lehrfreiheit, als auch im Interesse der 
Union immer gern herabdrückt, damit weder von der Theologie, 
welche Christum nach dem Evangelium gar nicht kennt, noch 
von der Frömmigkeit, die nicht auf die nach der Schrift außer 
und über uns geschehende Rechtfertigung, sondern auf das 5 

innerliche, persönliche Verhältnis des Menschen zu Christo 
(Schleiermacher) alles Gewicht legt, geurteilt werden müsse, sie 
sei nicht evangelisch, sondern daß die erstere doch noch als ] 

christozent risch und letztere als christinnig gelobt werden kön- 
ne. Und mitwirkend ist ausgesprochenermaßen auch die törichte j 

Sorge, daß, wenn man als das, wodurch der Mensch im Gericht 
bestehen müsse, nicht den durch Glauben, Gnade und Rechtferti- 
gung gewirkten ganzen sittlichen Bestand setze, dann Glaube und 
Rechtfertigung zu äußerlich gefaßt würden und das Christen- 
tum zu einem leeren, lebenslosen Fürwahrhalten und Bekennen 
würde. Als ob diese Gott meisternde Sorge angesichts der gan- \ 

zen Schrift nicht völlig überflüssig wäre! Die Schrift sagt deut- 
lich genug, daß der Glaube, der da rechtfertigt als opyavw Xrpr- 
rtxoV, nur dann wirklich wahr ist, wenn er auch neues Leben, 
oder, mit Luthardt zu reden, den ganzen neuen sittlichen Bestand 
wirkt ; aber allerdings sagt die Schrift nicht, daß nach dem durch 


§ 74- Das Jüngste Gericht 


m 


den Glauben geschaffenen sittlichen Bestand gerichtet wird, son- 
dern aufs allerdeutlichste, daß nach der durch den Glauben er- 
griffenen Gerechtigkeit Christi das Gericht geschieht (Röm. 8, 
31 — 34). Wie gewaltig zeugt V. 34 gegen Luthardt und seine 
Lehre vom Gericht nach dem ganzen sittlichen Bestände, da hier 
die Freiheit von aller Verdammnis allerdings auf Christum ge- 
gründet wird, daß er da ist, aber nicht da in uns als der den 
neuen sittlichen Bestand wirkende, sondern da außer uns, in 
seinem Werk und Tun, nicht in uns, sondern außer uns, in seinem 
Sterben für uns, in seinem Auferstehen und in seiner Fürbitte. 
Auf die objektiven Tatsachen des Sterbens, Auferstehens und 
Vertretens als solche, die eben naturgemäß nur geglaubt wer- 
den und durch den Glauben als für uns . geschehen angenommen 
werden können und müssen, gründet Paulus die triumphierende 
Freude, daß ihn im Gericht keine Verdammnis treffe. 

LEHRSATZ V: 

Die Zeit des Gerichts ist der Jüngste Tag , dessen Eintreffen auf 
ein bestimmtes Datum zwar nicht vorausgesagt werden kann , 
zvohl aber wegen der Erfüllung der ihn ankündenden Zei- 
chen beständig als nahe erwartet werden muss. 

Anmerkung: Die Zeit, wann der Jüngste Tag gehalten wird, 
rechnen unsere Dogmatiker zu den sogenannten adjuncta judicii 
extremi. Als eins dieser adjuncta behandeln sie auch die Frage 
nach dem O r t des Jüngsten Gerichts ; vergl. Gerhard 1 und 
Quenstedt 2 , In bezug auf die Annahme der Papisten, die 
nach Vorgang der Juden das Tal Josaphat für den Ort des Jüng- 
sten Gerichts ansehn, sagt Quenstedt: Scriptura testatur, extre - 
mum judicittm non esse in terris peragendum , sed sursuni latos 
homines in nubibus judicandos esse , Matth. 25, 31 sq .; /. Thcs. 
4, 17. Daß der Gerichtsstuhl des Herrn nicht auf der Erde stehn 
wird, ist wohl anzunehmen, ebenso auch, daß der Ort nicht der 
Himmel im engern Sinn, d. h. der Ort der Seligen, sein wird. 
Nähere Bestimmungen über den Ort aufstellen wollen, ist beim 
Mangel an Angaben der Schrift ein unfruchtbares Bemühen. Es 
ist die Erkenntnis des Ortes auch an sich nicht erheblich. 


1 Loci, tom. XIX , loc. XXIX , cap. VII , $LXXIV, p. 222. 

2 Theol. did pol., pars IV, cap . XIX , sect. I, thes. XIII . p. 61 r. 


278 


§ 74' Das Jüngste Gericht 


Anders steht es mit der Zeit. Hier ist die nähere Erkennt- 
nis für das gerade lebende Menschengeschlecht von höchster 
Wichtigkeit. Davon sagt nun die Schrift zunächst dies, daß das 
Gericht am Jüngsten Tag sein wird (i. Thes. 4, 16, vgl. 5, 1. 2; 
Joh. 12, 48; Röm. 2, 16; 2. Pet. 2, 9). Auf der andern Seite er- 
mahnt die Schrift alle Christen, beständig auf das Eintreffen des 
Jüngsten Tages gefaßt zu sein und durch die Zeichen, die ihn 
ankündigen und bereits ihre Erfüllung gefunden haben, sich an 
die Nähe des Jüngsten Tages mahnen zu lassen. 

Diese Zeichen, die dem Jüngsten Tag vorangehn, und 
daher von den Dogmatikern zu den antecedentia extremi judicii 
gerechnet werden, können mit unsem Dogmatikern ganz wohl 
unterschieden werden als signa retnota et communia und signa 
propinqua et propria, wobei zu merken ist, daß propinquum nicht 
die zeitliche Nähe, sondern die begriffliche Zuge- 
hörigkeit zum Gericht bedeutet ( propinquum nicht tempore , son- 
dern genere). Zu den erste ren gehören solche Erscheinungen, 
welche zwar Gottes Wort auch in besondere Beziehung zum 
Jüngsten Tag setzt, die aber doch allen Zeiten mehr oder minder 
gemeinsam sind, nämlich : 

1. Verderbtheit der Kirche, sowohl in bezug 
auf Leben (Matth. 24, 10; 2. Tim. 3, 1—4; 2. Pet. 2, n — 22), 
als auch in bezug auf Lehre (Matth. 24, n ; Apg. 20, 30; 2. Thes. 

2, 11 ; 2. Pet. 2, 2; 2. Tim. 4, 3). 

2. Überhandnehmende Greuel in der ganzen 
Welt bezüglich der herrschenden Denkart (2. Tim. 
4, 3. 4; 2. Thes. 2, 11 ; 1. Tim. 4, 1, welche Stellen alle von der 
greulichen Denkart der Welt reden, weil ja alles, was vermöge 
dieser Denkart aus der Kirche abfällt, eben die Welt ist) und 
des Lebens (Luk. 17, 26 — 29; Matth. 24, 37 — 39; 2. Tim. 

3, 2 — 7; 2. Pet. 2, 10 — 22, in bezug auf welche Stellen dasselbe 
gilt, was in bezug auf die von der Denkart gegebenen Stellen 

gilt). 

3. Allgemeine Predigt des Evangeliums 
(Matth. 24, 14; Mark. 13, 10. vergl. Kol. 1, 6. 23; Röm. 10, 18). 

Als signa propinqua, die recht eigentlich nur auf den Jüng- 
sten Tag sich beziehn, sind in der Schrift gegeben : 


§ 74- Das Jüngste Gericht 


27 Ö 


1. bestimmte Naturzeichen (Luk. 21, 25 — 33; 
Matth. 24, 29; Mark. 13, 24) ; 

2. Offenbarung des Antichrists (2. Thes. 2, 
2 — 12; vergl. 1. Tim. 4, 1 — 3). 

Diese Zeichen aber haben bereits ihre Erfüllung gefunden. 
In bezug auf die Predigt des Evangeliums sagt es die Schrift 
selbst (Rom. 10, 18; Kol. 1, 6. 23). Was die übrigen Zeichen 
betrifft, so liegt ihre Erfüllung vor Augen; vergl. Synodalbe- 
richt der Wiskonsin Synode, 1887. 

Zu den signa antecedentia wird von den Dogmatikern außer 
diesen Zeichen die Erscheinung des Sohnes Gottes in sichtbarer 
Gestalt gerechnet (Matth. 24, 37. 38; Apg. 1, 11), sofern aller- 
dings diese Erscheinung dem Akte des Richtens vorangeht. Die 
Frage, ob der Herr bei Tage oder Nacht erscheinen wird, können 
wir nicht beantworten. Von den Stellen: 2. Pet. 3, 10; Matth. 
24, 43; 1. Thes. 5, 2 sagt Quenstedt 3 ganz richtig: Non 
itaque notdtur tempus adventus Domini nocturnum, quasi prae- 
cise noctu sit venturus , sed tantum mo dus 3 seil, quod adven- 
tus Ule futurus sit improvisus et inopinatus. Also ist es mit dem 
Sichtbarwerden des Herrn nicht so, daß durch dasselbe endlich 
überzeugt, Gottlose und bisher Ungläubige sich zum Glauben 
wenden könnten. Alle Welt wird überrascht werden in Unbe- 
reitschaft, wie auch die Gläubigen selbst (Matth. 24, 44; 25, 13), 
nur daß diese in geistlicher Bereitschaft stehn (Matth. 24, 45 — 
47 )- 

Aber ist nicht in Matth. 24, 30 ein besonderes Zeichen des 
Menschensohnes geweissagt, das erst erscheint, und nach dessen 
Erscheinung erst man den Menschensohn wird kommen sehn? 
Viele Ausleger sagen entweder geradezu,' daß to vrjfitTov 
tov vkw Titv AvOptoirov c v ovpayw der Menschen sohn selbst sei, 
oder ihre Erklärungen kommen doch darauf hinaus. Diese Aus- 
legung empfiehlt sich nicht, da der Herr zu ausdrücklich das Zei- 
chen von sich selbst unterscheidet. So erklären die meisten Aus- 
leger die Stelle von einer Erscheinung des Kreuzes am Himmel, 
z. B. Chrysostomus, Hilarius, Hieronymus, Be- 
da ; auch Gerhard 4 ist dazu geneigt. Noch andere, z. B. 


3 L, c thes. XIII , Ul, p. 613 • 

* L. c. f § CI, f, p. 270. 


280 


§ 74- Das Jüngste Gericht. 


Hunnius, verstehn es von einem besondem Stern, wobei sie 
sich mit ziemlichem Recht auf seinen Stern bei der Geburt, also 
der ersten Ankunft stützen. Wie dem auch sei, so macht die 
Stelle doch gewiß, daß zwischen Zeichen und Ankunft des Rich- 
ters keine Wendung zum Heil für Ungläubige mehr stattfindet. 
Es heißt ja in der Stelle selbst: „Und alsdann werden heulen alle 
Geschlechter auf Erden”. Lexikalisch und grammatisch ist auch 
nicht verwehrt, die beiden rorc beim Zeichen und beim Eintref- 
fen des Herrn selbst gleichzeitig zu fassen. 

Antithetiker sind : 

1. die Juden, welche eine Menge anderer Zeichen des 
Jüngsten Tages geben, z. B. daß alle Vögel und vierfüßigen Tiere 
auf den Feldern sich versammeln werden, weder Speise, noch 
Trank nehmen und Wehklagen gegeneinander ausstoßen werden; 
daß feurige Ströme gen Himmel aufsteigen, die Pflanzen bluti- 
gen Tau schwitzen und die Toten auferstehn werden. 

2. Verschiedene Kirchenväter erdichten auch beson- 
dere Vorzeichen, z. B. Irenä.us, daß dicht vor der Wieder- 
kunft Christi der Antichrist im Tempel zu Jerusalem seinen Sitz 
nehmen werde. L a c t a n z behauptet, es werde plötzlich ein 
Schwert vom Himmel fallen als Zeichen des kommenden Rich- 
ters. 

3. Die Papisten nehmen viele von den Zeichen der Kir- 
chenväter auf und fügen noch andere hinzu, z. B. die Eroberung 
des Heiligen Landes, Predigt des Enoch und Elia. So B e 1 1 a r- 
min 5 : H enoch et Helios, qui adhuc vivunt et ad hoc vivunt, ut 
venienti antichristo se opponant et conservent electos in fide Chri- 
sti, et tandem Judaeos convertant ; quod tarnen c er tum est, non - 
dum esse impletum . Als ferneres Zeichen führen sie an: Anti- 
christi cujusdam utopici ac imaginarii praesentatio . Dieser Anti- 
christ ist selbstverständlich ein ganz anderer als der der Schrift, 
denn der ist ja das Papsttum selbst. Der Antichrist nach papi- 
stischer Darstellung ist eine einzelne Person, die Jerusalem zu 
ihrem Sitze macht, die Messe und alle Zeremonien aufhebt, die 
Christen verfolgt und der Welt einredet, nicht Jesus von Naza- 
reth, sondern er sei der rechte Christus. Alles das sind Phanta- 
sien solcher, die weder Christum, noch sein Evangelium, und 

5 Disp., tom. I, de suntmo pontifice, lib. III, cap. VI, /, p. 402 . 


§ 74* Das Jüngste Gericht. 281 

darum auch die Weissagung auf den Antichristen nicht erken- 
nen. 

4. Chiliasten aller Arten, welche eine allgemeine Ju- 
denbekehrung vor dem Jüngsten Tag erwarten. Diese Erwar- 
tung teilen freilich auch manche sonst korrekte Dogmatiker, z. 
B. Hunnius, Hafenreffe r, Mentzer, .Balduin, 
M e i s n e r, also sehr bedeutende Theologen. Es muß diese 
Erwartung also einen sehr einleuchtenden Schriftgrund haben. 
So ist es. G e r h a r d e sagt : Praectpuum hujus sententiae robur 
petitur ex dicto apostolico Rom. ii, 25. 26 . Die Gründe jener 
Dogmatiker sind : 

a. Da Paulus das Seligwerden des ganzen Israel ein mystc- 
riunt nennt, so kann der Name „Israel” hier nicht geistliche Be- 
nennung für die Kirche sein, denn der ganzen Kirche Seligkeit 
war schon offenbart. Also muß mit diesem Namen Israel als 
Nation bezeichnet sein. 

b. Da Paulus hier Heiden und Juden gegenüberstellt mit der 
Absicht, der Heiden Stolz Israel gegenüber zu dämpfen, so kann 
er nicht an das geistliche Israel, das Israel secundum spiritum, 
d. i. die Kirche, denken, sondern nur an das leibliche, das Israel 
secundum carnem . 

Diese Gründe sind nicht schlagend. Paulus nennt seine 
Le h re über den betreffenden Punkt ein Mysterium, weil nach 
dem Augenschein zur Zeit und nach manchem Wort Christi 
(Matth. 23, 38) angenommen werden konnte, daß niemand aus 
dem jüdischen Volk mehr selig werde. Allein, Gottes Wahl er- 
streckt sich auch auf Israel, und noch sind nicht alle, die aus 
Israel erwählt sind, bekehrt. Ist auch das Israel nach dem Fleisch 
verstockt, so doch nicht ganz, sondern nur zum Teil, «k /ju^ovs. 
wenn auch zum größten Teil. ,Ein Rest, freilich nur ein kleiner 
(Jes. 1, 9; Rom. 9, 29), bleibt der Bekehrung offen die ganze 
Zeit, bis die Fülle der Heiden eingegangen ist, das ist die Fülle 
der aus der Heidenschaft Erwählten ; und so wird das ganze Is- 
rael selig werden, d. h. die ganze Zahl der aus Israel Erwählten, 
ovr«K = und so. Das „dann”, welches für die Chiliasten so 
wichtig ist, steht nicht im Text. Es heißt nicht: Und dann, 


L. c., § CXI, p. 291. 


282 


§ 74* Das Jüngste Gericht. 


sondern: Und so. Gerade daß Gott noch immer auch aus Israel 
etliche bekehren und ihr gottloses Wesen wegnehmen wird, fol- 
gert Paulus aus Jes. 59, 20; Ps. 14, 7. Gerhard gibt selbst 
folgende Entscheidung 7 : Quid ergo hac de re statuendum? 1 . Ta~ 
lis fudaeorum conversto f qualem chüiastae sperant, futura non 
est, ut suo loco plene demonstrabitur , 2 . Sed nec talis speranda , 
qualem pontificii per Henochi et Eliae praedicationem expectant, 
futura est. 3. Nec absolute universalxs omnium omnino Judae- 
orum sperari potest conversio . Ut enim plenitudo gentium non 
notat singulas et universas gentes ac singula earum individua, 
sed ingentem numerum ex gentilium populo , sic etiam per 0 nt - 
nem I sr aele m non significatur universus populus Judaicus 
et omnia illius individua , sed insignis quaedam Judaicae gentis 
multitndo . 4. Qualis et quanta praecise futura sit Judaeorum con- 
versio ante oraculi hujus complementum, apodictice scvri nequit. 
Diese Entscheidung von Gerhard hat eine Schwäche, welche ih- 
ren Grund in seiner nicht ganz korrekten Erwählungslehre hat. 
Anstatt zu sagen, daß per omnem Israelem (^a? 'lcrpayX.) insig- 
nis numerus zu verstehn sei, hätte er eben nach den ganzen Aus- 
führungen Pauli (Rom. 8 — 11) sagen müssen: Omnis numerus 
electorum ex Israele. Denn es ist doch nicht statthaft, ohne wei- 
teres tos ’hrpa^A abzuschwächen auf nur insignis numerus. Von 
einer Ganzheit spricht der Heil. Geist; und ist diese Ganz- 
heit nach der Schrift nicht die nationale, wie sie es nicht sein 
kann, so hat man sich nach einer andern durch die Schrift ge- 
setzten Ganzheit unizusehn. Nun redet wirklich die Schrift in 
bezug auf Heiden wie Juden von einem irAi // wd/w*, einer Ganzheit, 
nämlich von der Vollzahl und Ganzheit der Erwählten ; und von 
dieser hat Paulus auch in den vorhergehenden Kapiteln gehan- 
delt. 

Der Chiliasmus steht nicht nur durch die Annahme einer 
allgemeinen Judenbekehrung in Antithese zur Schriftlehre vom 
Jüngsten Gericht, sondern seinem ganzen Wesen nach, ob er 
mehr dem Bauchwesen huldigt ( chiliasmus crassus) oder geist- 
lichere Gestalt anzunehmen sucht (chiliasmus subtilis). Als Ur- 
heber des Chiliasmus gilt der Gnostiker C e r i n t h. Sehr kras- 


7 L. c p. 293. 


§ 74 Das Jüngste Gericht. 


283 


sen Chiliasmus lehrten P a p i a s, auch Justin, Tertul- 
Iian, Lactantius, Irenäus. Der Presbyter Cajus, fer- 
ner Origen es und Clemens von Alexandrien wa- 
ren Gegner des Chiliasmus. Augustin versteht das tausend- 
jährige Reich von der Kirche seiner Zeit seit Constantin. Diese 
Ansicht kam ebenso zur Geltung, wie der Chiliasmus in Miß- 
kredit kam. Unsere Väter wie Luther, auch unsere Bekennt- 
nisse, verwerfen den Chiliasmus entschieden ; ebenso auch unsere 
Dogmatiker. Manche, wie z. B. Walch urteilen nachsichtig 
und glauben, daß die Bekenntnisse nur den groben Chiliasmus 
der Anabaptisten verwerfen, die bekanntlich die Lehre sofort 
auch in die Praxis umsetzten. In neueren Zeiten hatte der Chili- 
asmus Freunde bei den Sekten, Schwärmern (W eigel u. and.) 
und Pietisten (Spener, Ötinger, Bengel usw.) . Bei 
den Pietisten besserer Art hat der Chiliasmus seinen Sitz mehr 
im Gemüt, in der Sehnsucht nach der Verherrlichung Christi, 
bei den neuren Theologen, die vielfach auch Chiliasmus vortragen 
(v. Hofmann, Kliefoth, Rinck, Luthardt, Ro- 
the, Auberlen, Frank), mehr in einer vermeintlich wahr- 
haft wissenschaftlichen und unbefangenen Auslegung der Schrift, 
deren sie sich rühmen, und in den vermeinten Tiefblicken in die 
Entwicklung des Reiches Gottes, die sie meinen gewonnen zu 
haben. Die alten Chiliasten wie Tertullian und Irenäus werden 
deshalb gelobt, daß sie doch noch etwas von der Entwicklung des 
Reiches Gottes ahnten. Luthardt 8 rühmt: „Die alte Kirche war 
auf die Reichsvollendung gerichtet. Die eschatologische Hoff- 
nung der alten Kirche war eine wesentliche Quelle ihrer Kraft. 
Mit jener ließ auch diese nach. Die Gestalt ihrer Hoffnung war 
die eines Königreichs Jesu Christi in himmlischer Weise; ’ Merk- 
würdig ist, daß die neure, sogenannte gläubige Theologie doch 
immer wieder stark diese eschatologischen Hoffnungen hegt und 
doch so wenig darin eine Kraft hat, sich den Verderbnissen der 
Kirche der Gegenwart entgegenzusetzen. Aber die Hoffnung 
gibt weder Kraft, gegen die Zuchtlosigkeit im Leben wieder mit 
Zucht des Lebens aufzutreten, noch gar gegen offenbar grund- 
stürzende Irrtümer mit Lehrzucht. Man schaut getröstet auf die 


Komp., § 76, S. 384. 


284 


§ 74 Das Jüngste Gericht. 


hoffnungsvolle eschatologische Perspektive und läßt unterdessen 
die Kirche gar verfallen in Lehre, ja in Leben. Und selbst dann, 
wenn Theologen die Schäden der Zeit erkennen und bekämpfen, 
so lassen sie sich doch zur Annahme chiliastischer Fündlein ver- 
leiten. K 1 i e f o t h, der sonst den Chiliasmus verwirft, hat doch 
selbst eine chiliastische Ansicht von der Gestaltung der Dinge 
am Ende der Welt, da er die Menge der Menschheit in eine Ge- 
meine vollkommen Heiliger und' eine Rotte vollendeter Satans- 
menschen zerfallen läßt. Und in Zellers theol. Hand- 
wörterbuch 0 wird zwar von Dr. Braun gesagt, daß Off. 20 
nicht genug Tragkraft habe für die Geltung des Chiliasmus als 
Glaubenslehre, und so müsse eine herrliche Zukunft der Kirche 
auf Erden eine Sache der Hoffnung und des Gebets bleiben, aber 
abgesehen davon, daß wir doch nicht hoffen noch beten sollen 
ohne gewisse Zusage des Glaubens (sonst hätten wir die sozinia- 
nische Ansicht, nach welcher Gott z. B. den Gläubigen im Alten 
Testament nicht vita aeterna zugesagt, aber sie hätten ohne diese 
doch recht getan, darauf zu hoffen), so sagt Dr. Braun, daß der 
alte Chiliasmus umgedeutet sei in die Weltverklärung, die sich 
im Denken bei Rothe und als Praxis in äußeren und 
inneren Missionsbestrebungen finde. In dem allen zeige sich ein 
optimistisch - chiliastischer Zug, dessen Kraft und gesegneter Er- 
folg sein inneres Recht beweist. Welch gefährliche Grundsätze! 
Sagt nicht die Schrift von Kraft auch der Irrtümer (2. Thes. 2, 
11) und von großem Erfolg (Matth. 24, 24) ? Lehrt sie irgend- 
wo, daß zu wirklich gesegnetem Erfolg auch Irrtümer mitwirken 
(Röm. 3, 8; 6, i) und daß ein gesegneter Erfolg z. B. in der 
Mission für die Richtigkeit aller Lehren derer, die Mission trei- 
ben, der Beweis sei? 

Im allgemeinen ist die Lehre des Chiliasmus diese : Chri- 
stus wird vor dem Jüngsten Tage schon einmal wiederkommen 
und dann ein neues Reich aufrichten, zu welchem alle bisher se- 
lig Verstorbenen, oder nur alle Märtyrer, oder nur eine Anzahl 
Erwählter auferweckt werden, um mit Christo auf Erden zu herr- 
schen, während alle Gottlosen auf tausend Jahre überwältigt und 
gebunden sind. Je krasser der Chiliasmus ist, desto mehr krasse 


• B. I, S. 298. 


§ 74- Das Jüngste Gericht 


285 


Züge vervollständigen dieses allgemeine Bild, z. B. der Wieder- 
aufbau des steinernen Tempels zu Jerusalem, die Wiederaufrich- 
tung des levitischen Priestertums, Wiederherstellung der blutigen 
Opfer (was von vornherein sich mit dem Jes. II, 6 — g Gesagten 
und sonst ganz real vom chiliastischen Reich Verstandenen nicht 
reimt), Reisen der Gläubigen aller Welt nach Jerusalem zum 
Osterfest usw., gar nicht zu gedenken der chiliastischen Bauch- 
genüsse bei den Juden, bei Papias usw. 

Hauptargumente der Chiliasten aus der Schrift sind : 

1. Matth. 26, 29 ; Mark. 14, 25 ; Luk. 22, 16. Da diese Sprü- 
che vom Reich der Herrlichkeit nicht reden könnten, 
müsse man zwischen regnum gratiae und gloriae ein drittes reg - 
num annehmen; und das sei das millenarium. Allein, der be- 
sondere Tag, von dem der Herr als von „jenem Tage" oder 
„seinem Tage" spricht, ist stets der Jüngste Tag, und das Reich, 
das da kommen soll, ist sonst stets das regnum gloriae ; vergl. 
auch Luk. 22, 30. Und das „neu trinken, o rav a-vro ttivo» 
tctuvov, kann ebensowohl die bloße Wiederholung derselben Hand- 
lung, wie auch den künftigen Vollzug in einer neuen Weise 
aussagen, was hier der Fall ist. Man kann doch auch nicht aus 
den Tätigkeiten in einem Reich auf das Reich überhaupt schlie- 
ßen, sondern man muß zuerst aus der Schrift sehen, welches 
Reich Christus hat, und darnach das Essen und Trinken bemes- 
sen. Essen, Trinken, zu Gaste sein, an der Tafel sitzen ist Bild 
auch der Seligkeit im Himmelreich. Dies zeigt Matth. 22, 1 — 14. 
Hier ist ganz deutlich das Sitzen an der Hochzeitstafel bei wohl- 
bereiteten Speisen Bild für die Seligkeit der Erwählten. Ebenso 
steht es in Luk. 22, 30. Auch hier ist das Sitzen am Tisch Bild 
der ewigen Herrlichkeit am Ende der Tage, wie namentlich der 
Schluß des Verses zeigt, zumal verglichen mit derselben Aus- 
sage Matth. 19, 28. 

2. Joh. 10, 16: „Und wird eine Herde und ein Hirte wer- 
den". Jetzt seien noch verschiedene Herden, oder Kirchenge- 
meinschaften; der Herr verheiße aber Einigung aller für diese 
Weltzeit. Dieses alles, wenn selbst wirklich zu verstehn, gäbe 
noch längst nicht ein tausendjähriges Reich chiliasti scher Art, 
da der Spruch weder eine sichtbare Wiederkunft Christi, noch 
andere Requisiten des chiliastischen Millenniums setzt. Aber die- 


§ 74- Das Jüngste Gericht. 


ser Spruch redet nicht von einer noch zukünftigen Sache, sondern 
von der ei-nen Kirche, zu der die Menschen aus allen Völkern 
berufen werden. Alle wahren Christen bilden schon jetzt diese 
eine Kirche ; Sekten aber werden nach der Schrift bis ans Ende 
bleiben (Matth. 24, 24; Mark. 13, 22; 2. Tim. 4, 3 vergl. mit 
V. 1 ; 3, 1. 7. 8). Von einem einzigen großen Kirchenreich am 
Ende sagt die Schrift nichts. 

3. Off. 20, 4 — 8. Diese Stelle machen die Chiliasten zu 
ihrer Hauptburg, aber nicht Gott Vor allen Dingen ist : 

a) mit keinem Wort gesagt, daß alles das, was der Apostel 
sieht, auf Erden geschieht. 

b) Es ist nichts gesagt von einer leiblichen Auferstehung, 

sondern nur davon, daß die Seelen der Märtyrer lebten. 

Dieses wird allerdings die erste Auferstehung genannt, aber weil 
eben eine wirkliche Auferstehung zuvor nicht beschrieben ist, 
wird nur vergleichsweise das selige Leben nach der Marter auf 
Erden eine erste Auferstehung genannt. Das Wort „Aufer- 
stehung” kann nicht den vorangehenden Vorgang zu einer 
wirklichen“ Auferstehung stempeln, wie sonst die Schrift 
die Auferstehung versteht. Wäre in V. 4 eine wirkliche Leben- 
digmachung der Leiber beschrieben, dann würde man dieses al- 
lerdings als eine Auferstehung ansehn müssen, auch wenn nicht 
vorher gesagt würde: Dieses ist die erste Auferstehung. 

c) Es heißt auch nicht: Sie wurden wieder lebendig, 

Avi£ritT(Lv, sondern einfach sie lebten. 

d) Wenn die dvaerraer« Tpiorrj die leibliche Auferstehung 
wäre, so könnte es hernach nicht heißen : „Über solche hat der 
andere (nämlich der ewige) Tod keine Macht”. Denn er hat aller- 
dings Macht über Unzählige, die auf erstehn, nämlich über alle 
Gottlosen, die ja zum Gericht auferstehn. Wenn aber unter der 
„ersten Auferstehung” das selige Leben gemeint ist, so hat dieser 
Zusatz einen schriftmäßigen Sinn, denn über die, welche bereits 
das ewige Leben haben, hat der ewige Tod keine Macht 
mehr. 

e) Wenn V. 4 eine wirkliche Auferstehung wäre, so würde 
V. 5 dann von der zweiten allgemeinen Auferstehung 
überhaupt aller Menschen reden, die nach dem tausendjähri- 
gen Reich mit dem Ende der Welt stattfände und wobei dann. 


§ 74* Das Jüngste 'Gericht 


287 


wohlgemerkt, doch sowohl Gerechte wie Ungerechte auferstan- 
den. Dann kämen aber auf jeden Fall Absurditäten heraus, 
nämlich : In der Auferstehung stehn die Märtyrer auf zum herr- 
lichen Regieren mit Christo durch tausend Jahre; während dieser 
Zeit standen die andern Toten nicht auf, wohl aber darnach in der 
allgemeinen Auferstehung stehen sie auf und zwar, da doch das 
Tf<rav nur im gleichen Sinn genommen werden kann, würde 
folgen, daß alle ohne Unterschied, Gerechte wie Ungerechte, zum 
seligen Regieren mit Christo, zum Herrschen über alle Feinde 
auferstehn. 

f) Es wird in der ganzen Schrift nicht so geredet, als ob es 
sich um ein sichtbares Herrlichkeitsreich, auf Erden handelte, wie 
die Chiliasten eins träumen. Das Regieren, Herrschen wird ja 
sonst von der himmlischen Herrlichkeit der Erwählten gebraucht 
(2. Tim. 2, 12 ; vergl. V. 11. 12 mit V. 10). 

Nach diesem allem ist wohl das klar, daß hier von einem 
chiliastischen Millennium nichts gesagt ist, aber es ist noch nicht 
klar, was es wohl mit den 1000 Jahren und den übrigen Aussagen 
für eine Bewandtnis habe. Eine befriedigende, positive Erklä- 
rung kann erst recht eigentlich dem chiliastischen Falschen alles 
Gewicht nehmen. Als solche geben wir die alte, schon von Ger- 
hard, Disp. II], contra fanaticos, 1616, gründlich ausgeführ- 
te und von ihm in seinen Loci kurz dargelegte Erklärung, welcher 
auch die neusten antichiliastischen Ausleger wie Kliefoth, 
Düsterdieck, Philippi beigetreten sind. In V. 1 — 3 heißt 
es, daß der Teufel gebunden wird, daß er die Heiden nicht mehr 
verführen sollte. Dieses wird mit Recht, da doch die Heiden zum 
Irrtum überhaupt nicht erst verführt zu werden brauchen, spe- 
ziell dahin verstanden, daß er die Heiden nicht mehr verführen 
soll zum allgemeinen Kampf gegen die Kirche. Als geschicht- 
liche Tatsache, die solcher Bedeutung entspricht, ist ja von den 
meisten Auslegern das Fallen des Heidentums als Weltreligion 
und die Anerkennung des Christentums verstanden worden. 
Gerhard 10 : Varias diversorum interpretum expositiones ad - 
duximus et expendimus in disput , III. contra novos fanaticos an- 
no 1616 insiituta ; ex qua Mud unicum hic repetintus f quod 


10 Loci , iom. XX , loc. XXX , cap. VII, § XCIII , />. 124. 


§ 74- Das Jüngste Gericht. 


maxime probabilis videatur illorum sententia, qui initium istorum 
mille annorunt in Constantini magni imperio constituuni, tune 
enim satanas , qui printis trecentis a Christo nato annis Impera- 
tor es ethnicos et praesides Romanos ad horribiles christianorum 
persecutiones impulerat , ligatus est } quia sub Constantino pax 
ecclesiae fuit data et persecutiones conquieverunt, nec potuerunt 
amplius gentes, de quibus praecipue apocalypsis agit, idolomaniam 
suam tanta violentia et immanitate propagwre. Die tausend Jahre 
sind dann als symbolische Zahl für einen langen Zeitraum zu 
fassen ( 2 . Pet. 3, 8 ; Ps. 90, 4). Die Schrift braucht ja öfter 
solche symbolischen Zahlen; so Matth. 18, 22. Hier wird doch 
niemand meinen, er brauche nicht mehr zu vergeben, wenn er 
70X7 oder 490 mal vergeben habe. So sind hier 1000 Jahre nicht 
die bestimmte Grenze; der Zeitraum kann sich darüber hinaus 
erstrecken. Nach dessen Ablauf wird also, und zwar auf kurze 
Zeit, wieder der Sturm der Heidenwelt losbrechen; vergl. Y. 7. 
8. In dieser ganzen Zeit herrschen schon die um des Wortes 
willen Getöteten im Himmel als Lebende mit Christo, d. h. sie 
sind selig. Aber die andern Toten, und da ist namentlich auf die 
Abtrünnigen, die Verleugner, gesehn (V. 4), hatten an der Selig- 
keit nicht Teil, solange die tausend Jahre währten (V. 5). Aber 
darin liegt nicht, daß sie hernach Teil bekommen, denn das <5 x p 
hat auch den Sinn, daß etwas über den damit verbundenen Zeit- 
punkt hinausdauert. So sagt gewiß das a\P 1 in Rom. 5, 13 nicht, 
daß die Sünde nicht mehr in der Welt gewesen wäre, nachdem 
das Gesetz auf Sinai gegeben, sondern nur bis dahin ; vielmehr ist 
gewiß, daß sie auch nachher in der Welt war. Und in unserer 
Stelle wird ausdrücklich V. 6 hervorgehoben, daß, weil sie in der 
genannten Zeit nicht selig leben, sie auch nachher im ewigen 
Tode bleiben ; also auch eine sehr ausdrückliche Stelle, daß nach 
diesem Leben keine Bekehrung ist. 

Wir haben nachgewiesen, daß der Chiliasmus durch kein 
Schriftwort gestützt wird. Wir zeigen noch kurz, wie viel in 
der Schrift Gelehrtes radikal den Chiliasmus als wider- 
christliche Schwärmerei verdammt. 

I. Christi "Reich ist nach der Schrift ein geistliches, 
nicht ein weltliches (Joh. 18, 36; 2. Tim. 4, 18; Heb. i, 3; Eph. 
1, 20). Es kann also überhaupt gar nicht in irgendwelchen von 


§ 74* Das Jüngste Gericht. 2£9 

irdischen Reichen hergenommenen Zügen in Erscheinung tre- 
ten. 

2. Wenn es ein genau bemessenes, durch sichtbare Wieder- 
kunft Christi und andere äußere Dinge gekennzeichnetes Reich 
geben würde, so würde man darnach genau das Ende der Welt 
Vorhersagen können, oder man könnte wenigstens bestimmen, vor 
welchem Zeitpunkt es noch nicht kommen könne, was beides ge- 
gen die Schrift ist (Apg. i y 7; Matth. 24, 36; 1. Kor. 10, 
io. 

3. Die Schrift sagt nur von einer einzigen Wiederkunft 
Christi, nämlich zum Gericht, aber nicht von einer anderen zur 
Aufrichtung eines sichtbaren tausendjährigen Reiches (2. Tim. 

4, 0 - 

4. Die Schrift weiß nichts von einer zweifachen leiblichen 
Auferstehung, nichts von einer partiellen zum tausendjäh- 
rigen Reich, sondern nur von einer einzigen allgemeinen 
Auferstehung aller Menschen am Jüngsten Tage (Joh. II, 24; 
1. Thes. 4, 16. 17; Joh. 6, 40). Vergeblich suchen die Chiliasten 
aus I. Kor. 15, 22 — 24 eine zweifache Auferstehung zu begrün- 
den, indem sie irtira usw. auf die erste Auferstehung und *lra 
t 6 rc'Aosals Ende der ganzen Auferstehungsperiode und von der 
allgemeinen Auferstehung fassen, da tcXo? offenbar nicht auf die 
Auferstehung sich bezieht, sondern auf das Weitende. To t € 'Ao? 
steht nicht notwendig, wie Bengel meint ( correlatum primi - 
tiarum), in Beziehung zu dwa pxn (V. 23). Selbst Luthardt 
anerkennt, daß tcAos das re'Xo? toi) atuyo? tovtov sei. Über- 
dies, wie allgemein und auf alle Gläubigen passend wären die 
in der chiliastischen ersten Auferstehung Auferstehenden als 
oi t6v Xpurrov im Gegensatz gegen Off. 20, 4 (Enthauptete) 
charakterisiert. Man sieht deutlich, daß der Apostel Christum 
und seine Glieder überhaupt gegenüberstellt und sich selbst V. 20 
zurückzieht. Endlich lautet der Zusatz: ivrrj irapovvta avrov 
auf eine allbekannte Wiederkunft, nämlich die am Jüng- 
sten Tage. 

5. Der Herr wird bei seiner Wiederkunft nicht einen blü- 
henden Stand seines Reiches finden, wie ihn der Chiliasmus im 
tausendjährigen Reich setzt, sondern nach seinen eignen Worten 
das Gegenteil (Luk. 18, 8). Nicht durch Freuden und Herr* 



2(K) 


§ 74. Das Jüngste Gericht. 


lichkeit, sondern durch viel Trübsal sollen wir ins Reich Gottes, 
welches allezeit Kreuzreich bleibt, eingehn (Matth. 5, 4. 10; Apg. 
14, 22 ; 2. Tim. 3, 12 ; Rom. 8, 17 ; Off. 21, 4). 

Hiermit sind alle Träume von einer Herrschaft der Kirche 
über die Welt verworfen. Eine solche lehrt Luthardt. Nach 
ihm wird eine „zukünftige, auf den gegenwärtigen Weltlauf und 
die Auferstehung der Gerechten folgende Herrschaft Jesu Christi 
mit seiner verklärten Gemeine der gläubigen Bekenner über die 
vorige Menschheit, welche im Gehorsam gegen jene stehen wird,” 
eintreten. Ähnliches lehrt auch K 1 i e f o t h . 

LEHRSATZ VI. 

Das Resultat des Gerichts besteht darin , dass über die als Gläu- 
bige offenbar gewordetven das Urteil der Aufnahme in die 
ewige Herrlichkeit ergeht, aber über die als Ungläubige 
offenbaren das Urteil der Verwerfung in die ewige Ver- 
dammnis, und dass dieses Urteil auch alsbald vollzogen 
wird . 

Anmerkung: Am Jüngsten Tage scheidet der Richter nach 
seiner Allwissenheit die Menschheit und stellt die Gläubigen zu 
seiner Rechten, die Ungläubigen zu seiner Linken (Matth. 25, 
31 — 33). Hierauf lautet das Urteil über die Gläubigen, daß sie 
aufgenommen werden in die ewige Herrlichkeit: Kommt und 
ererbet das Reich (Matth. 25, 34)! Dieses Urteil tritt auch so- 
fort in Kraft (V. 46). Welches die Herrlichkeit des ewigen Le- 
bens sei, ist später auszuführen, ebenso, was die Verdammnis sei, 
wozu das Urteil des Richters verdammt : „Gehet hin von mir, 
ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel 
und seinen Engeln” ! 

Bewundernswert ist die Schärfe und Deutlichkeit des gött- 
lichen Wortes, womit es, dem sorgsam Beachtenden erkennbar, 
die gefährlichsten Irrlehren von vornherein ab wehrt, auch 
solche, die mit dem Rühmen auf treten, Gott in seiner Majestät 
und Herrlichkeit recht zu erheben. 

So wird durch des Herrn Wort hier entschieden der ab- 
solute Kalvinismus abgewehrt. Derselbe behauptet 
doch, daß nicht nur die Erwählung auf Gottes Wohlgefallen 
(beneplacitum) beruhe, sondern auch die Verwerfung der Un- 


§ 74- Das Jüngste Gericht 


m 

gläubigen. Das erstere ist wahr, abgesehen davon, daß die Kal- 
vinisten die Erwählung außer Christo nur nach einem abso- 
luten von Christo absehenden Dekret geschehen lassen ; und der 
Herr sagt es auch in seinem Richterspruch: „Kommt her, ihr 
Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet 
ist von Anbeginn der Welt”! Diese Worte gründen das Selig- 
werden ganz auf Gottes Vorherbestimmung in Christo, denn es 
heißt: „Gesegnete meines Vaters”; und Vater ist Gott nur in 
Christo. Der zweite Teii der kalvinistischen Lehre ist falsch, daß 
nämlich ein absolutes Dekret Gottes die Ursache sei, daß die Ver- 
worfenen eben Verworfene sind und also in die Verdammnis 
kommen. Man beachte, daß es heißt: „Geht hin von mir, ihr 
Verfluchten”! Voran geht das „von mir”; und dann folgt: „Ihr 
Verfluchten,” eine sehr beachtenswerte Andeutung, daß auch ih- 
nen Christus gegeben war und daß erst die Verachtung desselben 
sie zu Verfluchten machte. Auch heißt es nicht ähnlich dem über 
die Gläubigen ergehenden „Gesegnete meines Vaters” nun über 
die Gottlosen: Verfluchte des Vaters oder Gottes, sondern ein- 
fach^ Verfluchte. Daher ist folgende Bemerkung von Ger- 
hard wohlbegründet 1 : Deus est causa benedictionis piorum , 
id est, tum fidei tum operum bonorum , tum gratiae tum gloriae, 
sed non est causa maledictionis impiorum, id est , incredulitatis ac 
peccatorum, proptcr quae supplicio aeterno mancipantur . Gerade 
dies aber behauptet der absolute Kalvinismus, daß Gott die Ver- 
dammten zum Unglauben prädestiniert, verordnet hat, ordinavit , 
wie Calvin davon und vom Sündenfall sagt. Endlich heißt 
es auch nicht in Übereinstimmung mit dem Urteil über die Gläu- 
bigen auch über die Ungläubigen : Geht ins ewige Feuer, das 
euch bereitet ist von Anbeginh der Welt, sondern: „Das berei- 
tet ist dem Teufel und seinen Engeln”. 

Auch das über die Ungläubigen verhängte Urteil findet so- 
fort nach dem Gericht seine Vollstreckung (V. 46). „Gehet 
hin” ! „Kommet her” ! das sind die beiden kurzen aber so ge- 
waltigen Sentenzen des Jüngsten Gerichts. Schön bringt das 
zum Ausdruck das folgende Distichon : 

Quam tristis vox est, judex cum dixerit: Itet 


1 Loci , tom. XIX, loc . XXIX, cap . V, § LX, p. 204. 


§ 74 Das Jüngste Gericht. 


Tarn dulcis vox est, cum dixerit Ule: Venite! 

Mortis vel vitae breve verbum est: Ite ! Venite! 

Dicetur reprobis : Ite ! Venite, piis . 

Die Antithesen, welche vornehmlich die Wirklichkeit 
und Ewigkeit der Verdammnis betreffen, sind im folgenden Pa- 
ragraphen zu behandeln. 

LEHRSATZ VII. 

Der Zweck des Gerichts ist die Ehre Gottes und Christi und die 

Offenbarmachung der Barmherzigkeit Gottes und Christi 

Anmerkung: Der Zweck des Jüngsten Gerichts ist der, 
daß sowohl die Gerechtigkeit wie auch die Barmher- 
zigkeit Gottes und Christi soll offenbar gemacht werden. 
Von der Gerechtigkeit sagt dieses Röm. 2, 5. 6; 2. Thes. 1, 5. 
6. 8, und von der Barmherzigkeit 2. Thes. 1, 10 vergl. mit V. 12. 
Es handelt sich um Offenbarmachung. Denn schon in 
dem Gericht, das über jeden Menschen bei seinem Tode ergeht, 
ist die Gerechtigkeit wie auch die Barmherzigkeit Gottes wirksam 
gewesen. Denn die im Unglauben Gestorbenen sind bereits im 
judicium particulare beim Sterben nach der Gerechtigkeit ge- 
richtet und der Verdammnis überantwortet worden. Ebenso sind 
die im Glauben Sterbenden nach der Barmherzigkeit Gottes in 
Christo beim Sterben gerichtet und in die Seligkeit eingeführt. 
Luk. r6, 22 ist Beweis für beides. 

Allein, gleichwohl ist das allgemeine Gericht am Jüngsten 
Tage nicht überflüssig oder bedeutungslos gemacht. Einmal 
ist gewiß, daß am Jüngsten Tage noch eine gewaltige Menschen- 
menge lebt, auch nicht erst leiblich stirbt ( I. Kor. 15, 51 — 53; 
I. Thes. 4, 17; Matth. 24, 30. 3t) wie alle andern zuvor, also auch 
durch das verborgene Gericht gar nicht hindurchgeht. Zudem 
ist ja auch gewiß, daß durch das judicium particulare im Ster- 
ben doch nicht der ganze Mensch nach Leib und Seele 
in voller Weise, sei es der Seligkeit, sei es der Verdammnis, 
übergeben wird. Zum andern soll das, was beim Sterben 
im Verborgenen geschehn ist, durch das allgemeine, öffentliche 
Gericht offenbart werden. In diesem werden die Ungläubigen 
öffentlich der Verdammnis überantwortet werden ; und also wird 
recht öffentlich die Gerechtigkeit Gottes in ihrem ganzen Ernst 


§. 74* Das Jüngste Gericht. 


293 


und in ihrer ganzen Größe hingestellt werden, daß alle gerichte- 
ten Ungläubigen und nun Verworfenen, einer an allen und alle 
an jedem einzelnen es erkennend, mit öffentlicher Schande und 
offenbar werdendem Jammer unter diese Gerechtigkeit sich de- 
mütigen müssen (Röm. 2, 16; 1. Kor. 4, 5). Ja, es ist ja das 
den Ungläubigen angedrohte Zuschanden werden gewiß in seiner 
Fülle auch darin da, daß sie der Verdammnis überliefert werden 
in öffentlichem Gericht und angesichts der triumphierenden Kir- 
che (Ps. 129, $ ; Jes. 41, n ; 45, 24 ; Phil. 3, 19 ; Röm. 9, 33 ; Luk. 
23, 30; Jer. 2, 19). Aber ebenso öffentlich wird das Gericht den 
Gläubigen nun das Reich der Herrlichkeit überantworten, daß 
nun an ihnen vor aller Erwählten Augen, ja vor aller Ver- 
worfenen Augen, herrlich offenbar wird die Barmherzigkeit und 
Gnade Gottes und der Chor der Seligen diese Barmherzigkeit 
noch rühme und preise vor aller Welt. Dieses alles sagen aus 
Kol. 3, 4; 2. Thes. 1, 5 — 10. Mit beiden wird aber, wie man 
sieht, die Wahrheit des göttlichen Wortes nach allen Seiten hin 
öffentlich vor aller Menschenmenge von Anfang bis Ende be- 
stätigt werden. Und ist nach dem allem das öffentliche letzte 
Gericht als ein solches gezeigt, welches durch das verborgene 
Gericht beim Tode des einzelnen nicht überflüssig gemacht wird, 
so wird dasselbe, ganz abgesehn von einer reichlich klaren Vor- 
ausverkündigung durch manche Schriftaussagen, als ein notwen- 
diges geradezu gefordert. 

Joh. 19, 37 heißt es nach Sach. 12, 10: „Sie werden sehen, 
in welchen sie gestochen haben”, also so sehen, wie sie ihn am 
Kreuze sahen, da sie den Leib durchstachen. Joh. 12, 31, bei 
Ankündigung seines Leidens, redet der Herr vom Gericht über 
die Welt und Ausstoßung des Fürsten der Welt ; Kap. 14, 30 
erklärt er, daß an ihm, der nun Höllenleiden entgegengehe, der 
Fürst dieser Welt nichts habe. Kap. 16, 1 1 stellt er als den rech- * 
ten Wahrheitskern des Jüngsten Gerichts dieses hin, daß der 
Fürst der Welt gerichtet ist. Endlich 2. Thes. 2, 8 wird geweis- 
sagt, daß dem Antichrist, dem Werkzeug des Teufels (V. 9), ein 
Ende gemacht wird durch die Erscheinung der Zukunft Christi. 
Und zwar wird in letzterer Stelle durch V. 12: „Auf daß ge- 
richtet werden a 1 1 e” deutlich darauf hingewiesen, daß das all- 
gemeine Gericht des Jüngsten Tages die volle Erfüllung aller 


294 


§ 75* Von der ewigen Verdammnis. 


jener Ankündigungen bringen soll. In ähnlicher Weise spricht 
sich Gerhard aus, indem er eine Erklärung von Jakob 
de V a 1 e n t i a zu Ps. 2 akzeptiert, die also lautet 1 : Quamvis 
unusquisque judicatus sit particulariter in fine vitae suae , tarnen 
universale judicium erit necessarium propter quattuor: j. ad 
manifestandam veritatem. personae Christi omnibus gentibus, 2 . 
veniet Christus ad manifestandum occulta , 3. veniet ad judican- 
dum male judicata, 4. ad judicandum non judicata . 

So gewiß nun dieses alles Zweck des allgemeinen Weltge- 
richts am Jüngsten Tage ist, so deutet dasselbe doch gleich hin 
auf einen weiteren, allerletzten Zweck. Darum bezeichnen auch 
die Dogmatiker den bisher dargelegten Zweck als finis minus 
principalis und unterscheiden ihn von dem schon angedeuteten 
letzten Zweck (finis principalis). Dieser ist die Ehre Got- 
tes. DtaS dieses der letzte, vornehmste Zweck sei, versteht sich 
eigentlich von selbst ; aber die Schrift sagt es auch ausdrücklich 
aus (2. Thes. 1, 5 — 10). Diese Stelle sagt, daß Gott wird rich- 
ten (V. 5) und zwar durch den Sohn (V. 7), und daß dieses 
dazu dienen soll, daß er, zunächst der Sohn, mit ihm ja aber dei 
Vater, der ihm das Gericht gegeben hat, herrlich erscheine, 
l\Brj «vSofacrÖ^vat, veniet, ut glorificetur (V. 10) ; vergl. Kol. 
3, 4: <rvv avT<j» <£ttv€pa)0ij(rc<r0e €vSo£>;. Diese Sofa wird aber 
gerade im Gericht ihnen, den Gläubigen, gegeben und zwar mit 
Christo. Und so sagt diese Stelle allerdings auch aus, daß der 
Zweck des Gerichts zulezt (principaliter) Gottes und Christi Ehre 
sei. 


§ 75 . 

Von der ewigen Verdammnis. 

(De damnatione aeterna sive de infemo.) 

LEHRSATZ I. 

Unter ewiger Verdammnis der Gottlosen versteht die Schrift 
dies, dass diejenigen , welche um des finalen Unglaubens wil- 
len im Jüngsten Gericht verworfen sind , einesteils des Ge- 
nusses alles Guten beraubt , und andemteils der Peinigung 


1 Loci tom. XIX ■ loc. XXIX, cap. VI, ■ § LXXI, p . 22h 


§ 75* Von der ewigen Verdammnis. 2UA 

durch eine Fülle der allerschrecklichsten Übel nach Leib und 

Seele in Engigkeit ausgesetzt sind . 

Anmerkung; Nicht alle unsere Dogmatiker behandeln dieses 
Lehrstück in gleicher Weise. Schon die Benennung ist 
sehr verschieden, wie ja allerdings die Schrift verschiedene Na- 
men dafür hat, als : Verderben (Spr. 15 , 11 ), yiewa rov ?rv- 
pos (Matth. 5, 22. 29. 30; 10, 28; 23, 15. 33; Mark. 9, 43; Jak. 3, 
6), äßvatros (Luk. 8, 31 ; RÖttl. IO, 7), rikros tt}? ßaadvov (Luk. 
16, 28), aSvjs (Luk, 16, 23), <tko to* to i£<arcpov (Matth. 22, 13), 
to irvp to atvviov (Matth. 25, 41), KoAa<r« oWtos (Matth. 25, 46), 
ÜXeOpos aidvios (2. Thes. I, 9) , KptfML tttconov (Heb. 6, 2), £6<t>os rov 
O-KOTOV s ( 2 . Pet. 2 , 4. 17), Odvaros o Sevrepos (Off. 2 , 1 1 ; 20 , 6 ; 21 , 

8, vergl. Joh. 8, 51. 52). 

Quenstedt nennt dies Lehrstück : De morte aeterna , 
und behandelt es gleich nach dem Lehrstück vom ewigen Leben, 
fruitio Dei aeterna . Er schließt dies sofort an die Lehre von der 
Efreieinigkeit an, weil Gott ja das letzte Ziel des Menschen und 
die fruitio Dei eben die Seligkeit sei, von der wieder mors aeterna 
das Gegenstück ist. Dieselbe Anlage hat B a i e r, der nach der 
Lehre von Gott zunächst von der Schöpfung, dann vom Eben- 
bild Gottes, darauf von der providentia und dem Dekret Gottes 
und dann von der beatitudo aeterna und damnatio aeterna han- 
delt. Ähnlich ordnet auch Calov, sofern er nach der Lehre 
von Gott und seinen Werken ein Lehrstück de fruitione Dei 
bringt; jedoch handelt er zuletzt im Kap. de novissimis noch ein- 
mal de beatitudine aeterna . Das ist die analytische Methode, die 
zuerst von Gott nach seinem Wesen und dann von Gott als dem 
letzten Ziel handelt und darauf in der übrigen Dogmatik die Lö- 
sung der Frage bringt, wie es zu diesem letzten Ziel kommt. Den 
umgekehrten, nämlich synthetischen Weg, geht Gerhard, 
welcher im letzten Teil seiner Loci von der Verdammnis unter 
der Überschrift : De inferno und zu allerletzt de vita aeterna han- 
delt. Ganz dieselbe Anlage haben unter den bedeutenderen Dog- 
matikern Calov in seiner Apodixis , während er die analytische 
Methode in seiner Theologia positiva benutzt, Brochmand, 
Gottfr. Hoffmann (Synopsis), Heerbrand (Com- 
pendium theol.), Hafenreffer (Loci). 

Daß es eine ewige Verdammnis gibt, lehrt eine Über- 


2D6 § 75- Von der ewigen Verdammnis. 

fülle von Schriftstellen (5. Mose 32, 22; Hiob 7, 9; Ps. 31, 
18; 49, J 5; J es - 5. *4; 30. 33; 34, 8—10; 66, 24; Matth. 
3, 10; 5, 22; 7, 13; 8, 12; 10, 28; n, 23; 13, 40; 23, 15; 24, 50. 
51 ; 25, 30. 41. 46; Luk. 13, 24. 28 ; 12, 5; 10, 15; 16, 23; Joh. 6, 
50; 8, 51. 52; 15, 6; Rom. 2, 8. 9; Gal. 6, 8; 1. Thes. 1, 10; 2. 
Thes. 1,9; Heb. 6, 2 ; 10, 27 ; 2. Pet. 2, 1 — 4. 9). 

Als den adäquaten Grund der Verdammnis gibt die 
Schrift weder einen Mangel seitens der göttlichen Gnade und 
Gnadenmittel (1. Tim. 1, 15; Luk. 16, 29. 31; Röm. 10, 17), 
noch ein absolutes, viele zur Verdammnis bestimmendes Dekret 
Gottes an (1. Tim. 2, 4 ; 2. Pet. 3, 9), sondern einzig die eigne 
Schuld des Menschen (Jes. 3, 9; Hos. 13, 9; Jer. 2, 19; Luk. 16. 
28 vergl. mit V. 29) und speziell den selbstverschuldeten Unglau- 
ben (Mark. 16, 16; Matth. 23, 37) ; vergl. das Lehrstück von der 
ewigen Wahl und ewigen Verwerfung. 

Was das Wesen (forma) der Verdammnis betrifft, so 
wird sie im allgemeinen beschrieben als Tod, indem sie 
als der andere Tod, oder als Tod und Sterben in Ewigkeit be- 
zeichnet wird (Off. 20, 6; Joh. 8, 51. 52), als Gericht, Verdam- 
mung, damnatio (Mark. 16, 16: KaraKpi&yo-tTai’, Heb. 6, 2; 10, 
27; Röm. 1, 32; Joh. 5, 29), als Verderben, anwXeta (Matth. 7, 
13), Untergang, oAeöpos (1. Thes. 5, 3; 1. Tim. 6, 9; 2. Thes. 1, 
9). Mit diesen allgemeinen Ausdrücken wird schon gesagt, daß 
der Zustand der Verdammten ein Zustand der Beraubung 
(Tod), der Ausschließung vom Guten (verworfen, 
von Gott hinweg), ein Zustand großer Pein und Qual 
(Tod als ewiges Sterben) und voll überhäuften Jammers 
(Untergang, Verderben) ist. 

Doch gibt die Schrift ein noch viel genaueres Bild des 
Elends der ewigen Verdammnis, indem sie einesteils sagt, daß die 
Verdammten des Genusses alles Guten beraubt sind (unsere 
Dogmatiker bezeichnen das als poetta damni oder als mala pri- 
vatim damnationis .) , andernteils, daß die Verdammten einer Fül- 
le der allerschrecklichsten Übel nach Leib und Seele ausgesetzt 
sind (dies bezeichnen unsere Dogmatiker als poena sensus oder 
mala positiva damnationis). 

Vom Genuß alles Guten sind die Verdammten 
ausgeschlossen, da sie ewig getrennt sind von Gott und 


§ 75- Von der ewigen Verdammnis. 


297 


Christo (Ps. i, 5; 5, 5; Matth. 7, 23; 25, 41 ; 2. Thes. 1, 9), der 
Ruhe, des Friedens und der Freude beraubt (Röm. 2, 9; 2. Thes. 
1, 6; Matth. 8, 12 ; 13, 42; Luk. 13, 28; Heb. 4, 3; Jes. 48, 22; 
57, 21), sowie aller Erquickung (Luk. 16, 24 — 26), Tröstung 
(Luk. 16, 27 — 31) und Hoffnung, wie Luk. r6, 25 und zugleich 
alle Stellen, welche die Ewigkeit der Höllenstrafen aussagen, be- 
zeugen. Gerhard 1 : Erit in damnatis continua ct pcrpctua 
desperatio, ac proinde etiam spes nulla . Natn minima spes dolo- 
rum magnitudinem levaret. 

Was die poena sensus, oder die mala positiva betrifft, so 
macht die Schrift dieselben in ihrer Intensivität dadurch anschau- 
lich, daß sie dieselben den Geburtsschmerzen eines Weibes ver- 
gleicht ( 1 . Thes. 5, 3 ; Matth. 24, 8 ; Mark. 13, 9) und zum andern 
sie als ßavdvot bezeichnet (Luk. 16, 23. 28). In diesem Wort, 
dessen Grundbedeutung eigentlich „Prüfstein”, womit das Gold 
probiert wird, ist, liegt dies, daß die Verdammten gleichsam 
gradweise auf die Probe der Ertragung der Leiden gestellt und 
1 dieser Probe von Grad zu Grad ausgesetzt werden, daß sie also 
bis zum äußersten gepeinigt werden, nur daß das Äußerste nicht 
eine Grenze, ein terminus ad quem ist, womit sofort wieder eine 
Hoffnung gegeben wäre, sondern die ewige Fortsetzung (Luk. 
16, 25; Mark. 9, 44. 48; Jes. 66, 24). Analog dem Ausdruck 
ßaa-avllttv von der ewigen Verdammnis ist in der eben bezeich- 
neten Weise der Ausdruck „Tod” für Verdammnis, indem hier- 
mit nicht etwas Abgeschlossenes, sondern etwas Währendes ge- 
meint ist, ein ewiges Sterben mit seinen Ängsten, wie etwa die 
unbeschreibliche Angst dessen, der vor einem überaus qualvollen 
leiblichen Tod steht. Einen Fingerzeig gibt auch dies, daß 
ßaa-avurr 17 * den Sinn von „Peiniger, Folterer” hat, wie ßacra - 
vl£ctv gleich „foltern”, um die Wahrheit zu erpressen. Die ewi- 
gen Schmerzen der Höllenpein sind nach der Schrift denn auch 
so groß, daß alle Verdammten, deren viele in dieser Zeit mit un- 
gebrochnem Trotz und frechem Lachen sich wider Gott hoch- 
mütig erheben, dann rückhaltslos und fassungslos in erschreck- 
liches Jammern, Heulen und Wehklagen ausbrechen (Jak. 5, 1 ; 
Matth. 8, 12; 13, 42. 50; 22, 13; 24, 51; 25, 30; Luk. 13, 28; 
v€rgl. 23, 30). 


1 Loci, tont. XX , loc. XXXI , cap. VI, § LXXII, 6, p. 255. 


298 


§ 75- Von der ewigen Verdammnis. 


Eine in der Schrift mehrfach wiederkehrende, namentlich 
auch vom Herrn gebrauchte Bezeichnung der Höllenschmerzen, 
ist „Feuer” und „Wurm” (Jes. 66, 24; Mark. 9, 44. 46, 48, merk- 
würdigerweise nur bei Markus so ; Matth. 18, 8. 9; 3, 10. 12; 
25, 41 ; Jud. 7). Zunächst ist die Frage, wie diese Ausdrücke zu 
nehmen sind. Unsere Dogmatiker sind verschiedener Meinung. 
Bai er sagt sehr entschieden 2 * : Proprie, non tropice , et obscure 
locuturum , utique credimus . . . . . .Ita vero etiam conslat, ignem 
illum non fore spiritualem (sic enim proprie dictus ignis nen 
fuerit), sed materialem et corporeum . Distinctius autem ejus 
naturam veile exponere, curiosum magis, quam utile est Que n- 
s t e d t führt, ohne sich ausdrücklich zu entscheiden, die ver- 
schiedenen Meinungen an* . 

7. Prima sententia eorum, qui statuunt, infernalem ignem 
fore materialem , corporeum J elementarem ; ita quidam patres ut 
Tertullianus , Augustinus etc. Rationes pro hac sententia: 1 . A 
littera non est recedendum. 2 . Tribuuntur igni infernali flcrn- 
ma, sulphur, fumus, ligna , ergo est ignis corporeus . 3. Adurit hic 

ignis hominum corpora , ergo etiam erit corporeus Hae 

rationes nondum satis probant, ignem inferni fore materialem 
et elementarem . Nam a. S . Scriptura diserte dicit, omnia ele- 
menta in die illo censorio esse conflagranda , 2. Pet. 3, 20. b. 
Matth . 25, 41 infernal is ignis dicitur aeternus; at vero materialis 
et proprie sic dictus ignis non potest esse aeternus (?). c . Ignis 
infernalis aget etiam in diabolos et animas; ignis autem materia- 
lis non potest agere in Spiritus . Diesen Grund führt auch Ger- 
hard 4 aus. Der. Einwand der Scholastiker, daß das elementare 
Feuer auch .zur Wirkung auf Geister allein a deo elevari posse , 
enthält zwar eine an sich nicht zu bestreitende Möglichkeit und 
ist, sofern er den Satz mitenthält, daß man nach physischen und 
philosophischen Prinzipien nicht in Glaubenswahrheiten entschei- 
den darf, auch eine Kritik des obigen Arguments unter b (Ver-. 
gänglichkeit der Materie). Allein, er ist doch hinfällig, weil wir 
wiederum aus feststehenden Glaubenswahrheiten wie der All- 


2 Comp., pars I , cap. VII , § X, b , p . 247. 

8 Theol did. pol. , pars /, cap. XIV, sect. II, qu. IV, II. observ., 
P 57i* 

4 L. c., § LXIX, p. 247 . 


§ 75* Von der ewigen Verdammnis. 


299 


macht Gottes nicht ohne weiteres neue Wahrheiten entwickeln 
dürfen, und doch die Schrift selbst das, was die Scholastiker als 
unbestritten möglich setzen, doch nicht als Wirklichkeit klar aus- 
spricht. Wir dürfen aus der Vergänglichkeit der Elemente nicht 
ohne weiteres auf ein unelementares Feuer der Hölle schließen, 
noch aus der Allmacht Gottes ohne weiteres auf die elementare 
Art desselben, d. h. von der Möglichkeit auf das wirkliche Vor- 
handensein desselben. Aber mit Recht wendet Quenstedt gegen 
das Argument für die Materialität des ewigen Feuers, daß die 
Schrift von sulphur , flamtha usw. spreche, dies ein, daß wie für 
das Ganze : Feuer, so für die einzelnen Teile : Flamme, Schwefel, 
Holz es eben die Frage sei, ob sie bildlich oder eigentlich zu 
♦ nehmen seien, und daß die selbst zweifelhaften Einzelheiten nicht 
Gewißheit bringender Beweis für das Ganze sein könnten. 

2. Secunda sententia est , ignem illum , per quem coelorum 
terrae que machina dissolvetur et destruetur , divino nutu damna- 
tos crassiore sui parte involuturum, huncque ignem praeternatu- 
ralem , perpctuique cruciatus instrumentum fore. Ita sentiuht 
Calixtus, Zanchius , Alstedius . Dagegen: Sequitur ex hac sen- 
tentia, ignem infernalem nondum exstare, nec damnatorum ani- 
mas eo torqueri. Allerdings könnte ja dieses Feuer erst nach dem 
Weltuntergang vorhanden sein. 

Sententia tertia est eorum, qui existimant, S. Scripturam 
desctibere statum et conditionem damnatorum per ignem , non 
quod proprie detur aliquis in inferno ignis , sed ut inde significa- 
ret acerbissimos cruciatus et dolores damnatorum . Ita sentiunt 
Ambrosius, Joh . Damascenus , Aegidius Hunnius, Balduin, Dann- 
hawerus . Grund ist namentlich Matth. 25 (vergl. V. 41 mit V. 
46), quae verba ultima videntur innuere, per ignem infernalem 
in genere designari supplicium gehennae gravissimum . 

4 . Denique sententia eorum est , qui hic h rc^av malunt, 
quam certi aliquid statuere . Eandem sequitur Gerhardus ß , 
qui ait: Nec ambigimus , divina potentia fieri posse, ut ignis cor - 
poreus cruciet diabolos et animas incorporeas. Sed an ignis Ule 
revera cor poreus, materialis ac visibilis futurus sit , an vero in- 
cor poreus, invisibilis ac immaterialis in medio relinquimus, quam ■ 


* L. c. t § LXIX, 4, P- 251- 


800 


§ 7^ Von der ewigen Verdammnis. 


vis in partem posteriorem magts propendeamus (Gerhard neigt 
also mehr zu einer Immaterialität des Feuers als zum Gegenteil) 
ac Deum serio precamur, ne per experientiae notitiam illud nobis 
manifestet. 

Die Stellung von Gerhard scheint die am meisten gesicherte. 
Absolute Entscheidung, ob dieses Feuer materiell oder imma- 
teriell sei, gibt die Schrift nicht Für letztere Annahme kann die 
Erwägung gewinnen, daß der oft mit dem Feuer verbundene 
Wurm, dessen Realität durch die Unmöglichkeit seiner Existenz 
im Feuer aufgehoben wird, daher, wie er selbst bildlich zu fassen 
sei, auch die Bildlichkeit des Feuers beweise. Aber hierbei würde 
doch wieder mit physischen Analogien operiert. Gewöhnlich 
wird der Wurm auf die Seelen- und Gewissensschmerzen der 
Verdammten bezogen. Gerhard 6 : Referri autem possunt ad 
rodentem illum c on s cientiae v er me m damnatorum , 
Bkttpis Kal cTTcvox<*>p£* (Rom. 2 f Q; 2. Thes. i, 6 ). Das Feuer 
wird bezogen auf die cruciatus corporis . Aber zunächst ist auf 
die zuvor gegebene Instanz zu verweisen, daß das Feuer doch 
auch die bösen Geister quält, die doch körperlos sind. Es ist 
also diese Verteilung, die doch ohnehin eine deutliche, in der 
Schrift selbst gelehrte Unterscheidung als species der cruciatus 
voraussetzte, ohne Grund in der Schrift. Wiederum muß man 
angesichts Luk. 16, 24 wohl mit Nebe fragen: „Genügt es, 
mit Thiersch zu sagen : Die bösen Lüste, welche der reiche Mann 
während seines Erdenlebens gepflegt und groß gezogen hatte, 
hafteten noch in seiner ' Seele, aber die Gegenstände, womit er 
früher die Lüste zu befriedigen suchte, waren ihm alle genom- 
men ; und die Begierden brannten in ihm fort wie ein unersätt- 
liches Feuer? Er hatte die Mahnungen des Gewissens betäubt 
und vielleicht wegzuspotten gesucht, er hatte sich über die Zer- 
rüttung seines Geisteslebens getäuscht; nun fielen alle diese 
Täuschungen weg und in seiner verwahrlosten Seele arbeiten die 
Vorwurfe des Gewissens wie ein beständig nagender Wurm? 
Ich glaube nicht Wie die Seligkeit des Gerechten nicht bloß 
darin besteht, daß sie in sich selig sind, sondern vornehmlich 
darin, daß das krystallene Meer vor dem Stuhl des dreieinigen 
Gottes einen Strom der Wonne nach dem andern ihnen zuführt, 


8 L. c., § LU, p. 216, 


§ 75 * Von der ewigen Verdammnis. 


301 


so scheint es mir geboten, diese Qualen nicht bloß als innere, 
sondern auch als äußere Leiden zu erkennen. Der ganze 
Mensch, Leib und Geist, muß leiden.” Schwach ist an Nebes 
Argument das krystallene Meer als Instanz, da ja dessen Fas- 
sung ebenso zweifelhaft wie die des Feuers ist, aber in der Haupt- 
sache hat er recht und zwar wegen der Worte des reichen 
Mannes, der doch von einer Erquickung der Zunge, die doch 
nicht bildlich zu nehmen ist, redet, und damit doch gegen die 
rein bildliche Auffassung des Feuers als Gewissensbrand Zeug- 
nis gibt. H o 1 1 a z scheint uns nächst der von Gerhard empfoh- 
lenen in bezug auf positive Fassung des Feuers dem An- 

nehmbarsten nahe zu kommen, wenn er sagt 7 : Corpora damnar- 
tornm cruciabuntur igni infernali proprie dicto adeoque tnatert- 
ali ... Non autem erit ignis elementaris aut vulgaris, sed sin - 
gularis. Dies verwirft Romanus Teller, der die 7. und 8. 
Auflage des Examen von Hollaz mit Anmerkungen herausgab, 
und erklärt die metaphorica interpretatio für allein richtig. Hier- 
in stimmt P h i 1 i p p i 8 9 ihm bei. Wir sind anderer Meinung. 
Wir können nur nach allem den Schluß machen, daß es in der 
Hölle ein bestimmtes, reales Agens gibt, welches nach Art des 
brennenden Feuers und eines bohrenden Wurmes die Verdamm- 
ten nach Leib und Seele quält, und daß jedes der beiden, Feuer 
wie Wurm, die ganze Qual der Verdammten in sich greift, nur 
nach verschiedenen Seiten ihrer Beschaffenheit aufgefaßt, so- 
wohl als von außen andringend (Feuer), wie auch ins Innerste 
eindringend (Wurm). 

Von den Qualen und Peinigungen der Verdammten ist end- 
lich zu sagen, daß sie sich auf Leib und Seele beziehen und alle 
von den Verdammten nach ihrer ganzen Person, sowohl leib- 
lich wie geistig, empfunden werden. Der reiche Mann leidet 
leibliche Pein in der Flamme, denn er begehrt leibliche Er- 
quickung, aber auch geistige, sofern ihm das „getröstet werden” 
abgeschnitten ist, dessen Lazarus teilhaftig wird (Luk. 16, 24. 
25). In bezug hierauf sagt Gerhard 8 : Ceterum quod in 
anima et corpore damnatos torquendos esse diximus ea ratione 


7 Ex., pars III , sect. I, cap. XII , cju. 26, prob . c, p. 447. 

9 Glaubenslehre, B. 3, S. 388. 

9 L, c., § LI II, p. 220 . 


302 


§ 75- Von der ewigen Verdammnis. 


intellige?idum , quod in Omnibus animae potentiis et in omnibus 
corporis membris dolores acerbissimos sint persensuri, ac proinde 
ad multiplicem poenarum varietatem accedet earundem universa- 
litas. Er macht richtig darauf aufmerksam, daß viele Leiden 
dieser Zeit nur partiale sind, die nicht den ganzen Menschen nach 
Leib und Seele, in allen Teilen des ersteren und allen Kräften der 
letzteren, peinigen, wie dies aber die Höllenleiden bei den Ver- 
dammten tun werden. Wenn irgendein Teil des Leibes oder ir- 
gendeine Kraft der Seele auch nur zeitweise vom Leiden aus- 
geschlossen wäre, so würde damit ja ein Gutes vergönnt; aber 
eben solche Gunst ist den Verdammten versagt (Luk. 16, 25). 

Daß ein jeder Verdammter ein volles Maß der Qual und 
Pein nach Leib und Seele hat, welche als eine wirklich schreck- 
liche Betätigung der Gerechtigkeit Gottes an ihm gelten kann 
(1. Thes. 1, 5. 6 vergl. mit V. 8. 9), schließt aber nicht aus, daß 
Abstufungen der Böllenqual sein werden. Dieses wird 
mit gutem Grund gelehrt nach Matth. 10, 15 ; Luk. 10, 12 ; Matth. 
11. 21. 23; 23, 14. 15; Luk. 12, 47. 48; Rom. 2, 9). Quen- 
s t e d t 10 : Erunt in inferno diversi gradus poenarum . Ger- 
hard 11 : Negarunt olim J ovinianistae, qui omncs peccatores ut 
in culpis ita et in poenis par'es fore dixerunt , secuti stoicos, qui 
et ipsi omnia peccata fecerunt paria. Augustinus de haeres cap. 
82 . Contrarium statuunt unanimi consensu ontnes patres. Mit 
gewohnter Vorsicht machen unsere Dogmatiker, die den Vätern 
durchaus beitreten, doch folgende Bemerkungen : Notandum 
tarnen circa hanc poenarum diversitatem , I. quod omncs omnium 
damnatoruni poenae futurae sint aetcrnae, proinde ratione dura- 
tionis nulla erit diversitas . II. Quod non ratione specierum 
diversarum vel locorum distinctorum } ut quidam volunt , sed ra- 
tione distinctorum graduum illa inaequalitas sit sfatuenda. 

Die Antithese gegen die in diesem Lehrsatz gegebe- 
ne Schriftlehre ist, abgesehen von der schon früher im Para- 
graph de statu post mortem widerlegten römischen Lehre von den 
verschiedenen Stufen, limbus pattum , infantium usw., wesentlich 
die Antithese gegen die im nächsten Lehrsatz vorzulegende 
Schriftlehre. 


10 L. c., qu. II I, thes., p. 566. 

11 L. c. f § LXXV, p. 256. 


§ 75* Von der ewigen Verdammnis. 


303 


LEHRSATZ II. 

Der Zustand der Verdammnis ist ein stetig in Ewigkeit dauern- 
der . 

Anmerkung: Dieser Lehrsatz enthält zweierlei, näm- 
lich einmal dies, daß in den Qualen der Verdammten keine 
Unterbrechungen eintreten. Dieses ist die continuitas 
poenarum inferni. Gerhard 1 : C ontinuitatis nomine intelli - 
gimus, quod poenae Mae nullum habebunt intervallum > nullam 
interruptionem, nullam quietem. So lehrt die Schrift, denn sie 
sagt einmal aus, daß den Verdammten jede zeitweilige, auch nur 
partielle Aufhebung der Qual versagt wird (Luk. 16, 24. 25). 
Zum andern sagt die Schrift positiv aus, daß die Qual Tag und 
Nacht währt, daß die Verdammten weder Tag noch Nacht Ruhe 
haben (Jes. 34, 1 o; Off. 19, 3; 14, n ; 20, 10). 

Zum andern sagt unser Lehrsatz die ewige Dauer der 
Höllenstrafen, die perpetuitas sive aeternitas poenarum inferni 
aus. Der Schriftbeweis dafür ist ein überaus reicher. Erstlich 
spricht die Schrift negative die Ewigkeit aus, indem sie eines- 
teils sagt, daß die Pein der Hölle nicht aufhört (Jes. 66, 24; 
Mark. 9, 43. 44. 46. 48; Luk. 16, 26) und andemteils das Auf- 
hören der Pein an die Erfüllung einer unmöglichen Bedingung, 
die völlige Bezahlung aller Sündenschuld, knüpft (Matth. 5, 26; 
Luk. 12, 59; vergl. Ps. 49, 9). Zum andern spricht die Schrift 
positive die Ewigkeit der Verdammnis aus, indem sie das Ver- 
derben, die Strafe, die Finsternis, das Gefängnis und die Bande 
der Hölle als ewige bezeichnet (Matth. 18, 8; 25, 41 ; Jud. 4 — 7; 
Joh. 8, 5t ; 11, 26; 2. Thes. 1, 9 ; Off. 14, 11) und zwar mit Häu- 
fung des Begriffs „Ewigkeit”, in saecula saeculorum, cts tov? 
aiÄva? Ttüv atwvtuv (Off. 14 , II; 20, IO). 

Die Dogmatiker beschäftigen sich im Anschluß an die Lehre 
von der Ewigkeit der Höllenstrafen mit einer Frage, die eigent- 
lich nur vom Standpunkt der sehr empirischen Fassung von ignis 
infernalis so, wie es der Fall ist, aufgestellt werden konnte, näm- 
lich : Quomodo damnatorum Corpora in ignis infernalis flammis 
possint conservari, ne consumantur et in einer em redigantur. Es 
genügt, was Gerhard selbst für den Fall einer sehr empiri- 


" Loci f tom. XX, loc . XXXI t cap. VI , § LV , p. 223. 


304 


§ 75 - Von der ewigen Verdammnis. 


sehen Fassung des Feuers sagt 2 3 : Ignis infernalis alterius n&- 
turae et qualitatis erit, quam diaconicus , ut enim nunquam ex- 
stinguitur, sed semper ardet } ita quoque damnatorum corpora 
non ex stinguet, sed cruciatibus aeternis reservabit . Die Haupt- 
sache aber ist die, daß die Schrift ja klar lehrt, daß die Leiber 
aller Auferstandenen, sowohl der Seligen, als auch der Ver- 
dammten, nicht mehr irdischer, sondern überirdischer Art und 
daher den Gesetzen für die Materie in der Zeit nicht mehr unter- 
tan sein werden. 

Dieselbe Schriftwahrheit erledigt auch die Frage, ob nicht 
analog der häufig eintretenden Empfindungslosigkeit infolge über- 
großer Schmerzen auch die gehäuften Schmerzen der Verdamm- 
nis eine Empfindungslosigkeit und Abstumpfung gegen den 
Schmerz und damit gleichsam eine Unterbrechung der Qualen 
herbeiführen müßten. 

Würde uns aber auch diese Schriftwahrheit nicht gleich- 
sam eine Aufklärung über die beiden behandelten Fragen geben, 
so stände die Sache selbst, nämlich das ewige Ausdauern, durch 
die einfache Aussage der Schrift, daß die Höllenstrafen ewig 
sind, fest. 

In der Antithese zur Ewigkeit der Höllenstrafen 
stehn : 

I. Ori genes, der auf Grund heidnisch - philosophischer 
Vorstellungen eine airoKa rd<rra<ri* ir avrwv. restitutio omniutn, 
eine Wiederherstellung aller, nämlich zu ursprünglicher Un- 
schuld und Heiligkeit, lehrt. Er sagt von den Geistern der Gott- 
losen® : Hi vero, qui de statu primae beatitudims moti quidem 
sunt, non tarnen irremediabiliter moti, sanctis beatisque ordinibus 
subjecti sunt ad regendum, quorum adjutorio usi et institutioni - 
bus ac disciplinis salutaribus reformati redire ac restitui ad sta - 
tum beatitudims possunt. Er begründet dies damit : Non regna - 
bit in aliquo peccatum } cum diabolus et angeli ejus igni tradentur 
aeterno . Seinen Irrtum haben verschiedene Papisten verteidigt 
und namentlich vielfach ältere und neure Mystiker erneuert, was 
erklärlich ist, da sie meist auf pantheistischem Grunde stehn. 

Von den alten Kirchenlehrern soll Ambrosius dem Irr- 


2 L. c., § LXI, e, p . 233. 

3 Gerhards Loci, /. c., § LXI1, p. 236. 


§ 75- Von der ewigen Verdammnis. 


305 


tum des Origenes gefolgt sein; doch die Schrift, aus welcher 
die dies beweisende Stelle stammt, wird nicht für ein Werk des 
Ambrosius gehalten. Auch Hieronymus wird als Nach- 
treter des Origenes verdächtigt; aber er erklärt sich an verschie- 
denen Stellen gegen diesen Irrtum. 

Ganz entschieden haben die Anabaptisten die Ewig- 
keit der Höllenstrafen geleugnet und meist zum origenistischen 
Irrtum sich bekannt. 

Dasselbe tut ausgesprochen auch Schleiermacher 
nach dem Vorgang der Mystiker des Mittelalters. Er erklärt, 
daß durch die Kraft der Erlösung dereinst eine Wiederherstel- 
lung aller menschlichen Seelen erfolgen werde. Schleiermachers 
Stellung ist sehr erklärlich, da er wie die früheren Mystiker mit 
seiner Theologie auf pantheistischer Grundlage ruht. 

Auch viele neuere Theologen, vulgäre und speku- 
lative Rationalisten, die keine panth eistische Grund- 
lage haben, haben die Ewigkeit der Höllenstrafen geleugnet zu 
Gunsten einer endlichen Wiederbringung aller. Wegschei- 
der 4 : De diurnitate vero harum poenarum ita censemus , p r i - 
mum Deutn miserrimam peccatorum conditionem, qui post mor- 
tem poenis affecti animum em e nd av er int et de quorum 
Sorte futura neque Jesus ipse neque apostoli quidquam defini- 
erint, eodem modo mitigaturuni esse , quo ad meliorem 
mentem redierint atque in animi perficiendi Studio strenue per- 
rexerint (Ähnlich Niemeyer 5 indem er das späte Inne- 
werden des Irrtums als Schritt zur Umkehr bezeichnet und einem 
solchen die Seligkeit in Aussicht stellt, aber nicht eine solche, 
die die Folge „früher bewährten Tugend” ist, nach welcher eine 
„höhere Seligkeit zu erwarten ist”.); de in de hominem im- 
probum, etsi poenis vitae futura? emendatus in aliam eademque 
mitiorem abierit conditionem t nnnquam tarnen vitae terrestris 
male actae recordatione Uberatum iri, neque beatitate iis parem 
fore, qui honest e vixissent. Unde poenas infernales recte dici , 
sensu quidem diverso, et äeternas et non aeternas \ 

Es kommt also zuletzt auf die Annahme einer nur hypothe- 
tischen oder relativen Ewigkeit der Höllenstrafe hinaus. Es 

4 Instit., § 200, p. 639. 

5 Popul. u. prakt. Theologie , 6. Aufl. Halle. 1823, S. 342. 


306 


§ 75- Von der ewigen Verdammnis. 


wird behauptet, daß von einer Ewigkeit der Hölienstrafen nur ge- 
redet werde unter Voraussetzung, daß die Bösen sich nicht in der 
andern Weit bessern. Ferner wird behauptet, daß zu diesem 
Zweck ihnen nicht nur gepredigt werde, sondern daß auch sie 
manche Strafen für die auf Erden leichtfertig verlorene Gnaden- 
zeit zu erleiden hätten, bis sie sich bessern. Es spielt also das 
vielbeliebte Fündlein von Heilspredigt im Hades mit hinein. H a- 
se 6 hält die Annahme der Hadespredigt wenigstens für nötig, 
um den Vertretern der hypothetischen Ewigkeit der Höllenstrafe 
gegenüber die reale Ewigkeit dieser Strafen zu behaupten, in- 
dem er sagt: „Die wider die Ewigkeit der Höllenstrafen vor- 
gebrachten Gründe sind widerlegt, wenn erst durch das Welt- 
gericht die ewige Verwerfung entschieden wird. Nachdem in 
dieser Zwischenzeit alle Folgen der Sünde, alle Wirkun- 
gen der göttlichen Gnade vergeblich gewesen sind, wendet Gott 
durch den Spruch des Weltgerichts seine Gnade auf immer von 
den Unverbesserlichen ab”. Da muß man doch fragen, wie es 
um die Millionen Gottlosen steht, die am Jüngsten Tage leben 
und also nicht die Zwischenzeit der Besserung im Hades durch- 
machen können ? 

Wir brauchen aber nicht das Fündlein und den groben Irr- 
tum einer Heilspredigt im Hades zu Hilfe zu nehmen, um ge- 
nügende Antwort auf die Einwürfe gegen die Ewigkeit der Höl- 
lenstrafen zu. geben. Wir haben die Antwort in der Schrift. 
Die gangbaren Einwürfe sind : 

a. Ewige Strafe steht im Mißverhältnis zu zeitlicher 
Sünde. Gerhard 7 : Proportionen* poenue et culpae non in 
mora temporis sed in peccati qualitate ac turpitudine quce- 
rendam. Die in der Zeit begangene Sünde hat unendliche Schuld, 
weil sie eine Beleidigung des unendlichen Gottes ist. Broch- 
mand 8 : Quia peccato offenditur Deus , bonuni infinitum et aeter- 
num, inde est quod peccatum mereatur poenam aeternam. Sehr 
deutlich bezeugt dies Jes. 59, 2: „Sondern eure Untugenden 
scheiden euch und euren Gott voneinander”, an sich absolut, und 
darum für alle, die an der Versöhnung, die objektiv jene Schei- 


8 Hutterus redtvivus, § 132, S. 357. 

7 L. c„ § LXV, 6 , p. 243 . 

8 Systema, tont . 11 , art XLVIJI, cap . 11 , qu . 111 , p. 7043. 


§ 75- Von der ewigen Verdammnis. 


307 


düng aufhebt, nicht subjektiv durch den Glauben Teil haben; 
vergl. über diesen Punkt § 50 9 . Es muß auch in Betracht gezogen 
werden, daß die Sünde, aus der viele kurz vorübergehende sün- 
dige Taten hervorgehn, doch an dem Subjekt hängt (als Erb- 
sünde) und daß diese Sünde doch beständig eine dvofjua Leug- 
nung des heiligen Willens Gottes, Verachtung der im Gesetz re- 
präsentierten Majestät Gottes ist, daß also auch, da die Strafe 
doch die göttliche Bestätigung der Majestät des Gesetzes ist, die 
Strafe, für den Fall, daß nicht die Gottlosen vernichtet werden 
(in nihilo rediguntur ) , ewig sein muß, weil mit dem gottlosen Sub- 
jekt auch die dvo/xta ewig bleibt. Man müßte etwa noch mei- 
nen, daß das Moralgesetz nur für diese Zeit sei, was die Schrift 
deutlich verwirft. 

b. Es sei wahrscheinlich, daß im Jenseits Besserung 
e i n t r e t e, weil der Reiz zur Sünde wegfalle. Dies 
Argument ruht von vornherein auf einem Grundirrtum, auf der 
papistischen Ansicht von der Sünde, daß dieselbe ihren Sitz in der 
niederen Sphäre des Menschen, in der sensiuüitas, der Sinnlich- 
keit, habe. Der Sitz der Sünde ist aber der eigentliche Kern des 
geistigen Lebens des Menschen ; und schon in Anbetracht dessen 
kann keine höhere Wahrscheinlichkeit der Bekehrung für das 
Jenseits statuiert werden. 

c. Die Ewigkeit der Höllenstrafen widerspreche der 
Barmherzigkeit Gottes. Allein, die endliche Begnadi- 
gung auch auf Grund vorausgesetzter Bekehrung im Jenseits 
widerspricht in der Sache selbst wie in der Voraussetzung der 
Aussage der Schrift und also der Wahrhaftigkeit Gottes, denn 
nach Matth. 25, 10 ist nach diesem [.eben die Pforte geschlossen 
und nach Jak. 2, 13 ergeht ein Gericht ohne Barmherzig- 
keit über den, der nicht barmherzig war. Die Schrift sagt also 
klar und ausdrücklich, daß Gott nach diesem Leben keine Be- 
lehrung ermögliche, und daß et* gegen die Verdammten keine 
Barmherzigkeit kenne; vergl. auch Luk. 16, 25. 

Im ganzen ist zu den vorgebrachten Argumenten noch zu 
sagen, daß es auf das, was nach der Vernunfterwägung als an- 
nehmbar erscheint, nicht ankommt, sondern einzig auf klare 


» B. 3, Lehrsatz I, II, III, S. 190c ff. 


308 


§ 75 - Von der ewigen Verdammnis. 


Schriftaussage. Wer nach der Vernunft wollte statu- 
ieren, was für Gott und seine Barmherzigkeit schicklich wäre, 
dem muß man mit der Schrift sagen: „Ja, lieber Mensch, wer 
bist du denn, daß du mit Gott rechten willst ?" (Röm. 9, 20). 

Mail hat die allgemeine Wiederbringung a 1 - 
1 e r auch auf Schriftstellen zu basieren versucht ; so 
auf Jes. 24, 22. Genaue Übersetzung: Sie (das Heer der Hohe 
und die Könige auf Erden, V. 21) werden versammelt zu einer 
Versammlung als Gefangene (zusammen gefangen gesetzt) auf 

die Grube hin 013 by, in die Grube hinein) und von einer Men- 
ge Tage (Q-'py IDD werden sie heimgesucht <np9?>- 

Dies soll nach älteren wie neueren Auslegern (Knobel z. B.) 
heißen: Sie werden gefangen gesetzt und nach vielen Tagen 
heimgesucht, d. i. befreit. Knobel versteht die Stelle nicht Vom 
Hades, sondern von einem Gefängnis auf Erden. Gott wolle ein 
Strafgericht üben an den Königen der Erde und an deren himm- 
lischen Schutzmächten (Heer der Höhe, aber nach- 

dem es lange gedauert, solle Befreiung folgen. Dagegen: Von 
einem Erdengefängnis kann nicht die Rede sein, denn die Heere 
der Höhe sollen ja zusammen mit den Königen gefangen gesetzt 
werden. Es ist klärlich mit der Grube 0 * 13 ) das Infernum ge- 
meint. Aber nun sagt der Vers nicht, daß die Gefangenen aus 
dem Infernum nach langer Zeit entlassen werden, oder daß die 
Höllenstrafen nur temporär seien. ln V. 21 heißt T p S 

("IpS*') °^ en ^ ar » auc h nac h Knobel, „strafend heimsuchen” : 
und es ist kein Beweis da, daß das Niph. 1*1 pS* 1 V. 22 etwas an- 
ders heißen soll als : Sie werden gestraft. Vielmehr liegt nur das 
eine nahe, cs in demselben Sinne wie in V, 2r zu nehmen, wie z. 
B. Gesenius tut, der das Niph. in der Bedeutung von „heim- 
suchen" im guten Sinne überhaupt nicht aufführt. [Die Aufl: 
von 1894 führt allerdings das Niph. im guten Sinne auf und zwar 
unter Berufung auf Jes. 29, 6, wo es indessen ganz offenbar in 
ungünstigem Sinne steht] Und das „nach vielen Tagen" ist 


10 Handwörterb. über das A. T., 8. Aufl., 1878. — So auch E. König, 
Heb. Wörterbuch, 1910. 


§ 75 * Von der ewigen Verdammnis. 


3t9 


keine Instanz dagegen, sofern man sagen möchte, daß doch dies 
„nach vielen Tagen” hier einen andern Sinn für *"| p g fordere, 

wie das Wort V. 21 hatte. Denn den Schein solcher Instanz ge- 
winnt man nur, indem man übersetzt ; Aber 

nach vielen Tagen, da es ebenso berechtigt ist zu übersetzen : 
Und nach vielen Tagen, genauer: Und von einer Menge von 
Tagen an werden sie gestraft, d. h. es gehen Tage und Tage hin 
und sie werden noch immer gestraft, d. h. in aeternum . Es wäre 
auch sonderbar, wenn das np_§? sollte plötzlich etwas Gutes 

aussagen, da auch noch am Anfang v. V. 23 Worte des fortge- 
setzten Strafgerichts stehen und im Gegensatz dazu der Schluß 
von V. 23 die Verherrlichung der Kinder Gottes bringt. Ähnliche 
Auslegung von V. 22 findet sich schon bei Cornelius a 
L a p i d e (Cornelius van den Steen, Jesuit, 1596 Prof, in Löwen, 
1616 Prof, in Rom, gest. daselbst 1637 ; er war einer der frucht- 
barsten Exegeten des Jesuitenordens.) : Quamvis multis annis 
sint in gehenna , tarnen nunquam poenae eorum finientur , sed 
visitabuntur seu punientur post multos dies , i. e. post quantoslibet 
dies et annos erit jugis poemrum inchoatio . 

Andere Stellen, auf welche man die Wiederbringung aller 
stützen will, sind: Matth. 19, 28; Apg. 3, 21 ; 1. Kor. 15, 22 — 28; 
Eph. 1, 10; Phil. 2, 10. 11. Allein, diese Stellen reden von der 
Herrlichkeit des Ehrenreiches und zwar teils sofort von dem 
Glauben als Bedingung der Teilnahme (Apg. 3, 21; 1. Kor. 15, 
22 — 28), teils erwähnen sie das Gericht (Matth. 19, 28), teils 
zeigen sie, daß die da und dort einer Wiederbringung aller gün- 
stig klingende Stelle doch zugunsten derselben mißdeutet wird. 
Wenn z. B. 1. Kor. 15, 25 gemißbraucht wird zum Beweis, daß 
alle Feinde Jesu, d. h. die Ungläubigen, schließlich ihm in 
gutem Sinne unterworfen, d. h. zum Glauben gebracht werden, 
macht V. 26 den Mißbrauch offenbar, da der Tod, der als der 
letzte Feind erwähnt wird, doch wahrlich nicht in jenem Sinne 
unter Christi Füße getan wird, sondern als Feind, aber als über- 
wundener, geschlagener, zu Schanden und Triumph gemachter. 

2. In Antithese zu unserm Lehrsatz stehn auch die S o z i n i- 
aner. In ihrem eigentlichen Symbol, Catechismus Racoviensis, 
äußern sie sich zwar über die Sache nicht, aber in Privatschriften 


91j0 § 75. Von der ewigen Verdammnis. 

sozinianischer Theologen, die fast symbolisches Ansehn genießen, 
findet sich mehr oder minder deutlich die Leugnung der Ewig- 
keit der Höllenstrafen ausgesprochen. Zwar wird auch nicht ge- 
rade allgemein und bestimmt eine Wiederbringung aller gelehrt, 
wohl aber eine völlige V ernichtung der Gottlosen. 
Smalciu s 11 sagt, daß die Gottlosen durch das ewige Feuer 
vernichtet werden. S o c i n u s selbst sagt zwar, daß den Gott- 
losen der ewige Tod als Strafe bestimmt sei, aber er beschreibt 
ihn als Auflösung des Menschen, während er von ewigen Peini- 
gungen gänzlich schweigt. Und daß in der Tat die Mehrzahl der 
Sozinianer eine Vernichtung der Gottlosen an Stelle der ewigen 
Peinigung derselben gesetzt hat, geht aufs klarste hervor aus der 
Erklärung des Sozinianers V ö 1 k e 1 . Dieser statuierte ewige 
Höllenstrafen, weil er sie in Luk. 16 begründet fand. Er er- 
klärt aber auch, daß er mit den Meinungen Socins über den ewi- 
gen Tod im Widerspruch stehe. 

Noch weniger entschieden sprechen sich die Arminia- 
n e r darüber aus, ob die Gottlosen ewige Qual leiden, oder 
völlig vernichtet werden. Sie neigen aber dem letzteren mehr zu 
als dem ersteren. 

Sehr entschieden aber lehren die Adventisten des 
siebenten Tages eine völlige Vernichtung der Gottlosen 
und zwar durch das Vernichtungsfeuer, welches am Jüngsten 
Tage die Erde vernichten wird. Daher denn auch die Gottlosen 
bis dahin nicht in der Hölle sind. 

Die eigentlichen Nachfolger der Sozinianer sind die Uni- 
versalsten und wie ihre Vorgänger sprechen sie sich 
schwankend über eine Vernichtung der Gottlosen wie auch über 
eine Wiederbringung aller aus. Aber die Ewigkeit der Höllen- 
strafen leugnen sie entschieden. J. D. Williamson 12 sagt 
von der Stellung seiner Sekte: Einige glauben, daß alle Strafe 
auf diese Welt beschränkt sei, andere, daß sie sich auch auf die 
zukünftige erstrecken wird. Darin jedoch stimmen alle überein, 
daß die Strafe ein Ende erreichen und in keinem Falle endlos 
sein wird. 

3. In Antithese stehn endlich alle Atheisten, alte Liber- 


11 De divinitate Christi cap. XXII , p. 133. 

12 Exposition and Defense of Universalism. 


§ 75» Von der ewigen Verdammnis. 


311 


tiner, neuere Materialisten. Für sie ist die Frage, ob ewige Qua! 
ist, oder eine völlige Vernichtung stattfindet durch das Feuer 
des Jüngsten Tages, gänzlich beseitigt. Es gibt für den Men- 
schen als Individuum kein Jenseits, oder es gibt schon von vorn- 
herein kein wirkliches Individuum. Den Ton derselben gibt 
Strauß 13 an: „Das Jenseits ist der letzte Feind, welchen die 
spekulative Kritik zu bekämpfen und womöglich zu. überwinden 
hat” Dieses letztere vermeint Strauß wirklich geleistet zu haben 
in seinem „Alter und neuer Glaube”; vergl. Synodalbericht der 
Synode von Wiskonsin, vom J. 1887. 

LEHRSATZ III. 

\ - 

Der Aufenthalt , in welchem die eivige Qual gebüsst wird , ist 
die Hölle . 

Anmerkung: Hölle, infemum, wird oft gebraucht im »kom- 
plexen Sinn, nämlich Leiden und Aufenthaltsort des Leidenden 
zusammenfassend. J o h. F e c h t 1 : Infernus usu partim Scrip - 
turae , partim ecclesiastico vel paenam notat , praeciso loco , vel 
lo cum, abstracta poena , vel utrutnque . Doch ist unter Infemum 
nicht ein bloßer Zustand ( Status) gemeint, sondern auch ein be- 
stimmter Aufenthalt. Das lehrt die Schrift, indem sie 
nicht nur von einem Zustand der Qual redet, sondern auch 
von einem Ort der Qual, ?wos olrros ßa<ravov (Luk* 16, 
28; vergl. V. 26; 1. Pet. 3, 19, Gefängnis). Es ist aber nun 
iwos nicht Ort in allergröbster lokaler Fassung. Darum reden 
auch unsere Dogmatiker nicht so häufig von einem locus infernt 
oder damnatorum sondern von einem wov. von einem da, wo 
die Verdammten Pein leiden. Gerhard 2 führt erst an, daß 
infemum genommen werde pro morte aeterna, und dann auch 
pro illo ttov, in quo miserrimam illam conditionem ac ineffabiles 
istos cruciatus patiuntur, et in aeternum sustinebunt. Dann sagt 
er: Quidam posteriorem significationem plane repudimt , ac in- 
fernum non nisi per sensum irae divinae ac maledictionis aeter- 
nae ac horrorem conscientiae definiendum esse arbitrantur. Sed 
non mdetur negandum esse c er tum altquod trov ■ in quo damnati 

18 Glaubenslehre, II, S. 739. 

1 De statu damnatorum , Rostock und Leipzig , 1727 , p. 32g. 

8 Loci , tom. XX, loc. XXXI , cap. III, §XXV, p. 175. 



312 


§ 75- Von der ewigen Verdammnis. 


supplicia sua persolvent . Ganz richtig beruft sich Gerhard dafür 
erstlich auf die unmittelbaren Schriftaussagen (Luk. 16, 26. 28; 
1. Pet. 3, 19), sodann darauf, daß die Verdammten eine Leib- 
lichkeit haben und daß diese einen Aufenthalt fordert. Er drückt 
dies so aus 3 : Corpora damnatorum animabus redunita, adeoque 
ipsi damnati aut erunt ub ique aut nullibi aut in c e rt 0 
ttöv. Primuni dici nequit, quia ubique praesentia vel ab essentiae 
vel hypostaseos infinitate originem trahit, quarum neutra hic 
Statut potest. Adde quod damnati dicantur futuri non in coelo , 

sed in inferno . Ergo non erunt ubique Alterum itidem 

dici nequit , quia omnia entia finita nccesse est esse in aliquo 

ubi . . . . Manet ergo tertium , videlicet quod damnati in certo 
ir<n> sint futuri. Mit vollem Recht macht Gerhard auch auf die 
schlimme Konsequenz aufmerksam, daß nämlich bei der Voraus- 
setzung, daß es ein solches wav nicht gebe, auch der buchstäb- 
liche Sinn der Höllenfahrt Christi dahinfallen müsse. 

Hiermit, daß wir ein tkw für die Verdammten annehmen 
und unter dem Infernum einen Aufenthalt verstehn, sind wir 
auch am Ende mit unsern Bestimmungen über diesen Punkt. 
Wir können weder die Ausdehnung, noch die Lage dieses wov 
angeben. Diese Stellung nehmen selbstverständlich auch unsere 
Dogmatiker ein, weil eben die Schrift uns Näheres nicht sagt. 
H o 1 1 a z sagt 4 : Certum est, carcerem infernalem esse in loco 
reali a beatorum sede distincto. Probabile etiam est, eundem esse 
extra hunc mundum habitabilem. At ubi locus Ule definite sit , 
hominibus viatoribus est incognitum . Dazu sagt F e c h t in 
scharf sarkastischer Weise 5 : Ubi sit infernus, utrum intra, an 
vero extra globum, id nullo idoneo argumento doceri potest, 
nequicquam certam hujus rei scientiam nobis promittentibus Ro- 
manae ecclesiae vel aulae potius parasitis. Fecht nimmt also 
selbstverständlich in seiner Schrift ein tto^ an, äußert sich abei 
nicht weiter darüber, weil der Gegenstand seiner Schrift dieser 
ist: Begreift der Status damnatorum nur passiones, oder auch 
actiones in sich; und wenn letzteres: An sint peccaturi, vor- 
nehmlich : An sint Deum blasphematuri. Quenstedt 6 : Uov 

3 L. c., 4, p. 176 . 

4 Examen, pars III, sect. I, cap. XII , qu . eS, p. 448. 

5 L. c. t p . 329 . 

6 Theol did . pol, pars I , cap . XIV , sect. I, thes. XXXIV, p. 564. 


§ 75* Von der ewigen Verdammnis. 


313 


inferni certum est, Luc . 16, 26. Quäle autem et ubi Mud sit, in 
mundo , an extra eundem , non liquet . In der nota fügt er hinzu : 
Ubi sit infernus , curiose quaeritur, quomodo poenas ejus effugere 
possimus, utilius cogitatur. Er zitiert auch Chrysostomus: 
Mij {ijAujuev, irov ccttiv, dAAa 7rws <f>€vy<nfxev 

Zugleich weist Quenstedt auf die Antithese gegen diesen 
Lehrsatz hin : Quäle vero et ubi Mud irw sit , non constat. Alu 
collocant in mundo , et quidem determinate in centro terrae , ut 
Pontificii, alii , quod etiam probabile, extra mundum. Dies ist 
darum gegen die Schrift, weil man etwas bestimmt, was die 
Schrift nicht bestimmt. Daß die Papisten diese Lehre führen, 
zeigt B e 1 1 a r m i n 7 : Nomen inferni latinum non dubium 

(Dagegen sagt Fecht 8 : Inferni vox latina non est , pro qua 

in veteri latino inferi dictum fuit. Er hält diese Bemerkung 
der Mühe wert, weil den Papisten natürlich die gute Latinität 
des Wortes wichtig ist), quia sit distinctum a nomine sepulcri et 
cum significet aliquid infcrius nobis et infra nos nihil sit nisi 
centrum terrae , necessario loca inferorum intelliguntur loca pro - 
funda, subterranea. Natürlich wird dies zunächst nur darum 
behauptet, weil eine derartige Tradition vorhanden ist, die fest- 
gehalten werden soll. Gerhard sagt : Opponimus huic ponti- 
ficiorum opinionu Da gilt es natürlich auch, die Beweise zu ent- 
kräften, welche die Papisten auch aus Schriftstellen nehmen. 
Sie führen 4. Mose 16, 33 an. Aus dieser Stelle folgt nur, daß 
die Rotte Korah lebendig in die Hölle fuhr und daß dieses vor 
den Augen der Menschen damit anhob, daß die Erde sie aller- 
dings verschlang; aber das folgt nicht aus dieser Stelle, daß die 
Hölle im Inneren der Erde liegt, sowenig wie daraus, daß den 
gen Himmel fahrenden Herrn die Wolken vor den Augen der 
Jünger wegnehmen, nun folgt, daß das coelum gloriae nun in 
den Wolken liegt. Sie führen weiter Ps. r 6, 10 an, welche Stelle 
Apg. 2, 27. 31; 13, 35 zitiert wird. Sie fassen das Eingehen in 
die Hölle und das Begrabenwerden als einen ungeschiede- 
nen Akt und schließen aus der Lokalität des Grabes im Innern 
der Erde auf die Lokalität der Hölle. Mag man hier Hölle neh- 
men, in welchem Sinn man wolle, so ist doch der papistische 

7 Disputat., totn. /. de Christo , lib. IV, cap. X , j. p. 

8 L. r., p. 3 > 9 . 


SU § 75. Von der ewigen Verdammnis. 

Schluß unstatthaft Gewiß ist aber, daß hier von der Höllen- 
fahrt im gewöhnlichen dogmatischen Sinne nicht die Rede sein 
kann. Denn die Ausdrücke : Du wirst nicht lassen oder zugeben, 
deuten doch unwiderleglich auf eine Erniedrigung, in der Chri- 
stus nicht bleiben soll; aber die Höllenfahrt sensu illustri ist 
Stufe der Erhöhung. Und diese Höllenfahrt ist ja auch ge- 
schehn nach dem Lebendigwerden Jesu aus dem Tode, wie aus 
dem {«oTTon^eis in 1. Pet. 3, 18 gewiß ist. Von einer weitern 
wirklichen Höllenfahrt weiß aber die Schrift nichts. So hat 
Gerhard Recht, daß in dieser Stelle infermim zu nehmen sei 
pro doloribus inferni. Der Sinn der Stelle ist also: Gott wird 
weder Christi Seele im Höllenleiden lassen, noch Christi Leib 
die Verwesung sehen lassen. Der Grund beider, um dies hinzu- 
zufügen, ist natürlich die Zulänglichkeit des Höllen- und Todes- 
leidens Christi. Das Leiden selbst, weil vollkommen, hob die 
Ursache, die Schuld, und damit das Verbleiben im Höllen- und 
Todesleiden auf. Noch beruft sich Bellarmin auf Matth. 11, 23. 
Aber wer wird aus dem „in den Himmel erhoben” schließen 
wollen, daß die Hölle in der Erde sei, da offenbarlich diese Worte 
nicht im realen Sinne können genommen werden. Noch ver- 
unglückter ist die Berufung auf Matth. 12, 40, denn Jesu Seele 
war doch nicht drei Tage in der Hölle, sondern das Höllenleiden 
war im Augenblick des Sterbens vollbracht. Und völlig 
töricht ist die Berufung auf Eph. 4, 9, denn das Hinunterfahren, 
ck ra KCLTwrepa pepr) rijs y 7?, ist nur Bezeichnung der Mensch- 
werdung des Gottessohnes zum Erlösungswerk. Paulus setzt 
nur dies : Weil es heißt, er ist aufgefahren in die Höhe und hat 
den Menschen Gaben gegeben, so kann dies nur von dem ver- 
standen werden, der zuvor herabgekommen ist auf die Erde, 
nämlich um zu leiden und das Gefängnis gefangen zu nehmen 
un’d zu verdienen, daß er den Menschen Gaben geben kann. Das 
ist aber nicht geschehn durch die wirkliche Fahrt in die Hölle, 
an welche die Römischen hier denken und die sie daher als 
klärlich in den Tiefen der Erde loziert ansehn ; denn dadurch 
hat Christus weder das Gefängnis gefangen geführt, noch den 
Menschen Gaben verdient. Das ist alleine geschehn durch das 
Leiden, durch die Erniedrigung, zu der die wirkliche Höllen- 
fahrt doch nicht gehört. Auch auf Phil. 2, 10 beruft sich Bellar- 


§ 75 Von der ewigen Verdammnis. 31 B 

min vergeblich. Wenn es heißt, daß iyi Namen Jesu sich beugen 
sollen alle derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter 
der Erde sind (*aTax 0 onW), so fragt sich von vornherein, ob die 
Verdammten und mit ihnen der Teufel mit seinen Engeln unter 
KaraxOovtiav gedacht werden können. Das muß aber sehr be- 
zweifelt werden. Wird das Kniebeugen von denen im Himmel 
ausgesagt, so ist damit die Anbetung bezeichnet. Eine solche 
läßt sich weder vom Teufel, noch von den Verdammten aussagen. 
Wollte man mit Theophylact sagen, daß die Dämonen i nvolun- 
tarie et ex sensu potentiae Christi genua fledere , t. e. Imperium 
agnoscere coguntur, so ist dies darum verfehlt, weil man nicht 
berechtigt ist, denselben Ausdruck: irav yow bei ver- 

schiedenen Gliedern einer und derselben Aussage in verschiede- 
nem Sinne zu nehmen, wie dies bei der Auslegung Theophylacts 
klar geschieht. Noch weniger läßt sich das €£yioAoyy<reT<u (V. 
n) auf die bösen Engel und also auf die Hölle beziehn, wie doch 
geschehn müßte, wenn V. io an sie gedacht wäre. Aber i(ofw- 
Xayäv wird doch in der Schrift vom freiwilligen Bekenntnis ge- 
braucht, aus Glauben oder wenigstens aus Überzeugung (z. B. 
die Sünden bekennen). Aber bei den Teufeln ist doch keine sol- 
che wirkliche Überzeugung vorauszusetzen, daß Christus ein 
Herr sei zu Gottes Ehre, da dieselbe nur durch den Heil. Geist 
zu gewinnen ist; und von vornherein ist es ihnen ja auch nie 
von Gott zugedacht, zu solcher Überzeugung zu kommen. Ihnen 
ist von Gott nur das Feuer bereitet. Unter KaraxOovlw können 
also weder Teufel noch Verdammte verstanden werden. Wer 
wollte annehmen, daß in der Hölle in alle Ewigkeit ein lautes 
Bekenntnis von Christo als dem Herrn zur Ehre Gottes des Va- 
ters erschallen sollte! Es kann V. io selbst nicht einmal an 
die Engel gedacht sein, denn da sie körperlos sind und bleiben, 
kann man ohne weiteres das Kniebeugen nicht auf sie anwenden, 
jedenfalls nicht auf sie allein beziehn, sondern auf die seligen 
Menschen, von denen es doch auch zu Pauli Zeit schon Auf- 
erweckte gab (Matth. 27, 52). Will man darauf nicht Rück- 
sicht nehmen, so ist das Kniebeugen einfach praesumptive ge- 
nommen von dem, was einst in der Vollendung geschehn wird 
von den Kindern Gottes, die aber in unserer Stelle beschrieben 
ist noch in Anpassung an die Gegenwart, indem der Seelen der 


§ 76. Vom ewigen Leben. 


316 

bereits Seligen im Himmel und ihrer unter der Erde schlum- 
mernden Leiber, sowie der nach Leib und Seele noch auf Erden 
wandelnden Glieder der Kirche gedacht wird. Man kann nicht 
einwenden, daß unter KaraxOovwv etwas Stabiles, wie bei denen 
über der Erde, zu denken sei, denn auch von denen auf Erden 
gilt doch keine Stabilität. Sowenig die auf Erden ewig dort 
bleiben, sowenig sind die unter der Erde als die ewig Ver- 
dammten zu denken, so daß dadurch die Lozierung der Hölle 
im Innern der Erde feststände. 


§ 76 . 

Vom ewigen Leben. 

(De vita aeterna.) 

LEHRSATZ I. 

Unter dem czvigen Leben versteht die Schrift dies, dass Gott, das 
höchste Gut, unaufhörlich und ununterbrochen, in vollkom- 
menster Weise alles in allem denen ist , die als bis zum Ende 
im Glauben beharrende von Christo im Jüngsten Gericht als 
die Seinen anerkannt sind. 

Anmerkung : Denen, die im Glauben bis ans Ende beharren 
und von Christo als solche anerkannt werden, fällt das ewige 
Leben zu (Joh. 3, 15. 16; 5, 24; Mark. 16, 16; Matth. 25, 46; 
vergl. Rom. 1, 17). Den Ausdruck „ewiges Leben” braucht die 
Schrift oft und zwar sowohl als Nomen (Dan. 12, 2; Matth. 
7, 14 ; 18, 8. 9; 25, 46; Luk. 10, 28; Joh. 3, 15. 16; 5, 29; 6, 27. 
40. 54; 17 , 3 ; Apg. 11, 18; 13, 48; Rom. 6, 23; 1. Tim. 6, 12; 
1. Joh. 5, 16), wie auch als Verbum (Jes. 26, 19; Amos 5, 4. 6; 
Hes. 33, 11 ; Luk. 10, 28; Joh. 11, 25; Rom. 6, 8; 1. Joh. 4, 9; 
Heb. 7, 8). Sie hat dafür aber auch eine ganze Reihe von 
Svnonymen, oder bezeichnet auch das ganze ewigfe Leben nach 
einem besondem Stück desselben. Synonyme sind : 

1. Reich Gottes und Himmelreich (Luk. 12, 
32 ; Matth. 5, 20; 7, 21 ; 21, 31 ; 25, 34), 


§ 76. Vom ewigen Leben. 


31 : 

2. S e 1 i g k e i t, Heil ( i. Th$s. 5, 9 ; 2. Thes. 2, 13 ; 

2. Tim. 2, 10; 1. Pet. 1, 9. 10; Heb. i, 14; 9, 28), 

3. Erbe (Apg. 20, 32; Gal. 3, 18; Eph. 5, 5; 1. Pet. 1, 
4 > Heb. 9» 

4. Herrlichkeit (Rom. 5, 2 ; 8, 17. 18 ; 2. Kor. 4, 17 ; 
Kol. 1, 27; 2. Tim. 2, 10). 

Bezeichnungen, welche von einem besondern 
Stück des ewigen Lebens hergenommen sind, sind folgende : 
Sich freuen (1. Pet. 1, 8), herrschen mit Christo 
(2. Tim. 2, 12), zu Tische sitzen im Reich (Luk. 

13, 29; 22, 30), zur ewigen Ruhe kommen (Pleb. 3, 
11 ; 4, 1. 10. 11). 

Noch andere Bezeichnungen sind: Himmel (Matth. 5, 
12; Mark. 10, 21; 2. Kor. 12, 2; 2. Pet. 3, 13), Paradies 
(Luk. 23, 43; 2. Kor. 12, 4), Haus des Vaters (Joh. 

14, 2; 2. Kor. 5, i), Busen oder Schoß Abrahams 
(Luk. 16, 22), Scheunen Gottes (Matth. 3, 12; Luk. 

3, 17), ewige Hütten (Luk. 16, 9), Heiligtum (Heb. 
10, 19), oberes Jerusalem (Gal. 4, 26), Vaterland 
(Heb. 11, 13—16; 13, 14). 

Der eben gegebene kurze Katalog verschiedener Bezeich- 
nungen für das ewige Leben zeigt schon, daß es ein Zustand 
vollkommenster Seligkeit, vollkommenster Befriedigung ist. Als 
das Wesen desselben haben wir angegeben, daß Gott, das 
höchste Gut, alles in allem ist und zwar in 
vollkommenster Weise, ununterbrochen und 
unaufhörlich. Dieses setzt die Schrift ja selbst als das 
höchste letzte Ziel (1. Kor. 15, 28). Da Gott das höchste Gut 
ist, so ist das der Zustand der höchsten Glückseligkeit, wenn er 
in einem Menschen alles ist. So ist dies „alles in allem sein” 
mit Recht als das Wesen (forma) des ewigen Lebens zu 
bezeichnen. Quenstedt behandelt das ewige lieben als 
fruitio Dei. Als Wesen bezeichnet er dann und zwar ge ne - 
r at im, denn nachher wird eine weitere s p e z i e 1 le Beschrei- 
bung nach privativer und positiver Seite gegeben, dies 1 : Forma 
consistit generatim loquendo in ineffabili plenissimaque ac nullis 


1 Theol. did. pol . , pars I, cap. XIV, sect. I, thes. XI, p. $$3. 


318 


§ 7& Vom ewigen Leben. 


saeculis finienda incomprehensibilum bonorum perceptione . Dies 
ist subjektiv und disjunktiv dasselbe, was wir als das We- 
sen des ewigen Lebens setzen. Wir setzen das objektive 
„Gott alles in allem” als Wesen und Quenstedt die subjektive, 
daraus folgende perceptio; wir setzen das ganze summum bonum, 
er die einzelnen incomprehensibilia bona. Gerhard 2 3 beschreibt 
das Wesen des ewigen Lebens so : Consistit in summa felicitate , 
gloria ac beatitudine , qua electi ab omnibus malis liberati ac liberi 
corpore et anima plenissime et jucundissime in omnem aeter - 
nitatem perfruentur. Vorher behandelt er aber in § XXXIV 3 die 
Frage : Quid sit vita aeternaf und bezeichnet das ewige Leben als 
perfectissima beatitudo. Hierzu erklärt er: Forma beatitudinis 
est ipsa Dei visio, et ex ea orta animae et corporis gloria adeoque 
aeterna beatorum laetitia. Das ist wieder nur in subjektiver 
Fassung das, was wir in objektiver Fassung geben, daß nämlich 
Gott alles in allem sei. Wie öfter, so berührt sich auch hier 
P h i 1 i p p i mit Gerhard, indem er die Seligkeit als die Vol- 
lendung der Gottesgemeinschaft faßt und zwar 
zuerst als die Vollendung der Gotteserkenntnis aus 
Glauben in Schauen (visio Dei bei Gerhard), womit die Vollen- 
dung der Heiligung in vollkommener Liebe und die Vollen- 
dung der Seligkeit in vollkommener Befriedigung am 
Besitz Gottes besteht. Zugleich sieht man, daß Philippi, 
ohne daß er es ausdrückt, als das Wesen des ewigen Lebens eben 
das „Gott wird alles in allem sein” vorschwebt. 

Ist nun Gott alles in allem, so liegt darin, daß alles Übel den 
Seinen fern sein muß, daß sie dagegen mit allem Guten erfüllt, 
ja damit überschüttet und ganz darin versenkt sind. Dies ist 
darum gewiß, weil ja Gott selbst die absolute Vollkommenheit 
ist und der in sich selbst genügsame, selige Gott, die Fülle 
der Freuden und der ununterbrochenen Lieblichkeiten (Ps. 16, 
n), dem also nichts mangelt und der auch nichts vermißt, der 
darum, wenn er sich selbst erkennt und ansieht, auch durch sich 
selbst gleichsam mit der Fülle der Freude ergötzt wird. Ger- 
hard 4 : Deus suam perfectionem ac beatitudinem per int eile c- 


2 Loci, ton. XX, cap, V, § XLV 1 II , p. 362. 

3 L. c. t cap. III, p. 333. 

* L . c tom. 111, bc. II, cap. VIII , sect. XIX, § CCCVI, p. 216 (206). 


319 


§ 76. Vom ewigen Leben. 

tum pleite cognoscit et per voluntatem summe amat, inque ea 
quiete et pacate acquiescit , ex qua acquiescentia oritur gaudium , 
quo Deus se ipso tanquam summo bono ex operibus suis omnibus 
valde bonis delectatur . Buddeus 5 6 : Resultat ittde summa Dei 
beatitudo, seu perfecta omnium bonorum adfluentia, eaque per- 
petua, et omnium malorum carentia , cum jucundissimo sui ipsius 
sensu. So muß allerdings in denen, in welchen Gott alles in 
Allem ist und zwar so, daß er dies ihnen auch in der für endliche 
Wesen vollkommensten Weise zu sehen und zu genießen gibt, 
es also sein, daß sie keines Guten mangeln, noch etwas vermissen, 
sowie, daß sie durch kein Übel innerlich oder äußerlich leiden. 
Darum ist es, wenn es eine vollkommene Ausführung dieser 
Seligkeit gilt, ganz der Schrift gemäß, daß unsere Dogmatiker 
nun die Fülle der Seligkeit in den zweierlei bona aeternae vitac 
darstellen. Quenstedt 6 : Bona vitae aeternae sunt vel 
privativa, vel positiva. Dazu sagt er erklärend 7 : Bona vitae 
aeternae sunt vel privativa, vel positiva. Erit enim ibi absentia 
omnis mali et praesentia omnis boni . Man sieht, daß diese 
Teilung analog ist der Teilung der mala inferni in privativa und 
positiva , welche daraus selbstverständlich ist, daß die Ver- 
dammten so absolut von Gott verworfen und geschieden sind, 
also ohne Gott, wie Gott in den Seligen alles in allem ist. Auf 
diese Teilung der bona vitae aeternae in privativa und positiva 
weist uns die Schrift auch selbst Gerade da, wo der Apostel als 
das letzte ewige Ziel das alles in allem sein Gottes und damit das 
ewige Leben bezeichnet, da führt er aus, daß dadurch auch die 
Aufhebung des letzten Feindes, des Todes, vollendet sei ( i. Kor. 
15, 26). Der ist aber der letzte Feind, einer unter vielen, 
ein Übel unter vielen; und diese alle sollen abgetan werden (1. 
Kor. 15, 25). 

Gewöhnlich machen nun unsere Dogmatiker noch eine weit- 
ere Teilung, indem sie wie Gerhard erklären 8 : Describi autem 
possunt haec bona vitae aeternae privativa tum y«m*cü>s, tum 
€i8iku)s. In genere (y«viko»s) dicimus a beatis omne malum 
ab futurum, quodeunque nominari vel cogitari potest In 

5 Compend Hb. II , § XL] II, p. 177. 

# L. c., thes. XII, p. 55j. 

7 Thes. XIII, nota I. 

8 L. c., tom. XX, loc. XXXII , cap. V, §LV,p. 377. 



320 


§ 7Ö. Vom ewigen Leben. 


specie (ti&ttcus) dicimus , a beatis abfutura mala culpae et 
poenae, mala peccari et supplicii > mala animae et corporis, mala 
interna et externa, mala temporalia et aeterna . Das letzte 
Übel, das abgetan wird, ist der Tod, das erste aller Übel die 
Sünde, deren Sold ja der Tod ist Die völlige, radikale 
Befreiung von der Sünde ist daher als das erste unter 
den bona privativa zu nennen und wird auch als das erste ge- 
wöhnlich aufgeführt 9 . Daß die Sünde abgetan sein wird, ist nicht 
nur damit gesagt, daß der Tod nicht mehr sein wird (Off. 21, 4), 
denn sublata necessaria consequentia, sublata eticm causa, sondern 
es wird auch positiv ausgesagt, indem die Seligen als vollendete 
Gerechte bezeichnet werden (Heb. 12, 23). Vbllendet sind wir 
aber als Gerechte, wenn wir nicht nur zurechnungsweise wie 
jetzt im Glauben, sondern auch zustandsweise und dem Wesen 
nach sündlos sind, wenn die Sünde nicht nur wie jetzt secundum 
imputationem, sondern auch secundum existentiam aufgehoben 
ist. Darin liegt in keiner Weise eine Herabsetzung der justitia 
imputata Christi und der justiß catio per imputationem meriti 
Christi . Vielmehr tritt hier nur wieder ihre alles begründende 
und alles bedingende Bedeutung und Kraft ins helle Licht. Denn 
ohne die imputatio und das Gelten als Gerechte ist keine Vol- 
lendung und Befreiung von der Sünde auch dem Wesen nach. 
Ein weiterer Beweis für die Befreiung von der Sünde auch 
secundum existentiam ist Heb. 12, 1, wo um der immer noch 
anhängenden Sünde willen zum Kampf der Heiligung auf ge- 
fordert wird. Daß aber dieser Kampf aufhört (2. Tim. 4, 6 — 8), 
bezeugt zugleich, daß die Hauptursache dazu, die innewohnende 
Sünde, fortgefallen. Auch Matth. 5, 8 gibt dafür Zeugnis, denn 
so gewiß das Gottschauen vollkommen sein wird im Himmel und 
dort überhaupt ja das Vollkommene sein wird, so gewiß wird 
auch die Reinheit des Herzens vollkommen sein, d. h. die Seligen 
werden auch von der immer innewohnenden Sünde gänzlich frei 
sein. Das liegt weiter auch darin, daß Jesus das Reich dem 
Vater übergibt (1. Kor. 15, 24. 28) und daß also die Mittlerstel- 
lung, wie er sie jetzt für alle in die Seligkeit einzuführenden ein- 
nimmt, aufhören wird. Hört sie, wie Gott in dieser Stelle er- 


9 Vergleiche Quenstedt und Gerhard /. c. 


§ Vom ewigen Leben. 


321 


klärt, auf, so erklärt damit Gott, daß die Ursache, die die Mittler- 
schaft fortwährend nötig machte, aufgehört hat, daß die Seligen 
absolute von der Sünde secundum existentiam befreit sind. Wie 
könnte auch, da die Sünde doch träge macht (Heb. 12, 1), sonst 
von vollkommener Freude im Himmel die Rede sein? Auch 
Heb. 9, 28 ist Beweis durch die Aussage, daß Christus wieder- 
kommt ohne Sünde. Wir aber werden ihm ja gleich sein, 
wie die Schrift sagt (1. Joh. 3, 2), also ohne Sünde; wir ohne 
Sünde secundum existentiam, wie er und weil er ohne Sünde 
secundum imputationem. 

Wie die radikale Befreiung von der Sünde das erste der 
bona privatiwa vitae aeternae ist, so ist die Befreiung von 
den Ursachen der Sünde das zweite dieser bona. Die 
Befreiung von der Hauptucsache der Sünde fällt zusammen mit 
der Befreiung von der Sünde selbst Die Sünde secundum 
existentiam in uns ist das verderbte Fleisch ; und dieses ist auch 
wieder die Ursache, daß wir sündig sind. Hier wird wieder die 
Frage nach dem Modus der Befreiung von der Sünde secundum 
existentiam berührt, welche bereits in § 72 behandelt wurde. 
Unsere Dogmatiker erklären, daß im leiblichen Tode die völlige 
Exstirpation der Sünde geschehn. Als direkteste Schriftaussage 
dafür darf Heb. 12, 1. 2 gelten, denn diese Stelle heißt uns selbst 
aufsehn auf Christum, den Anfänger und Vollender des Glaubens, 
der in diesem Leben unter Zurechnung unserer Sünde das 
Kreuz trug und mit dem Austritt aus dem Leben in den Stand 
der Herrlichkeit eintrat, worin ebensowohl die Ermahnung liegt, 
nun unsererseits den uns verordneten Kampf gegen die uns an- 
hängende Sünde zu führen, wie auch der Trost, daß auch für 
uns mit dem Austritt aus diesem Leben der 
Kampf, das Anhängen und Innewohnen der Sünde aufhört. Sonst 
ist aus der Schrift ja gewiß, daß nicht der aus dem Fleisch Ge- 
borene, sondern nur der aus Gott Geborene iris Reich Gottes hier 
geistlich durch Glauben und Hoffnung eingeht (Joh. 3, 5. 7), 
also auch, soweit es die Seele angeht, mit dem Tode ins Reich der 
Herrlichkeit, in Wirklichkeit, in das Schauen und Besitzen. At)er 
der aus Gott Geborene sündigt nicht und zwar darum nicht, weil 
er seiner Natur nach als aus Gott geboren nicht sündigen kann 
(1. Joh. 3, 9), das heißt anders ausgedrückt, weil die Ursache 


322 


§76. Vom ewigen Leben. 


zur Sünde nicht in ihm ist. Damit ist eine totale Befreiung des 
Gläubigen von der Sünde bei seinem Austritt aus diesem Leben 
gelehrt. Näher aber können wir das W i e nicht beschreiben. 
Die Vollendung des geistlichen Lebens ist, wie P h i 1 i p p i gut 
sagt, ein ebenso schöpferisches Werk wie die Wiedergeburt aus 
dem Geist. 

Als zwei akzessorische Ursachen unsers gegenwärtigen Seins 
in Sünden sind des Teufels Anfechtung und der Welt Verführung 
in der Schrift dargestellt. Die Befreiung von der ersten Ursache 
sagt die Schrift für das ewige Leben damit aus, daß sie die 
Anfechtung und deren Hitze als etwas darstellt, das der Christ 
hier auf Erden zu tragen hat (i. Pet. 4, 12; Jak. 1, 12) und für 
die Folge dann einen von Anfechtung befreiten Zustand in Aus- 
sicht stellt (1. Pet 4, 13; Jak. 1, 12% vergl. Eph. 6, 11. 16 mit 
2. Tim. 4, 7. 8). Die Schrift sagt aber auch direkt und positiv 
aus, daß die Seligen von den Anläufen des Teufels völlig befreit 
sind (Off. 12, 7 ff. ; 20, 10). Die Befreiung von der Verführung 
durch die Welt ist ausgesagt in Job. 16, 33. Denn als Vollendung 
des in dieser Stelle ausgesagten Trostes ist nicht wie hier auf 
Erden eine Aufrechterhaltung unter der Ängstigung der Welt, 
sondern eine völlige Befreiung von dieser Welt anzunehmen, 
was auch weiter dadurch gewiß gemacht wird, daß die Schrift 
ja eine mit der Verdammung der Welt zugleich eintretende 
Scheidung derselben von den Seligen lehrt (1. Kor. 11, 32 ; Luk. 
r6, 26; Matth. 25, 32. 33). 

Zu den bona privativa gehört als einfache Folge der vorher- 
gehenden bona auch die Befreiung von allen Folgen der 
Sünde. Diese sind einmal alle Widerwärtigkeiten, Elend, 
Leid, Schmerzen, sodann der Tod in seiner doppelten Gestalt als 
zeitlicher und ewiger Tod, worüber gerade die Schrift in reichster 
Fülle direkte Aussagen gibt (Jes. 25, 8; 49, 10; Off. 7, 16; 21, 4; 
Rom. 8, 21 — 23; Luk. 21, 28 ; 1. Kor. 15, 55 — 57; 2. Thes. 1, 6. 7 ; 
Off. 20, 14). 

In gewissem Sinne gehört für die Gläubigen als Folge der 
Sünde auch das Kreuz, die väterliche Züchtigung, denn diese 
ist ja nur nötig um des Fleisches willen, ist daher zeitlich und 
nimmt mit diesem Leben ein Ende (2. Kor. 4, 17; vergl. Röm. 
?, 18. 21 ; Off. 2, 10). 


§ 76 , Vom ewigen Leben. 


323 

Quenstedt 30 rechnet zu den bona privativa noch die 
immunitas ab affectionibus et actionibus corporis animalis qua 
talis, cujusmodi sunt fames, sitis, esus t potus , usus conjugii, etc., 
Apoc. 7, 16; i Cor . 6, /j. Wenn er sagt qua talis, so will er 
hervorheben, daß es sich hier um Befreiung von Dingen handelt, 
die an sich nicht in der Sünde, sondern in der physischen Be- 
schaffenheit des Menschen begründet sind. Er macht aus i. Kor. 
6, 13 den Schluß 11 : Diestruet ventrem quoad usum, sed non 
quoad substantiam. Idem enim corpus nobis reddetur, quod sine 
ventre non üet. Destruetur ergo tantum ratione usus cibi et 
potus . Auf diesen Punkt werden wir aber noch näher einzugehn 
haben in der nun beginnenden Ausführung der bona positiva vitae 
aeternae. 

Die große Mannigfaltigkeit aller Aussagen der Schrift 
bringen unsere Dogmatiker bei ausführlicher Darstellung unter 
folgendes übersichtliche und ohne Zweifel zur Erfassung der 
reichen Schriftaussagen sehr dienliche Schema. Sie unterschei- 
den erstlich 12 ; Bona vitae aeternae $€riKa seu positiva dis t in gut 
possunt in bona interna, quae beati in semetipsis sentiunt, et ex- 
terna, quae in socüs beatitudinis intuebuntur, quorum intuitu 
bona interna augmentum captunt, Gerhard sagt mit Recht, daß 
zum Zweck der leichteren und besseren Darstellung seine Ein- 
teilung der von andern gebrachten vorzuziehn sei, qui bona 
positiva revocant ad tres classes, videlicet ad Dei visionem, 
dilectionem et gloriücationem . Ähnliche Anlage haben auch 
Neuere wie Philippi, der das ewige Leben als Vollendung 
der Gotteserkenntnis (Schauen) wie der Gottesliebe faßt. Diese 
Einteilungen haben den Mangel, daß nicht sofort alles, was die 
Leiblichkeit der Seligen betrifft, systematisch eingegliedert ist, 
wie es bei der Einteilung von Gerhard der Fall ist, wo die bona 
interna als besondere Klasse auch die neue Leiblichkeit in sich 
begreifen. Die bona interna sind nämlich in der Tat nach der 
Schrift zum Teil solche, die sich auf den Menschen als Ganzes 
beziehn (das sind die von Gerhard sogenannten bona interna 
totius compositi) , zum Teil redet die Schrift wieder von solchen 


10 L. c thes, XIII, p. 553. 

11 L. c„ nota II, p. 554. 

12 Gerhard, l c. f cap. V , § L 1 X, p. 382. 


324 


§ 76. Vom ewigen Leben. 


Herrlichkeiten, welche entweder bloß auf^die Seele oder bloß auf 
den Körper bezogen werden können. Diese bezeichnet Gerhard 
als bona ad alterutram partem, animatn vel corpus, spectmtia . 

Zu den bona interna totius compositi, zu den Herrlichkeiten, 
welche die Seligen in sich als eine aus Leib und Seele bestehende 
Person empfinden und die in der Schrift von der ganzen Person 
der Seligen ausgesagt werden, gehört vor allen Dingen die visio 
Dei, das Schauen Gottes (Hiob 19, 26. 27; Matth. 5, 8; 
1. Kor. 13, 12; 2. Kor. 3, 18; Heb. 12, 4; 1. Joh. 3, 2; Off 22, 4). 
Eigentlich sind alle andern als bona interna aufgeführten Herr- 
lichkeiten innerer, auf das Subjekt des Seligen beschränkter Art 
nur Folgen der visio. Sehr schön sagt G e r h a r d 13 : Quia 
Deus est summum bonutn, ideo per sui visionem suunt bonum, 
suum gaudium, suam dulcedinetn in summo gradu electis com - 
municat Und an anderer Stelle sagt er: Est fons omnis boni 
ac proinde etiam omnis beatitudinis , quia ex visione Dei otnnia 
beatorum bona unice oriuntur ac dependent ; selbstverständlich 
so, wie hier alle Seligkeit vom Glauben abhängt. Über die Art 
dieser visio läßt sich Genaueres mit absoluter Gewißheit nicht 
sagen. Das ist wohl unbezweifelt, daß die znsio Dei die ganze 
Persönlichkeit des Seligen nach Leib und Seele angeht. Sie ist, 
der nähere Modus noch dahingestellt, nichts anders als Inncwer- 
den Gottes als dessen, der alles in allem ist (Leben der Seele 
wie des Leibes, Matth. 4, 4; Joh. 4, 34). Dieses meint auch 
wohl Gerhard, wenn er nach den Ausführungen über die visio 
sagt 14 : Omnium vero rectissime et plenissime apostolus explicat, 
quantum bonum futurum sit Dei visio, quando 1. Cor . 15, 28: 
Deum omnia in omnibus fore, pronunciat. Nun aber bringt 
Paulus diese Aussage gerade, nachdem er kurz zuvor von der 
Auferstehung des Leibes und Abtun des letzten Feindes, des 
Todes, gelehrt hat. Dieses zwingt die visio Dei allerdings als 
etwas die g a n z e Persönlichkeit des Seligen Betreffendes, oder 
als bonum compositum totius compositi anzusehn. Es ist ein 
Innewerden, ein Erfahren und Empfinden Gottes nach Leib und 
Seele. Was die letztere anlangt, eine Durchdringung der Er- 
kenntnis wie des Willens, worauf Gottfried Hoff- 

~~~ lÜ c, § LX, p. 384 . 

14 L. c. f § LXII , p. 39 


( 


§ 76. Vom ewigen Leben. 


325 


man n 15 hinweist Er erwähnt den Streit der Thomisten und 
Scotisten über das Wesen des ewigen Lebens, daß nämlich 
erstere sie auf den Intellekt, letztere sie auf den Willen bezogen, 
und erklärt : Electos respectu utriusque potentiae ex aequo fore 
beatos, cum per claram Dei visionem, quae intellectus est, tum 
per plenam ejusdem tanquam Summi Boni fruitionem , quae ad 
voluntatem pertinet. Über den genaueren Modus der virio Dei 
kann insofern etwas absolut Gewisses nicht gesagt werden, als 
wir keine absolut gewisse Antwort auf die Frage geben können : 
An beati divinam essentiam oculis c or p or eis sint visuri? 
Daß die visio als bonum nach Leib und Seele erfahren wird, ist 
unzweifelhaft, aber ob ebenso wie der Geist so auch die leiblichen 
Augen der Seligen das Organ und Werkzeug des Sehens sein 
werden, das ist fraglich. P h i 1 i p p i 16 nennt das Schauen ein 
geistlich-leibliches, was er dahin versteht, daß die Augen des 
neuen Leibes Gott schauen. Er nennt dieses aber auch einen 
problematischen Punkt. Gerhard äußert sich nicht nur in 
dem auch von Philippi angezogenen § 144 über diesen Punkt, 
sondern schon § 60, 2 mit den Worten 17 : Quamvis enim adhuc 
controversum sit, an beati oculis corporeis gloriücatis ipsam Dei 
essentiam sint visuri , qua de re in quaestionibus (eben § 144) 
aliquid monebitur; certum tarnen est, beatos corporeis suis oculis 
Christum , verum Drum et hominem visuros, ac proinde a Dei 
visione beatorum corpora non possunt penitus excludi. In dem 
schon angegebenen § 144 erklärt Gerhard erstlich unter Ver- 
weisung auf 1. Kor. 2, 9 18 : Certo et apodictice in hujus vitac 
indrmitate decidi nequit , an tantum oculis mentis an vero etiam 
oculis corporeis glorißcatis Deum in vita aeterna simus visuri . 
Dann sagt er aber auch : Non potest nee de bet pertinaciter ne gart 
per potentiam Dei inünitam beatorum oculos ita glorificari ac per 
lumen supernatur cde ita evehi passe , ut ad ipsam divinae essentiae 
visionem pertingant. Die Gründe für und wider anzuführen, ist 
von wenig Nutzen, da sowohl die Theologen, welche das Schauen 
nur durch die Erkenntnis, wie auch diejenigen, welche ein 


Iß Synopsis, § XVII, p. 1086 . 

Glaubenslehre, B, VI, S. 50. 
17 L. C p . 384 . 



3*6 


§ 76. Vom ewigen Leben. 


Schauen auch mit leiblichen Augen behaupten, weit entfernt sind, 
die von ihnen vertretene Ansicht als die zweifellos durch die 
Schrift gelehrte hinzustellen. Man wird aber doch die Schrift- 
aussagen, daß in Christo die Fülle der Gottheit <r<ufiartKü>« wohnt 
(Kol. I, 19; 2, 9) und daß Christus der Abglanz, die Ausstrah- 
lung, diravyacr/ua (Heb. i, 3), Gottes heißt und daß er verklärt 
ward, d. h. das himmlische Licht der göttlichen $o£a an sich 
scheinen ließ (Luk. 9, 29; Matth. 17, 2; vergl. Apg. 9, 3. 8; 22, 
6. n), für genügenden Schriftgrund annehmen dürfen, daß, 
soweit das an sich unsichtbare Wesen Gottes zur sinnlichen 
Wahrnehmung kommen kann, es an Christi ewiger Gottmensch- 
heit geschieht und mit den leiblichen Augen von den Seligen 
geschaut wird. Zweierlei ist es nun, wozu die Seligen durch 
die visio Dei bewegt werden, nämlich Freude in Gott (Ps. 
126, 1. 2; Matth. 25, 21. 23; Joh. 16, 22; 1. Pet. 4, 13; r. Joh. 
1, 4 ; Jud. 24) und Gottes Lob, glorihcatio Dei ( Jer. 31, 12 ; 
Off. 7, 9. ro; 11, 16. 17; 19, 1—5). 

Indem wir zu den bona ad alterutram partem spectantia kom- 
men, zählen wir zuerst die auf die Seele bezüglichen auf. Hier 
ist zunächst zu nennen die vollendete Gotteserkennt- 
nis ( 1. Kor. 13, 9 — 12) . Die Erkenntnis ist in diesem Leben eine 
unvollkommene, sowohl, wie Gerhard sagt, ratione objecti , denn 
wir erkennen nur stückweise, als auch ratione modi , denn wir 
erkennen durch das Mittel des Wortes und durch diskursives 
Denken ; wir werden dann aber Gott ganz und in unmittelbarem 
Anschauen erkennen. Damit ist noch kein völliges Be- 
greifen Gottes gesetzt, noch ein in einem Akt des Intellekts 
jedesmal stattfindendes, allumfassendes Erkennen aller himm- 
lischen Herrlichkeit, denn dessen ist der doch auch im Himmel 
immer endlich bleibende Geist der Seligen nicht fähig ; und 
daher mag es wohl noch disputabel genannt werden können, ob 
das Erkennen im Himmel so weit geht, wie Gerhard statu- 
iert 19 : Tune plene et perfecte intelligemus ea f ad quorum noti - 
tiam intuitivam et claram in hac vita penetrare non potuimus , 
quomodo scilicet Deus sit in essentia unus , in personis trinusf 
Quomodo Filius Dei ab aeterno a Patre sit genitusf . . . . Quomodo 


19 L. c., § LXXUI, p. 407 - 



§ 76. Vom ewigen Leben. 


327 


divina et humana natura in Christo personaliter sint unitaef Auch 
P h i 1 i p p i scheint die Erklärungen von Gerhard als etwas weit- 
gehend anzusehn, denn er sagt 20 : „Übrigens dürfte die unmittel- 
bare Anschauung, welche die Gewißheit des Vorhandenseins ihres 
Objekts einschliefit, nicht mit dem der endlichen Kreatur uner- 
reichbaren absoluten Begreifen des Mysteriums des göttlichen 
Wesens, welches die Spekulation erstrebt, zu verwechseln sein.” 
Er verweist auf H o 11 ä z , der nach Unterscheidung der cogni- 
tio abstractiva und intuitiva sagt 21 : Quamvis intuitiva Dei cog- 
nitio sit perfecta, non tarnen est comprehensvva termino stricte 
sumpto pro adaequata rei cognitione, quomodo solus Deus sui 
comprehensor est Cognoscent beati totam Dei essentiam , veratn 
non totaliter et modo inßnito , sed ünitae naturae suae convenienti , 
nämlich : In summo perfectionis gradu , quantum intellectus 
ßnitus a lumine gloriae elevatus, capax est. 

Als zweite dieser Gaben ist zu nennen die vollendete 
Heiligkeit des Willens. Der Beweis dafür ist zum 
Teil schon damit gegeben, daß die völlige Befreiung der Seligen 
von der Sünde secundum existentiam et inhaerentiam nachge- 
wiesen ist. Zum weiteren Beweise dient i. Kor. 13, 10. Wenn 
nämlich nach dieser Stelle die Vollkommenheit für die Erkennt- 
nis kommt, dann ist analog auch die Vollkommenheit des Willens 
zu erwarten, da ja überhaupt Erkenntnis und Heiligung in einem 
ganz innigen Zusammenhang stehn (Tit. 3, 8. 14; Matth. 5, 8). 
Und wenn die Hoffnung, Jesum zu sehn, wie er ist, treiben soll 
in diesem Leben, sich von Sünden zu reinigen, wie Jesus rein 
ist (1. Joh. 3, 2. 3), so berechtigt dies zu dem Schluß, daß das 
wirkliche Sehen mit der völligen Reinheit des Herzens und Hei- 
ligkeit des Willens zusammen fällt. 

Als dritte dieser Gaben und zusammenhängend mit der 
zweiten ist die vollendete Gottesliebe zu nennen, die 
zugleich die vollkommene Nächstenliebe in sich schließt. Die 
Aussage der Schrift von der Vollendung der Gottesliebe ist schon 
enthalten in der Aussage, daß Gott alles in allem ist, womit die 
Vollendung des in Ps. 73, 25. 26 ausgedrückten Wunsches ge- 
setzt ist, das volle und ausschließliche Genüge finden in Gott, 


20 L. c.j S. 18. 

21 Examen , pars ! , cap. VII , qu. 4, p, 406. 



328 


§ 76. Vom ewigen Leben. 


welches ja eben die vollendete Liebe ist. Weiteres Zeugnis für 
die Vollendung der Liebe gibt i. Kor. 13, 3; vergl. V. 8 — 12. 
Glaube und Hoffnung hören auf, aber die Liebe bleibt; nur wird 
sie gleich der Erkenntnis vollendet. Mit dieser Aussage von 
Vollendung der Erkenntnis, des Willens und der Liebe ist die 
Vollendung des Ebenbildes Gottes ausgesagt. 

Zu den bona ad alterurtram partein spectantia > und zwar, so- 
fern sie sich auf den Leib alleine beziehn, gehört Ver- 
schiedenes, was Paulus RÖm. 8,-23 als äiroAvrpwoxs rov odyiaros 
iy/iwv zusammenfaßt. Es ist die durch die Auferstehung erlangte 
Herrlichkeit und Verklärung (Phil. 3, 21), welche ebensowohl 
das W e g f a 1 1 e n der jetzigen Unvollkommenheiten, als auch 
das Z u f a 1 1 e n der höchsten mit der Kreatürlichkeit verein- 
baren Vollkommenheiten in sich faßt. Was nun diese dem auf er- 
standenen Leibe zukommenden Vorzüge ( dotes ) anlangt, so 
zählen schon die Scholastiker ziemlich übereinstimmend deren 
vier auf, nämlich claritas, impassibilitas, agilitas, subtilitas. Sie 
finden diese vier sowohl direkt in der Schrift ausgesagt, als auch 
in ihrer Vierzahl auf Phil. 3, 21 gegründet, denn Christi Körper 
habe nach der Auferstehung diese vier qualitates oder dotes ge- 
habt: Subtilitatem ostendit, cum penetraret coelos, claritatem, 
cum transßguraretur in monte, agilitatem, cum incederet super 
mare, impassibilitatem , cum manducaretur in coena 22 . Auch 
lutherische Theologen haben diese Einteilung beibehalten. Ger- 
hard meint, daß docendi causa man die dotes corporis beatorum 
in zwei genera teilen könnte, nämlich in dotes ad Spiritualität em 
et ad claritatem spectantia. Doch sagt er zuletzt mit Recht 23 : 
Sed praestat dotes Mas ordine et distincte enumerare et ex scrip- 
turis conürmare, quam de exquisitis earum divisionibus ac sub- 
divisionibus scrupulosius agere. Ihm folgt hierin Quen- 
stedt 24 : Bona, seu ut Scholastici vocant dotes corporis glori - 
ficati alii quattuor, alii decem , alii plures constituunt. Beatus 
Gerhardus undecim numerat. 

Sunt autem I. spiritualitas, non substantialis, sed 
accidentaUs, d. h. die Körper sind nicht Geist, sondern nur geist- 


22 Gerhard /. r., § LXXXII, p. 4 18. 

23 L. e. t § LXXXIII, p. 420. 

24 L. c., § XX, nota II, p. 357. 


§ 76. Vom ewigen Leben. 


329 


lieh, geistartig (i. Kor. 15, 44. 45. 47) Non ergo dicitur 

corpus glorißcatum spirituale , quod transsubstantiandum sit in 
spiritum, sed quod non victurum sit vi generationis camalis aut 
ex adminiculis cibi et potus , sotnni et quietis (Matth. 22, 30; 

Luc . 20, 36) Ratio autem spiritualitatis et iaayy eXonpro? 

patet ex remotione indigentiae societatis conjugalis , cibi, potus. 
Zunächst liegt in den beiden Stellen aus Matth, und Lukas nur 
der Wegfall der ehelichen Verbindung und der daraus hervor- 
gehenden Fortpflanzung des Geschlechts, mittelbar freilich auch 
der Wegfall alles dessen, was hier in der Zeit die Erhaltung des 
Körpers bedingt, also die Ernährung, wie sie jetzt ist. Die 
weitere Frage ist, ob das TTvcv/iarudv (1. Kor. 15, 44) als 
Gegensatz zu dem ^vxt«ov nicht noch mehr in sich begreift als 
diese negative Seite der remotio indigentiae societatis conju- 
galis, cibi, potus , sotnni, quietis . Das TvtvfiariKov weist doch 
auf den Geist Gottes, wodurch ein neuer Mensch in uns wurde. 
Jetzt, in diesem Leben, ist der Leib weder dem neuen Menschen 
in uns ganz dienstbar, noch drückt sich in dem Leib das neue, 
geistliche Wesen aus. Dies wird beim auferweckten Leibe der 
Fall sein, und insofern wird er ein v&fia irvtvfiaTttcav, corpus 
spirituale, sein, wahres Organ, wie auch Ausdruck des Geistes. 
Allerdings bringen unsere Dogmatiker das zuletzt Gesagte als 
Inhalt anderer Eigenschaften der Auferstehungsleiber. 

2. Invisibilitas als Folge der spiritualitas und also auf 1. 
Kor. 15, 44 gegründet. Animalis et terreni corporis proprium 
est videri, non autem spiritualis et coelestis . Das heißt, die 
Körper der Auf erstandenen sind nicht natura sua schlechthin 
sichtbar. Sie werden als invisibüia bezeichnet in relatione ad 
oculos non glorißcatos . Aber damit ist nicht die Unmöglich- 
keit des Sichtbarwerdens auch für oculos non glorißcatos 
ausgesagt, vielmehr diese kann stattfinden, si accesscrit dknna 
dispensatio , d. h. wenn in einem besonderen Falle Gott es so will 
und wirkt. Eine solche dispensatio lag vor, als zur Zeit der 
Auferstehung Christi eine Anzahl Heiliger aufstanden und vielen 
erschienen. Kaum braucht nach dem Obigem noch bemerkt zu 
werden, daß die Seligen alle einander sichtbar sind. Daß die 
inznsibilitas aufgestellt wird, hat wie in der spiritualitas der auf- 
erweckten Leiber, so auch in der Ähnlichkeit ihrer Verklärung 


330 § 7Ö. Vom ewigen Leben. 

mit dem verklärten Leibe Christi seinen Grund (Phil. 3, 21). 
Denn auch Christi Leib war nach der Auferstehung natura sua 
doch invisibilis. Denn wenn er Luk. 24, 31 vor den Jüngern in 
Emmaus verschwindet, nachdem er zuvor sichtbar gewesen, so 
kann man angemessen seiner Heilandsart, namentlich seiner 
Liebe, wohl annehmen, daß er seine unsichtbare Leiblichkeit den 
noch irdischen Jüngeraugen durch besonderes Wirken sichtbar 
macht, nicht aber, daß er seine sonst sichtbare Leiblichkeit etwa, 
um sie Außergewöhnliches erleben zu lassen und in Staunen zu 
versetzen, nun unsichtbar macht. Daß die invisibilitas der ver- 
klärten Leiber und zumal des verklärten Leibes Christi in be- 
sonderer wichtiger Beziehung zum heil. Abendmahl steht, braucht 
kaum bemerkt zu werden. 

3. Impalpabilitas. Impalpabilia sind die Körper ro- 
tione actus , d. h. quod non necessario actu tanguntur ab Ulis, 
quarum tactus nondum gloriücatus est , Der Schriftgrund ist 
selbstverständlich das irvtvfACLTiKov, spirituale (i. Kor. 15, 44). 

4. I llo c alitas . Erunt corpora beatorum in certo irot), 
sed non circumscriptive. Schriftgrund ist ebenfalls 1. Kor. 15, 44. 

5. Subtilitas , d. h. aptitudo penetrandi alia corpora , oder 
genauer dies, daß irgendwelche irdischen Körper den verherr- 
lichten Körpern keine hindernde Grenze stellen. Schriftgrund ist 
Phil. 3, 21 ; 1. Kor. 15, 44. 

6 . A gil i t as , welche nach Augustin darin besteht, 
daß ubi volct esse spiritus, ibi protenus sit futurum corpus . Sie 
wird nicht mit Recht auf 1. Thes. 4, 17 gegründet, da hier von 
einem besonderen Tun Gottes, dem Hingerückt werden, nicht von 
einer den auferweckten Leibern innewohnenden Beschaffenheit 
geredet wird. Sie ist zu gründen auf die bereits angeführten 
Stellen für die vorhergehenden Beschaffenheiten der Körper der 
Seligen. 

7. Impassibilitas. Impassibilia erunt beatorum Cor- 
pora , h e. nullis omnino passiv nibus internis et externis obnoxia. . 
Hierin liegt exclusio famis, sitis, doloris, frigoris , etc . (Off. 7, 
16; 21, 4). 

8. I m mortalitas et incorrup tibi Utas. Grund ist nicht 
die essentia, sondern die geschenkte gloria. Wie die Seelen im 
Stande der Herrlichkeit bestätigt sind im Guten, daß sie nicht 


§ 7& Vom ewigen Leben. 


331 


mehr sündigen, so sind die Leiber ab omni mortis periculo et 
possibüitate liberata. Schriftgnind ist i. Kor. 15, 42. 53; 2. Kor. 
5, 4; Off. 21, 4. 

9. Firmitas et sanitas (1, Kor. 15,43). 

10. C larit as , ihrer Art nach eine reflexive, nämlich 
nicht aus dem inneren Wesen kommend, sondern gleichsam der 
Abglanz der göttlichen Herrlichkeit, worin die Seligen ganz sind 
(Matth. 13, 43; 1. Kor. 15, 41. 43). 

11. Formositas, oder negativ ausgedrückt, absentia 
omnis vitii. Diese Eigenschaft hat ihren Schriftgrund in Ps. 45, 
3; Phil. 3, 21 ; 1. Kor. 15, 43. 

Wir haben nun noch die bona externa zu betrachten. 
Quenstedt definiert diese so 25 : Bona externa sunt, quae 
beati extra semetipsos persentiscent. Genauer: Es sind Güter, 
welche außerhalb ihrer Persönlichkeit liegen und woraus ein 
Genuß der Seligkeit für sie folgt. Es werden zwei solche 
externa bona aufgezählt. 

Das eine ist dulcissitna cum Deo et Christo angelisquc et 
beatis omnibus conversatio, also die Glaubensgemeinschaft hier 
in ihrer ewigen Verherrlichung. Schriftbeweis ist Luk. 23, 43 ; 
Joh. 12, 26; 14, 3; Heb. 12, 22 ; Matth. 8, 11 ; Luk. 13, 28. 29; 
Heb. 12, 23. Was die conversatio cum Deo t>etrifft, so ist sie 
selbstverständlich vermittelt durch die conversatio cum Christo 
öcavöpwiru». Weiter gehende Restimmungen können nur als ganz 
problematisch gelten. Es verhält sich mit diesem Stück ganz 
wie mit der visio Dei. Was die conversatio ntutua cum beatis 
anlangt, so sagt davon Gerhard 26 : Sicut Moses et Elias 
colloquuntur cum Christo de exitu, id est , de Christi passione et 
morte , sic in vita aeterna mutuos eosque suaznssinios sermones 
conferemus de redemptionis ac salutis mysterio, quod in hac vita 
non perfecte possumus int eiligere. Man könnte wohl dahinter 
ein Fragezeichen machen, nämlich was das Objekt der conver- 
satio betrifft. Von Heil kann ich nicht reden, ohne von der 
Sünde zu reden. Und wenn die Rede von der Sünde so wahr und 
energisch sein soll, daß sie recht zur Geniefiung der Seligkeits- 
freude beiträgt, so ist sie doch nicht denkbar ohne eine gewisse 


25 /.. c. s thes. XXI, p. 558 . 

26 L. c § XXI l, p. 3 is. 


332 


§ 76. Vom ewigen Leben. 


Schmerz empfindung über die Sünde ; und eine solche wäre doch 
mit dem Zustande vollkommener Seligkeit unvereinbar. Man 
wird leicht in Off. 5, 9 ff. einen Beweis für Gerhards Aussage 
sehn; doch vergleiche 5, 13; 1, 5. 6. Daß die Gemeinschaft der 
Seligen im Himmel untereinander eine ganz innige ist, versteht 
sich aus der Vollendung auch der Nächstenliebe im Himmel. 

Es ist von hier aus schon eine Antwort zu geben auf die 
Frage : Werden die Seligen einander kennen ? Gerhard 
sagt 27 : Gratiae divinae opus fuit, quod discipuli Mosen et Eliam, 
quos nunquam vtderant, primo statim intuitu agnoverint. Und 
gleich darauf sagt er : Sic in vita aeterna sanctos nunquam antea 
visos agnoscemus, omnium terrenorum obliviscemur, et ineffabili 
perfruentur g audio, recepti scilicet in aeterna tabernacula, Luc. 
16, 9; 2. Cor. 5, 1 . 

Die erste Bemerkung von Gerhard erinnert an eine hierher 
gehörende Erklärung Luthers wenige Stunden vor seinem 
Tode, wie sie der ,, Bericht Jonä und Cölii vom Absterben Luthers” 
bringt 28 : „Auch gedachte der Herr Doktor denselben letzten 
Abend über Tisch dieser Fragen, nämlich, ob wir in jener seligen, 
künftigen, ewigen Versammlung und Kirchen auch einander 
kennen würden, und da wir fleißig baten des Berichts, da sprach 
er: Wie tat Adam? Er hat Evam sein Lebtag nie gesehn, lag 
da und schlief. Als er aber aufwachte, da saget' er nicht: Wo 
kommst du her? Was bist du?, sondern: Das Fleisch ist von 
meinem Fleisch und das Bein ist von meinem Bein genommen* 
Woher wußt er das, daß dies Weib aus keinem Stein gesprungen 
wäre? Daher geschah es, daß er des Heiligen Geistes voll 
und in wahrhaftiger Erkenntnis Gottes war. Zu dem Erkenntnis 
und Bild werden wir in jenem Leben wiederum in Christo erneu- 
ert, daß wir Vater und Mutter und uns untereinander kennen 
werden von Angesicht, besser denn wie Adam und Eva/’ Eine 
starke Grundlage wenigstens für das gegenseitige Erkennen 
derer, welche im Leben miteinander bekannt waren, liegt in I. 
Thes. 4, 17. Die Christen zu Thessalonich waren beunruhigt 
über das Schicksal der Ihren, die vor der als nahe gehofften 
Wiederkunft Christi bereits entschlafen waren. Diese haben sie 


27 L. c„ § XXII , 6, p. 313 . 

28 Leipz. Ausg., XXI, 694, b. 


§ 76. Vom ewigen Leben. 


333 

gekannt. Wenn Paulus nun vertröstet auf die Auferweckung 
und auf das zugleich mit ihnen Hingerücktwerden und also beim 
Herrn sein allezeit, so schließt dieser Trost sicher ein, daß sie 
wirklich die vor ihnen dann Entschlafenen erkennen und sich mit 
seliger Freude freuen, daß diese wirklich als Teilhaber der 
ewigen Herrlichkeit erscheinen und von ihnen gesehen werden. 
Man kann doch nicht annehmen, daß die Seligen nur in der guten 
Gewißheit sind, daß unter den Seligen, welche sie sehen, auch die 
sind, welche sie gekannt, für Gläubige mit gutem Grund gehalten 
und als solche geliebt haben, obgleich sie die Persönlichkeiten 
nicht erkennen. Unter den neuern Theologen geben die einen 
auf die vorstehende Frage eine bejahende Antwort; so z. B. 
P h i 1 i p p i auf Grund ähnlicher Betrachtungen wie die eben 
vorgelegten. Er sagt 29 : „Mit der Gottesliebe muß aber auch 
die unauflöslich mit ihr verknüpfte und aus ihr fließende Bruder- 
liebe sich vollenden ; und, da Liebe Kennen des Geliebten voraus- 
setzt, so wird auch mit der Liebe der Seligen zueinander ihr 
gegenseitiges Sichkennen vorauszusetzen sein.” Daß dabei alle 
trübenden Unvollkommenheiten 'dieses Lebens ausgeschlossen 
sind, deutet oben Gerhard an mit seinem : Omnium terrenorum 
obliviscemur. Ganz entschieden bejahend äußern sich auch 
R i n c k und Splittgerber ; Thomasius dagegen 
statuiert nur eine hohe Wahrscheinlichkeit. Den vulgären Ra- 
tionalisten war dies Wiedersehen fast der ganze Kern des ewigen 
Lebens ; und keine Zeit hat über diesen Gegenstand eine so reiche 
Literatur produziert wie die der Rationalisten. Weg- 
scheide r 30 zählt unter dem, worin das ewige Leben besteht, 
zuletzt auf ; Ipso amicorum , quibuscum sapientia, amore et vir- 
tute conjuncti fuerint , consortio in vita futura iterando. Sein 
Beweis ist Joh. i6, 22; 17, 24; Heb. 12, 22 ff. Er führt aus der 
reichen einschlägigen Literatur an: Döderlein 31 , A m - 
m o n 32 , der erklärt : Regni divini ordinem ad me Hora aequaliter 
progredientem spei dulcissimae de amicis olim revisendis ad - 
modum favere, Engel : „Wir werden uns wiedersehn,” R i b - 


29 Glaubenslehre, B. VI, S. 9. 

39 Instit. § eoo , p. 640. 

31 Religionsunterricht, 12, S. 72 ff. 

32 Unterricht in der Glaubenslehre, Teil I, S. 316 (1807). 


334 - 


§ 76. Vom ewigen Leben. 


beck 33 ; Haustein, Thiele v. T h i e 1 e n f e 1 d 34 . Als 
Gegner führt eranj. G. Münch, Wieland: Eutha- 
nasia, G r ä v e 1 1 : Das Wiedersehen nach dem Tode. Rein- 
hard 35 , der die Übergangstheologie repräsentiert, behauptet das 
Wiedererkennen entschieden. 

In dem Bisherigen wurde durch Vorführung der unter- 
schiedlichen bona vitae aeternae versucht, die Fülle der Herr- 
lichkeit des ewigen Lebens zur Darstellung zu bringen. Nun 
sind aber in bezug auf diese bona noch einige allgemeine Be- 
stimmungen nach der Schrift zu machen, welche von den Dog- 
matikern gewöhnlich als affectiones bonorum vitae aeternae be- 
zeichnet werden; vergl. Quenstedt 36 . Gerhard, der 
diese Bezeichnung nicht hat, führt doch der Sache nach eine von 
Quenstedt nicht gegebene affectio auf, nämlich die u n i versa- 
li t as , d. h. bona vitae aeternae in omnibus animae potentiis et 
in omnibus corporis membris locum habebunt . Es soll damit zu- 
sammenfassend die herrliche Fülle der Seligkeit angezeigt werden 
und zugleich das volle Genießen derselben nach allen Seiten. 

Die zweite aufgeführte affectio , die sich allgemein bei den 
Dogmatikern findet und notwending finden muß, ist die continua 
et perpetua duratio bonorum et gaudiorum vitae aeternae . Sie 
erleiden weder eine Unterbrechung, d. h. sie sind c o nt in u a 
(i. Thes. 4, 17; Joh. 16, 22; Off. 4, 8; I. Pet. I, 4), noch finden 
sie ein Ende, sind perpetua (Matth. 25, 46 : Joh. 3, 16 ; Luk. 
16, 9; Heb. 5, 9; 9, 15; 2. Kor. 4, 17; 5. 1 ; Joh. t 6, 22; Off. 2. 
11 ; Röm. 8, 38). 

In bezug auf die aeternitas wird die Frage behandelt: An 
beatitudo sit intrinsece et ex natura sua aeterna, quia scilicet 
corrumpi non potest , an tantum extrinsece , quia licet ex se cor - 
rtimpi possit J Deus tarnen eam conservat , ne corrumpat? 37 Schon 
die Scholastiker behandelten diese Frage, sich bald nach der 
einen, bald nach der andern Seite entscheidend. Gerhard 
entscheidet so : Priori sententiae adsurgimus, si beatitudo ex 

33 Predigten vom Wiedersehen in der Ewigkeit, 2. Aufl., 1792, 

34 Alfred und Ida, Briefe über Fortdauer und Wiedersehn, 2. Aufl., 
1819. 

35 Dogmatik, § 193, 4, S. 695. 

36 L. c thes. XXII, p. 359 . 

37 Gerhard, /. c, § CXIV, p. 455 - 


§ 76. Vom ewigen Leben. 


335 


hypothesi et cum reduplicatiane (Begriffe werden mit redupli- 
catio oder reduplicative gefaßt, wenn sie in ihrem eigentlichen 
Wesen, wie sie einmal gesetzt sind, gefaßt werden sollen, 
was, wie auch hier, durch eine mit quatenus eingeleitete Wie- 
derholung angedeutet wird.), quatenus est electorum aeterna in 
coelis beatitudo, consideratur ; posteriori , si absolute et simpliciter 
spectatur . Gewiß, da wir die Seligkeit nur kennen als die, welche 
Gott aus Gnaden den Erwählten verleiht und zwar für alle 
Ewigkeiten, so hat sie dieser ihrer von Gott einmal ge- 
setzten Natur nach und somit intrinsece die aeternitas; aber 
ebenso gewiß kann absolute , d. h. ohne Rücksicht auf Gottes 
Wollen, Geben und Bestimmen, von einer intrinscca duratip nicht 
geredet werden. Ohne Gottes beständiges Wirken kann nichts 
sein, noch bleiben. Eine absolute et intrinsece aeterna beatitudo 
wäre etwas, worüber Gott nicht mehr Herr wäre. 

Als eine weitere affectio führt Quenstedt die varietas et 
inaequalitas bonorum vitae aeternae an; sie sind das jedoch nur 
quoad praemia accessoria. Er behandelt diesen Punkt ausführ- 
lich in einer besonderen quaestio , die er gleichlautend mit Ger- 
hard so stellt 38 : An futuri sint gradus gloriae in znta aeterna ? 
Die Antwort muß nach der Schrift bejahend lauten (Dan. 12, 3; 
Matth. 19, 28; 25, 21). Wir können freilich nach der Schrift 
nur aussagen, daß die Unterschiede und zwar in bezug auf die 
accessoria praemia , nicht in bezug auf das essentiale praemium, 
die eigentliche, ewige Seligkeit selbst in Gott, bestehen, aber wir 
können weder angeben, in welchen akzessorischen Stücken der 
Unterschied sein wird, noch in welcher Weise bei diesen Stücken. 
Gerhard entscheidet dahin 39 : Certum est , beatorum omnium 
felicitatem et gloriam unam fore 0 b j e c t iv e (das Objekt ist 

ja Gott), unam subjective unam ratione continuae et 

perpetuae durationis unam ratione sec uritatis 

..... unam ratione satietatis unam ratione immu- 

ni tat is ab omnibus adversis unam ratione d i l e c t i 0 - 

nis et comrpunicationis inter omnes vigentis De 

eo autem dubitari potest, an in accidentali duntaxat gloria animae 
vel corporis diversitas illa statuenda, an vero etiam in essentiali , 


38 L. c., sect . II, qu. III, p. $66. 

39 L. c. t § CXX, 5, p. 462. 



336 § 76. Vom ewigen Leben. 

ita ut in quibusdam beatis majus lumen gloriae futurum sit , in 
aliis minus , propter qu o d unu s b e at us alio p er f e c - 
tius et clar ius divin am essentiam vi de at . 
Letzteres verteidigten die Scholastiker mit Ausnahme von 
Durandus, aber Gerhard schließt mit der der Schrift weit mehr 
entsprechenden Erklärung, die auch von unsern Dogmatikern all- 
seitig festgehalten wird: Nostri rectius statuunt , quod in acci- 
dentalibus duntaxat praemiis statuenda sit differentia: Omnibus 
una salus sanctis, sed gloria dispar. Diese Ungleichheit wird 
darum im Himmel nicht irgendwie störend wirken, quia nulla 
ibi erit invidia. Non ent invidia aliqua disparis claritatis , 
quando^ in omnibus regnabit unitas caritatis. Auch Rationa- 
listen wie Wegscheider statuieren unter Berufung auf Matth, 
io, 15; 11, 22. 24; 25, 14 ff. ; Luk. 19, 16 — 19; Joh. 14, 2; Röm. 
2, 6; 1. Kor. 3, 14. 15; 2. Kor. 9, 6; 1. Pet. 1, 17 verschiedene 
Grade ; vergl. Wegscheider 40 : Ut cernatur (nämlich 
felicitas beatorum ) gradibus quidem diversis in cognitionis, vir - 
tutis atque pietatis, nec minus efficaciae et jucunditatis incre - 
mento in aeternum augendo. Man merkt dieser Erklärung die 
Verdienstlichkeit der Tugend als Basis an. Sehr deutlich spricht 
das Niemeyer aus 41 : „Auch der, welcher sehr spät be- 
merkt, daß er auf einem Irrwege ist, hat sich selbst durch den 
ersten Schritt der Umkehr dem richtigem Wege zum Ziel ge- 
nähert, Nur kann eine solche Seligkeit nie mit der verglichen 
werden, welche die Folge einer frühen bewährten Tu- 
gend und eines tatenreichen Glaubens und auch die- 
sem allein durch die Lehre Jesu ganz entscheidend versprochen 
sind. Denn nach dieser haben nur die eine höhere Selig- 
keit zu erwarten, die mit Standhaftigkeit im Glauben und guten 
Werken ihre Lebenszeit dem Trachten nach den höchsten Gütern 
gewidmet haben.” 

LEHRSATZ II. 

In der Antithese zur schrift ge müssen Lehre vom ewigen Leben 
stehn teils diejenigen, welche ein ewiges Leben gänzlich in 
Abrede stellen , teils diejenigen, zvelche grobsinnliche An- 
sichten vom ezvigen Leben hegen; auch stehn in Antithese 

40 fnstit , l c p . 6j 9. 

41 Populäre und prakt. Theologie, S. 542. 


§ 76. Vom ewigen Leben. 


337 


die , welche entweder partiell oder total das ewige Leben als 
persönliches leugnen, und endlich die, welche nicht den 
ünaliter Gläubigen allein den Genuss des ewigen Lebens zu- 
sprechet r. 

Anmerkung: In radikalster Antithese zur Schriftlehre vom 
ewigen Leben steht der Materialismus, dessen ältester 
Vertreter E p i c u r ist. Er erklärt die Seele für materiell und da- 
her vergänglich. Als einzelne hervorragende Vertreter des radi- 
kalen Materialismus werden aufgeführt: Barbara, Gemahlin des 
Kaisers Sigismund, und Papst Joh. XXIII. Die eigentliche 
philosophische Begründung des Materialismus datiert von A b b * 
von Condillac (1715 — 1780), der Lockes „Sensualismus” 
weiterbildete. Die Seelenfunktionen sind nach ihm umgebildete 
sinnliche Empfindungen. Spricht er es auch nicht aus, so neigt 
doch sein System dahin, die Seele in der Leiblichkeit aufgehn zu 
lassen, also zum Monismus des Materialismus. Voll ausge- 
sprochen findet sich der Materialismus bei L a m e 1 1 r i e 1 
(1709 — 1751), Baron Holbach 2 (1723 — 1789). Der Stoff 
ist ewig, die Seele nur das wechselnde Resultat der Stoffver- 
bindungen im Leibe; das Denken ist nur Nervenerregung, der 
Wille nur eine durch bestimmte Zeit sich fortpflanzende Emp- 
findung. Die Existenz Gottes ist eben wie die des Geistes reine 
Einbildung. Weiter brachte es der neueste Materialismus auch 
nicht und konnte es nicht weiter bringen. Moleschott 3 sagt : 
„Der Mensch ist die Summe von Eltern und Amme, Ort und 
Zeit, Luft und Wetter. Der Wille ist die notwendige Folge 
aller dieser Ursachen, gebunden an ein Naturgesetz. Der Ge- 
danke ist eine Bewegung des Stoffes, eine Versetzung des Hirn- 
stoff es.” Karl Vogt 4 sagt : „Eine selbständige Existenz und 
eine individuelle Unsterblichkeit gibt es nicht. Die Seele ist ein 
Produkt der Entwicklung des Gehirns. Stirbt der Körper, so 
hat die Seele ihr vollständiges Ende. Alles Denken, Wollen und 
Tun des Menschen ist nichts anders als Ergebnis der jeweiligen 
Ernährung und Umsetzung der Hirnsubstanz; vergl. Synodal- 

1 Lhomme machine. 

2 Systeme de la nature . 

3 Kreislauf des Lebens, 1852. 

4 Bilder aus dem Tierleben, 1852; Psychologische Briefe, 1845: 


338 


§ 7 6. Vom ewigen Leben. 


bericht 5 . Auf das Volk, namentlich das halbgebildete, wurde 
Ludwig Büchner mit seinem „Kraft und Stoff’ sehr ein- 
flußreich. Überweg 6 sagt von ihm : „Kraft und Stoff” ist 
das eigentliche Grundbuch des heutigen Materialismus. Es ist 
auch in erschreckender Weise verbreitet. Wo begegnet man 
nicht dem Sinne, den die Schrift i. Kor. 15, 32 ausspricht?” Der 
Versuch, dem Materialismus doch einen gewissen moralischen 
Schein zu geben (Czolbe 7 8 .) mußte natürlich mißlingen, denn der 
Materialismus ist Leugnung des Geistes überhaupt und alles gei- 
stigen Einzellebens hier und ewig. Als der materialistischen Leug- 
nung des ewigen Lebens sich nähernd kann man aus alter Zeit die 
Sadduzäer hinstellen, denn obwohl sie eine Fortdauer wenig- 
stens des Einzelgeistes lehrten, so waren doch ihre Vorstellungen 
über die Existenzweise der Seele im Jenseits äusserst armselige. 
In neuerer Zeit haben die Sozinianer insofern in die ma- 
terialistische Leugnung eingestimmt, als sie erklären, daß es im 
Alten Testament kein ewiges Leben gegeben habe. Näher ist zu 
sagen, daß sie leugnen, daß das Alte Testament ein ewiges Leben 
lehre, und erklären, daß wenigstens die Frommen keins gehabt 
hätten, wenn sie auch etwa eine Hoffnung gehabt hätten. 
S o c i n 8 : Credunt evangelicorum ministri vitam aeternam non 
primum ac demum in novo foederc, sed antea quoquc in vetcre 
fuisse promissam, et cx ipso Dei promiss 0 a ßdelibus ejus temporis 
expectatam , quo vix quidquam inveniri potest divinis testimoniis 
et oraculis magis contrarium. Schmalcius 9 sagt : Judaeos 
quidem putasse , quod in antiquis scripturis vitam habuerint, non 
autem revera habuisse . Mit Recht sagt Gerhard, 10 dies 
heiße pueriliter Ausflüchte machen gegen Stellen wie Joh. 5, 39, 
wo der Heiland so gewaltig bezeuge, daß gerade das Alte Testa- 
ment vom ewigen Leben lehre; vergl. Matth. 22, 32 ; Mark. 12, 26; 
Luk. 20, 38. 

Grobsinnliche Ansichten vom ewigen Leben hegen Judaei 
recentiores , qui vitae aetemae gaudia in corporalibus voluptatibus. 


5 1887, S. 47. 48. 

6 Grundriß, III, S. 298. 

7 Neue Darstellung des Sensualismus, 1855. 

8 Quod evangeltci se Photinianis con jüngere debeant , />. 63. 

9 Dtsp. contra Frans., p. 222. 

10 Loci, tom. XX , loc. XXXII, cap. II, § XXX, p . 330 . 


§ 76 Vom ewigen Leben. 


339 


cibo, potu, vettere etc . collocant , quibus merito opponuntur diserta 
scripturae dicta: Rom. 14, 17; Matth. 22, 30. 11 Auch 

Papisten haben ähnliche Ansichten vorgetragen. B e r n - 
hardinus von Siena verteidigt die Ansicht, daß im Him- 
mel Chortänze der Seligen stattfinden. Gerhard sagt dazu: Ne 
quis vcro existimet, aniles Mas fabulas ab otiosis monachis con - 
fictas a recentioribus pontificiis repudiari , ideo jubcmus expendere 
ea, quae scribit Barradius, comm. in conc. evang lib . x, cap . 3. 
Dieser machte nicht nur die allersinnlichste Beschreibung vom 
Himmel, den schönen dort vorhandenen Wiesen, den verschieden- 
en Palästen, sondern führt auch wieder S c o 1 11 s als Gewährs- 
mann an mit dessen Worten : Concedit , beatos a bcatis visitari 
et per aliorunt mansiones discurrere . Grobsinnliche Ansichten 
tragen auch, wenigstens in bezug auf den Aufenthalt der Seligen, 
den Himmel im allgemeinen, die Kalvinisten vor, worüber noch in 
Lehrsatz III Näheres zu handeln ist. Hierher gehört indessen, 
daß sie über die Leiblichkeit der Seligen sich nicht in völlig 
schriftgemäßer Weise äußern. Sie leugnen die invisibilitas , was 
natürlich mit ihrer christologischen Antithese zusammenhängt. 
Beza: 12 Non esse vera corpora, quae actu non cernantur. 
Auch die illocalitas leugnen sie meistens, öcolampadius 13 
tadelt die, welche die illocalitas des auferweckten Leibes an- 
nehmen, quia faciimt ea esse absquc diniensionibus et non sinunt 
esse corpora. Kurz, die Kalvinisten, welche sich sonst allent- 
halben als Vertreter einer wahrhaft geistigen Auffassung der 
Schrift brüsten, haben eben von den Leibern der Seligen eine sehr 
sinnliche, ja grobsinnliche Ansicht. In neuerer Zeit haben in ganz 
ähnlicher Weise gerade mystisch-pietistische 
Spekulationen zu sehr sinnlichen Auffassungen des 
ewigen Lebens geführt. Grundlage bilden der Swedenbor- 
g i a n i s m u s und der Theosoph Chr. Fr. ötinger 
(gest. 1782). Nach ihm ist weder Sinn noch Denken das erste, 
sondern Leben. Das Leben bezeichnet er als aus Kräften essenti- 
iertes Wesen (wo kommen denn die Kräfte her, da doch 
S i n n nicht das erste ist?), da alles nur eins, oder alles 


Gerhard, l. c,, cap. V, § CLVI , i, p . 505. 
12 Adnotat. /. Cor. rj. 
m Zu Hiob. p. 109. 


340 § 76. Vom ewigen Leben. 

in jedem und jedes in allem ist, äußerlich monas , punctum 
diffusivum et manifestativum sui , innerlich myrias. Die 
Manifestation dieses absoluten Lebens kann nur durch Leib- 
lichkeit geschehe Kein Geist kann ohne Leib erscheinen ; 
was geistlich ist, ist auch leiblich. Aber Leiblichkeit ist nur voll- 
kommen, wenn sie von den Mängeln der irdischen Leiblichkeit 
frei wird. Diese Befreiung ist in Christo geschehn. Christus 
hat durch Tod und Auferstehen das wahre Leben wieder herge- 
stellt und durch sein Fleisch und Blut kommen wir zur wahren 
Leiblichkeit. So kann Gott alles in allem sein und in dieser 
Weise ist „Leiblichkeit das Ende aller Dinge.” Das ist ein 
System, welches durch und durch widerbiblisch und voll grund- 
stürzender Irrtümer ist. Denn wie es nichts als Pantheismus ist, 
so hebt es ebensowohl die Geistigkeit Gottes auf, da eben auch 
Gott als Geist nicht ohne Leiblichkeit sein kann, wie auch die 
Absolutheit Gottes, da Gott, das ursprüngliche * Leben, sich 
notwendig manifestieren, also in Erscheinung treten muß. 
Das All ist ja nicht ohne das I n d a s . Auf dem Boden solcher 
mystischen Spekulationen wie bei Ötinger sind die grobsinnlichen 
Ansichten vom ewigen Leben in neuster Zeit entstanden. Da 
werden die Tätigkeiten der Künste und Wissenschaften, der 
Geschäfte dieses Lebens, der Erziehung und des Unterrichts, der 
Verhältnisse in der ehelichen Gemeinschaft auf den Himmel 
übertragen. So von S p 1 i 1 1 g e r b e r 14 . Von dem allen kann 
nicht die Rede sein. Die ehrlichen Geschäfte dienen hier als 
ihrem Ziel dem Gewinnen des täglichen Brotes ; aber im Himmel 
ist mit dem Abtun dieses Zieles auch die Ausrichtung irgendeines 
Geschäftes gegenstandslos. Die Kunst will verschönern ; aber im 
Himmel ist sie gegenstandslos, denn Gott hat da den schönsten 
Aufenthalt schon bereitet. Die Erziehung will fordern zu einem 
Ziel der Tüchtigkeit, vor allen Dingen zu immer größerer Voll- 
kommenheit als Kinder Gottes; aber im Himmel ist die Vollen- 
dung erreicht und die Kinder sind Erben. Also ist für erziehende 
Tätigkeit kein Raum mehr. Überdies haben die geschlechtlichen 
Verhältnisse, die Familienverhältnisse, die Verhältnisse von der 
Über-und Unterordnung im Himmel ihr Ende erreicht (Matth. 



14 Tod, Fortleben und Auferstehung, S. 227. 248. 


§ 76. Vom ewigen Leben. 


341 


12, 48-50; Luk. 14, 26; 2. Kor. 5, 16). Die Schrift gibt auch nicht 
den geringsten Anhalt für alle die Phantastereien in bezug auf die 
Tätigkeiten und Verhältnisse unter den Seligen, wie sie die neuste 
mystisch-pietistische Spekulation bringt. 

Wie diese sich so gern realistisch nennende Spekulation von 
dem wesentlichen Stück der Seligkeit, nämlich dem Schauen Got- 
tes, sehr grobsinnliche Vorstellungen hat, so streitet ein Teil der 
Kalvinisten insofern gegen die Schriftlehre, als sie leugnen: 
Beatos ipsam Dei essentiam intuitive ac perfecte in vita aeterno, 
visuros esse . Wie früher bemerkt, muß man zwischen zweierlei 
wohl unterscheiden, nämlich : 

1. ) zwischen der Frage, ob die Seligen oculis corporalibus 
die essentia divina sehen werden ; 

2. ) ob überhaupt die Seligen clare et intuitive die essentia 
divina sehen werden. 

Auf die erste Frage geben unsere Dogmatiker keine ent- 
scheidende Antwort, aber die zweite bejahen sie selbstverständ- 
lich auf Grund von Matth. 5, 8; 1. Kor. 13, 12; 2. Kor. 5, 7; 
1. Joh. 3, 2. Zwar können wir über diese clara et intuitiva visio 
Dei nichts Näheres bezüglich der Weise des Schauens sagen, aus- 
genommen, daß es keine cognitio abstractiva vermittels des 
Wortes, sondern eine intuitiva vermittels der essentia Gottes 
selbst ohne Mittel, also immediate ist, und daß es nicht die 
visio comprehensiva ist, in der Gott sich selbst schaut. Aber 
gewiß ist, daß es eine Verleugnung von Schriftwahrheit ist, wenn 
ein Teil der Kalvinisten dieses intuitive Schauen Gottes in seinem 
Wesen seitens der Seligen leugnet. Wir können hier gleich 
einen ferneren kalvinistischen Verstoß gegen die Schriftwahrheit 
vom ewigen Leben anfügen, daß sie nämlich leugnen, daß es 
einen Unterschied der gradus gloriae im ewigen Leben gebe. 
Allerdings ist die kalvinistische Antithese hier nicht gleichwiegend 
der papistischen, welche einen in allerschlimmster Weise schrift- 
widrigen Unterschied der beatitudo statuiert, nämlich ratione 
essentialis beatitudinis , nicht nur ratione gloriae. ßecanus 15 : 
Non omnes aeque beati sunt , quia non ontnes beati aeque perfecte 
vident divinam essentiam , et ratio est , quia merita sunt inaequalia. 


15 Theol. scholast., pars l, cap. p, qu. 9 . 



342 


§ 76. Vom ewigen Leben. 


Ferner: Non omnes aeque perfecte ct clare Deutn vident et 
consequenter, non omnes aeque intense cum amant nec ac quäle 
gaudium de illo viso et amato percipiunt. Hierher gehört das 
papistische Fündlein von den aureolae oder laureolac , quarum 
alias virginibus, alias martyribus , alias doctoribus imponendas 
statuunt (Gerhard 16 ). Thomas Aquino: Aureola est 
praemium privile glattem respondens privilegiatae victoriae. 

Partieller Leugnung des Vollgenusses 
des ewigen Lebens seitens der Seligen nach voller 
menschlicher Persönlichkeit machen sich alle die schuldig, welche 
wie die Sadduzäer die Auferstehung des Leibes 
leugnen. Die Schrift lehrt, daß die Seligen das ewige Leben 
nach Leib und Seele genießen. Ähnlich steht der Rationalismus, 
dessen Vorstellung nicht weiter geht, als daß im Himmel animum 
cum sensu et sui ipsius conscientia ideoquc novo qualicunque 
organo t an q u am corpore eodemque subtiliore instructum 
( Wegscheider 17 ). Total leugnen den persön- 
lichen Genuß des ewigen Lebens alle Pantheisten. Die 
Personenexistenz des Einzelmenschen, soviel sie diese überhaupt 
für dieses Leben noch statuieren, lassen sie ja mit dem Tode 
aufhören. Der Einzelgeist taucht dann im Allgeist, dem Ab- 
soluten, unter, wie die Welle im Meer. 

Die letzte Antithese, wonach nicht Christi Werk 
die einzige causa mcritoria und der finale Glaube die 
einzige causa instrumentalis des ewigen Lebens sein soll, ist in 
unterschiedlicher Weise aufgetreten: bei den Papisten in dem 
Fündlein von den aureolis . Es liegt darin ein grober Verstoß 
gegen die Schriftlehre, daß das ewige Leben allein durch den 
Glauben erlangt wird, wie Gerhard die Schwere dieses Irr- 
tums richtig charakterisiert mit den Worten 18 : Ob fundamenti 
conditionem , quod est doctrina de operibus siipercrogationis. Der 
papistische Theologe ß a y u sagt ausdrücklich : Aureola de 
illorum praemio recte intelligi potcst, qui gencralia scripturae 
sanctae mandata spontanen vitae pcrfectioris electione transcen- 


L. c., § CLX, p. 508. 

17 Instit., § 194, P' 622. 

18 L. c., § CLXl, 1, p. 511. 

Institut, relig . Christi, lib. I, cap. 373 , p. 428. 


§ 76. Vom ewigen Leben. 


343 


dunt, ideoque specialem prae caeteris fidelibus retributionem 
voluntariae oblationis expectant . Überhaupt stehn die Papisten 
hier in Antithese durch alles, was sie von Verdienst der Werke, 
Büßung im Fegfeuer usw. lehren. 

Bei dieser Stellung kann es eigentlich nicht befremden, daß 
verschiedene Papisten den Satz verteidigt haben, daß auch solche 
Heiden, welche ein ernstes, moralisches Leben geführt haben, 
ohne Christum zum ewigen Leben hätten kommen können ; so 
bedeutende papistische Theologen wie Andradius, bekann- 
ter Verteidiger des Tridentinums gegen Chemnitz, und Eras- 
mus. Und so kann es bei einem Rationalisten wie Zwingli 
nicht befremden, daß er in seiner Expositio fidei Heiden wie 
Numa, Aristides, Socrates unter die Erben des ewigen Lebens 
stellt. B u 1 1 i n ge r hat zu diesem Buch später eine lobende 
Vorrede geschrieben, ohne' jenes horrendum Zwinglii cffatum , 
wie selbst Bucer es nennt, zu verwerfen. Spätere Kalvinisten wie 
Sohnius, Pareus haben in sehr nachsichtiger Weise 
Zwingli zu entschuldigen gesucht. Daß die vollständig rationali- 
sierenden Sozinianer ganz die Stellung Zwinglis einnehmen, 
ist ebenso selbstverständlich bei ihnen wie bei ihren Gesinnungs- 
genossen, den Rationalisten, Universalsten, spekulativen Theo- 
logen. Der Universalist Williamson schreibt 20 : Wir 
glauben an die endliche Heiligkeit und Seligkeit der ganzen 
menschlichen Familie. Hof mann 21 sagt zu Rom. 2, 14: „Er 
(Paulus) stellt in Aussicht, es möge etwa am Tage des Gerichts 
aus den durch das Zeugnis des Gewissers (nämlich der Hei- 
den) hervorgerufenen Gedanken eine Selbstrechtfertigung vor 
Gott werden, die da gnädig angenommen werden kann.” Und : 
„Hierdurch kann aber ein Verhalten in ihnen (den Heiden) ge- 
wirkt werden, das er an dem Tage jenes Gerichts, weiches Johan- 
nes nach der Auferstehung der Gläubigen geschaut hat, mit dem 
Lohn ewigen Lebens erwidern wird/’ Alle diese greulichen Er- 
klärungen sind gerichtet durch Mark. 16, 16; Joh. 3, 18; Matth 
24, 13; Heb. 4, 3. 9* 1 1 ; Off. 2, 10. . 


20 Exposition, />. 18. 

21 Schriftbeweis, I, S. 569. 572. 


344 § j6. Vom ewigen Leben. 

LEHRSATZ III. 

Der Aufenthalt derer , welche das ewige Leben ererben , ist der 

Himmel. 

Anmerkung: Die Schrift bezeichnet an zahlreichen Stellen 
als Aufenthalt der Seligen den Himmel (Matth. 5, 12; 
Mark. 10, 21) auch als den dritten Himmel (2. Kor. 12, 
2), auch als Paradies (Luk. 23, 43 ; 2. Kor. 12, 4), Busen 
Abrahams (Luk. 16, 22), Haus Gottes (Joh. 14, 2; 
2. Kor. s, 1 ; Matth. 3, 12), das Heilige oder A 1 1 e r h e i - 
ligste (Heb. 9, 12; 10, 19), das obere Jerusalem (Gal. 
4, 26; Heb. 12, 22), das Vaterland (Heb. 11, 14), neuen 
Himmel und neue Erde (Jes. 66, 22 ; 2. Pet. 3, 13 ; Off. 
21, 1). Daß dieser Aufenthalt als neue Erde bezeichnet 
wird, erklärt Albertus 1 so : Licet sit coelum respectu terrae 
in qua habitant morientes, tarnen terra dicitur respectu coeli 
superioris, in quo trinitas habitat, quod dicitur coelum trinitatis : 
Dies wäre also, was Quenstedt nennt coelum Dei maje- 
sticum , welches nichts anderes ist als die aeterna et inhnita Dei 
gloria et majestas, quam Deus in se habuit ab aeterno et in 
aeternum habiturus est, ac divinum , coeleste, omnipraesens ac 
omnipotens dominium super omnia. Einfacher ist wohl, den 
Ausdruck „neue Erde’ 7 lediglich aus Analogie zur Gegenwart 
zu erklären. Himmel und Erde ist jetzt Inbegriff unserer Welt, 
und daher neuer Himmel und neue Erde die Bezeichnung der 
neuen, zukünftigen Welt. Diese tritt an Stelle der gegenwär- 
tigen, die am Ende dieser Weltzeit wird vernichtet werden. Diese 
consummatio saeculi lehrt die Schrift deutlich (5. Mose 32, 22; 
Jes. 34, 4 ; Matth. 5, 18; 24, 35 ; Mark. 13, 31 ; Luk. 21, 33 ; Rom. 
8, 21 ; 1. Kor. 7, 31 ; Heb. 1, 11. 12; 9, 26 ; 2. Pet. 3, 7. 10. 11.). 

Das Wesen dieser Vernichtung wird nicht nur Verän- 
derung der gegenwärtigen Weltgestalt sein, nicht nur transfor- 
matio, oder qualitatum alternatio, sondern was der Name in 
vollem Sinne bezeichnet, nämlich substantiae abclitio und totalis 
annihilatio , so daß also der terminus a quo consummationis sive 
destructionis sit esse, terminus vero ad quem non esse sive 
nihil (Gerhard 2 ). So lehrt die Schrift 5. Mose 32, 22; 

1 Cotnm . ad Matth , cap. 5. 

2 Loci, tom . XX, loc. XXX , cap . V, § XXXVII , p . 5 1 . 





§ 76. Vom ewigen Leben. 


345 


Ps. 102, 2 7 und vornehmlich Heb. i, ii ; 2. Pet. 3, 7. 10 — 12. 

Über den Modus der Vernichtung der gegenwärtigen 
Welt gibt 2. Thes. 1, 8; 2. Pet. 3, 7. 10 — 12 deutlich Auskunft. 
Der gegenwärtige Bestand der Dinge wird durch Feuer ver- 
nichtet werden. Unzweifelhaft ist auch die Zeit, nämlich der 
Jüngste Tag (1. Pet. 1, 5). Den Modus und die Zeit rechnen 
unsere Dogmatiker, wie gewöhnlich bei andern Artikeln, unter 
die adjuncta consummationis saeculi. Gerhard 3 ; Consequen- 
Ha sunt novi coeli ac novae terrae creatio, aeterna piorutn prae- 
mia, aeterna impiorum supp Heia, adeoque omnia illa r quae inter 
e xtremi judicii consequentia numeravimus in tract. prox., 
§ 11 2. Quenstedt 4 gibt seine Erklärung in diesem Wort- 
laut: Consequentia , cujusmodi sunt piorum in aeternam gloriam 
introducHo, impiorum vero in infernum detrusio . Es ist nicht 
von ungefähr, daß Quenstedt das von Gerhard angeführte novi 
coeli ac novae terrae creatio als consequentia der consummatio 
wenigstens nicht anführt. Es scheint, er merke die schwierige 
Frage, die sich hier erhebt, nämlich die: Was ist von dem 
gegenwärtigen habitaculum der Seligen zu halten ? Ist 
es schon jetzt der neue Himmel und die neue Erde, so daß die 
Bezeichnung „neu” sich nicht auf die Zeitfolge, sondern nur auf 
den Gegensatz zueinander überhaupt bezöge, oder tritt wirklich 
erst nach der Auferweckung der Toten und Zerstörung der Erde 
die neue Erde und der neue Himmel ein? Nach Off. 21, 1 ist 
das letztere anzunehmen. Dann bleibt die Frage nach dem 
gegenwärtigen habitaculum und nach seinem Verhältnis zum 
neuen Himmel und zur neuen Erde. Gerhard, der sonst die Art 
hat, derartige Fragen zu behandeln, geht nicht darauf ein. In 
seinen Ausführungen de novissimis, einschließend zunächst den 
status animae post mortem, führt er aus, daß es nur zwei recep- 
iacula animae gebe, nämlich coelum und infernum 5 . Dann 
handelt er 6 de coelo und dessen Synonymen und sagt, daß bea- 
torum sedes sei absolute coelum, Himmel schlechtweg, auch 
coelum coelorum oder coelum novum et nova terra genannt; 


3 L. c. 3 § XCV 1 II, III, p. 130. 

4 Theol. did. pol., pars IV, cap , XX, sect. I , thes. IX, p. 640. 

5 L. c.j tom. XVII, % CLX, p. 179 ; § CXCIII , p. 227. 

6 L. c tom. XX, § XI, p. 295. 



§ 76. Vom ewigen Leben. 


»46 

vergl. § CLXX, p. 523 ; § XL, p. 348. Dann endlich schließt er 
de usu doctrinae de consummatione saeculi mit dem Votum: 
Faxit omnipotens Deus, ut novi illius coeli ac novae Ulms terrae , 
quac post saeculi consummationem divina virtutc creabuntur, 
cives et incolae simus 7 , Aber über das Verhältnis jener beiden 
Bestimmungen über die zwei receptacula, gleich nach dem Tode 
zu diesem letzten Aufenthalt der novae terrae und des novi coeli , 
macht er keine Erklärungen. Wir haben aber Dogmatiker, die 
sich über diesen Punkt äußern und zwar, indem sie Luther 
folgen. Er sagt 8 : „Wo aber bleiben dieweil unsere Seelen, 
wenn an allen Örtern der Kreatur eitel Feuer sein wird und kein 
Boden noch Raum? Lieber, sage mir, wo sind sie jetzt? Oder 
wo sind sie, wenn wir schlafen? Da sie nichts wissen, was außen 
am Leibe und allen leiblichen Kreaturen geschieht. Meinest du, 
daß Gott nicht vermöge, die Seelen in seiner Hand zu 
bewahren, daß sie nimmer gewahr werden, wie Himmel und Erde 
zu Pulver wird? Oder meinest du, er müsse einen leiblichen 
Stall dazu haben, wie ein Hirte zu seinen Schafen? Es ist genug, 
daß du wissest, sie sind in Gottes Händen und in keiner Krea- 
turen Schoß und Raum ; ob du nicht wissest, wie das zugehe, 
laß dich nicht irren, sintemal du noch nicht gelernet hast, wie dir 
geschehe, wenn du schlafest oder aufwachest, und kannst nimmer 
wissen, wie nahe dir der Schlaf oder das Wachen sei, damit du 
doch täglich umgehst. Wie wolltest du denn dies erfahren? Es 
heißt: Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist; da bleibet 
es bei. Indessen wird Himmel und Erde neu und unser Leib 
auch, und werden wieder lebendig zur ewigen Seligkeit. Amen. 
Wenn wir wüßten, wie die Seelen behalten werden, so wäre der 
Glaube aus. Aber nun wir fahren und wissen nicht wohin, 
wagen’s auf Gott und in seine Hände, besteht der Glaube in 
seiner Würde.” Ähnlich G o 1 1 f r . Hof fmann 9 : Stante 
autern hac sententia de creatione adhuc futura novi coeli et novae 
terrae, dicendum forsan erit, pro praesenti quidem statu mimas 
beatorum esse in manu Domini, Sap. fff , 1 , et adhuc expectare 
habitaculum istud novit er creandum, in quo post consummationem 

7 L c § CV 1 I, p. 138 . 

8 Kirchenpostille, Ev. am 2. Advent, Lpz. Ausg., B. XIII, S. 54. 

9 Synopsis , de novissimis, § XVI, ektkes., p . 1083. 



§ 76 . Vom ewigen Leben. 


347 


saeculi omnes electi sunt congregmdi: qua de re cuivis liberta- 
tem sentiendi relinquimus. Allerdings werden wir uns wie Hof f- 
mann mit der Erklärung Luthers beruhigen müssen. Philip- 
p i , der sonst auch auf alle einschlägigen Fragen eingeht, 
spricht sich über das in Rede stehende Verhältnis nicht aus. Er 
sagt nur 10 , daß die verklärte Leiblichkeit auch eine verklärte 
Welt fordere und daß die Versetzung der Seligen aus dem Him- 
mel auf die neue Erde dieselben an ihrer Seligkeit nicht verkürzen 
werde. Er sagt aber nicht, wie sich der Himmel, aus dem sie 
versetzt werden, zu dem neuen Himmel verhält. 

Was die consummatio saeculi betrifft, so sagt Luther 11 ; 
,,Es lassen sich etliche sauer werden, wie Himmel und Erde ver- 
gehen sollen, nämlich sagen sie, nicht nach ihrem Wesen, sondern 
nach ihrer Gestalt. Gleich als wären die Worte Christi nicht 
deutlich genug. Denn Christus, wie das griechische Wort lautet, 
sagt nicht, sie werden vergehen, sondern, sie werden Weg- 
gehen, d. i. sie werden verwandelt werden.” Zu demselben 
Evangelium sagt er 12 ; „Also wird Himmel und Erde am Jüng- 
sten Tage mit allen Elementen und, was allenthalben ist, durchs 
Feuer zerschmelzt und zu Pulver werden, samt aller Menschen 
Körper, daß nichts denn eitel Feuer allenthalben sein wird. Und 
alsbald wiederum neu aufs allerschönste geschaffen, daß unsere 
Körper helle leuchten werden wie die Sonne und siebenmal heller, 
denn sie jetzt ist. Davon saget 2. Pet. 3, 10.” Auf Grund dieser 
Stelle nehmen wir mit unsem Dogmatikern eine annihilatio der 
gegenwärtigen Schöpfung quoad substantiam an und verwerfen 
die Lehre von einer bloßen Veränderung der gegenwärtigen Ge- 
stalt. 

Über die Natur und Beschaffenheit des neuen Himmels und 
der neuen Erde können wir abermals nichts Weiteres aussagen, 
als daß die Beschreibung der Schrift, die freilich aus der gegen- 
wärtigen Welt entnommen sind (Off. 21), auf eine unaussprech- 
liche Herrlichkeit hoffen lassen. Im übrigen bleiben wir stehn 
bei den Erklärungen der Väter und unserer Dogmatiker . Quen- 


10 Glaubenslehre, B. 6, S. 15. 

11 Predigten über die Sonn- u. Festtagsepisteln, Evang. zum 2 . 
Adv., Lpz. Ausg., B. XII, S. 279. 

12 Kirchenpostille, A. A. O., S. 54. 



34 B 


§76. Vom ewigen Leben. 


s t e d t 18 : Esse beatilicae hujus fruitionis certum aliquod atque 
a damnatorum receptaculo distinctuv* nov indubium est; vide 
Luc, i6 } 27. 28 . Quäle vero istud et ubi praecise sit, non liquet, 
i: Cor. 2, 9. In der Nota sagt er: Quäle vero istud *ov 
et ubi praecise erit , intra hunc mundum vel extra, non liquet , h. e. 
nec quidditas, nec qualitas, nec situs ejus in hac naturae caligine 
a nobis penetrari vel explicari potest. Fast mit denselben Worten 
redet Gerhard 14 . 

Wenn die Schrift nun auch zu bestimmten, positiven 
Angaben über den Himmel kein Material an die Hand gibt, so 
doch zu der nähern negativen Bestimmung, daß der Him- 
mel nicht als Lokalität in grobsinnlicher Art vorgestellt werden 
darf. Namen wie. Haus, Paradies, Stadt, Schoß Abrahams sind 
sicher pcTa<^opi«a>c und pvo-riKä* zu verstehn. Die Berechti- 
gung, ja Nötigung dazu legt gut Gerhard dar 15 : Sicut pro- 
phetae veteris testamenti describunt regnum Messiae in novo te- 
stamento futurum vocabulis ex usu mosaicarum ceremoniarum 
desumptis, nec tarnen ex eo licet inferre, ritus mosaicos in novo 
testamento adhuc duraturos , sic prophetae et apostoli tarn statum 
quam situm coelestis Hierosolymae describunt verbis ex usu con- 
suetudine hujus saeculi petitis, nec tarnen ex eo licet colligere , 
coelum beatorum fore locum aliquem corporeum, tabemaculum 
et domxcilium materiale. Ninürum Deus nobis condescendens 
ävOpa ITTIVÜIS loquitur, quae sunt Otor pe?ruc Kat ovpavowptir OJS 
intelligenda . Luther faßt Himmel und Erde sehr als das 
eine Paradies (2. Pet. 3, 13). 16 

In der Antithese zu der hier dargelegten Lehre vom 
Himmel stehn schon diejenigen, welche, wie schon Spötter zur 
Zeit der Apostel (2. Pet. 3, 3) die Vernichtung der gegenwärtigen 
Welt leugnen ;so Pythagoreer, Platoniker, Ari- 
sto t e 1 i k e r aus alter Zeit, in neuerer Zeit alle Materia- 
listen : Der Stoff ist ewig. Verwandten Irrtum lehrt Or- 
ig e n e s , der erklärt, daß eine Welt der andern folgen werde. 

Antithetiker sind auch die, welche eine Vernichtung der 

13 L. c. } pars I, cap. XV, sect. I, thes. XXII I, p . 560. 

14 L. c ., § CLXX , p. 523. 

15 L. c.j § CLXXI, 3, p. 526. 

16 Auslegung der and. Epistel St. Petri, Leipz. Ausg. B. 11, S. 571. 





§76. Vom ewigen Leben. 349 

gegenwärtigen Welt nur quoad statum et modum , quoad qualita - 
tem et habitum, nicht quoad substantiam lehren ; so Origen e s, 
einige Scholastiker, die meisten Papisten, etliche 
Kalvinisten und selbst Lutheraner wie Brenz, 
Althamer, Ph. Nicolai. Im einzelnen gehn die An- 
sichten dieser Antithetiker auseinander. Einige lassen aus der 
Asche der gegenwärtigen Welt die neue geschaffen werden, an- 
dere lassen durch das Feuer am Jüngsten Tage nur die gegen- 
wärtige Welt von ihren Unvollkommenheiten gereinigt werden, 
noch andere lassen den Habitus der gegenwärtigen Welt verän- 
dert werden, wie ein Jüngling zum Manne wird, also durch Ent- 
wicklung. 

In Antithese zur Schriftlehre vom Himmel stehn auch die, 
welche in bezug auf die Lage ungegründete Behauptungen auf- 
stellen; so Scholastiker, Papisten, Kalvinisten 
mit ihrer Behauptung vom coelum empyraeutn , welchen Ger- 
hard so kennzeichnet 17 : Calviniani disputant de coelo em- 
pyraeo, quod sit luridissimum et amplissimum domicilium ad 
spectabiles coelos proxime cingens et ambiens, in quo beati loca- 
liter obambulent et bonis divinitus sibi concessis perfruantur. So 
der Kalvinist Petrus Martyr ; Ultra ürmamentum , quod 
octavum orbem nostri faciunt , est regio felic issima, ubi corpus 
Christi degit et sancti sua loca, suas sedes et mansiones cum hdbent 
tum post resurrectionem sunt habituri. Ursinus 18 : Locus 
beatorum est spatium Mud immensum, lucidissimum, gloriosum , 
extra et supra totum hunc mundum et coelum spectabile, in quo 
Deus se patefecit beatis angelis et hominibus; so auch S o h n i u s. 
Ebenso M a r t i n i u s : Locus coeli est proxime supra ürma- 
mentum . Dieselbe Meinung trägt ein so wichtiges kalvinistisches 
Dokument wie die Admonitio N e ostqdiensis vor, welches Deo lo- 
cale domicilium cum sanctis angelis et beatis hominibus commune 
tribuit. Quenstedt sagt davon 19 : Coelum empyraeum sive 
igneum , quod primo die primoque instanti creationis productum , 
ac supra ürmamentum locatum, in angelorum, beatorumque domi- 
cilium, vel etiam ipsius Dei palatium, plerique scholastici aliique 


17 L c., § CLXX , p. 523 . 

18 Comp . doctrinae christianae , p. 345 . 
10 L c., pars I , cap. X, qu. 9, p. 440. 



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§ 76 . Vom ewigen Leben. 


Pontißcü itemque Calviniani contendunt, est dulce sine somno 
somniutn et merum ßgmentum jam dictorum heterodoxorum, de 
quo et scriptura et natura tacet, quodque nec extitit unquam , nec 
futurum est Ähnliches tragen auch Sozinianer vor. 

Im Einklang mit den angeführten antithetischen Erklärungen 
stehn die Beschreibungen der Beschaffenheit des Himmels. Sie 
laufen auf ganz grobsinnliche Vorstellungen hinaus. C a j e - 
ta n 20 gibt folgende Beschreibung: In celsissimo coeli loco pala- 
tium summt regis Christi est , quod omnem superat admirationem. 
Eo inferius deiparae virginis palatium alterum. Ordine sequuntur 
alia pene inßnita tarn angelis quam hominibus attributa. Nicht in 
so ganz kindischer, grobsinnlicher Art, aber doch verkehrt genug 
lassen sich Kalvinisten vernehmen. Danäus 21 behauptet : 
Christi naturam humanam in coelo ut in amplissima quadcm et 
vere regia mla liberrime versari cum sanctis et angelis . .... et 
semper autem in nullo, nisi in uno aliquo c er t o coeli loco . 
Und Martinius 22 : Coelum est spatium, in quo multae sunt 
mansiones, est ergo Iqcus . In coelesti irita etiam est suc cessio 
temporis. Doch äußern sich andere Kalvinisten in ganz anderer, 
fast schriftgemäßer Weise, so Calvin selbst. Allerdings 
schließt dieses nicht richtige Ansichten über die Menschheit 
Christi im Stande der Erhöhung ein. 

Allen grobsinnlichen Ansichten gegenüber geben wir noch 
einmal die lutherische, schriftgemäße These mit den Worten 
Gerhards 23 : Nos libenter concedimus , coelum beatorum esse 
certum aliquod wov, sed negamus, per locum corporeum esse 
deßniendum , aut sedes et mansiones corporeas illi adscribendas . 
Wir verstehen untet coelum also allerdings nicht einen bloßen 
Zustand, so daß es nur ein Ausdruck für Seligkeit wäre, wie 
analog unter Himmel an gewissen Stellen Gott selbst zu verstehn 
ist, Luk. 20, 4, wozu Quenstedt sagt: Coelum Dei est ipsa 
divina majestas, aber wir halten ihn für ein bestimmtes v ov, 
nicht für eine Lokalität in grobsinnlicher Weise. 

Perdu cot nos ad beatitudinem vitae aetemae Christus Jesus , 
üdei et vitae *pxVY* Tr l* t Ut saecula benedictus. Amen . 

20 Cf. Gerhard, l c., § CLXU , p. 512 . 

21 Cf. Gerhard, /. r., § CLXUl, p. 513 . 

22 Cf. Gerhard, l c . 

25 L. c., § CLXIII , p. 513 .